Neue Westfälische - Bad Oeynhausener Kurier ,
14.04.2020 :
Feldküche vor der Haustür
Zeitzeuge Manfred Saßmannshausen (87) wohnte in den letzten Tagen des Krieges vor 75 Jahren an der Portastraße und zeigte einem Amerikaner den Weg zum Rathaus
Nicole Sielermann
Bad Oeynhausen. Als die Amerikaner im April 1945 in die Stadt einmarschierten, lernte Manfred Saßmannshausen den ersten Farbigen in seinem Leben kennen: "Ein Riesen-Kerl", sagt der 87-Jährige. "Kaugummi kauend stand er vor mir." Und fragte den damals Zwölfjährigen nach dem Weg zum Rathaus. "Ich hatte schon zwei Jahre Englisch in der Schule und konnte helfen." 75 Jahre ist es her, dass die Amerikaner und Engländer die Kurstadt vereinnahmten.
Aus dem Westerwald in die Kurstadt
Manfred Saßmannshausen konnte dem suchenden amerikanischen Soldaten helfen. "Er hat mich auf seinen Jeep gehoben, ich saß rechte Hand, bekam auch ein Kaugummi und bin mit zum Rathaus gefahren", erinnert sich Saßmannshausen. Als Dank gab’s zwei Apfelsinen. "Die ersten in meinem Leben - ich war ganz stolz." Direkt vor Saßmannshausens Zuhause in der Portastraße hatte damals eine Artillerieeinheit eine Feldküche installiert. "Da gab es für uns Kinder immer etwas zu essen", erinnert sich der 87-Jährige. "Die Soldaten waren sehr nett zu uns Kindern." Und Manfred Saßmannshausen gewieft: "Ich habe natürlich vieles nach Hause getragen."
Erst 1941 kam Familie Saßmannshausen aus dem Westerwald in die Kurstadt. "Mein Stiefvater hatte in der Möbelfabrik Böker eine Stelle als Werksleiter bekommen." Und so zogen Mutter, Schwester und der junge Manfred an Weser und Werre. "Zwei bis drei Wochen haben wir im Hotel zur Post gewohnt - weil es keinen Wohnraum gab." Später bekam die Familie eine Wohnung an der Portastraße 9. "Im Souterrain des Hauses Hölterhof - heute die Gaststätte Bayernglück." Von dort aus ging der junge Manfred auf Erkundungstour. "Ach, was wir alles gemacht haben", winkt der 87-Jährige ab. Zum Beispiel eine Kiste Rosinen geklaut. "Mit der hat meine Mutter mich gleich wieder zurückgeschickt." Oder bei der Räumung des Schuhlagers an der Weserstraße: "Da habe ich auch zwei Schuhe ergattert und bin damit in die Schweiz gelaufen, um sie gleich anzuprobieren." Leider waren es aber zwei Linke.
Nur wenige Tage blieben die Amerikaner in Bad Oeynhausen, danach übergaben sie an die Engländer. Dazwischen, so berichtet Manfred Saßmannshausen, habe es eine kurze Vakanz gegeben. "Wir Jugendlichen haben dann die Zentrale der NSDAP besetzt. Die war direkt gegenüber unserer Wohnung." Da sei noch alles da gewesen: Pistolen, Stempel, Spendenbüchsen. Dort spielten die Jungs dann Parteizentrale. "Im Garten haben wir auch eine Dose mit Leuchtspurmunition vergraben. Die würden man vermutlich heute noch finden." Kurzzeitig ging das Spiel gut. Dann kam die Hilfspolizei. "Die hat uns einkassiert und in eine Zelle im Rathaus gesteckt." Die Eltern haben die Jungs später abgeholt. "Das war schon abenteuerlich."
