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5 Artikel , 25.05.2021 :

Pressespiegel überregional

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Übersicht:


Blick nach Rechts, 25.05.2021:
Modernisierung der rechtsextremistischen Parteien in Europa

MiGAZIN, 25.05.2021:
Täglich 50 Hass-Nachrichten / Antisemitische Proteste bedrücken Holocaust-Überlebende

Blick nach Rechts, 25.05.2021:
Bundeswehr-Offizier Franco A. bestreitet rechtsextreme Mordpläne

Der Tagesspiegel Online, 25.05.2021:
Neuer Rechtsextremismus-Verdacht / Lehrer an Berliner Schule war Mitglied der "Identitären Bewegung"

MiGAZIN, 25.05.2021:
Baden-Württemberg / Ermittlungen gegen Polizisten wegen Fremdenfeindlichkeit

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Blick nach Rechts, 25.05.2021:

Modernisierung der rechtsextremistischen Parteien in Europa

Von Armin Pfahl-Traughber

Die Extremismus-Forscher Uwe Backes und Patrick Moreau untersuchen die Modernisierung des Rechtsextremismus in Europa, wobei sie sich auf Parteien und deren Programmatik konzentrieren. Berechtigt weisen die Autoren darauf hin, dass man deren Erfolge nur unter Berücksichtigung eben derartiger Veränderungen verstehen kann.

Man kann den gegenwärtigen Rechtsextremismus nicht analysieren, wenn man nicht auch seine Modernisierung berücksichtigt. Dieser Auffassung sind auch die beiden Extremismus-Forscher Uwe Backes und Patrick Moreau, die dazu das Buch "Europas moderner Rechtsextremismus. Ideologien, Akteure, Erfolgsbedingungen und Gefährdungspotentiale" vorgelegt haben. Darin wird der Begriff "Modernisierung" verständlicherweise formal verstanden. Es geht nicht um die Behauptung, wonach es eine Demokratisierung oder Verbesserung gegeben habe.

Gemeint sind primär Anpassungen an gesellschaftliche Veränderungen, die für eine strategische Lernfähigkeit des gemeinten politischen Lagers sprechen. Darüber wird immer mal wieder in Andeutungen spekuliert, eine systematische Betrachtung zu eben den Modernisierungspotentialen fehlte bislang. In diese Lücke stoßen die beiden Politikwissenschaftler. Sie wollen damit neue Analyseoptionen aufzeigen, sowohl zu den Positionen wie zur Strategie.

Definitionsprobleme mit "Rechtsextremisten" und "Rechtsradikalen"

Am Beginn ihrer Betrachtungen stehen Definitionsprobleme, denn das Gemeinte muss auch mit einer konkreten Nennung verbunden sein. Und hier geraten die Begriffe doch etwas durcheinander. Das Buch spricht von modernem "Rechtsextremismus" im Titel. Meist wird aber die Bezeichnung "Rechtsradikale" verwendet. Ersteres steht für eine dezidiert antidemokratische Auffassung, "Rechtsradikale" soll einen Standpunkt zwischen Faschismus und Konservativismus erfassen und sich für einen länderübergreifenden Vergleich besser eignen.

Dann ist aber auch von einer "weichen Form" des Extremismus die Rede, was ja dann wieder für die Bezeichnung "Extremismus" als antidemokratische Strömung sprechen würde. Es kann ja hierfür unterschiedliche Intensitätsgrade geben. So wäre das hier Gemeinte ein neuerer Rechtsextremismus, während etwa neonazistische Gruppierungen für den traditionellen Rechtsextremismus stehen würden. Blendet man indessen diese Begriffsproblematik aus, werden zutreffend die Modernisierungsbereiche aufgearbeitet.

