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Westfalen-Blatt / Westfälisches Volksblatt , 10.08.2018 :

Flashmob macht auf Flüchtlingsnot aufmerksam

In der Paderborner Innenstadt haben am Mittwochabend etwa 50 "Seebrücke"-Aktivisten mit einer Mahnwache und einem Flashmob auf die Situation der Flüchtlinge im und am Mittelmeer aufmerksam gemacht. Nach Angaben der Aktivisten seien allein in den ersten sieben Monaten dieses Jahres 1.525 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken. Nach Angaben des Aktionsbündnisses hätten durch private Spenden finanzierte Rettungsschiffe und deren Besatzungen seit 2016 etwa 29.300 Menschen vor dem Tod bewahrt und gerettet. Die Aktion Seebrücke, eine internationale Bewegung, die getragen wird von verschiedenen Bündnissen und Akteuren der Zivilgesellschaft, setzt sich eigenen Angaben zufolge für sichere Häfen ein.

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Neue Westfälische - Paderborn Kreiszeitung, 08.08.2018:

"Menschlichkeit wird blockiert"

Seenotretter auf dem Mittelmeer: Was der gebürtige Paderborner Martin Kolek bei zwei Einsätzen erlebt und nicht erlebt hat / Warum er westliche Regierungen scharf kritisiert

Von Andreas Götte

Paderborn. Der Job, den Martin Kolek auf dem Such- und Rettungsschiff "Sea Watch III" ausführen soll, nennt sich charmant "Gäste-Koordinator". Mit "Gästen" sind Geflüchtete gemeint, die vom gemeinnützigen Verein "Sea-Watch" aus Berlin bei ihrer Flucht über das Mittelmeer gerettet werden.

Laut Kolek müsse an Bord des ehemaligen Versorgungsschiffes der Zustand der Menschen beachtet werden und möglichst Zuversicht und gegenseitiger Respekt an Bord herrschen. "Die Crew hat einen ganz klaren Blick auf Schwierigkeiten und muss ein hohes Maß an Bewusstsein für Risiken haben", sagt Kolek. Das sei wie an Land auch. Es herrschten von der Crew vorgegebene Spielregeln, sonst würde eine solche Rettung nicht funktionieren.

Unter den Geretteten herrsche eine große Solidarität und Toleranz. "Sie alle haben eine große Dankbarkeit gegenüber dem Leben. Sie küssen das Schiff und beten", sagt Kolek.

Seine Schilderungen bezieht der 51-Jährige auf seinen ersten Seenotrettungseinsatz 2016 auf dem Mittelmeer. Weil die maltesische Regierung die "Sea Watch III" im Hafen von Valletta seit Wochen am Auslaufen hindert, ist Martin Kolek unverrichteter Dinge nach Hause zurückgekehrt. Dabei hätten niederländische Kontrolleure bei einer Inspektion an dem Schiff technisch und juristisch nichts auszusetzen gehabt, betont er.

"Das ist extrem ärgerlich, weil der Einsatz über viele Monate geplant wurde", so der Wahl-Delbrücker. Weil die Crew-Mitglieder wie Kolek alle einem regulären Job nachgehen, muss sie häufig ausgetauscht werden. Hinter der bereits seit fast einem Monat andauernden Blockade vermutet der Musiktherapeut ein politisches Ziel. Man wolle damit die Seenotretter demoralisieren, so Kolek. Die 22-köpfige Crew stammt aus Europa und Kanada. Auf dem 55 Meter langen Schiff, das Platz für rund 600 Personen bietet, hatten sie eine Tonne Reis und ganz viel Kinder- und Babynahrung mitgeführt. Untergebracht war Kolek in einer rund 4,5 Quadratmeter großen Doppelstockkabine.

An den westlichen Regierungen übt Martin Kolek starke Kritik. "Wären Europäer auf dem Mittelmeer betroffen, wäre längst ein Rettungsprogramm gestartet worden. In Deutschland werde kein Cent zur Unterstützung der Rettungsarbeit ausgegeben", bemängelt Kolek, der sich bei der Caritas in Paderborn als Kinder- und Jugendtherapeut um junge Geflüchtete kümmert.

