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14 Artikel , 06.10.2020 :

Pressespiegel überregional

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Übersicht:


Blick nach Rechts, 06.10.2020:
Streit bei Blood and Honour in Bulgarien

die tageszeitung Online, 06.10.2020:
Doku-Center oder "Polen-Denkmal" / An vergessene Nazi-Opfer erinnern

Jüdische Allgemeine Online, 06.10.2020:
Hamburg / Reguläre Aktivitäten werden fortgesetzt

Jüdische Allgemeine Online, 06.10.2020:
Sachsen-Anhalt / Zentralrat der Juden legt Ablösung von Holger Stahlknecht nahe

Jüdische Allgemeine Online, 06.10.2020:
Hamburg / Mahnwache und weitere Ermittlungen

MiGAZIN, 06.10.2020:
"Beschämend" / Staatsschutz ermittelt nach antisemitischem Anschlag in Hamburg

Jüdische Allgemeine Online, 06.10.2020:
Sachsen / NS-Symbole in Torgau und Leipzig

Neue Westfälische, 06.10.2020:
Rechter 14-Jähriger soll zu Morden aufgerufen haben

Westfalen-Blatt, 06.10.2020:
Waffenschein entzogen

Jüdische Allgemeine Online, 06.10.2020:
Rechtsextremismus / "Jeder Fall ist eine Schande"

MiGAZIN, 06.10.2020:
Nordrhein-Westfalen / Weitere Hinweise auf rechtsextremistische Umtriebe bei Polizei

Norddeutscher Rundfunk, 06.10.2020:
Bündnisse fordern Schließung von NPD-Hof Nahtz in Eschede

Braunschweiger Zeitung Online, 06.10.2020:
Braunschweig: Rechte schlagen Ratsherr - Polizei vernimmt Zeugen

Frankfurter Rundschau Online, 06.10.2020:
Times mager / AfD im Soll

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Blick nach Rechts, 06.10.2020:

Streit bei Blood and Honour in Bulgarien

Die bulgarische "Blood and Honour"-Division trennt sich von einem bekannten Mitstreiter. Statt des jährlichen Rechtsrock-Konzerts ist für Ende November ein Liedermacherabend geplant.

Innerhalb der Blood and Honour-Division Bulgarien ist ein Streit entbrannt, wie einer Erklärung der Gruppierung zu entnehmen ist. Sie teilt dabei in der Heimatsprache, aber auch in Englisch mit, dass sie ihr Mitglied Savin Mirkov, der überall in der rechten Szene aber nur als Mirko Savage bekannt ist, verbannt hat.

Unter diesem Autorennamen ist das Buch "Mother Europe’s Son" veröffentlicht worden, ein 300-seitiges Werk über den von Neonazis heldenhaft verehrten, bei einem Autounfall 1993 ums Leben gekommenen Ian Stuart Donaldson und die Band "Skrewdriver". Wie gewohnt wird auch mit dem Blood and Honour-Code "28" gespielt. So finden sich in dem Buch 28 Interviews.

Entstanden ist das Kompendium unter maßgeblicher Unterstützung von Blood and Honour Bulgarien. Abgemacht mit Mirkov war eine 28 Exemplare umfassende, durchnummerierte Sonderedition in Hardcover-Aufmachung. Nun sieht sich Blood and Honour Bulgarien aber von Mirkov hintergangen, weil dieser eigenständig weitere Ausgaben hat drucken lassen und wohl auch in Umlauf gebracht hat.

T-Shirt mit "Pride & Honour"-Aufdruck

Auf seinem Instagram-Profilfoto ist Mirkov unter dem Namen Mirko Savage übrigens in einem T-Shirt mit dem Aufdruck "Pride & Honour" samt Totenkopf-Abbildung zu sehen, wie es unter anderem von Security-Kräften bei von Oliver Malina organisierten deutschen Rechtsrock-Konzerten schon 2012 in Nienhagen getragen wurde. Der ursprünglich aus der rechten Skinhead-Szene von Salzgitter hervorgegangene Malina hatte mit dem leicht umgewandelten Blood and Honour-Namen offenbar einen Weg gefunden, die seit 2000 in Deutschland verbotenen Blood and Honour-Aktivitäten quasi fortzusetzen.

Die Corona-Pandemie hat die bulgarische Blood and Honour-Division im Übrigen dazu veranlasst, ihr jährliches Rechtsrock-Konzert ausfallen zu lassen. Geplant wird aber ein zweitägiger Liedermacherabend. Als Termin hat man den 27. und 28. November ausgeguckt. Sollte Corona für eine kurzfristige Absage sorgen, würde der Verlust sich in Grenzen halten, wird seitens der Blood and Honour-Veranstalter offen geschäftliches Kalkül eingeräumt. Ein genauer Veranstaltungsort wird nicht benannt, erfahrungsgemäß finden die Blood and Honour-Veranstaltungen aber immer im Großraum Plovdiv oder Sofia statt. (hf)

Blood and Honour Bulgarien plant für diesen Herbst lediglich einen Liedermacherabend (Screenshot).

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die tageszeitung Online, 06.10.2020:

Doku-Center oder "Polen-Denkmal" / An vergessene Nazi-Opfer erinnern

SPD und Union wollen nun doch ein Doku-Zentrum für die Opfer der deutschen Besatzung. Die CDU hatte sich bisher dagegen gewehrt.

Stefan Reinecke

Berlin (taz). Der Streit währte lange, doch nun hat sich die Große Koalition geeinigt. In Berlin soll ein Dokumentationszentrum gebaut werden, das an die Opfer der deutschen Besatzungspolitik in Europa von 1939 bis 1945 erinnert. "Die Bundesrepublik braucht einen Ort der Gedenkens, der Erinnerung, Information und des Dialogs über den deutschen Vernichtungskrieg, die deutsche Besatzungsherrschaft und die bisher weniger beachteten Opfergruppen" heißt es in dem Antrag der Fraktionen von Union und SPD.