Ideologien und Programme der Parteien

Dabei ist die Arbeit auf die Parteien konzentriert und nimmt einen europäischen Vergleich vor. Gerade dadurch gelingt es den Autoren, die entsprechenden Innovationen gut herauszuarbeiten. Ihre Betrachtung richtet sich dabei auf die Ideologien und Programme. Deutlich wird etwa, dass sich der modernere Rechtsextremismus eher muslimfeindlich und der traditionelle Rechtsextremismus eher judenfeindlich orientiert. Auch Aspekte wie "Antiimperialismus" und "Querfront" werden als Handlungsfelder thematisiert.

Und dann ist auch die Bedeutung der Corona-Frage für das gemeinte politische Lager wichtig. Dem folgt ein Blick auf die Erfolgsbilanz, wobei es primär um die Europawahl-Ergebnisse von 2019 geht. Darüber hinaus wären noch Einschätzungen zu anderen Resonanzen interessant: Gibt es zwischen den demokratischen mit den hier gemeinten Parteien politische Kooperationen? Sind sie oder könnten sie Koalitionspartner auf Regierungsebene sein? Werden sie gesellschaftlich als "normale Parteien" wahrgenommen?

Bedingungen für Erfolge bei Wahlen

Und dann geht es noch ausführlicher um die Erfolgsbedingungen, wobei die Analysekriterien "Politische Nachfrage", "Politische Gelegenheiten" und "Politische Angebote" für einen Vergleich genutzt werden. Auch hier erlaubt der länderübergreifende Blick besondere Erkenntnisse, die Bedingungsfaktoren wie Spezifika deutlich machen. Die Autoren lassen sich dabei nicht leichtfertig von nur scheinbaren Zusammenhängen täuschen, sondern verzichten auf einfache Erklärungen, wenn die Sachlage solche eben nicht möglich macht.

Darüber hinaus geben sie bei den Ausführungen zu den Deutungen immer einen kleinen Überblick, der Forschungsergebnisse und -kontroversen thematisiert. Insofern hat man es auch mit einer guten Einführung zu tun, die durch die Differenzierung von Einflussfaktoren und damit die Nennung von Untersuchungskriterien weiterführend wirkt. Ansonsten merkt man immer wieder die jahrelange Beschäftigung mit dem Thema, welche auch in der Aufmerksamkeit für Besonderheiten in den jeweiligen Ländern deutlich wird.

Uwe Backes / Patrick Moreau, Europas moderner Rechtsextremismus. Ideologien, Akteure, Erfolgsbedingungen und Gefährdungspotentiale, Göttingen 2021 (Vandenhoeck & Ruprecht), 133 S.

Bildunterschrift: Buchcover "Europas moderner Rechtsextremismus".

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MiGAZIN, 25.05.2021:

Täglich 50 Hass-Nachrichten / Antisemitische Proteste bedrücken Holocaust-Überlebende

25.05.2021 - 05.20 Uhr

Der Zentralrat der Juden kritisiert die Justiz für eine mangelnde Verfolgung antisemitischer Straftaten. Holocaust-Überlebende fürchten, dass die Ächtung von Juden-Feindlichkeit in der Gesellschaft nachlässt.

Antisemitismus bei den Nahost-Protesten in Deutschland ist laut dem Internationalen Auschwitz Komitee für Holocaust-Überlebende kaum zu ertragen. "Israel ist für die Überlebenden immer eine Hoffnung gewesen, ein Staat, der ihnen Schutz gibt, der für sie immer ein sicherer Hafen ist", sagte Christoph Heubner, Vizepräsident des Komitees, den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Sonntag, online). Gerade die Überlebenden hätten angesichts ihrer traumatischen Erinnerungen immer gehofft, dass für Israelis und Palästinenser ein friedliches Leben möglich sei. Der Zentralrat der Juden in Deutschland warf unterdessen der Justiz eine mangelnde Verfolgungsbereitschaft antisemitischer Straftaten vor und warnte davor, dass Gesetzesverschärfungen ins Leere laufen.

