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Neue Westfälische - Bad Oeynhausener Kurier , 30.03.2020 :

Der schwerste Angriff auf die Kurstadt

Am 30. März vor 75 Jahren bombardierten die Alliierten kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges den Rüstungsbetrieb der Weserhütte / 192 Menschen wurden dabei getötet

Nicole Sielermann

Bad Oeynhausen. Staubig und dreckig war er, als er nach Hause kam. Mutters Schimpfen ist ihm noch gut in Erinnerung. Doch als die hört, was ihrem Sohn widerfahren ist, ist der Ärger verflogen. Denn Gerhardt Horstmann hat überlebt. Schaffte es, aus den Trümmern der Weserhütte zu fliehen. Als am Karfreitag 1945 die Alliierten das Eisenhüttenwerk an der Mindener Straße bombardierten, war der 14-jährige Gerhardt im Aufenthaltsraum unterm Dach.

Schwerverletzte werden ins Krankenhaus an der Südbahn gebracht

Bei dem Luftangriff auf die Weserhütte am 30. März 1945 wurden 192 Menschen getötet. Gerhardt Horstmann hat zu dem Zeitpunkt als Lehrling auf dem Gelände gearbeitet. Der 89-Jährige erinnert sich an den Angriff, bei dem Bad Oeynhausener und Zwangsarbeiter ums Leben kamen. Eine große Zahl von Schwerverletzten wird mit noch intakten Kettenfahrzeugen ins städtische Krankenhaus, das sich gegenüber dem Südbahnhofsgebäude befindet, gebracht, heißt es in der Chronik der Weserhütte.

Bereits 1934 begannen die Lohnarbeiten für die Rüstungsindustrie

Zweck des amerikanischen Luftangriffes war es, den Rüstungsbetrieb zu zerstören. Bereits 1934 begannen die Lohnarbeiten für die Rüstungsindustrie. Produziert wurden gepanzerte Fahrzeuge, Mündungsbremsen und Flakgeschütze. Die Produktion wurde mit Kriegsbeginn konsequent ausgeweitet. Im Januar 1945 betrug der Anteil der Rüstungsproduktion 88,5 Prozent an der gesamten Fertigung der Weserhütte.

Es war ein schöner und sonniger Tag. Deshalb entschied sich Gerhardt Horstmann am 30. März 1945 für das Fahrrad. Von Rothenuffeln radelte der damals 14-Jährige zur Arbeit nach Bad Oeynhausen. "Am 1. April 1944 bin ich in die Lehre gekommen", erinnert er sich. Eine Ausbildung, die genau ein Jahr später bereits wieder ein Ende haben sollte.

"Obwohl es ein christlicher Feiertag war, wurde in der Hütte gearbeitet." Die Soldaten sollten Nachschub bekommen. Zu Kriegszeiten war die Hütte ein Rüstungsbetrieb. Dort wurden Panzer instandgesetzt, gelagert und ausgerüstet. Gerhardt Horstmann hatte als Lehrling aber mit der Rüstung nichts zu tun. Zusammen mit zirka 70 bis 80 Lehrlingen aus dem ersten Lehrjahr lernte er in der Lehrwerkstatt die Grundlagen des Berufes.

"Von 12.30 bis 13 Uhr war immer Mittagspause", sagt Horstmann. Und weiß noch genau, dass es gut fünf Minuten vor Ende der Pause gewesen sein muss, als es Fliegeralarm gab.

"Der Aufenthaltsraum war unterm Dach und ich konnte aus dem Fenster sehen, dass sich draußen jemand lang auf die Erde warf", erinnert sich der 89-Jährige. Auch Gerhardt Horstmann warf sich hin, als wenige Meter weiter die ersten Bomben fielen. "Als es dann kurz ruhig war, bin ich nur noch raus gelaufen." Henkelmann, Butterbrotdose und Tasche ließ er zurück.

"Unten aus den großen Toren kam der Qualm. Man konnte die Hand vor Augen nicht sehen." Auch die Flieger hat der damals 14-Jährige nicht gesehen, nur das Brummen gehört.

