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Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt , 11.01.2018 :

Der Vergangenheit stellen

Nachgefragt: Die Veröffentlichung der Dokumentation über Steinhagen während der NS-Zeit soll im Sommer fertig sein / Die Forschungsarbeit birgt beklemmende Details

Von Frank Jasper

Steinhagen. Ursprünglich sollte Ende 2016 eine Dokumentation über die Geschichte Steinhagens in der Zeit von 1933 bis 1945 erscheinen, dann wurde der Termin auf 2017 verschoben. Auch dieses Ziel konnte krankheitsbedingt und auf Grund immer neuer Recherche-Arbeiten nicht eingehalten werden. Historiker Dr. Jürgen Büschenfeld, der von der Gemeinde Steinhagen mit dem Projekt beauftragt wurde, kündigt die Veröffentlichung im Gespräch mit dieser Zeitung jetzt für den Sommer an.

"Im Landesarchiv Detmold hat sich ein neuer Archivbestand aufgetan, den ich unbedingt berücksichtigen wollte, auch das Westfälische Wirtschaftsarchiv in Dortmund habe ich für die Dokumentation noch einmal besucht", berichtet Büschenfeld. "Nur fünf bis zehn Prozent aus den Archiv-Recherchen können überhaupt verwendet werden. Die Ergebnisse müssen zusammengepuzzelt und einzeln noch einmal auf den Prüfstand gestellt werden", gibt der Historiker Einblick in seine Arbeit. Schwierig gestalte sich zudem die Suche nach Bildmaterial. "Im Stadtarchiv Halle etwa gibt es nur Negativfilme, die erst entwickelt werden müssten."

Inhaltlich dürfte die Dokumentation, die als Buch veröffentlicht werden soll, spannend werden und neue Details über die Zeit des Nationalsozialismus zutage fördern. In fünf Kapiteln arbeitet Büschenfeld Steinhagens Historie auf.

Jedem Kapitel wird eine kurze Beschreibung der allgemeinen politischen Situation vorangestellt, bevor sich der Fokus auf die Gemeinde richtet. "Geschichte wird dann greifbar, wenn sie Gesichter und Namen bekommt", so Büschenfeld zur Herangehensweise. Zu den Quellen, mit denen er arbeitet, gehören zum Beispiel die Lageberichte des damaligen Bürgermeisters des Amtes Halle, Meyer zu Hoberge. "Da bekommt man einen ganz guten Einblick, was damals die Themen im Amt Halle waren, zu dem auch Steinhagen, Amshausen und Brockhagen gehörten", so Büschenfeld.

Auch die für Steinhagen existenzielle Brennereigeschichte spart der Historiker nicht aus. 2,5 Millionen Liter Schnaps sollen die heimischen Brennereien während des Kriegs pro Jahr produziert haben. "Steinhagen war der Ort im Deutschen Reich, in dem am meisten Schnaps gebrannt wurde", so Dr. Jürgen Büschenfeld.

Zwar seien die Wirtschaftsakteure nicht Mitglied in der NSDAP gewesen, hätten ihren wirtschaftlichen Vorteil aber zumindest erkannt.

"Schreiende Ungerechtigkeit, die benannt werden muss"

Zum Umgang mit den Juden im Ort hat Büschenfeld ebenfalls geforscht. Die Erkenntnisse daraus beschreibt der Historiker als "sehr beklemmend". Dreh- und Angelpunkt dieses Aspekts ist der Brandanschlag auf das Haus der jüdischen Familie Hurwitz in Brockhagen. Vier Männer legten am 11. November 1938 in dem Gebäude Feuer. Das Haus brannte ab, die Familie wurde heimatlos. Das Thema hatte bereits im Vorfeld des Projekts für einen politischen Disput gesorgt. Während SPD, Grüne und FDP dafür eintraten, dass sich Steinhagen seiner Vergangenheit stellt, hatte sich die CDU gegen die NS-Dokumentation ausgesprochen; sie würde alte Wunden im Ort aufreißen und Zwietracht säen zwischen den Nachfahren der Genannten.

Tatsächlich birgt genau dieses Kapitel über das Schicksal der jüdischen Familie in Brockhagen brisante Details. Etwas jenes, wonach sich ein verurteilter Anstifter zum Brandanschlag nach dem Krieg einen zweifelhaften Freispruch erkämpft habe, so Büschenfeld. Er spricht von "schreiender Ungerechtigkeit", die benannt werden müsse. Das gilt ebenso für den Umgang mit Fremd- und Zwangsarbeitern während des Kriegs an der Heimatfront, dem der Forscher ein eigenes Kapitel widmet.

Laut Petra Holländer von der Steinhagener Gemeindeverwaltung ist neben der Herausgabe des Buches eine Ausstellung angedacht, die in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Geschichte des Heimatvereins umgesetzt werden könnte. Für das Projekt hat die Gemeinde Steinhagen 24.000 Euro bereitgestellt.