Der Antrag soll am Freitag früh im Bundestag eingebracht und debattiert werden. Darauf verständigten sich die parlamentarischen Geschäftsführer der Bundestagsfraktionen am Dienstagvormittag.

Das "Dokumentationszentrum dient", so der Antrag, "als Ort der historischen Aufklärung". Es geht darum in "vergleichender europäischer Perspektive ( … ) den Charakter des Vernichtungskrieges im Osten deutlich" zu machen. Die Bundesregierung soll laut Antrag bis Ende 2020 einen Fahrplan für die Realisierung vorlegen. An der federführenden Arbeitsgruppe ist auch die Stiftung Denkmal der ermordeten Juden Europas beteiligt.

Die SPD hatte sich seit längerem für dieses Zentrum eingesetzt, war aber bei der Union auf Widerstand gestoßen. Ein Teil der Union - vor allem Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, Johann Wadephul und CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak – bevorzugt ein so genanntes "Polen-Denkmal", das an den deutschen Überfall auf Polen 1939 und die deutsche Besatzung erinnern soll.

Und was ist mit dem Denkmal?

Die SPD und die Mehrheit der deutschen NS-Historiker lehnen dieses Denkmal indes ab, weil es einseitig einen Staat hervorheben und womöglich eine "Opfer-Konkurrenz" entfachen würde. Die Ukraine hat bereits angekündigt, auch eine entsprechendes Mahnmal zu fordern, falls ein gesondertes "Polen-Denkmal" gebaut würde.

Die beiden Lager haben sich lange gegenseitig blockiert. Einen entscheidenden Schritt nach vorne markierte ein Vorschlag, den Peter Oliver Loew vom deutschen Polen-Institut und Uwe Neumärker, Chef der Stiftung Denkmal der ermordeten Juden Europas im Juni vorlegten. Demnach sollte der Streit beigelegt werden, indem sowohl das Denkmal, wie auch das Zentrum gebaut werden. Ob das nun tatsächlich so umgesetzt wird ist noch offen. Der Antrag für Freitag betrifft nur Pläne für das Dokumentationszentrum.

Marianne Schieder, die für die SPD im Kulturausschuss mit dem Thema befasst ist, ist zufrieden mit der Entwicklung. "Es gibt keinen Zweifel, dass insbesondere die Ausmaße der Verbrechen der Nationalsozialisten im Osten und Südosten Europas leider viel zu wenig im kollektiven Bewusstsein der Deutschen verankert sind. Ein geplantes Dokumentationszentrum bietet die Möglichkeit, diese Lücke in unserer Erinnerungskultur zu schließen", so Schieder zur taz.

Das Dokumentationszentrum wird ein großflächiges, auch finanziell aufwändiges Projekt, mit Wechselausstellungen, Bildungs- und Erinnerungsstätte. Offen ist noch, ob Union und SPD sich auf einen zweiten Antrag für ein gesondertes Polen-Denkmal einigen. Laut taz-Information gibt es keine Absprache zwischen SPD und Union, die beide Projekte miteinander verkoppelt. Die Union hofft das Polen-Denkmal mit einem kleinen Umweg doch noch umzusetzen. Laut Antrag für das Polen-Denkmal soll "die Realisierung des Erinnerungsortes außerhalb des Gedenkstättenkonzeptes des Bundes" stattfinden.

Bildunterschrift: Eines von tausenden Verbrechen: Wehrmachtssoldat erschießt 1941 Zivilisten in Belgrad.

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Jüdische Allgemeine Online, 06.10.2020:

Hamburg / Reguläre Aktivitäten werden fortgesetzt

06.10.2020 - 14.23 Uhr

Gemeindevorsitzender Philipp Stricharz: Es wird nicht die geringsten Änderungen im Programm geben

Die Jüdische Gemeinde Hamburg wird trotz des Anschlags am Sonntag ihre regulären Aktivitäten fortsetzen. Es werde nicht die geringsten Änderungen im Programm geben, sagte Philipp Stricharz, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, am Dienstag dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Die Sicherheit für die Gemeinde müsse verbessert werden. Dazu zählten auch bauliche Veränderungen. Die Jüdische Gemeinde sei dafür im Gespräch mit der Polizei und anderen Sicherheitsstellen.

Stimmung

Die Stimmung in der Gemeinde ist nach den Worten ihres Vorsitzenden "gefasst", aber auch "ernüchtert". Man sei bisher davon ausgegangen, dass die Schutzmaßnahmen in Hamburg greifen müssten: "Es hätte nicht so weit kommen dürfen", sagte Stricharz. Es könne nicht sein, dass jüdische Gemeindemitglieder nicht einmal mehr vor der Synagoge eine Kippa tragen dürften. Eine Ernüchterung sei es auch für viele, die geglaubt hatten, in Hamburg seien sie vor Anschlägen sicher.

Ein 26-jähriger jüdischer Student war am Sonntag vor der Synagoge mit einem Klappspaten angegriffen und schwer verletzt worden. Mutmaßlicher Täter ist ein 29-jähriger Deutscher kasachischer Abstammung, der offenbar geistig verwirrt ist. Er wurde kurz nach der Tat von der Polizei festgenommen. (epd)

Bildunterschrift: Blumen vor der Synagoge am Tag nach dem Anschlag auf einen jüdischen Studenten.

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Jüdische Allgemeine Online, 06.10.2020:

Sachsen-Anhalt / Zentralrat der Juden legt Ablösung von Holger Stahlknecht nahe

06.10.2020 - 11.22 Uhr

Josef Schuster: "Der Innenminister befördert Antisemitismus. Das ist ein Armutszeugnis"

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hat Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) massiv kritisiert und dessen Eignung für das Amt angezweifelt. Grund sind Stahlknechts jüngste Äußerungen über die Bewachung jüdischer Einrichtungen und dabei angeblich entstehende personelle Engpässe bei der Polizei.

