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Endstation Rechts , 13.11.2018 :

Holocaust-Leugner und Antisemiten fordern Freilassung von Ursula Haverbeck

Von Bastian Sylvester

Am Wochenende versammelten sich anlässlich des 90. Geburtstages der inhaftierten Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck etwa 400 Neonazis - aufgerufen hatte dazu die Partei Die Rechte. Tausende Demonstranten hielten dagegen.

In der Bielefelder Innenstadt herrschte am Samstag Ausnahmezustand. Ganze Bereiche wurden für den Verkehr von den Morgenstunden an bis in den Abend hinein gesperrt, der ÖPNV wurde für diese Zeit komplett eingestellt, sogar die Oberleitungen der Stadtbahn wurden vom Stromnetz genommen.

Grund dafür war ein Aufmarsch von Neonazis, die den 90. Geburtstag der in der JVA Bielefeld-Brackwede inhaftierten Shoa-Leugnerin Ursula Haverbeck zum Anlass nahmen, um ihre Freilassung, sowie die Freilassung sämtlicher "politischer Gefangener" zu fordern. Zudem solle, wie oft auf derartigen Szene-Veranstaltungen, der Volksverhetzungs-Paragraph im Strafgesetzbuch abgeschafft werden. Die Polizei hatte den Anmeldern der Neonazi-Demonstration einen Marsch durch die Innenstadt zugestanden, vom Hauptbahnhof bis zum Landgericht, wo die Abschlusskundgebung mit Reden und Musik- und Gedicht-Beiträgen stattfand.

Über 6.000 stellen sich Neonazis in den Weg

Gleichzeitig fanden zehn Gegenveranstaltungen statt, an denen laut Aussage der Polizei etwa 6.000 Menschen teilnahmen. Das "Bielefelder Bündnis gegen Rechts" spricht hier sogar von 10.000 Personen. Schon früh fanden sich am Hauptbahnhof viele Gegendemonstrantinnen / Gegendemonstranten ein, um die Neonazis mit Pfeifkonzerten und Buhrufen zu empfangen.

Bei der Auftaktkundgebung sprach neben einem Vertreter des Kreisverbandes der Kleinstpartei Die Rechte auch der als "Der Volkslehrer" bekannte YouTube-Propagandist Nikolai Nerling. Planmäßig konnte sich anschließend der Tross in Bewegung setzen, begleitet von einem großen Polizeiaufgebot.

Die rechten Demonstrantinnen / Demonstranten liefen ihrer Route durch die Stadt, teilweise verbunden mit antisemitischen Parolen wie "Wer Deutschland liebt, ist Antisemit!" oder "Nie, nie, nie wieder Israel!". Ein älterer Teilnehmer skandierte Richtung Gegendemonstrantinnen / Gegendemonstranten: "Euch müssten wir erschießen!"

Reichsbürger und Holocaust-Leugner als Redner

Weitere Rednerinnen / Redner während des Aufmarsches waren NPD-Vize Thorsten Heise, die ehemalige RNF-Vorsitzende Edda Schmidt (beide NPD), Reichsbürger Christian Bärthel und der parteifreie Szene-Aktivist Sven Skoda. Der langjährige Haverbeck-Vertraute Markus Walter richtete ein persönliches Grußwort der Inhaftierten an die Neonazis. Zwischen den Redebeiträgen wurde rechtes Liedgut durch Axel Schlinger und Tobias Winter, bekannt als "Bienenmann", dargeboten. Als symbolischen Akt ließen die Rechtsextremen 88 weiße Luftballons mit der Aufschrift "Solidarität mit Ursula Haverbeck" in den Himmel aufsteigen. Anschließend wurden die rechten Demonstranten auf demselben Weg zurück zum Bahnhof geleitet. Gegen 19.00 Uhr war der Spuk wieder vorbei.

Die Polizei, die sich mit dem Verlauf der Veranstaltungen zufrieden zeigte, registrierte insgesamt 19 Straftaten. Das "Bielefelder Bündnis gegen Rechts" hingegen erhebt schwere Vorwürfe gegenüber der Polizei. So habe sich die Polizei wenig kooperativ gezeigt und gegen getroffene Vereinbarungen verstoßen. Darüber hinaus habe die Abschottungstaktik der Polizei gegenüber den Gegendemonstrantinnen / Gegendemonstranten dazu geführt, dass den Neonazis zu viel Raum gegeben wurde, um ihr Gedankengut zu verbreiten.

Bildunterschrift: Rund 400 Neonazis forderten die Freilassung der inhaftierten Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck.