Heubner sagte, das Auschwitz Komitee sei besorgt über Veränderungen, die mit juden- und israelfeindlichen Hass-Parolen auf pro-palästinensischen Kundgebungen sichtbar geworden seien. "Jede antisemitische Protest-Attacke, jede angezündete Israel-Flagge, jeder durchgestrichene Judenstern, jeder zerstörte Stolperstein, bestätigt, dass in der Gesellschaft etwas ins Rutschen gekommen ist", mahnte er. Entscheidend sei nun die Frage, ob es der deutschen Gesellschaft nach der allgemeinen Empörung über die Proteste gelinge, einen Schritt weiter zu gehen. Sie müsse deutlich machen, dass Antisemitismus nicht toleriert werde.

Zentralrat: Täglich 50 Hass-Nachrichten

Zentralratspräsident Josef Schuster sagte der "Augsburger Allgemeinen": "Zum Kampf gegen den Antisemitismus gehören immer mindestens zwei: ein entschlossener Gesetzgeber und eine Justiz, die dieses Recht auch entschlossen umsetzt. Die größeren Defizite aber sehe ich bei der Justiz, die auf dem rechten Auge doch eine gewisse Sehschwäche hat." Auch die Polizei werde ihren Aufgaben nicht immer gerecht.

Der "Bild am Sonntag" sagte Schuster, der Zentralrat erhalte derzeit täglich etwa 50 Hass-Nachrichten. Dabei wüssten die meisten Absender "genau, wie sie vorgehen müssen, um für ihre verbalen Angriffe nicht juristisch belangt zu werden - und das deutsche Strafrecht lässt ihnen im Internet große Schlupflöcher". Obwohl Schreiben unter Klarnamen geschickt worden seien, könne der Zentralrat nicht juristisch vorgehen, kritisierte Schuster, weil das Strafrecht derzeit zum Beispiel Beleidigungen nur gegen Personen, nicht aber gegen Institutionen unter Strafe stelle. Die Bundesregierung arbeitet an einer Regelung, hetzerische Beleidigungen per E-Mail oder Nachricht in Sozialen Netzwerken unter Strafe zu stellen.

Merkel: Kein Raum für Gewalt, Rassismus und Hetze

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte in ihrem wöchentlichen Podcast, wer Hass gegen Juden auf die Straßen trage, stelle sich außerhalb des Grundgesetzes. "Das Grundgesetz garantiert das Recht zur freien Meinungsäußerung und friedlichen Versammlung", sagte sie am Samstag. "Aber es lässt keinen Raum für Angriffe gegen Menschen anderen Glaubens, keinen Raum für Gewalt, Rassismus und Hetze."

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) verlangte in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" entschlossenere Polizeimaßnahmen und stärkere Integrationsbemühungen. Die Mehrheit in Deutschland sei allerdings nicht antisemitisch, betonte er. "Im Gegenteil: Sie empfindet es als Glück, dass nach der Schoah wieder Juden hier leben", sagte Schäuble. (epd/mig)

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Blick nach Rechts, 25.05.2021:

Bundeswehr-Offizier Franco A. bestreitet rechtsextreme Mordpläne

Von Joachim F. Tornau

Der terrorverdächtige Oberleutnant gesteht vor dem Frankfurter Oberlandesgericht nur, was nicht zu bestreiten ist. Ansonsten schweigt er - und gefällt sich in der Selbstdarstellung als aufrechter Aufklärer und vermeintlicher Verteidiger deutscher Interessen.

Für das, was sein großer Auftritt werden soll, hat sich Franco A. ein zartrosafarbenes Hemd angezogen. Als Einziger im Saal trägt er, gegen die Corona-Schutzbestimmungen des Gerichts verstoßend, vor Verhandlungsbeginn keine Maske, obwohl alle Fernsehkameras und Fotoapparate auf ihn gerichtet sind. Oder wahrscheinlich eher: weil. Es ist der zweite Verhandlungstag im Prozess gegen den Bundeswehr-Offizier, dem die Bundesanwaltschaft die Planung rechtsextremer Mordanschläge in der Maskerade als syrischer Geflüchteter vorwirft, und der 32-Jährige hat eine Einlassung angekündigt.

