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12 Artikel , 11.02.2020 :

Pressespiegel überregional

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Übersicht:


Jüdische Allgemeine Online, 11.02.2020:
Las Vegas / Synagoge im Visier

Belltower.News, 11.02.2020:
Rechtsextremer "Tag der Ehre" in Budapest / "Unser Feind heißt Rothschild und Goldman und Sachs"

Blick nach Rechts, 11.02.2020:
Nationalistischer Kongress in Rom

MiGAZIN, 11.02.2020:
"Asoziale" / Bundestag berät über Anerkennung weiterer NS-Opfergruppen

Belltower.News, 11.02.2020:
Illegaler Waffenbesitz / Wie kommt die rechtsextreme Szene an Waffen?

Welt Online, 11.02.2020:
Alternative Plattformen / Wo sich Rechtsextreme ohne Facebook im Netz radikalisieren

Süddeutsche Zeitung Online, 11.02.2020:
Reaktion auf Antisemitismus: SPD fordert Bannmeile um die Synagoge

Blick nach Rechts, 11.02.2020:
Geschichtsrevisionisten Hand in Hand

Blick nach Rechts, 11.02.2020:
AfD: Umschreibung der Geschichte

Welt Online, 11.02.2020:
Höcke nimmt Einladung zu Pegida-Demonstration an

Jüdische Allgemeine Online, 11.02.2020:
Thüringen / "Definitiv ein Dammbruch"

MiGAZIN, 11.02.2020:
Nebenan / Sie ist wieder da!

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Jüdische Allgemeine Online, 11.02.2020:

Las Vegas / Synagoge im Visier

11.02.2020 - 16.18 Uhr

Rechtsextremist gesteht Anschlagsplan

Von Michael Thaidigsmann

In den USA hat ein Rechtsextremist zu Beginn seines Strafprozesses gestanden, einen Brandanschlag auf eine Synagoge in Las Vegas geplant zu haben. Conor Climo ist Mitglied der "Feuerkrieg Division", ein Ableger der militanten Neonazi-Gruppe "Atomwaffen Division", die bereits in der Vergangenheit durch Gewalttaten auf sich aufmerksam gemacht hatte.

Im August 2019 war Climo verhaftet worden. Zuvor hatte ihn eine Antiterror-Einheit des FBI monatelang observiert.

Als Teil eines so genannten "Plea Deals" zwischen ihm und der Staatsanwaltschaft bekannte sich der 24-Jährige am Montag vor dem Bundesgericht in Nevada für schuldig. Er gab zu, geplant zu haben, ein jüdisches Gotteshaus sowie das örtliche Büro der Anti-Defamation League (ADL) in Las Vegas in Brand zu stecken und ein Massaker anzurichten.

Weitere potenzielle Anschlagsziele seien ein McDonalds-Restaurant und eine Bar gewesen, die vor allem von homo- und transsexuellen Menschen besucht werde.

Neben dem Besitz von Material zum Bau einer Brandbombe gab der Angeklagte auch zu, eine nicht registrierte Waffe zu besitzen. Nach dem Plea Deal zwischen Anklage und Verteidigung darf Climo nun auf eine etwas mildere Strafe hoffen.

Behandlung

Er verpflichtete sich unter anderem, sich in psychiatrische Behandlung zu begeben, bekommt nach der Freilassung aus dem Gefängnis eine Fußfessel und darf künftig keine Waffen mehr besitzen. Climo drohen dennoch noch zwei bis drei Jahre Haft. Das Urteil soll Mitte Mai gesprochen werden.

Staatsanwalt Nicholas Trutanich sagte, Climos Ankündigung von Gewalttaten hätten dazu gedient, "unsere Glaubensgemeinschaften und die LGBTQ-Community einzuschüchtern". Die Polizei habe Anschläge aber durch frühes Eingreifen verhindern können.

Einem Mitglied seines rechtsextremen Netzwerks, der Informant des FBI war, hatte Climo verraten, dass er beabsichtige, eine Synagoge ganz in der Nähe seiner Wohnung anzuzünden und anschließend aus dem Gebäude fliehende Menschen zu erschießen. So wolle er "eine Botschaft" an die Leute senden, sagte er.

Einem ADL-Bericht vom Oktober 2019 zufolge gab es in den vorausgegangenen zwölf Monaten, nach dem tödlichen Angriff auf die "Tree of Life"-Synagoge in Pittsburgh 2018, 50 Angriffe von Rechtsextremisten auf jüdische Einrichtungen in den USA. Zwölf Verdächtige seien festgenommen worden.

Bildunterschrift: Conor Climo während eines Interviews in Las Vegas (2016).

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Belltower.News, 11.02.2020:

Rechtsextremer "Tag der Ehre" in Budapest / "Unser Feind heißt Rothschild und Goldman und Sachs"

Am "Tag der Ehre" in Budapest glorifizieren deutsche und ungarische Rechtsextreme den Tod von Wehrmachtssoldaten und Kollaborateuren als "Heldengedenken".