"Wir haben uns in den Spänebunker geflüchtet"

Und mutmaßt, dass der erste Angriff damals von der Lingemann-Seite der Straße geflogen worden sei. "Und das Gestöhne habe ich im Ohr. Dieses schreckliche Gestöhne - das habe ich nie vergessen." Dann kam die nächste Welle. Doch der junge Gerhardt war noch immer auf den Gelände. "Mit 20 bis 30 Mann haben wir uns in den Spänebunker geflüchtet beim zweiten Angriff", sagt er. Alles habe gewackelt. Und auch ein Teil der Lehrwerkstatt wurde getroffen.

"Ich habe wirklich Glück gehabt", sagt er rückblickend. Nach dem Angriff sprang der 14-Jährige aufs Rad und radelte Richtung Dehme. "Als der dritte Angriff kam habe ich mich in den Graben geschmissen." Verdreckt und staubig erreichte er gegen 14.30 Uhr Rothenuffeln.

Nach dem Krieg Autoschlosser gelernt

"Wir hatten etwas Landwirtschaft und haben - obwohl es harte Zeiten waren - nicht gehungert." Die Mutter hatte sechs Kinder zu versorgen, der Vater war seit 1944 vermisst. "Er ist nie wieder gekommen", sagt Horstmann. Also musste der 14-Jährige Geld verdienen. "Ich habe nach dem Bombenangriff erst Gräben ausgehoben und dann eine Lehre als Autoschlosser begonnen."

Als er die angefangen hatte kam 14 Tage später Post von der Weserhütte "Ich hätte dort wieder anfangen können." Doch er entschied sich dagegen.

Bildunterschrift: Prägend: Die Lithographie aus dem Jahr 1938 zeigt das Eisenwerk Weserhütte entlang der Mindener Straße. Die Lithographie wurde von der Kunstanstalt Eckert und Pflug in Liepzig hergestellt und ist im original 1,20 Meter hoch und 2,15 Meter breit. Sie wurde in einen Rahmen aus Eichenholz eingefasst. Entnommen aus: Gerd Rohlfing (Hg.), Die Weserhütte.

Bildunterschrift: Gerhardt Horstmann mit dem Buch, das die Geschichte der Weserhütte erzählt.

Bildunterschrift: Die Weserhütte nach dem Bombenangriff.

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Neue Westfälische - Bad Oeynhausener Kurier, 23.03.2020:

Bomben treffen die Weserbrücke

Die Alliierten zerstörten vor 75 Jahren kurz vor Kriegsende noch die Weserbrücke in Rehme / Zeitzeugin Hannelore Glahn (85) war im Wald Holz sammeln, als die Bomber kamen

Nicole Sielermann

Bad Oeynhausen. Eigentlich hatte die Kurstadt Glück. Als Kurort und Heilbad musste sie in den Jahren des Zweiten Weltkrieges kaum mit Luftangriffen rechnen. Zumal auch zahlreiche Verwundete Bad Oeynhausen damals zu einer Lazarett-Stadt machten. Und doch fielen Bomben. Nur wenige Tage vor der Übernahme der Stadt durch die Alliierten und dem Ende des Krieges wurden die Weserbrücke in Rehme (23. März 1945) und die Weserhütte (30. März 1945) bombardiert und teilweise zerstört. Die Bad Oeynhausenerin Hannelore Glahn war damals mit dem Nachbarsjungen Holz sammeln im Wald - und sah, wie sich die Klappen an den Bombern öffneten. Sie ist eine von nur noch wenigen Bad Oeynhausenern, die über die letzten Kriegstage erzählen können. In den kommenden Wochen werden in der NW Zeitzeugen erzählen.