"Mit seinen Äußerungen suggeriert Minister Stahlknecht, Juden seien schuld daran, wenn sich die Polizei um die Belange der übrigen Bevölkerung nicht mehr angemessen kümmern könne", sagte Schuster dem Redaktionsnetzwerk Deutschland und fügte hinzu: "Ein Landesinnenminister scheut sich nicht, Juden als privilegiert darzustellen und sie gegen andere Bevölkerungsgruppen auszuspielen. Damit befördert er Antisemitismus. Das ist ein Armutszeugnis."

"Es stellt sich die Frage, ob Holger Stahlknecht weiter für das Amt des Innenministers geeignet ist."
Zentralratspräsident Josef Schuster

Eine solche Einstellung mache den Zentralrat nach dem Anschlag von Halle und dem jüngsten antisemitischen Angriff in Hamburg "fassungslos", so Schuster weiter: "Es stellt sich die Frage, ob Holger Stahlknecht weiter für das Amt des Innenministers geeignet ist."

Besuch

Stahlknecht hatte am Freitag das Polizeirevier Dessau-Roßlau besucht, aus dem sich mehrere Beamte in häuslicher Quarantäne befinden. Dabei hieß es auch, das vergleichsweise kleine Revier habe seit dem Attentat auf die Synagoge von Halle monatlich 1.500 Arbeitsstunden zusätzlich geleistet, um die Bewachung jüdischer Einrichtungen in Dessau abzusichern. Es könne deshalb sein, dass die Polizei nicht bei jeder anderen Anforderung pünktlich zur Stelle sei, hatte Stahlknecht gesagt: "Diese 1.500 Stunden fehlen woanders."

Nach dem Anschlag in Halle hieß es, der Jüdischen Gemeinde sei erbetener Polizeischutz stets versagt worden

Der Minister wies den Vorwurf zurück. "Mein Ziel war und ist es, deutlich zu machen, dass die erhöhte Polizeipräsenz zum Schutz der jüdischen Einrichtungen für mich nicht verhandelbar ist und oberste Priorität in meinem Handeln hat", betonte der CDU-Politiker. Der Schutz jüdischer Einrichtungen war nach dem Anschlag von Halle vor rund einem Jahr in ganz Sachsen-Anhalt erhöht worden.

"Ich bin zutiefst betroffen und erschüttert, dass meine Äußerungen offensichtlich für ein Missverständnis gesorgt haben", so Stahlknecht. Allen sei bewusst, dass der Anschlag von Halle eine Zäsur in der Geschichte des Landes gewesen sei.

Stahlknecht bezeichnete den Schutz jüdischer Einrichtungen in Sachsen-Anhalt durch die Polizei als oberste Priorität bezeichnet. "Vornehmste Aufgabe muss es sein, jüdische Einrichtungen vor Anschlägen zu schützen." Dem habe sich polizeiliches Handeln und die Einsatzplanung unterzuordnen, sagte Stahlknecht am Dienstag im RBB-Inforadio.

Weiter kündigte Stahlknecht eine Vereinbarung mit jüdischen Gemeinden an, dass Gelder für den Schutz zur Verfügung gestellt werden. Sie soll im Rahmen einer Kabinettsitzung am Dienstag in Halle unterzeichnet werden. Außerdem sei ein Staatsvertrag mit den Gemeinden in Vorbereitung.

Vorgeschichte

Die Kritik Schusters an Stahlknecht hat eine Vorgeschichte. Nach dem Angriff auf die unbewachte Synagoge, der an einer Holztür scheiterte, hatte der Minister gesagt, die Beamten hätten "gute Arbeit" geleistet. Außerdem habe eine "unregelmäßige Bestreifung" der Synagoge der Gefährdungsbewertung des Bundeskriminalamtes entsprochen. Die Polizei sei zudem Bitten der Jüdischen Gemeinde um Schutz stets nachgekommen.

Schuster nannte diese Äußerungen damals "irritierend" und betonte: "Bei einer derart unkritischen Bewertung muss man sich zwangsläufig die Frage stellen, ob die Bereitschaft besteht, aus begangenen Fehlern Lehren zu ziehen und strukturelle Änderungen bei den Sicherheitsbehörden vorzunehmen." Zudem hieß es, der Jüdischen Gemeinde sei erbetener Polizeischutz stets versagt worden. (kna/ja/dpa/epd)

Bildunterschrift: Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) bei einer Debatte im Plenarsaal des Landtags von Magdeburg (April 2019)

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Jüdische Allgemeine Online, 06.10.2020:

Hamburg / Mahnwache und weitere Ermittlungen

06.10.2020 - 08.18 Uhr

Nach Anschlag auf jüdischen Studenten solidarisieren sich Bürger - Senat will Antisemitismus-Beauftragten ernennen

Nach dem wahrscheinlich antisemitischen Angriff auf einen jüdischen Studenten in Hamburg gehen die Untersuchungen zu Motiv und psychischer Gesundheit des mutmaßlichen Täters weiter. In der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses, in dem der 29-Jährige am Montag auf richterliche Anordnung untergebracht wurde, soll sein Zustand begutachtet werden, wie die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Nana Frombach, sagte.

Der Deutsche mit kasachischen Wurzeln hatte nach Erkenntnissen der Ermittler den 26 Jahre alten Studenten am Sonntag aus Juden-Hass vor einer Synagoge in Eimsbüttel mit einem Klappspaten attackiert und schwer am Kopf verletzt. Nach der Tat wurde in der Hosentasche des Mannes, der eine Militäruniform trug, ein Zettel mit einem Hakenkreuz gefunden. Dem Mann werden versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.