Als die englischen Besatzer kamen, wurde alles anders. "Unser Nachbar war der spätere Bürgermeister Kronheim und sein Enkel mein Spielkamerad", erzählt Saßmannshausen. Der habe beim Spielen eines Tages von der geplanten Evakuierung berichtet. "Ich habe das gleich meinen Eltern erzählt, aber die haben das als Hirngespinst abgetan." Acht Tage später war es dann soweit: Die Innenstadt wurde geräumt. Tausende Bad Oeynhausener mussten ihr Zuhause verlassen. "Durch den Job meines Vaters bekamen wir bei Böker an der Heinrichstraße eine Unterkunft." Zu Fuß und mit dem Bollerwagen transportierte die Familie ihre Habseligkeiten. "Das meiste musste ja drin bleiben." Vorbei am Checkpoint Kaiserstraße, in Höhe von Teppich Seeger, brachten Saßmannshausens ihre persönlichen Sachen. "Als kleiner Dötz habe ich dort vieles vorbeigetragen - auch ein Radio", erinnert sich der 87-Jährige schmunzelnd. "Die haben nichts gesagt an der Kontrolle." In unmittelbarer Nähe zur Baracken City an der Mindener Straße war dann für einige Wochen das Zuhause von Manfred Saßmannshausen. "Dort war ja auch die Freie Presse, die Vorgängerzeitung der Neuen Westfälischen. Die haben damals einen Leichtathletik-Dreikampf ausgerichtet, den ich gewonnen habe."
Gürtel gegen Baked Beans getauscht
Weil die Schule bis auf weiteres ausfiel, reiste der Zwölfjährige mit seinem Stiefvater zum Opa in den Westerwald. "Verwundete aus dem Wittekindshofer Lazarett wurden mit dem Güterzug transportiert. Auf dem sind wir auch mitgefahren." Während der Fahrt tauschte er dann einen Hitler-Jugend-Gürtel mit einem Engländer. Die Gegenleistung: eine Dose Baked Beans.
Gut anderthalb Jahr blieb der Junge im Westerwald, danach begann für ihn Ende 1946 wieder die Schule in Bad Oeynhausen. Der Weg dorthin führte am Stacheldraht entlang. "Es war eine schöne, eine schlimme, eine aufregende Zeit. Eine Zeit, die man heute kaum noch darstellen kann, die heute einfach unvorstellbar ist."
Bildunterschrift: Einen Checkpoint gab es an der Kaiserstraße während der englischen Besatzungszeit.
Bildunterschrift: Manfred Saßmannshausen erinnert sich noch genau die letzten Kriegstage vor 75 Jahren.
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Neue Westfälische - Bad Oeynhausener Kurier, 23.03.2020:
Bomben treffen die Weserbrücke
Die Alliierten zerstörten vor 75 Jahren kurz vor Kriegsende noch die Weserbrücke in Rehme / Zeitzeugin Hannelore Glahn (85) war im Wald Holz sammeln, als die Bomber kamen
Nicole Sielermann
Bad Oeynhausen. Eigentlich hatte die Kurstadt Glück. Als Kurort und Heilbad musste sie in den Jahren des Zweiten Weltkrieges kaum mit Luftangriffen rechnen. Zumal auch zahlreiche Verwundete Bad Oeynhausen damals zu einer Lazarett-Stadt machten. Und doch fielen Bomben. Nur wenige Tage vor der Übernahme der Stadt durch die Alliierten und dem Ende des Krieges wurden die Weserbrücke in Rehme (23. März 1945) und die Weserhütte (30. März 1945) bombardiert und teilweise zerstört. Die Bad Oeynhausenerin Hannelore Glahn war damals mit dem Nachbarsjungen Holz sammeln im Wald - und sah, wie sich die Klappen an den Bombern öffneten. Sie ist eine von nur noch wenigen Bad Oeynhausenern, die über die letzten Kriegstage erzählen können. In den kommenden Wochen werden in der NW Zeitzeugen erzählen.
