4 Artikel ,
26.05.2023 :
Pressespiegel überregional
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Übersicht:
Norddeutscher Rundfunk, 26.05.2023:
Oljean Ingster - Häftling Nummer 106 955 - ist tot
Spiegel Online, 26.05.2023:
Prozess in Bayern / Versuchter Brandanschlag auf Synagoge - zweieinhalb Jahre Haft
Bild.de, 26.05.2023:
Prozess um Neonazi-Anschlag / Synagoge sollte brennen
Endstation Rechts, 26.05.2023:
Rostock / Rechtsextremist im öffentlichen Dienst: Klage abgewiesen
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Norddeutscher Rundfunk, 26.05.2023:
Oljean Ingster - Häftling Nummer 106 955 - ist tot
26.05.2023 - 13.40 Uhr
Er überlebte acht Konzentrationslager der Nazis und war 1948 in Schwerin Gründungsmitglied der Jüdischen Landesgemeinde Mecklenburg: Oljean Ingster. Ende Mai 2023 ist das langjährige Mitglied der Jüdischen Gemeinden in Schwerin und Berlin im Alter von 95 Jahren gestorben.
Von Axel Seitz
Oljean Ingster kam am 2. Februar 1928 in Proszowice in der Nähe von Krakau zur Welt. Bereits 13 Jahre später machte sich der Junge drei Jahre älter, um in ein Arbeitslager zu kommen. Das war im September 1941. Der polnische Jude wurde von den deutschen Besatzern zusammen mit seinen Eltern und seiner Schwester sowie Hunderten anderen Juden aus der Region in der Nähe von Krakau inhaftiert. Oljean Ingster sah seine Familie nie wieder, er selbst überlebte in den folgenden dreieinhalb Jahren acht Konzentrationslager. Am 2. Mai 1945 endete das Martyrium in Mueß bei Schwerin. Der damals 17-jährige Oljean Ingster war einer von Hunderten Häftlingen eines KZ-Todesmarsches aus Sachsenhausen.
Ingster überlebt Todesmarsch aus KZ Sachsenhausen
Vier Jahre zuvor - 1941 - musste der Junge für Daimler-Benz im Flugmotorenwerk Reichshof arbeiten. Später folgten unter anderem die Konzentrationslager Plaszow sowie Flossenbürg, Lager in Elsass-Lothringen und schließlich das KZ Sachsenhausen. Von dort aus marschierte der Häftling mit der Nummer 106 955 in Richtung Nordwesten, bis am 2. Mai 1945 der Todesmarsch kurz vor Schwerin endete.
KZ-Häftlinge wehren sich mit Waffen
In einem ausführlichen Gespräch mit dem NDR erinnerte sich der damals 87-Jährige im Jahr 2015, wie die SS-Wachleute an jenem 2. Mai noch versuchten, Häftlinge zu erschießen. Diese fanden aber in den umliegenden Wäldern Waffen und wehrten sich. In Schwerin waren bereits amerikanische Soldaten einmarschiert und so seien die SS-Bewacher geflohen.
Einen Tag später, so berichtete Oljean Ingster, waren am Störkanal auch die ersten sowjetischen Soldaten. Russen und Amerikaner hätte da sogar Fußball gespielt. Er selbst bekam von einem Bäcker Brot, übernachtete gemeinsamen mit seinem Lager-Kameraden, dem 20 Jahre älteren Arzt Wolf-Thadeusz Epstein in einem Stall. Später erhielten der ehemalige Häftling "100 Reichsmark und einen Anzug, der viel zu groß war".
Als Kantor in der größten Synagoge Deutschlands
Oljean Ingster blieb 1945 in Schwerin, holte seinen Schulabschluss nach und begann zudem eine Ausbildung zum Elektromonteur.
Als Jude engagierte sich der junge Mann beim Aufbau einer Jüdischen Gemeinde. 1948 wurde die Jüdische Gemeinde Mecklenburg mit Sitz in Schwerin zugelassen. Dort leitete er Ende der 1940er,- Anfang der 1950er-Jahre als Kantor auch regelmäßig Gottesdienste. 1960 zog Oljean Ingster nach Berlin. 1966 gestaltete er dann erstmals in Deutschlands größter Synagoge - in der Rykestraße in Prenzlauer Berg - als Kantor einen Gottesdienst und übernahm diese Aufgabe bis 2016.