Bildunterschrift: Im Gleichschritt: Der Bund Deutscher Mädel marschiert auf dem Steinhagener Kirchplatz. Texte und Bilder aus Steinhagen während der NS-Zeit trägt der Bielefelder Historiker Dr. Jürgen Büschenfeld für eine Dokumentation zusammen.

Bildunterschrift: Forscht weiter: Der Historiker Dr. Jürgen Büschenfeld.

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Haller Kreisblatt Online, 20.01.2016:

Historiker arbeitet Steinhagener NS-Zeit auf

Projekt war im Vorfeld politisch umstritten

Von Frank Jasper

Steinhagen. "Es geht nicht darum, jemanden an den Pranger zu stellen", stellt der Historiker klar. Dr. Jürgen Büschenfeld möchte aufklären und historische Fakten zusammentragen, die für die Gemeinde Steinhagen bisher erst sehr übersichtlich dokumentiert sind. Die CDU hatte mit Blick auf den 11. November 1938, als Brockhagener Männer das Haus einer jüdischen Familien anzündeten, davor gewarnt, "alte Wunden aufzureißen". Die politische Ratsmehrheit beschloss gleichwohl die Erarbeitung einer Dokumentation.

An der arbeitet Dr. Jürgen Büschenfeld seit dem Spätsommer. Der 60-jährige Bielefelder hat eine halbe Stelle als Geschichtsdozent an der Universität Bielefeld und erforscht nebenbei im Auftrag von Städten und Unternehmen deren Historie. "Dabei arbeitet man sich ganz automatisch in die NS-Thematik ein", berichtet Büschenfeld. Aktuell richtet sich sein Blick auf Steinhagen.

Nach Besuchen im Stadtarchiv Halle, wo er mehr als 80 Akten eingesehen hat, und dem Detmolder Landesarchiv, steht noch die Arbeit im Kreisarchiv Gütersloh an. "Danach werden die Ergebnisse mit den Aussagen von Zeitzeugen abgeglichen", erklärt Büschenfeld, der sich bereits mit der Tochter eines Steinhagener Lehrers jener Zeit und Martin Maschke, dessen Vater damals Pastor in Steinhagen war, verabredet hat. Unterstützt wird er auch vom Arbeitskreis Geschichte des Heimatvereins.

Erste Einschätzungen des Historikers lassen erkennen, dass man sich auch in Steinhagen schnell mit dem Nationalsozialismus arrangierte. Genau deshalb startet seine Untersuchung bereits vor 1933, in der Spätphase der Weimarer Republik. Wahlergebnisse, Vereinswesen und Bevölkerungsstruktur können die Gemengelage von damals skizzieren und womöglich die rasche Machtergreifung erklären.

Als amerikanische Panzer in den Ortskern rollten

Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit, die in einem Buch münden soll, wird die Schilderung des Krieges auf dem Land sein. "Was bedeutet es, wenn die Bauern an der Front waren? Wie wurde mit den Fremd- und Zwangsarbeitern auf den Steinhagener Höfen und in den Betrieben umgegangen?", will Dr. Jürgen Büschenfeld herausfinden.

Ein unbequemes Thema wird auch die "wilde Enteignung" durch die Nationalsozialisten sein. Denn wer den neuen Machthabern nicht folgte, musste um Hab und Gut fürchten. "In einer Quelle etwa wird von einem Grundstück unterhalb der Schwedenschanze berichtet, für das sich die Hitlerjugend interessierte", berichtet Büschenfeld, "an anderer Stelle erfährt man, dass sich die Arbeiterwohlfahrt nicht gleichschalten lassen wollte und daraufhin ihr Vermögen eingezogen wurde".

Ein weiteres Kapitel will der Historiker dem Einmarsch der Amerikaner in Steinhagen widmen. Bekannt ist, dass Kapitulationsverhandlungen zwischen dem damaligen Bürgermeister Carl-Gustav Meyer und amerikanischen Offizieren stattfanden. Obwohl aus den Häusern weiße Tücher wehten und die Panzersperren beseitigt worden waren, kam es zu Feuergefechten, als die amerikanischen Panzer ins Ortszentrum vordrangen. Dabei starben Soldaten auf beiden Seiten.

"Alle Fakten kommen auf den Tisch", verspricht Büschenfeld. Am Ende seiner Dokumentation werde eine Einschätzung stehen. "Daraus kann jeder seine Schlüsse ziehen." Ende des Jahres sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. Ein Buch und eventuell eine Ausstellung sind geplant.

Bildunterschrift: Sichtet zahlreiche Akten: Der Historiker Dr. Jürgen Büschenfeld arbeitet zur Zeit an einer Dokumentation, die sich mit dem Nationalsozialismus in Steinhagen befasst. Am Ende soll ein Buch zum Thema veröffentlicht werden.

Bildunterschrift: Im Gleichschritt: Der Bund Deutscher Mädel und Uniformierte marschieren auf dem Steinhagener Kirchplatz.


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