Kolek spricht von einer "deutlichen Verbindung von machtpolitischen, militärischen und wirtschaftlichen Interessen". Nach seinen Angaben unterstützten die NATO-Staaten die libysche Küstenwache. Die wiederum sei am Geschäft der Schlepper beteiligt, erklärt der Seenotretter. Durch den vom ihm beschriebenen Machtkomplex würden bestehende Konflikte weiterbestehen und sich erweitern. Für Kolek ist klar: "Man will die Flüchtlinge nicht, um den Wohlstand zu sichern."

Den Vorwurf, die Nichtregierungsorganisationen (NGO) betrieben das Geschäft der Schlepper, weist der 51-Jährige, der 2013 mit vier Mann den Atlantik überquert hat, zurück. "Die ersten Menschen sind ertrunken, da hat es uns noch gar nicht gegeben. Zudem verweist er auf eine Untersuchung, nach der die Zahl der Flüchtlinge nicht geringer wird, wenn keine NGO-Schiffe vor Ort sind. Kolek wirft den politisch Verantwortlichen eine "tiefe Menschenfeindlichkeit" vor. Auch die eigene Heimat nimmt er in die Pflicht. "In Paderborn zu sagen, dass ist nicht unser Problem, sondern das von Italien, ist falsch. Wer Menschen ertrinken lässt, ist kein Europäer", sagt er. Aus seiner Sicht dürfe das Engagement der Zivilbevölkerung nicht durch die Verwaltung klein gehalten oder gar verhindert werden.

Martin Kolek schlägt zudem vor, das sich die Kulturwissenschaft mit kulturellen Fragen bezogen auf Flüchtlinge beschäftigt. "Ich mag es nicht, wenn Kulturfragen als Hobby oder nur als ein administrativer Akt betrachtet werden", so der 51-Jährige. Warum er sich freiwillig als Seenotretter engagiert? "Mein Opa war im Ersten Weltkrieg Maschinist auf einem U-Boot und durfte aus militärpolitischen Gründen keine Menschen retten, die zum Gegner gehörten." Da sei sein Großvater ein überzeugter Pazifist geworden. So ein Gefühl habe er auch im Hafen von Valletta gehabt.

Bildunterschrift: Deutliche Botschaft: Zusammen mit den anderen Seenotrettern zeigt Martin Kolek (Mitte) in Valletta Flagge.

Bildunterschrift: Übt Kritik: Seenotretter Martin Kolek.

Stiller Protest und eine Spende

Am vergangenen Samstag fand auf den Treppen am Franz-Stock-Platz, von der internationalen Bewegung "Seebrücke" ein stiller Protest zum massenhaften Sterben im Mittelmeer statt.

Als Symbole in Erinnerung an die Ertrunkenen im Mittelmeer sollten beispielsweise Kerzen, Blumen und Kleidungsstücke auf der Treppe abgelegt werden, um Passanten auf das Thema aufmerksam zu machen.

Während in Deutschland die Asyl-Debatte geführt wird, sind zwischen dem 19. Juni und dem 4. Juli 483 Menschen im Mittelmeer ertrunken, darunter auch viele Babys.

Die heimische Reggae-Band "Rentarasta" hat an Libori in der Westernstraße gespielt.

Die Formation spendet 1.000 Euro für den Kauf eines neuen Schiffes zur Seenotrettung, weil die anderen Schiffe aus politischen Gründen festgehalten werden. Das Geld ist auch gedacht als Beteiligung für die juristische Unterstützung und den Freikauf des vor Gericht stehenden Kapitäns der "Lifeline", Claus-Peter Reisch.

Flashmob: Missstände im Mittelmeer

Paderborn. Unter dem Seebrücken-Logo haben sich Paderborner zusammen getan, um auf die Miss- und Notstände im Mittelmeer aufmerksam zu machen. Am heutigen Mittwoch spricht Seenotretter Martin Kolek (Sea-Watch) um 18.45 Uhr in der Westernstraße (Höhe des Pollux-Kinos) über die Situation von Flüchtlingen, die über das Mittelmeer nach Europa kommen. Um 19 Uhr ist ein Flashmob geplant: Teilnehmer übergießen sich mit Wasser oder halten eine Kerze als Symbol. Mehr über Martin Kolek lesen Sie auf der 3. Lokalseite.


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