Gerhard Lietz hat die Daten für die Chronik der Stadt zusammengestellt. Vier Mal wurde Bad Oeynhausen zwischen November 1944 und März 1945 bombardiert. Dann kamen die wohl schwersten Angriffe. Am 23. März 1945 wurden die Rehmer Autobahnbrücke und die Eisenbahnbrücke Vlotho getroffen. Angreifer waren britische Lancaster-Flugzeuge, die Zehn-Tonnen-Bomben abwarfen. Arbeitsgruppen sollten eine Ersatzbrücke bauen, aber weil die Amerikaner näher kamen, musste das Vorhaben aufgegeben werden.

Als Zehnjährige zum Holzsammeln

Hannelore Glahn war damals zehn Jahre alt und mit dem Bollerwagen Holz sammeln, als Bomben die Weserbrücke in Rehme zerstörten. "Wir haben gesehen, wie die Bomben fielen", erinnert sich die 85-Jährige. Die vielen Bombenkrater seien noch Jahre später bis zum Automuseum zu sehen gewesen. "Mein Vater, der in Russland ein Bein verloren hatte und im Lazarett auf dem Wittekindshof war, kam sehr oft nach Hause zu uns in die Rehmer Siedlung", erzählt die 85-Jährige. Sie erinnert sich auch, dass ihr Vater mit ihren beiden Brüdern zusammen im Garten einen tiefen Bunker ausgehoben hatte: "Es gab ja laufend Fliegeralarm."

Alles sei damals rationiert gewesen: Lebensmittel, Kohlen, Holz. Es habe Bezugsscheine gegeben, mit denen man zum Beispiel im Wiehengebirge Holz sammeln durfte. So am 23. März 1945. "Meine Mutter und unsere Nachbarin hatten sich zum Holzsammeln verabredet. Morgens in aller Herrgottsfrühe ging es mit einem Bollerwagen von Rehme, durch Dehme und ins Wiehengebirge." Mit dabei auch Hannelore und der Nachbarsjunge. "Auf meine drei jüngeren Geschwister und die fünf anderen Kinder der Nachbarin passte in der Zeit meine Tante auf", erinnert sich Hannelore Glahn. Im Berg wurden die Bollerwagen mit Ästen beladen: "Das war nicht einfach. Erst mussten zu beiden Seiten dickere Äste gesteckt, dazwischen Äste längs gelegt und mit Stricken gesichert werden."

Eigentlich waren die Vier nahezu fertig - als es Bombenalarm gab. "Wir haben vom Berg aus gesehen, wie die feindlichen Flugzeuge ihre Klappen öffneten, die Bomben über Rehme abwarfen und die Weserbrücke bombardierten." Die beiden Mütter seien sofort losgelaufen, den Berg hinunter, heim nach Rehme. "Ich habe nie wieder jemanden so schnell laufen sehen." Der Nachbarsjunge und die zehnjährige Hannelore mussten beim Bollerwagen bleiben. "Wir mussten aufs Holz aufpassen - damit dass keiner klaut." Für Hannelore Glahn sind die Bilder im Kopf "als ob es gestern war". Erst am späten Nachmittag seien die beiden Mütter zurückgekehrt. Mit einer guten Nachricht. "Unsere Häuser wurden nicht getroffen." Lediglich die Tante sei einem Nervenzusammenbruch nahe gewesen. Sie hatte während des Angriffs mit der ganzen Kinderschar im Bunker gesessen. "Sie hat nie wieder auf die Kinder aufgepasst", sagt Glahn mit einem kleinen Schmunzeln. Unter Mühen haben die vier Holzsammler damals die Bollerwagen durch Hohl- und Waldwege geschoben und gerissen. "Wir konnten von Glück sagen, dass dabei nicht noch eine Achse oder Deichsel brach."

Einen Tag später hatte sich der Vater vom Wittekindshof aus von einem Bauern nach Rehme mitnehmen lassen. Mit seinen Krücken sei er zur Weserbrücke gehüpft, um sich die Zerstörung anzusehen. "Wir bekamen Verbot, dorthin zu gehen. Zum einen wegen der vielen toten jungen Flakhelfer, zum anderen wegen der nicht explodierten Bomben, den Blindgängern."