Von Jennifer Marken, element investigate und Dario Veréb

Budapest erlebte am 8. Februar 2020 eine neonazistische Inszenierung wie aus dem Lehrbuch: Unter strahlend blauem Himmel sitzen und stehen über 500 vorwiegend tiefschwarz gekleidete Neofaschisten in Budapest beisammen und warten auf den Beginn einer Feier, auf der sie den Untergang ihrer Helden zelebrieren. Im Februar 1945 waren etwa 30.000 Wehrmachtssoldaten und deren verbündete ungarische Kollaborateure in Budapest eingekesselt worden. Beim Versuch, die feindlichen Linien zu durchbrechen, starben fast alle der eingekesselten Soldaten und Zivilisten. Nur ein paar Hundert gelang der so genannte Ausbruch. Zwei Tage später wurde Budapest von der Roten Armee eingenommen.

Zum zwanzigsten Mal haben sich Neonazis und Geschichtsrevisionistinnen, Geschichtsrevisionisten im Városmajor Park in Budapest eingefunden. Er dient ihnen als Kulisse für den so genannten "Tag der Ehre" und als Startpunkt für den 60-Kilometer-Marsch nach Szomor, einem kleinen Dorf im Nordwesten der ungarischen Metropole. Die zelebrierte Stille wird von Parolen des antifaschistischen Protests gebrochen, der durch Barrikaden und ein starkes Polizeiaufgebot vom Park ferngehalten wird. Darauf antworten die Organisatoren der Gedenkfeier mit lauter Marschmusik aus ihren Boxen. Die Demonstrierenden werden erst während der Rede von Matthias Deyda von "Die Rechte" wieder hörbar.

"Die Rechte" vertritt die deutsche Neonazi-Szene

Die Dortmunder Neonazis der Kleinstpartei "Die Rechte" haben in den vergangenen 20 Jahren, weitgehend ungestört (vgl. Belltower.News), regelmäßig öffentlich ihre antisemitischen Hass ausgelebt (vgl. auch MBR Köln). Einschüchterung von Juden und Jüdinnen und von politischen Gegnerinnen, Gegnern ist seit 20 Jahren in Dortmund und Umgebung gelebte Praxis. Zahlreiche engagierte Bürgerinnen, Bürger mussten aus Dortmund fliehen, weil weder die Polizei noch die Stadt ihnen ausreichend Schutz zu gewähren vermochte (vgl. YouTube I, II) wie die inzwischen aufgelöste Antifaschistische Union Dortmund über Jahre dokumentiert hat.

Geschichtsrevisionismus, Leugnung der Shoah und Verehrung der Waffen-SS ist das ideologisches Kernelement dieser Neonazi-Gruppierung. Hierbei gehen sie durchaus nicht ungeschickt vor. Erst durch die Inhaftierung mehrerer ihrer Führungskader in jüngster Zeit – Ursula Haverbeck, Christoph Drewer sowie Matthias Drewer - sind sie erstmals etwas geschwächt. Bei ihren Kundgebungen sind regelmäßig Dutzende von Neonazis unter anderem aus Ungarn, Bulgarien, Griechenland aufgetreten, ausstaffiert mit ihren nationalen Emblemen. Ermöglicht wird diese internationale Verankerung durch ihre Gästewohnungen unter anderen in Dortmund und Kerpen.

Kampfredner Matthias Deyda

Intern gehen sie hierbei arbeitsteilig vor: Der Neonazi Matthias Deyda hatte bereits vor zehn Jahren eine führende Rolle innerhalb von "Die Rechte" inne, sowie zuvor in der 2012 verbotenen Vorgängerorganisation "Nationaler Widerstand Dortmund". Er tritt jedoch nur noch vereinzelt öffentlich als Redner und Organisator auf, so im Mai 2019 bei einem Wahlkampfauftritt in Brühl. Im Mai 2017 war der aus Hamm Gebürtige als Käufer eines Hauses in Dortmund-Dorstfeld aufgetreten (vgl. Antifaunion). Nun ist Deyda, der der Führungsriege der Dortmunder Neonazis zugerechnet wird und der auch nach Chemnitz enge Verbindungen haben soll, vor allem für die internationalen Kontakte zuständig.

Matthias Deyda tritt in den letzten Jahren als "offizieller" Vertreter von "Die Rechte" regelmäßig bei internationalen Neonazi-Veranstaltungen auf, so unter anderen 2017 beim "Soldatengedenken", einer "Gedenkveranstaltung für die Verteidiger Europas vor dem Bolschewismus" im estnischen Sinimäe sowie im August 2017 bei einer rechtsextremen Konferenz in Lissabon: Diese wurde von der 2014 gegründeten portugiesischen Neonazi-Truppe "Nova Ordem Social" ("Neue Soziale Ordnung") durchgeführt. Teilnehmer waren bekennende Neonazis, die auch verschiedentlich in Deutschland als Redner aufgetreten sind (vgl. BNR).