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Bielefeld stellt sich quer - Bündnis gegen Rechts, 11.11.2018:

Pressemitteilung und Stellungnahme

Pressemitteilung und Stellungnahme des "Bündnis gegen Rechts" zu den Demos und dem Polizeieinsatz bei den Demos am 10.11.2018 in Bielefeld

Das Bielefelder Bündnis gegen Rechts bedankt sich bei allen Bielefelderinnen / Bielefeldern, die den Aufrufen zu unseren Kundgebungen und Demonstrationen gefolgt sind. Rund 10.000 Menschen haben erneut ein klares und eindrucksvolles Zeichen für unsere bunte und vielfältige Stadt und gegen Antisemitismus, Holocaust-Leugnung sowie jede Form von Menschenfeindlichkeit gesetzt.

Die Demonstrationsfreiheit ist ein Grundrecht, das für alle gilt. Es steht für Demokratinnen / Demokraten nicht zur Disposition, auch wenn es, wie beim gestrigen Aufzug der Neonazis, nur schwer erträglich ist, dass Demokratie-Feinde dieses Grundrecht ebenfalls in Anspruch nehmen.

Wir üben jedoch entschiedene Kritik an Taktik und Strategie der Polizei.

Bereits im Vorfeld hat sie ein Bedrohungsszenarium aufgebaut, um die Zivilgesellschaft einzuschüchtern und sie von einer Teilnahme an unseren Aktivitäten abzuhalten. Es wurde versucht, legitimen Protest gegen Nazis zu kriminalisieren. Durch den Einsatz von Wasserwerfern, Räumpanzern, Pferdestaffeln und die 1.700, teilweise paramilitärisch ausgerüsteten, Polizeibeamten aus dem gesamten Bundesgebiet wurde die Innenstadt über mehrere Stunden in einen Ausnahmezustand versetzt.

Dieses für unsere Stadt bisher beispiellose Einsatzkonzept der Polizei hat viele Bielefelderinnen / Bielefelder sehr verstört. Wir fühlten uns bei den von uns angemeldeten Demonstrationen von der Polizei nicht beschützt, sondern eindeutig feindselig bedroht und kriminalisiert. Räumpanzer und Wasserwerfer waren präventiv auf unsere Demonstrationsteilnehmerinnen / Demonstrationsteilnehmer gerichtet. Die Arbeit von Anwältinnen / Anwälten wurden von Anfang an massiv eingeschränkt, durch Falschinformationen verhindert oder durch rüden Polizeieinsatz unterbunden.

Die im Vorfeld getroffenen Vereinbarungen, damit die Demo-Teilnehmerinnen / -Teilnehmer zu den Kundgebungsstandorten kommen konnten, wurden nicht eingehalten, indem Kontrollstellen früher als zugesagt geschlossen wurden. Auch die vereinbarten Möglichkeiten zwischen den einzelnen Orten wechseln zu können, wurden nicht eingehalten. Wir fühlen uns in unserem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit beschnitten. Mehrere tausend Menschen konnten die gewünschten Kundgebungen nicht erreichen. (1)

Das Bielefelder Bündnis gegen Rechts war sowohl in der Vergangenheit, als auch am vergangenen Samstag, ein verlässlicher Veranstalter des zivilgesellschaftlichen Protests, welches gut mit der Polizei kooperiert und stets die Gewähr für den gewaltfreien Verlauf der Veranstaltungen übernommen hat. Wir sehen uns aber nicht als "Servicepartner" der Polizei, damit diese es einfacher hat, Faschisten einen Weg durch die Stadt zu ermöglichen. Mit dem gestrigen Einsatz hat die Polizei der Zivilgesellschaft geschadet und den geübten Weg des Konsenses verlassen.

Wir werden in den nächsten Wochen eine politische und auch gegebenenfalls rechtliche Aufarbeitung des überzogenen, unverhältnismäßigen und unangemessenen Einsatzes der Polizei vorantreiben und über Konsequenzen beraten.

(1) Durch die Sperrzone waren Wechsel zwischen den Versammlungsorten nur nördlich über die Beckhausstraße und südlich über die Sparrenburg-Promenade möglich. Daraus resultieren zum Beispiel folgende unverhältnismäßige und unangemessene Entfernungen:

Bahnhof zum Kesselbrink: circa 4,7 Kilometer über Beckhausstraße, statt circa 200 Meter direkt.

Jahnplatz zum Rathaus: circa 3,0 Kilometer über die Sparrenburg-Promenade, statt circa 200 Meter direkt.


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