Gerhard Lietz hat die Daten für die Chronik der Stadt zusammengestellt. Vier Mal wurde Bad Oeynhausen zwischen November 1944 und März 1945 bombardiert. Dann kamen die wohl schwersten Angriffe. Am 23. März 1945 wurden die Rehmer Autobahnbrücke und die Eisenbahnbrücke Vlotho getroffen. Angreifer waren britische Lancaster-Flugzeuge, die Zehn-Tonnen-Bomben abwarfen. Arbeitsgruppen sollten eine Ersatzbrücke bauen, aber weil die Amerikaner näher kamen, musste das Vorhaben aufgegeben werden.
Als Zehnjährige zum Holzsammeln
Hannelore Glahn war damals zehn Jahre alt und mit dem Bollerwagen Holz sammeln, als Bomben die Weserbrücke in Rehme zerstörten. "Wir haben gesehen, wie die Bomben fielen", erinnert sich die 85-Jährige. Die vielen Bombenkrater seien noch Jahre später bis zum Automuseum zu sehen gewesen. "Mein Vater, der in Russland ein Bein verloren hatte und im Lazarett auf dem Wittekindshof war, kam sehr oft nach Hause zu uns in die Rehmer Siedlung", erzählt die 85-Jährige. Sie erinnert sich auch, dass ihr Vater mit ihren beiden Brüdern zusammen im Garten einen tiefen Bunker ausgehoben hatte: "Es gab ja laufend Fliegeralarm."
Alles sei damals rationiert gewesen: Lebensmittel, Kohlen, Holz. Es habe Bezugsscheine gegeben, mit denen man zum Beispiel im Wiehengebirge Holz sammeln durfte. So am 23. März 1945. "Meine Mutter und unsere Nachbarin hatten sich zum Holzsammeln verabredet. Morgens in aller Herrgottsfrühe ging es mit einem Bollerwagen von Rehme, durch Dehme und ins Wiehengebirge." Mit dabei auch Hannelore und der Nachbarsjunge. "Auf meine drei jüngeren Geschwister und die fünf anderen Kinder der Nachbarin passte in der Zeit meine Tante auf", erinnert sich Hannelore Glahn. Im Berg wurden die Bollerwagen mit Ästen beladen: "Das war nicht einfach. Erst mussten zu beiden Seiten dickere Äste gesteckt, dazwischen Äste längs gelegt und mit Stricken gesichert werden."
Eigentlich waren die Vier nahezu fertig - als es Bombenalarm gab. "Wir haben vom Berg aus gesehen, wie die feindlichen Flugzeuge ihre Klappen öffneten, die Bomben über Rehme abwarfen und die Weserbrücke bombardierten." Die beiden Mütter seien sofort losgelaufen, den Berg hinunter, heim nach Rehme. "Ich habe nie wieder jemanden so schnell laufen sehen." Der Nachbarsjunge und die zehnjährige Hannelore mussten beim Bollerwagen bleiben. "Wir mussten aufs Holz aufpassen - damit dass keiner klaut." Für Hannelore Glahn sind die Bilder im Kopf "als ob es gestern war". Erst am späten Nachmittag seien die beiden Mütter zurückgekehrt. Mit einer guten Nachricht. "Unsere Häuser wurden nicht getroffen." Lediglich die Tante sei einem Nervenzusammenbruch nahe gewesen. Sie hatte während des Angriffs mit der ganzen Kinderschar im Bunker gesessen. "Sie hat nie wieder auf die Kinder aufgepasst", sagt Glahn mit einem kleinen Schmunzeln. Unter Mühen haben die vier Holzsammler damals die Bollerwagen durch Hohl- und Waldwege geschoben und gerissen. "Wir konnten von Glück sagen, dass dabei nicht noch eine Achse oder Deichsel brach."