"Ich habe geltendes Recht missachtet und das tut mir leid", liest Franco. A. dann von dem Laptop ab, der vor ihm auf dem Tisch der Anklagebank steht. "Ich tat Unrecht, indem ich eine Rolle spielte." Schon nach diesen ersten Worten, die der Oberleutnant aus Offenbach am Dienstag vor dem Staatsschutzsenat des Frankfurter Oberlandesgerichts zum Besten gibt, lässt sich erahnen, was von Franco A. an diesem Vormittag zu erwarten ist: viel Pathos und wenig Inhalt. Und insbesondere kein Schuldbekenntnis, das über das Unbestreitbare hinausgeht.

Senatsvorsitzender fordert Klarheit

Bereits eine halbe Stunde hat der Angeklagte geredet, hat mit erkennbarem Wohlgefallen seine vorformulierten Sätze vorgetragen und ist gerade beim CDU-Wahlprogramm des Jahres 2004 angekommen, das die multikulturelle Gesellschaft für gescheitert erklärte und verstärkte Zuwanderung ablehnte, da fährt ihm Christoph Koller recht rüde in die Parade. "Sie dürfen hier sagen, was Sie möchten", sagt der Senatsvorsitzende. Und selbstverständlich dürfe er auch über seine politischen Beweggründe reden. Aber erst einmal würde man doch gerne bei den nüchternen Tatsachen bleiben: "Was ist wann wo passiert? Was ist unstreitig? Wenn wir darüber Klarheit haben, können wir uns gerne über Ihre Motivlage unterhalten."

Eigentlich hatte Franco A. die große Bühne für sich allein haben wollen, ließ nur verlautbaren, keine Fragen beantworten wollen. Jetzt aber tut er das, nach einer kurzen Beratungspause, doch und es ist zu merken, wie wenig ihm das gefällt. Es geht darum, wie er Ende 2015 als der vermeintliche syrische Christ David Benjamin bei einer Geflüchtetenunterkunft in Offenbach auftauchte, wie er das Asylsystem durchlief, wie er ein Konto eröffnete und Sozialleistungen bekam, wie er mehr als ein Jahr lang ein Doppelleben als Bundeswehr-Soldat und Bürgerkriegsflüchtling spielte.

Nur ungerne Aussagen über Zeit als vermeintlicher Flüchtling

Kleinteilig wird er befragt, nach Daten und Details, knapp antwortet er, nicht selten beruft er sich auf eine verblassende Erinnerung. Und die Lügengeschichte, die er damals erfolgreich dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auftischte, über sein erfundenes Leben als französischsprachiger Bauernsohn und IS-Opfer aus Aleppo, lässt er sich lieber aus den Akten vorlesen. "Es wäre mir angenehmer, wenn ich das nicht wiederholen müsste", bittet er. Nur so viel ergänzt er dann noch: "Ich kann mich nicht erinnern, dass ich in Erklärungsnot gewesen wäre."

In wirkliche Erklärungsnot gerät er nun auch vor Gericht nicht. Doch das liegt vor allem daran, dass er zu den meisten Anklagevorwürfen schweigt. Zum schwerwiegendsten Vorwurf, Anschläge auf Hass-Figuren der extremen Rechten wie Außenminister Heiko Maas, Grünen-Politikerin Claudia Roth oder die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane, vorbereitet zu haben, verliert er lediglich ein paar allgemeine Worte: "Es schmerzt mich, dass sich Menschen bedroht gefühlt haben. Es war nie meine Absicht, einem Menschen Leid zuzufügen." Zur Munition, die er massenhaft bei der Bundeswehr gestohlen haben soll, zu den Waffen, die er illegal besessen haben soll, äußert er sich ebenso wenig wie zu den unzähligen Hinweisen auf eine zutiefst rechtsextreme Gesinnung. Nicht einmal zu seinem Lebenslauf möchte er sich befragen lassen.