Nur eine Woche später erfolgte der Luftangriff auf das Eisenhüttenwerk Weserhütte. Dort wurde am 30. März 1945 - trotz des Karfreitags - gearbeitet. In der Mittagszeit kam der Fliegeralarm. Doch der Angriff kam so plötzlich, dass viele Arbeiter noch am Arbeitsplatz tödlich getroffen wurden. Verwaltungsgebäude und angrenzende Hallen brannten ab, andere wurden durch Sprengbomben weitgehend zerstört. Nur die am Nordrand des Geländes gelegenen Hallen kamen glimpflich davon. In Tagebuchblättern schilderte der Lehrer Heinrich Deppe damals, dass ein Flieger von der Flak auf der Lohe getroffen worden sei. Der Rest habe Bomben entlang der Weserstraße abgeworfen. Denn auch dort hatten die Bomber ein Ziel: die Panzer-Abstellplätze in der Oeynhauser Schweiz. Häuser seien getroffen worden, Panzer hätten Verwundete aus der Weserhütte zum Krankenhaus am Südbahnhof gebracht. Deppe weiter: "In der Schweiz starben die Hirsche durch den Luftdruck. Viele Tote wurden geborgen. Leute, die im Wald Schutz gesucht hatten. ( ... ) Hätte eine Bombe den auf dem Bahnhofsgelände stehenden Munitionszug getroffen, es wäre nicht auszudenken, was dann aus Oeynhausen geworden wäre. Also Glück im Unglück."

981 Voll-Alarme in der Kurstadt

In Bad Oeynhausen gab es zwischen 1939 und 1945 insgesamt 870 Vor-Alarme und 981 Voll-Alarme. Nur wenige Tage später, am 3. April 1945 ("Osterdienstag"), übergab der Allgemeinmediziner Werner Aly die Stadt kampflos an die Amerikaner. Der Oberstabsarzt Aly war Chefarzt des Teillazaretts der Johanniter-Ordenshäuser. Er selber schrieb damals auf: "Der Chef des Gesamtlazaretts rief mich an und sagte, Aly fahren Sie sofort los und übergeben Sie die Stadt." Mit einem Betttuch und Hauptmann Krüger als Sozius düste Aly mit seinem kleinen NSU-Motorrad nach Gohfeld zum Witteler Krug. Weil ihm der amerikanische Offizier nicht recht Glauben schenkte, schlug Werner Aly ihm vor, die beiden Deutschen auf einen Panzer zu setzen. Und so fuhr Aly auf dem Kühler eines Panzerspähwagens nach Oeynhausen herein. "Später bedankten sich die Offiziere in sehr höflicher Form bei mir für die Hilfe." Beide sprachen Deutsch - beide waren als Studenten in Heidelberg gewesen.

Um 15.15 Uhr kapitulierte Bad Oeynhausen. Als die Truppen in die Kurstadt einmarschierten, waren die Straßen menschenleer. Für die Unterbringung der Soldaten mussten ganze Häuserreihen, wie an der Herforder Straße geräumt werden. Obwohl im Nachhinein viele Bad Oeynhausener nichts Schlechtes über die Amerikaner sagen können, ist laut der Stadtchronik mehrfach bezeugt worden, dass betrunkene Soldaten Frauen vergewaltigt haben. Die Zahl der Fälle ist aber nie ermittelt worden. Man sprach, so Lietz, von mehr als 40.

Bildunterschrift: Bericht über die Rehmer Weserbrücke nach der Bombardierung im Zweiten Weltkrieg.

Bildunterschrift: Hannelore Glahn erlebte als Zehnjährige, wie die Rehmer Weserbrücke bombardiert wurde.

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Am 30. März 1945 flogen Bomber-Verbände der US-Luftwaffe über Bad Oeynhausen (sechs) Luftangriffe - um das (für die Rüstungsindustrie der Wehrmacht umfunktionierte) "Eisenwerk Weserhütte" zu zerstören.

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www.badoeynhausen.de/kultur-sport-freizeit/kultur/stadtarchiv


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