Entwicklung Jüdischer Gemeinde Schwerin stets verfolgt
Wie sich die 1994 neu gegründete Jüdische Gemeinde in Schwerin entwickelte, verfolgte Oljean Ingster immer wieder aus Berlin. So war er zur Amtseinführung von Landesrabbiner William Wolff im April 2002 ebenso in Schwerin wie sechs Jahre später, als die neue Synagoge eingeweiht wurde. Es sei eine große angenehme Überraschung, sagte er im Dezember 2008, "ich hätte es mir nie vorgestellt, dass hier eine Synagoge gebaut wird, dass hier überhaupt eine Gemeinde entsteht". Und weiter: "Als ich hier wegging, war kaum ein Jude da und jetzt sind es so viele Mitglieder, Zuwanderer. Ich freue mich über diese lebendige Gemeinde. Und es ist wichtig für das Land, dass man hier wieder eine Gemeinde in der Mitte des Landes hat."
Auf sein langes Leben schaute Oljean Ingster schon 2015 in einem ausführlichen Gespräch mit dem NDR, auch mit der Erinnerung an seine Leidenszeit während des Zweiten Weltkriegs, so zurück: "Man musste das Richtige tun und das Andere unterlassen. Ich hatte immer irgendwie einen Schutzengel gehabt."
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Spiegel Online, 26.05.2023:
Prozess in Bayern / Versuchter Brandanschlag auf Synagoge - zweieinhalb Jahre Haft
26.05.2023 - 14.35 Uhr
Das Amtsgericht Bamberg hat einen 22-Jährigen der versuchten schweren Brandstiftung schuldig gesprochen. Die Tat des Mannes zielte auf eine Synagoge in Oberfranken.
Wegen eines versuchten Brandanschlags auf die Synagoge im bayerischen Ermreuth ist ein 22-Jähriger zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt worden. Das Amtsgericht Bamberg sprach den Mann der versuchten schweren Brandstiftung und der gemeinschädlichen Sachbeschädigung schuldig (Az.: 510 Js 18/23).
Der Vorsitzende Richter attestierte dem Angeklagten eine seit Jahren bestehende rechtsextreme Gesinnung. Er sei sich der Konsequenzen seiner Tat trotz des erheblichen Alkoholkonsums bewusst gewesen, und das Urteil solle insofern auch ein deutliches Zeichen setzen.
Tat in der Nacht auf Neujahr
Der junge Mann hatte vor Gericht erklärt, eine rechtsradikale Gesinnung zu haben und eingeräumt, in der Nacht auf Neujahr 2023 in betrunkenem Zustand eine Scheibe der Synagoge in Oberfranken eingeschlagen zu haben. Ein Überwachungsvideo zeigt, wie er daraufhin versuchte, ein Feuerwerk anzuzünden und es in die Synagoge zu werfen. Als dies misslang, ging er weiter. In dem Gebäude befanden sich zu dieser Zeit keine Menschen.
Die Generalstaatsanwaltschaft München hatte dem 22-Jährigen eine "gefestigte judenfeindliche und rechtsextreme Geisteshaltung" attestiert und eine Freiheitsstrafe von drei Jahren gefordert.
Der Verteidiger des jungen Mannes sprach sich für eine Bewährungsstrafe von maximal zwei Jahren und mehrere Auflagen aus. Dazu sollten etwa ein Alkoholverbot und Gespräche zur Deradikalisierung zählen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Bildunterschrift: Synagoge in Ermreuth.
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Bild.de, 26.05.2023:
Prozess um Neonazi-Anschlag / Synagoge sollte brennen
26.05.2023 - 07.26 Uhr
Von: Peter Lauschmann
Bamberg. Im Prozess um den versuchten Brandanschlag auf die Synagoge im bayerischen Ermreuth hat der Angeklagte Tim F. (22) die Tat vor Gericht gestanden.
Er sagte am Donnerstag vor dem Amtsgericht Bamberg, er habe an dem Abend viel Alkohol getrunken und bereue die Tat zutiefst. Warum genau er das getan habe, wisse er nicht. Zugleich räumte er ein, eine rechtsradikale Gesinnung zu haben und sich nach einer Verurteilung Hilfe holen zu wollen.