Bundeswehr

Laut einem "Spiegel"-Bericht war der 29-Jährige zeitweise bei der Bundeswehr. Er habe 2016 freiwillig Wehrdienst geleistet, eine dreimonatige Grundausbildung an der Waffe absolviert und später als Sanitäter gearbeitet, hieß es. Frombach wollte den Bericht weder bestätigen noch dementieren.

Erste Hinweise auf eine psychische Erkrankung bei seiner Festnahme, als er laut Polizei einen "extrem verwirrten Eindruck" hinterlassen hatte, verhärteten sich bei weiteren Ermittlungen. Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Sicherheitskreisen erfuhr, lebte der Mann im vergangenen Jahr noch in Berlin in einem Übergangswohnheim für Spätaussiedler, Flüchtlinge und jüdische Zuwanderer.

Es müsse davon ausgegangen werden, dass er die Tat auf Grund einer psychischen Erkrankung im Zustand erheblicher Einschränkung oder ganz ohne Schuldfähigkeit begangen habe, sagte Frombach.

Solidarität

Mit einer Mahnwache vor der Synagoge setzten am Montagabend rund 200 Menschen ein Zeichen der Solidarität mit der Jüdischen Gemeinde. "Diese Attacke zeigt, wie brisant die Lage im Moment ist", sagte Andreas Brämer vom Institut für die Geschichte der deutschen Juden mit Sitz in der Hansestadt. "Ich würde mir wünschen, dass wir in der Zukunft in ganz Deutschland oder weltweit eine Situation haben, wo wir solche Mahnwachen nicht mehr organisieren müssen." Aufgerufen zu der Mahnwache hatte das Bündnis gegen Rechts.

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher sieht den Angriff vor der Synagoge in einer Reihe mit ähnlichen Ereignissen und Straftaten in ganz Deutschland. Diese Taten seien Mahnung, "entschieden gegen Antisemitismus, populistische Ausgrenzungen und Rassismus vorzugehen", sagte der SPD-Politiker.

Tschentscher kündigte an, gemeinsam mit den Jüdischen Gemeinden werde der Senat einen Antisemitismus-Beauftragten benennen, "der die Aktivitäten der Hamburger Behörden zur Bekämpfung von Antisemitismus und zum Schutz jüdischen Lebens koordiniert und unterstützt".

Prävention

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht forderte mehr Prävention gegen Antisemitismus. Das Strafrecht allein reiche nicht, sagte die SPD-Politikerin der "Passauer Neuen Presse" (Dienstag). "Wir müssen mehr für die Prävention tun, an Schulen, Bildungseinrichtungen und überall sonst, wo sich Menschen begegnen." Lambrecht sprach sich für ein "Demokratiefördergesetz" aus, um Initiativen für eine friedliche und offene Gesellschaft zu unterstützen.

Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) forderte eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Hass, der "millionenfach verbreitet wird im Netz". So etwas dürfe nicht abgetan werden "als eine Tat von Einzelnen, die dann auch gerne als geistig Verwirrte beschrieben werden, sondern das ist ein wirklich gravierendes gesellschaftliches Thema und da sind wir alle gefragt", sagte die Senatorin für Wissenschaft und Gleichstellung.

Auch der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Hamburg, Philipp Stricharz, forderte ein konsequentes Eintreten gegen Hass und Hetze. "Es mag sich um einen psychisch verwirrten Einzeltäter gehandelt haben. Aber dieser verwirrte Einzeltäter wird seinen Hass irgendwo her haben, möglicherweise aus dem Internet", sagte er. (dpa)

Bildunterschrift: Teilnehmer der Mahnwache stehen vor dem Tatort am Eingangsbereich der Synagoge.

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MiGAZIN, 06.10.2020:

"Beschämend" / Staatsschutz ermittelt nach antisemitischem Anschlag in Hamburg

06.10.2020 - 05.25 Uhr

Ein Jahr nach dem Anschlag in Halle gibt es wieder einen antisemitischen Angriff vor einer Synagoge. Der Staatsschutz hat die Ermittlungen nach der Attacke auf einen 26-jährigen Studenten übernommen. Die Bundesregierung nennt die Tat "beschämend".

Nach dem Angriff auf einen jüdischen Studenten in Hamburg hat der Staatsschutz die Ermittlungen übernommen. Das Hamburger Landeskriminalamt und die Generalstaatsanwaltschaft werten den Angriff als versuchten Mord mit antisemitischem Hintergrund, teilten die Ermittlungsbehörden am Montag mit. In der Hosentasche des 29-jährigen mutmaßlichen Täters sei ein Zettel mit einem handschriftlich gemalten Hakenkreuz gefunden worden. Vertreter aus Politik, Judentum und Kirchen reagierten mit Trauer und Bestürzung auf den Anschlag vor der Synagoge Hohe Weide im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel.

Der 26-jährige Student war am Sonntag während des jüdischen Laubhüttenfests vor der Synagoge mit einem Klappspaten angegriffen und schwer verletzt worden. Er konnte sich vor dem Angreifer in Sicherheit bringen und wurde später in ein Krankenhaus gebracht. Nach Presseberichten erlitt er einen Schädelbruch. Akute Lebensgefahr bestehe jedoch nicht.

Die Polizei konnte den mutmaßlichen Täter noch am Sonntagabend fassen. Der psychisch verwirrte Mann sei bislang polizeilich nicht in Erscheinung getreten, hieß es. Die Polizei geht von einem Einzeltäter aus. Bei dem mutmaßlichen Täter soll es sich um einen Deutschen mit kasachischen Wurzeln handeln. Den Angaben zufolge wurden bei ihm Personalpapiere mit einer Anschrift in Berlin gefunden. Die Überprüfung habe jedoch ergeben, dass er dort seit 2019 nicht mehr wohnt. Ermittelt wurde eine Wohnung in Hamburg-Langenhorn, in der er sich unangemeldet aufhielt. Sie wurde noch in der Nacht durchsucht. Dabei wurden Datenträger sichergestellt, deren Auswertung andauert.