Flüchtlinge: "Sie sind meine Brüder und Schwestern"

Dafür ergeht er sich in seiner vorbereiteten Einlassung, die er schließlich doch noch zu Ende vorlesen darf, ausführlich über die Flüchtlingsmigration des Jahres 2015, über die vermeintliche "Grenzöffnung" durch Angela Merkel und über den "Eidbruch", den die Bundeskanzlerin damit begangen habe. Von einer "quasi autokratischen Entscheidung" Merkels spricht er und wählt damit exakt die Worte, die auch seine Anwälte in ihrem von rechts-raunendem Verschwörungsglauben durchzogenen Statement zum Prozessauftakt verwendet hatten. "So saß ich da im Dezember 2015, voller Zweifel und Unglauben", trägt Franco A. vor. Und weil er gerade Urlaub und sonst nichts vorgehabt habe, habe er beschlossen, sich als falscher Flüchtling selbst ein Bild vom deutschen Asylsystem zu machen. Mehr nicht.

Franco A., der aufrechte Aufklärer, in brennender Sorge um die von der Kanzlerin verratenen Interessen Deutschlands: Das ist das Bild, das der Angeklagte von sich zeichnen möchte. Gegen Geflüchtete will der Mann, der durch Zuwanderung den Fortbestand des deutschen Volkes in Gefahr sah, dabei rein gar nichts gehabt haben: "Ich kenne diese Menschen, ich habe mit ihnen gelebt, sie sind meine Brüder und Schwestern."

Lange Hauptverhandlung zeichnet sich ab

Anschließend gibt ein Beamter des Bundeskriminalamts einen kurzen Überblick über die Ermittlungen, über Razzien, Zeugenvernehmungen und Chat-Gruppen, in denen sich Franco A. tummelte. Über gestohlene Bundeswehr-Munition, die er zusammen mit einem Exemplar von Hitlers "Mein Kampf" bei seinem Jugendfreund Mathias F. im hessischen Friedberg unterstellte. Über private Schießtrainings mit einem Sturmgewehr, für das er sich eigens ein Zielfernrohr beschafft haben soll. Über mögliche Bemühungen, sich illegal Waffen zu besorgen. Über die Masterarbeit an einer französischen Militärschule, in der Franco A. eine, wie es der Ermittler ausdrückt, "jüdische Weltverschwörung" behauptet habe. Über den Besitz zahlreicher Handys und SIM-Karten, angemeldet auf verschiedene Namen.

Inwieweit all das mit der Unschuldserzählung von Franco A. in Einklang zu bringen ist, muss der Prozess zeigen. Und das kann dauern. "Die Einlassung des Angeklagten ist weniger umfassend, als wir uns das vorgestellt haben", befindet Senatsvorsitzender Koller am Ende dieses Prozesstags und kündigt eine umfangreiche Beweisaufnahme an. "Es wird eine sehr lange Hauptverhandlung."

Bildunterschrift: Gegenüber der Presse gibt sich Franco A. auskunftsfreudig, was taktische Gründe haben dürfte.

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Der Tagesspiegel Online, 25.05.2021:

Neuer Rechtsextremismus-Verdacht / Lehrer an Berliner Schule war Mitglied der "Identitären Bewegung"

25.05.2021 - 19.09 Uhr

Neue Vorwürfe gegen Freie Schule in Berlin-Mahlsdorf: Sie soll einen Lehrer beschäftigt haben, der den rechtsextremen "Identitären" angehört haben soll.

Von Alexander Fröhlich

Die Freie Schule im Marzahn-Hellersdorfer Ortsteil Mahlsdorf kommt auch nach der Entlassung der früheren Chefs wegen rechtsextremistischer Verstrickungen und der Umbenennung nicht zur Ruhe. An der früheren Schule am Elsengrund, die nun Freigeist Schule heißt, gibt es einen weiteren Verdacht auf Rechtsextremismus.