Tim F. soll laut Anklage in der Nacht zu Neujahr 2023 zunächst eine Glasscheibe der Synagoge eingeschlagen haben. Anschließend soll er versucht haben, einen Feuerwerkskörper zu entzünden, um ihn ins Innere zu werfen. Das Bodenfeuerwerk zündete aber nicht. Menschen hielten sich zur Tatzeit nicht in dem Gebäude auf.
Die Generalstaatsanwaltschaft geht von einem "rechtsextremen und judenfeindlichen Tatmotiv" aus und wirft dem Mann versuchte schwere Brandstiftung und gemeinschädliche Sachbeschädigung vor. Der 22-Jährige war wenige Tage nach der Tat festgenommen worden und sitzt seitdem in Untersuchungshaft.
Bei der Generalstaatsanwaltschaft ist Andreas Franck - der Zentrale Antisemitismus-Beauftragte der bayerischen Justiz - angesiedelt, deshalb wurde das Ermittlungsverfahren auch dort in München geführt.
Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (52, CSU): "Der Juden-Hass in Deutschland hat ein erschreckendes Ausmaß erreicht. Deshalb führt die bayerische Justiz den Kampf gegen Antisemitismus entschlossen und konsequent. In Fällen von bayernweiter Bedeutung ermittelt der Zentrale Antisemitismus-Beauftragte der bayerischen Justiz. Dieser Spezial-Staatsanwalt für judenfeindliche Straftaten ist bei der Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) der Generalstaatsanwaltschaft München angesiedelt."
Die historische Synagoge in dem kleinen Ort bei Forchheim wurde 1822 erbaut. In den 30-er Jahren des 20. Jahrhunderts - schon vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten und der Verfolgung von jüdischen Bürgern - war die Gemeinde des Ortes so klein geworden, dass sie keine Gottesdienste mehr abhalten konnte.
1994 wurde das Gebäude saniert und wieder als Synagoge geweiht. Sie dient als Museum und als Ort der Begegnung. Eine eigene Jüdische Gemeinde hat Ermreuth nicht.
Bildunterschrift: Der Innenraum der Synagoge von Ermreuth.
Bildunterschrift: Generalstaatsanwaltschaft ist Andreas Franck, der Zentrale Antisemitismus-Beauftragte der bayerischen Justiz.
Bildunterschrift: Der Angeklagte Tim F. (22, re.) bei Prozessbeginn.
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Endstation Rechts, 26.05.2023:
Rostock / Rechtsextremist im öffentlichen Dienst: Klage abgewiesen
Ein umtriebiger Rechtsextremist hatte eine Anstellung im öffentlichen Dienst bei der Stadt Rostock gefunden - kurz darauf wurde Kritik daran öffentlich, vor allem auf Grund seiner Kontakte ins rechte Milieu. Die Hansestadt reagierte mit einer Kündigung, Marcel P. wehrte sich vor dem Arbeitsgericht, doch die Klage wurde heute nun abgewiesen. Auch gegen Google geht der Mann parallel vor.
Oliver Kreuzfeld
"Aus unserer Sicht ist die Beschäftigung von Marcel P. im öffentlichen Dienst nicht vertretbar", heißt es in einem Offenen Brief, den der Rostocker Verein "Bunt statt braun" vergangenen Oktober dem stellvertretenden Bürgermeister zukommen ließ und so den Stein erst ins Rollen brachte. Der Mann sei "der gewaltbereiten Rostocker Nazi-Szene zuzurechnen", daher wäre die Anstellung "katastrophal" für das Ansehen der Stadt.
Mit diesem Mitte Oktober veröffentlichen Schreiben macht der Verein auf die umstrittene Personalie aufmerksam und kritisierte deutlich die Einstellung von Marcel P., der sich erfolgreich auf eine leitende Position im Gesundheitsamt beworben hatte. Die Stadt reagierte: Zu Ende November wurde dem Rechtsextremisten gekündigt, doch der wehrte sich vor dem Rostocker Arbeitsgericht.
Zweite Kündigung wirksam
Das Gericht hat heute entschieden, dass einerseits die Kündigung der Stadt vom November rechtswidrig sei. Gleichzeitig wurde die Klage des Mannes abgewiesen, beide Parteien müssen zu gleichen Teilen die Kosten tragen. Hintergrund der auf den ersten Blick widersprüchlichen Entscheidungen ist, dass die Hansestadt eine zweite Kündigung ausgesprochen hat, die das Gericht wiederum für wirksam erklärte.