Seibert: "Es ist beschämend"

Die Bundesregierung verurteilte den Angriff. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Montag in Berlin: "Es ist beschämend, dass ein Bürger jüdischen Glaubens auf offener Straße in Deutschland attackiert wird." Es sei ein Angriff auf einen jungen Juden ganz offenbar nur, weil er als Jude in der nähe der Synagoge zu erkennen gewesen sei: "Das ist widerwärtig." Er fügte hinzu: "In Deutschland ist jede einzelne solche Tat eine Schande."

Der Zentralrat der Juden forderte verbesserte Sicherheitsmaßnahmen vor jüdischen Einrichtungen. Präsident Josef Schuster schlug zudem vor, dass Hamburg einen Antisemitismus-Beauftragten benennen solle. "Wir erwarten von der gesamten Gesellschaft, dem Hass gegen Juden entschieden entgegenzutreten." Jüdisches Leben müsse in Deutschland uneingeschränkt möglich sein.

Lambrecht appelliert an Gesellschaft

Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, erklärte, dass der Täter so schnell gefasst worden sei, sei zwar gut. Aber die Tat zeige einmal mehr, wie notwendig die Maßnahmen zum Schutz jüdischer Einrichtungen sind, sagte er dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland". Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) appellierte an die Gesellschaft, wachsam zu sein. "Wir müssen uns der Hetze noch entschiedener entgegenstellen und stärker für die Betroffenen von Hass und Gewalt da sein", sagte sie in Berlin.

Hamburg stehe fest an der Seite der jüdischen Mitbürger, twitterte Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) am Montag. Die evangelische Landesbischöfin der Nordkirche, Kristina Kühnbaum-Schmidt, twitterte: "Wir müssen immer wieder zusammenstehen gegen Antisemitismus - damit Jüdinnen und Juden in Sicherheit leben können." (epd/mig)

Info: Die Synagoge Hohe Weide der Jüdischen Gemeinde Hamburg wurde 1960 eingeweiht. Das Grundstück im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel stellte die Stadt zur Verfügung. Der Gebäudekomplex umfasst ein Gemeindezentrum mit Wohnräumen. Bereits seit Anfang der 1990er Jahre steht die Synagoge unter Polizeischutz, seit dem 11. September 2001 wird sie rund um die Uhr bewacht. Ein Teil der Straße Hohe Weide ist für den Autoverkehr gesperrt. Der Gemeinde gehören rund 3.000 Menschen jüdischen Glaubens an. Über dem Eingang des Foyers, das Synagoge und Gemeindesaal verbindet, steht in hebräischer Sprache ein Vers aus dem 122. Psalm: "Friede wohne in deinen Mauern, in deinen Häusern Geborgenheit."

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Jüdische Allgemeine Online, 06.10.2020:

Sachsen / NS-Symbole in Torgau und Leipzig

06.10.2020 - 17.18 Uhr

Polizei ermittelt wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen

Wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ermittelt die Polizei in Leipzig und Torgau (Landkreis Nordsachsen).

Am Sportforum in Leipzig wurden in roter und schwarzer Farbe zwei Hakenkreuze, eine SS-Rune und ein antisemitischer Schriftzug an eine Hauswand gesprüht, wie die Polizeidirektion Leipzig am Dienstag mitteilte.

Stadtpark

Am Torgauer Stadtpark grundierten ein oder mehrere Unbekannte demnach eine etwa 20 mal 20 Zentimeter große Fläche des Tischs einer öffentlichen Sitzgruppe mit weißer Farbe.

Im Anschluss sei ein braunes Hakenkreuz darauf gezeichnet worden, das Beamte inzwischen wieder entfernt hätten. In beiden Fällen entstand den Angaben nach ein Sachschaden von rund 100 Euro. (epd)

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Neue Westfälische, 06.10.2020:

Rechter 14-Jähriger soll zu Morden aufgerufen haben

Ein Jugendlicher aus der rechtsextremen Szene in Nordrhein-Westfalen soll zum Mord an Muslimen und Juden aufgerufen haben. "Der 14-jährige Deutsche ist dringend verdächtig, andere Personen per WhatsApp dazu aufgefordert zu haben, mit einer Schusswaffe oder einem Messer in einer Synagoge oder Moscheen Menschen jüdischen oder muslimischen Glaubens zu töten", sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Markus Caspers in Düsseldorf.

Ihm werde versuchte Anstiftung zum Mord und Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat vorgeworfen. Das Ermittlungsverfahren gegen ihn stehe kurz vor dem Abschluss.

Aus welcher Stadt der Jugendliche kommt, wollten die Ermittler gestern nicht sagen.

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Westfalen-Blatt, 06.10.2020:

Waffenschein entzogen

Dortmund (dpa). Die Dortmunder Polizei hat dem Oberbürgermeister-Kandidaten der Partei "Die Rechte", Bernd Schreyner, seinen Kleinen Waffenschein zum Führen von Gas- und Schreckschusspistolen entzogen. Der Mann erfülle als Anhänger einer Partei mit antisemitischen, fremdenfeindlichen und insgesamt gegen die freiheitliche-demokratische Grundordnung gerichteten Positionen nicht mehr die vom Gesetzgeber geschaffenen Voraussetzungen, teilte die Polizei am Montag mit. Der Kommunalpolitiker sei dazu bereits angehört worden, habe aber keine triftigen Gründe für den Waffenbesitz anführen können und seinen Kleinen Waffenschein inzwischen abgegeben. Schreyner hatte bei der NRW-Kommunalwahl Mitte September in Dortmund kandidiert.