Nach Tagesspiegel-Recherchen war an der Schule bis vor kurzem ein Lehrer tätig, der bei der rechtsextremistischen "Identitären Bewegung" aktiv war. Er war noch unter der im März zurückgetretenen Schulleitung dorthin geholt worden. Doch auf der Internetseite war seine Tätigkeit als Lehrer aktiv verschwiegen worden. Während die restlichen Mitarbeiter von den Chefs bis zur Hort-Erzieherin mit Foto und Namen zu finden waren, fehlten diese Angaben zu dem Mann. Wegen seiner Vergangenheit musste er die Schule wechseln. An der Freien Schule unterrichtete er Politik und Geschichte.

Mitgliedschaft bei "Identitärer Bewegung" im Kollegium bekannt

Im Zuge der Affäre kam der Vorwurf auf, dass an der Schule systematisch Unterrichtsinhalte zur deutschen Geschichte weggelassen worden sein sollen. Nach Angaben der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR), die seit 2019 Personen aus dem Umfeld der Schule berät, soll es gezielte Lücken bei den "Verbrechen Nazi-Deutschlands im Zweiten Weltkrieg" und bei der Geschichte des Nationalsozialismus gegeben haben. Die neue Geschäftsführerin der Schule sprach von "Selektion von Unterrichtsinhalten". Demnach war nicht nur das Tagebuch der Anne Frank tabu, sondern auch deutsche Literatur jüdischer Dichter - zum Beispiel von Heinrich Heine.

Ob der Lehrer immer noch mit den Identitären zu tun hat, ob er an der Schule im Unterricht den Nationalsozialismus nicht behandelt oder Schüler beeinflusst hat, dazu liegen keine Hinweise vor. Dem Vernehmen nach sollen andere Lehrer von seiner Vergangenheit gewusst haben - und auch, warum er auf der Internetseite nicht aufgeführt wurde.

Nach den Erschütterungen durch die in der rechtsextremistischen Szene verstrickte ehemalige Schulleitung hat die neue Geschäftsführung mit Rückendeckung der Schulaufsicht Konsequenzen gezogen, den Lehrer im Mai freigestellt und ihm gekündigt. In einem Schreiben der Geschäftsführung an die Eltern wird aufgeführt, dass die Entlassung nötig gewesen sei, "um den Neuanfang nicht zu gefährden".

Die neue Schulleiterin zeigte sich damit aber nicht einverstanden. Jetzt machen die Lehrer, die auch die meisten Gesellschafter der gemeinnützigen Trägergesellschaft stellen, mobil. Sie werfen der Geschäftsführung vor, eine "diktatorische Struktur" etabliert zu haben. Für die am Donnerstag anberaumte Gesellschafterversammlung steht ihre Ablösung an. In einer E-Mail der Geschäftsführer an die Eltern heißt es "An der Schule arbeiten offenbar Pädagogen, die sich ihrer Mitverantwortung bezüglich der Vergangenheit nicht bewusst werden wollen."

Geschäftsführung beklagt Verfehlung des gesetzlichen Bildungsauftrags

Auch eine andere Mitarbeiterin soll wegen Missständen entlassen worden sein. So sollen im Hort der Schule umfassende Konzepte gefehlt haben, etwa zum Kinderschutz. Die Rede ist auch von pädagogischen Defiziten und teilweisen Lernlücken bei den Kindern. Zudem sollen der Bildungsverwaltung Hinweise vorgelegt worden sein, dass eingeschulte Kinder nicht in der ersten Klasse unterrichtet, sondern in einer Vorschul-Gruppe wie im Kindergarten betreut werden. Die bittere Bilanz im Schreiben an die Eltern lautet: "Der gesetzlich verankerte Bildungsauftrag einer jeden Schule sowie die Partizipation der Kinder und Eltern, aber auch die öffentlich proklamierte Heranziehung der Schüler zu selbstdenkenden und selbsthandelnden Individuen, wird in der Praxis nur sehr unzureichend umgesetzt."

Die Lage ist für die Schule, an der 160 Kinder in den Klassen eins bis elf sind, ernst. Bereits 2020 hatte die Schulaufsicht die Einrichtung geprüft. Einigen Lehrern soll es wegen fehlender Qualifikation untersagt worden sein, Klassen zu unterrichten. Nach den Hinweisen zu den Verbindungen der alten Schulleitung in die rechtsextreme Szene läuft seit einigen Monaten eine erneute Prüfung. Von einer explosiven Situation für die Schule ist die Rede.