Mit der ersten Kündigung sei P. im Wesentlichen die Eignung abgesprochen worden, in dem Fall die von der Stadt genannten Zweifel an der notwendigen Verfassungstreue. Doch sie hätte nachweisen müssen, dass von P. eine erhöhte und nicht nur eine allgemeine Treuepflicht benötigt werde. Das sei ihr nicht gelungen, die vom Verfassungsschutz angeforderten Informationen seien zu allgemein gehalten. Die dann rein aus Formalien nachgeschobene und noch in der Probezeit erfolgte zweite Kündigung erkannte das Arbeitsgericht jedoch an.
Ordner auf Neonazi-"Trauermarsch"
Für den Verhandlungstag Ende April hatte das Arbeitsgericht Informationen des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern eingeholt, um die von der Stadt eingebrachten Zweifel an der Verfassungstreue von Marcel P. einzuordnen. Doch viele Angaben waren offenbar nicht nur zu allgemein gehalten, sondern lagen auch weit zurück. So sei der Rechtsextremist laut seinem Anwalt bereits vor 14 Jahren aus der rechten Bruderschaft "East Coast Brotherhood" ausgestiegen, auch Besuche einer Sommersonnenwende und eines "Trauermarsches" in Magdeburg würden bereits zehn Jahre zurückliegen.
Ohnehin sei P. seinem Anwalt zufolge ein "netter Kerl", zudem könne man "mit gutem Gewissen" an einem "Trauermarsch" teilnehmen. "Weil man Ordner ist, will man was Gutes", heißt es ergänzend. Nicht zehn, sondern gerade einmal drei Jahre liegt allerdings die Teilnahme des Rostockers am Dresdner "Trauermarsch" zurück. Fotos zeigen ihn mit Ordner-Binde auf der Demo, seit etlichen Jahren eine der wichtigsten Veranstaltungen der rechtsextremen Szene. Direkt neben ihm ist Andreas Theißen zu sehen, NPD-Kader und früherer Mitarbeiter von Udo Pastörs. In dem Block, für den P. offenbar zuständig war, laufen weitere bekannte Neonazis mit, darunter Anhänger des mittlerweile verbotenen "Aktionsblog" aus Rostock.
Google-Einträge sollen entfernt werden
P. ist Szene-Beobachtern vor allem von seinen regelmäßigen Teilnahmen an Demonstrationen bekannt: Mehrfach lief er auf von Flügel-Anhängern organisierten AfD-Veranstaltungen mit und zeigte sich dort mit bekannten Rechtsextremen und Hooligans der Hansestadt. Die letzten Jahre schloss er sich dann den lokalen Querdenker-Demos an, geriet u.a. in eine Maßnahme der Polizei.
Linke Recherche-Portale liefern darüber hinaus etliche Hinweise auf Kontakte des Mannes in die rechte Szene, die Fälle sind gut dokumentiert. Wohl auch aus diesem Grund versucht P., entsprechende Einträge bei Google löschen zu lassen und klagt derzeit vor dem Landgericht Rostock auf Unterlassung und will die Entfernung mindestens eines Eintrages erreichen. Vertreten wird er dort von Dubravko Mandic, früherer AfD-Politiker und rechtskräftig wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilter Rechtsanwalt.
Konkret geht es in der Sache um zwei Verlinkungen in der Suchmaschine. Eine sei in der Zwischenzeit bereits entfernt worden, so dass nur noch ein Eintrag Gegenstand der Verhandlung war. Eine Vertreterin von Google berief sich auf ein öffentliches Interesse und sieht die Gefahr eines so genannten Overblocking. Mandic hingegen sprach von gesellschaftlicher Verantwortung und sieht seinen Mandanten verfolgt. P. müsse selbst Inhalte online stellen, um "andere Sachen nach unten zu treiben". Eine ursprünglich für diesen Mittwoch vorgesehene Urteilsverkündung wurde wegen Krankheit auf kommende Woche verschoben.
Bildunterschrift: Das Foto zeigt P. mit Ordner-Binde auf dem Neonazi-"Trauermarsch" in Dresden.
Bildunterschrift: P. (2. v. r.) am Rande einer AfD-Demo, einige der auf dem Foto zu sehenden Teilnehmer versuchten, einen Fotografen anzugreifen.
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