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Jüdische Allgemeine Online, 06.10.2020:

Rechtsextremismus / "Jeder Fall ist eine Schande"

06.10.2020 - 14.16 Uhr

Innenminister Seehofer stellt Lagebericht zu Verdachtsfällen bei Sicherheitsbehörden vor

Von Katharina Schmidt-Hirschfelder

Bundesinnenminister Horst Seehofer sieht trotz rechtsextremistischer Vorfälle in den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern kein strukturelles Problem. Dies ergebe sich aus der geringen Fallzahl, besonders bei den erwiesenen Fällen, sagte Seehofer bei der Vorstellung des ersten Lageberichts zum Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden.

Mehr als 99 Prozent der Mitarbeiter stünden vollständig auf dem Boden des Grundgesetzes. Dennoch sei "jeder Fall eine Schande", hier sei "keine Toleranz" angezeigt, sagte der CSU-Politiker, der den Bericht gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, dem Präsidenten des Bundespolizeipräsidiums, Dieter Romann, und dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, am Dienstagvormittag in Berlin vorstellte.

Fälle

Nach Angaben von Verfassungsschutz-Chef Haldenwang sind bei den Sicherheitsbehörden des Bundes 58 rechtsextremistische Verdachtsfälle gemeldet worden. Hinzu kämen 1.064 Verdachtsfälle beim Militärischen Abschirmdienst (MAD) für den Bereich der Bundeswehr. Dabei geht es um den Zeitraum von Anfang 2017 bis Ende März dieses Jahres.

Grundlage des Berichts sind Fragebögen, die das Bundesamt für Verfassungsschutz an die betreffenden Behörden verschickt hatte

Erstellt wurde der Bericht, der neben den Polizeibehörden auch die Geheimdienste umfasst, vom Bundesamt für Verfassungsschutz. Das Bundesamt hatte dafür einen Fragebogen an jede einzelne Behörde verschickt. Über das, was darin abgefragt wird, hatte es zuvor einen Abstimmungsprozess mit den Ländern gegeben.

Wie die "Welt" bereits zuvor berichtet hatte, wurden im Zeitraum von Januar 2017 bis März 2020 bundesweit mehr als 350 rechtsextremistische Verdachtsfälle aktenkundig. Die erst jüngst aufgedeckten rechtsextremistischen Chats in Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin sind damit nicht in dem Bericht enthalten.

Experten geben zu bedenken, dass die Ergebnisse aus den einzelnen Bundesländern stark damit zusammenhängen, wie ausgeprägt das Problembewusstsein der politisch Verantwortlichen in dem jeweiligen Land ist.

Reaktionen

Kritik an den Ergebnissen des Berichts äußerte der Journalist Ronen Steinke, der in seinem kürzlich erschienenen Buch "Terror gegen Juden: Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt" insbesondere Sicherheitsbehörden in den Blick genommen hatte. "Dieser Bericht zeigt vor allem, wie wenig bislang der Wille ausgeprägt ist, wirklich Aufklärung zuzulassen. Ein ganzes Jahr hat es gedauert, bis das Bundesamt für Verfassungsschutz ein paar dürftige Zahlen aus den 16 Bundesländern zusammenkratzen konnte", sagte Steinke der Jüdischen Allgemeinen.

"Die Polizei hat sich teils benommen wie eine verschlossene Auster. Mancherorts hat sie dem Verfassungsschutz nicht einmal die Namen der Beamten mitgeteilt, die als Rechtsextreme auffällig geworden sind."
Ronen Steinke, Journalist und Buchautor

"Die Polizei hat sich teils benommen wie eine verschlossene Auster. Mancherorts hat sie dem Verfassungsschutz nicht einmal die Namen der Beamten mitgeteilt, die als Rechtsextreme auffällig geworden sind. Das heißt, der Verfassungsschutz konnte und kann das schlicht nicht nachprüfen."

Schritte

Seehofers Aussage, Rechtsextremismus sei kein strukturelles Problem in den Sicherheitsbehörden, kann auch der Sozialwissenschaftler und Rechtsextremismus-Experte Gideon Botsch von der Universität Potsdam nicht nachvollziehen.

"Unsere Gesellschaft hat ein strukturelles Problem mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Warum sollten Sicherheitsbehörden das nicht haben?", fragt der Wissenschaftler. Der aktuelle Verfassungsschutzbericht könne "allenfalls ein Anfang" sein, tiefergehend nachzufragen.

Botsch ist im Gegensatz zu Seehofer der Ansicht, dass es dringend mehr wissenschaftlicher Expertise bedarf - über Polizei-Kultur, Chancen und Ressourcen. "Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, ein gesellschaftlich relevantes strukturelles Problem keiner wissenschaftlichen Studie zu unterziehen."

Der aktuelle Verfassungsschutzbericht könne "allenfalls ein Anfang" sein, tiefergehend nachzufragen

Bezüglich weiterer Schritte - gerade angesichts der jüngsten Aufdeckungen rechtsextremer Chat-Gruppen unter Polizeibeamten - schlägt er etwa vor, in den Bundesländern eine Doppelstruktur zu installieren. "Es bedarf sowohl einer internen als auch einer übergeordneten Beschwerdestelle für rechtsextremistische Vorkommnisse - so etwas ließe sich relativ schnell umsetzen", so Botsch.

Studie

Eine unter anderem von zahlreichen SPD-Politikern geforderte wissenschaftliche Studie zu Rechtsextremismus und Rassismus in der Polizei hat Seehofer bislang mit dem Argument abgelehnt, man dürfe die Polizeibeamten nicht unter Generalverdacht stellen. Offen zeigte sich der Minister dagegen für eine umfassendere Rassismus-Studie, die neben der Polizei auch andere Teile des öffentlichen Dienstes umfasst.

FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle forderte, Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden bundesweit schon vor der Einstellung vom Verfassungsschutz überprüfen zu lassen. "Die Frage nach der Verfassungstreue von Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden stellt sich schon bei der Einstellung", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung". So genannte Regelanfragen werden dem Bericht zufolge bereits in Bayern bei Bewerbern für den Justizdienst durchgeführt, Mecklenburg-Vorpommern und Bayern planen eine solche Überprüfung demnach auch im Polizeidienst.

Bildunterschrift: Vorstellung des Lageberichts Rechtsextremismus am Dienstag in Berlin.

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MiGAZIN, 06.10.2020:

Nordrhein-Westfalen / Weitere Hinweise auf rechtsextremistische Umtriebe bei Polizei

06.10.2020 - 05.22 Uhr

Es sind 29 weitere rechtsextreme Verdachtsfälle bei Polizei in NRW aufgetaucht. Innenminister Reul warnt vor Vorverurteilungen. Nicht jeder Polizist in einem rechtsextremen Chat sei auch rechtsextrem. Eine Studie lehnt er weiter ab.

Im Skandal um rechtsextremistische Gruppen-Chats von NRW-Polizisten sind weitere Verdachtsfälle aufgetaucht. Seit dem Bekanntwerden der mutmaßlich rechtsextremistischen Chat-Gruppen rund um die Essener Polizei und die Polizeiwache in Mülheim seien 29 weitere Hinweise auf rechtsextremistische Umtriebe innerhalb der Polizei eingegangen, sagte ein Sprecher des NRW-Innenministeriums am Montag dem "Evangelischen Pressedienst".

Bislang gebe es nur die Hinweise, eine abschließende rechtliche Bewertung habe noch nicht stattgefunden, sagte Innenminister Herbert Reul (CDU) der "Rheinischen Post". Die Auswertung werde noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Reul warnte vor Vorverurteilungen: "Nicht jeden, der in einem rechtsextremistischen Chat ist, kann man als rechtsextrem bezeichnen."

Reul gegen Studie

Vor knapp zwei Wochen hatte Reul über rechtsextremistische Chat-Gruppen berichtet, an denen sich nach bisherigen Erkenntnissen 31 Essener und Mülheimer Polizisten beteiligt haben sollen. Von diesen 31 Verdächtigen wurden laut Innenminister die Daten von 200 Handys gesichert und müssen nun ausgewertet werden.

Reul sprach sich erneut gegen eine große Studie zur Verbreitung rechtsextremistischer Tendenzen bei den Sicherheitsbehörden aus. Er sei "gegen Show-Veranstaltungen, die viel Geld kosten und Professoren lange beschäftigen". Stattdessen wolle er im Kampf gegen Rechtsextremismus bei Verfassungsschutz und Polizei auf mehrere wissenschaftliche Untersuchungen zu einzelnen Themen setzen.

Keine Studien-Planung

"Mich würde zum Beispiel interessieren, warum einige Polizisten im Laufe ihrer Dienstjahre rechtsextremistische Einstellungen entwickeln - und andere nicht", erläuterte Reul. Auch die Frage, warum ausgerechnet die Wache Mülheim so stark von rechtsextremen Umtrieben betroffen ist, sei interessant.

Aus solchen Untersuchungen könnten konkrete Handlungen abgeleitet werden, sagte der Minister. Die Aufträge dafür könnten an externe Wissenschaftler vergeben werden. Konkrete Planungen gibt es dazu jedoch noch nicht, wie es auf Anfrage aus dem Ministerium hieß. (epd/mig)

Bildunterschrift: Polizeipräsidium Köln, Nordrhein-Westfalen.

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Norddeutscher Rundfunk, 06.10.2020:

Bündnisse fordern Schließung von NPD-Hof Nahtz in Eschede

06.10.2020 - 14.28 Uhr

In einem offenen Brief an Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) fordern drei Bündnisse gegen Rechtsextremismus, den Hof Nahtz in Eschede im Landkreis Celle zu schließen. Das berichtet NDR 1 Niedersachsen. Die NPD hatte das Anwesen im vergangenen Jahr übernommen. In der Region wachse nun die Sorge, dass erneut ein Schulungszentrum für rechtsradikale Aktivitäten entsteht, fürchten die Organisationen. Derzeit werden von den Initiatoren Unterschriften gesammelt, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen.

Bildunterschrift: Die NPD hat den Nahtz-Hof 2019 übernommen. (Archivbild).

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Braunschweiger Zeitung Online, 06.10.2020:

Braunschweig: Rechte schlagen Ratsherr - Polizei vernimmt Zeugen

06.10.2020 - 09.26 Uhr

Braunschweig. Einer der Tatverdächtigen hat dem 32-Jährigen mit der Faust ins Gesicht geschlagen. "Die Partei" bedankt sich bei couragierten Braunschweigern.

Ein Vorstandsmitglied der Satire-Partei "Die Partei" in Braunschweig, Ratsherr Maximilian Hahn, ist in der Nacht auf Sonntag in der Braunschweiger Innenstadt Opfer einer Bedrohung und Körperverletzung geworden. Wie die Polizei am Montag mitteilt, traf der 32-Jährige gegen 1.30 Uhr am Friedrich-Wilhelm-Platz auf zwei Angehörige des rechten Spektrums, die ihn verbal bedrohten und ihm schließlich einen Faustschlag ins Gesicht versetzten.

Polizei nimmt Tatverdächtigen in Gewahrsam

Überdies wurde das Mobiltelefon des Mannes beschädigt. "Die Polizei war mit mehreren Streifenwagen vor Ort und konnte den Tatverdächtigen zu der Körperverletzung in Gewahrsam nehmen", heißt es im Polizeibericht. Den zweiten Tatverdächtigen fanden die Polizisten schließlich kurze Zeit später in einer nahe gelegenen Kneipe. Er erhielt einen Platzverweis für die Braunschweiger Innenstadt. Die Polizei hat gegen die beiden Verdächtigen Strafverfahren eingeleitet.