Regina Kittler, bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, sagte dem Tagesspiegel: "Jetzt ist ein radikaler Schnitt nötig und eine generelle Tiefenprüfung, offensichtlich krankt es an mehreren Ecken." Auch das Personal müsse überprüft werden.

Ehemalige Schulleitung in rechtsextreme Szene verstrickt

Die im März zurückgetretene Leitung - die frühere Schulleiterin und der frühere Geschäftsführer - hatte enge Kontakte zu dem bekannten Holocaust-Leugner Bernhard Schaub. Seine Kinder waren zeitweise an der Schule, er gab für die Elsengrund-Lehrer 2018 ein Seminar, soll bei einem Volkstanz-Fest der Schule auf einem Gehöft bei Grünheide zu Gast gewesen sein. Die Behörden gingen der Frage nach, ob der Dreiseithof auch für Treffen der rechten Szene genutzt worden sein könnte, im Dezember 2020 soll dort eine Sonnenwendfeier mit 40 Personen abgehalten worden sein.

Mit dem Fall betraute Experten sprechen von Indizien, dass mit der Schule am östlichen Berliner Stadtrand eine abgeschottete, rechtsesoterische und völkische Zone etabliert werden sollte. Im Mai 2018 war die ehemalige Leitung mit Schaub sogar in Bielefeld bei einer Demonstration von Rechtsextremisten für die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck. Bereits 2013 hatte der Bund der Freien Waldorfschulen die Zusammenarbeit mit der Elsengrund-Schule aufgekündigt - weil der Rechtsextremismus-Verdacht nicht ausgeräumt wurde und wegen der Verbindungen zum Holocaust-Leugner Schaub.

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MiGAZIN, 25.05.2021:

Baden-Württemberg / Ermittlungen gegen Polizisten wegen Fremdenfeindlichkeit

25.05.2021 - 05.22 Uhr

Fünf baden-württembergische Polizeibeamten sollen fremdenfeindliche Inhalte verbreitet haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen der Verbreitung volksverhetzender Inhalte. Den Beamten wurde die Führung von Dienstgeschäften verboten.

Fünf baden-württembergische Polizeibeamte stehen im Verdacht, volksverhetzende Inhalte im Internet verbreitet zu haben. Gegen sie ermitteln jetzt die Staatsanwaltschaft und das Polizeipräsidium Ludwigsburg, wie die Polizei am Donnerstag mitteilte.

Im Rahmen anderweitiger strafrechtlicher Ermittlungen war bekannt geworden, dass einer der Beamten auf seinem Mobiltelefon Bilder und Videos mit zum Teil volksverhetzenden Inhalten sowie Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gespeichert und mit den anderen Beschuldigten in Einzel-Chats ausgetauscht haben soll. "Nach derzeitigem Ermittlungsstand soll jeweils eine zweistellige Anzahl an solchen Bildern und Videos ausgetauscht worden sein", teilt das Polizeipräsidium mit.

Hausdurchsuchungen

Die Ermittlungsgruppe durchsuchte insgesamt neun Objekte, vorwiegend im Großraum Stuttgart. Im Rahmen der Durchsuchungen wurden unter anderen Mobiltelefone, Datenträger und Computer sichergestellt, die nun ausgewertet werden. Die strafrechtlichen Ermittlungen dauern an.

Auch ein Angehöriger eines der betroffenen Beamten steht laut Polizei im Fokus der Ermittler. Gegen drei weitere Beamte werde ebenfalls ermittelt. Bei ihnen gebe es zwar keinen strafrechtlichen Anfangsverdacht, doch habe man auf disziplinarrechtlicher Grundlage bei ihnen durchsucht und beschlagnahmt. Allen acht Polizisten sei die Führung ihrer Dienstgeschäfte vorläufig verboten worden. (epd/mig)

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