Einen Tag später hatte sich der Vater vom Wittekindshof aus von einem Bauern nach Rehme mitnehmen lassen. Mit seinen Krücken sei er zur Weserbrücke gehüpft, um sich die Zerstörung anzusehen. "Wir bekamen Verbot, dorthin zu gehen. Zum einen wegen der vielen toten jungen Flakhelfer, zum anderen wegen der nicht explodierten Bomben, den Blindgängern."
Nur eine Woche später erfolgte der Luftangriff auf das Eisenhüttenwerk Weserhütte. Dort wurde am 30. März 1945 - trotz des Karfreitags - gearbeitet. In der Mittagszeit kam der Fliegeralarm. Doch der Angriff kam so plötzlich, dass viele Arbeiter noch am Arbeitsplatz tödlich getroffen wurden. Verwaltungsgebäude und angrenzende Hallen brannten ab, andere wurden durch Sprengbomben weitgehend zerstört. Nur die am Nordrand des Geländes gelegenen Hallen kamen glimpflich davon. In Tagebuchblättern schilderte der Lehrer Heinrich Deppe damals, dass ein Flieger von der Flak auf der Lohe getroffen worden sei. Der Rest habe Bomben entlang der Weserstraße abgeworfen. Denn auch dort hatten die Bomber ein Ziel: die Panzer-Abstellplätze in der Oeynhauser Schweiz. Häuser seien getroffen worden, Panzer hätten Verwundete aus der Weserhütte zum Krankenhaus am Südbahnhof gebracht. Deppe weiter: "In der Schweiz starben die Hirsche durch den Luftdruck. Viele Tote wurden geborgen. Leute, die im Wald Schutz gesucht hatten. ( ... ) Hätte eine Bombe den auf dem Bahnhofsgelände stehenden Munitionszug getroffen, es wäre nicht auszudenken, was dann aus Oeynhausen geworden wäre. Also Glück im Unglück."
981 Voll-Alarme in der Kurstadt
In Bad Oeynhausen gab es zwischen 1939 und 1945 insgesamt 870 Vor-Alarme und 981 Voll-Alarme. Nur wenige Tage später, am 3. April 1945 ("Osterdienstag"), übergab der Allgemeinmediziner Werner Aly die Stadt kampflos an die Amerikaner. Der Oberstabsarzt Aly war Chefarzt des Teillazaretts der Johanniter-Ordenshäuser. Er selber schrieb damals auf: "Der Chef des Gesamtlazaretts rief mich an und sagte, Aly fahren Sie sofort los und übergeben Sie die Stadt." Mit einem Betttuch und Hauptmann Krüger als Sozius düste Aly mit seinem kleinen NSU-Motorrad nach Gohfeld zum Witteler Krug. Weil ihm der amerikanische Offizier nicht recht Glauben schenkte, schlug Werner Aly ihm vor, die beiden Deutschen auf einen Panzer zu setzen. Und so fuhr Aly auf dem Kühler eines Panzerspähwagens nach Oeynhausen herein. "Später bedankten sich die Offiziere in sehr höflicher Form bei mir für die Hilfe." Beide sprachen Deutsch - beide waren als Studenten in Heidelberg gewesen.
Um 15.15 Uhr kapitulierte Bad Oeynhausen. Als die Truppen in die Kurstadt einmarschierten, waren die Straßen menschenleer. Für die Unterbringung der Soldaten mussten ganze Häuserreihen, wie an der Herforder Straße geräumt werden. Obwohl im Nachhinein viele Bad Oeynhausener nichts Schlechtes über die Amerikaner sagen können, ist laut der Stadtchronik mehrfach bezeugt worden, dass betrunkene Soldaten Frauen vergewaltigt haben. Die Zahl der Fälle ist aber nie ermittelt worden. Man sprach, so Lietz, von mehr als 40.
Bildunterschrift: Bericht über die Rehmer Weserbrücke nach der Bombardierung im Zweiten Weltkrieg.
Bildunterschrift: Hannelore Glahn erlebte als Zehnjährige, wie die Rehmer Weserbrücke bombardiert wurde.
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