Polizei will Zeugen zu Angriff auf Braunschweiger Politiker vernehmen

Nach dem Angriff auf den Braunschweiger Lokalpolitiker sollen nun Zeugen vernommen werden. Mehrere Menschen hätten das Geschehen in der Innenstadt verfolgt und seien daher vorgeladen, sagte ein Polizeisprecher am Dienstag. Die beiden Beschuldigten für die Attacke in der Nacht zum Sonntag sind ihm zufolge polizeibekannt.

"Die Partei" bedankt sich bei couragierten Braunschweigern

Die Partei "Die Partei" selbst schreibt in einer Pressemitteilung: "Das offen aggressive Auftreten der Nazis ist erschreckend. Die Partei Braunschweig ist darüber unfassbar schockiert und positioniert sich erneut gegen rechte Hetze, faschistisches Gedankengut sowie körperliche Gewalt. Nazis haben in Braunschweig und auch überall anders nichts zu suchen. Auch nicht nachts betrunken in Kneipen-Straßen. Natürlich machen solche Taten Angst, dies war nicht die erste Bedrohung unseres Mandatsträgers. Das beherzte Eingreifen von Unbeteiligten zeigt jedoch, wie couragiert die Braunschweiger Zivilgesellschaft ist."

In letzter Zeit verstärktes Auftreten der Partei "Die Rechte"

Weiter heißt es in der Pressemitteilung der "Partei", dass es sich bei den Angreifern um Anhänger der Partei "Die Rechte" gehandelt habe. Das bestätigt die Polizei nicht.

Unabhängig von diesem Vorfall fällt allerdings in letzter Zeit auf, dass die Partei "Die Rechte" in Braunschweig vermehrt in Erscheinung tritt. Polizeisprecher Dirk Oppermann bestätigt, dass es alle ein bis zwei Wochen Infostände gebe, zuletzt am vergangenen Samstag.

Insbesondere bei der Demo der Partei "Die Rechte" am 29. September seien auch Mitglieder der hiesigen NPD und der aufgelösten rechtsextremen Gruppe "Adrenalin BS" beteiligt gewesen. Diese Demo war offenbar eine Reaktion auf mehrere Hausdurchsuchungen gewesen, die die Polizei bei zwei Mitgliedern der Partei "Die Rechte" durchgeführt hatte - auch in Braunschweig. Hierbei ging es um den Verdacht illegaler Tonaufzeichnungen."

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Frankfurter Rundschau Online, 06.10.2020:

Times mager / AfD im Soll

06.10.2020 - 17.09 Uhr

Von Christian Thomas

Die Affäre Lüth: eine erneute Enttarnung der AfD.

Nun steht der Täter schon seit einigen Tagen vor den Schranken einer Öffentlichkeit, die die Medien hergestellt haben. Bei ihnen handelt es sich um eine Einrichtung, mit der Christian Lüth als Pressesprecher der AfD längere Zeit zu tun hatte. Jetzt ließ er sich von einem TV-Team erwischen mit dem Satz: "Wir können die (Migranten) nachher immer noch alle erschießen. Das ist überhaupt kein Thema. Oder vergasen, oder wie du willst. Mir egal."

Lange war nicht so recht klar, warum die Affäre Lüth für die AfD ein so verschwiegenes Thema ist. Das mag an der Nähe Lüths zu dem AfD-Leuchtturm Alexander Gauland liegen, mit dem Lüth so genannten Gemeinsamkeiten verbanden. Die Gemeinsamkeiten ebenso wie das Verbindende sind unauflöslich extremistischer Natur, ein AfD-Markenkern also, den Lüth damit erklärt hat, dass seine "abscheulichen und nicht entschuldbare Äußerungen von einer aufgeheizten, ironischen und übersteigerten Wortwahl geprägt waren". War das eine Entschuldigung? Oder Ironie? Oder eine Entschuldigung nach AfD-Art?

Lüth ist von Gauland politisch nicht auf-, aber doch großgezogen worden. Dass der Zögling wiederum von Gauland Ende April des Jahres aus dem Amt des AfD-Pressesprechers entfernt worden sein soll, soll darauf zurückzuführen sein, dass sich Lüth schon mal als Faschist bezeichnet und gebrüstet haben soll. Soll, soll, soll. Auch soll er bereits vor seiner Zeit in der AfD, sobald er in Schwung kam, das Horst-Wessel-Lied gesungen haben, eines der die Nazis am meisten mitreißenden Lieder, Hymne und Gassenhauer definitiv.

In der AfD hat man sich bei allem, was über Lüth im Frühsommer ans Licht kam, offenbar gefragt: soll oder nicht soll? Eine Öffentlichkeit, die darauf nicht hereinzufallen bereit ist, immerhin eine satte Mehrheit in Deutschland, sollte sich dessen bewusst bleiben, dass das zivile Soll, das die AfD ständig überschreitet, für die Partei keine Frage der Unterscheidung zwischen Konjunktiv und Indikativ ist. Die AfD ist eine Partei eines Imperativs, für den Verlogenheit, Verschlagenheit und Verhetzung Norm sind.

Das Schweigen der AfD über Lüth dauerte nicht schon seit einigen Tagen so überdeutlich an, wenn nicht gewichtige Motive dahinter stünden. Motive auf beiden Seiten. Beide wissen, der entfernte Funktionär Lüth weiß zu viel. Die AfD ist nicht nur eine Partei, die sich immer wieder erwischen lässt, ja, überhaupt kein Thema. Vom Fernsehen dokumentiert ist Lüths Aussage: "Das haben wir mit Gauland lange besprochen: Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD." Sie, die erneut enttarnte AfD, ist eine Partei, in der man sich gegenseitig erpressen kann.

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