Im Mai 2017 trat Deyda zusammen mit mehreren verbotenen neonazistischen Organisationen in Paris bei einem Marsch von "Stiefelfaschisten" beziehungsweise "offen gewalttätigen rechtsextremen Gruppierungen" auf - so der Rechtsextremismus-Experte Anton Maegerle (vgl. BNR).

Bereits im Vorjahr, am 09.02.2019, war Deyda als einer der Hauptredner beim "Heldengedenken" der Waffen-SS aufgetreten, was sogar in Tageszeitungen wie der FAZ berichtet und vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) filmisch dokumentiert worden ist. 300 Teilnehmer beteiligten sich daran; sie traten teils in historischen Uniformen der faschistischen Armeen auf. Beteiligt waren an dieser seit 2010 teils durch Verbote bedrohten, aber dennoch nie untersagten Kundgebung nach Recherchen des JFDA Netzwerke von "Hammerskins", "Hatvannégy Vármegye Ifjúsági Mozgalom" ("64 Gespanschaften"), "Skins4Skins" und "Blood and Honour". "Nordic Resistance Movement" der "Club 28 Serbia", die ukrainische Vereinigung C14 sowie Rechtsextreme aus Italien und Russland. Einzelne Ordner der Veranstaltung waren gemäß den Recherchen von JFDA der ungarischen militanten Vereinigung der "Betyarsereg" ("Die Geächteten") zuzuordnen.

Mit Tattoos und entsprechenden Abbildungen wurde insbesondere die Nähe zur - soeben durch die Bundesregierung verbotenen - Terrorgruppierung "Combat 18" demonstriert. "Juden raus" wurde auf der Neonazi-Kundgebung mehrfach gebrüllt.

Matthias Deyda zitierte am Ende seiner Rede Adolf Hitler mit den Worten: "Wenn unser alter Feind und Widersacher noch einmal versuchen sollte, uns anzugreifen, dann werden die Sturmfahnen hochfliegen, und sie werden uns kennenlernen."

Deydas Rede in Budapest 2020

Die sich offen auf Hitler beziehende Rede des Jahres 2019 gab Deyda offenkundig Auftrieb.

In seiner von "Democ. Zentrum demokratischer Widerspruch" dokumentierten Rede sagte Deyda:

"Nachdem ich im letzten Jahr bereits hier einige Worte verlesen hatte, gab es großen Druck durch die etablierten Parteien und die Lügenpresse in Deutschland. Ich soll es gewagt haben, den größten deutschen Staatsmann der Geschichte zitiert zu haben."

Deyda steht auf dem Sockel des Denkmals, das sich den ungarischen Helden des Ersten Weltkriegs widmet, neben ihm ein ungarischer Übersetzer, flankiert wird er von den Flaggen der Hammerskins und der "Legio Hungaria", vor ihm ein Holzkreuz mit Stahlhelm.

Auch im weiteren Verlauf seiner Rede verherrlicht er den Nationalsozialismus, beispielsweise mit den Worten: "Uns mahnen die toten Helden zur Tat. Ihr Opfer ist unser Auftrag. Selbsterkenntnis, Aufopferung und Entbehrung: Das waren stets die Grundfesten jener Männer, Frauen und Kinder, die sich später für Rasse, Glaube und Kultur einsetzten." Im Publikum nicken ihm die "Sons of Asgard Germany", Lukov-Anhänger aus Bulgarien und russische Nationalisten der Befreiungsarmee zu. Weiterhin führte Deyda, offenkundig zum Kampf auffordernd, aus: "Es genügt nicht die bloße Ablegung des Bekenntnisses "Ich glaube", sondern der Schwur "Ich kämpfe"".

Während der Kundgebung trugen Hunderte Teilnehmer nationalsozialistische Uniformen, neonazistische Abzeichen und teils auch Waffen. Omnipräsent waren Hakenkreuze, SS-Runen und Hitler-Portraits waren auch bei weiteren Zwischenkundgebungen. Sie wurden, um einer Strafe zu entgehen, als "historische Darstellungen" verklärt. Teilnehmer zeigten auch NS-Symbole und Logos des Neonazi-Netzwerkes "Blood and Honour" sowie "Combat 18" und brüllten SS-Parolen wie "Meine Ehre heißt Treue".

An der neonazistischen Kundgebung waren unter den deutschen Teilnehmern neben "Die Rechte" auch "Der III. Weg", die "Jungen Nationalisten (JN)", also die Jugendorganisation der NPD, die "Europäische Aktion" sowie Vertreter der Hammerskins.

"Legio Hungaria" vermeidet ein Verbot der Gedenkfeier

Die Organisatoren haben sich alle Mühe gegeben, die Anhänger kategorisch einzuteilen. Vor dem Denkmal sind die Teilnehmer geordnet aufgestellt. Das Rauchen ist strikt untersagt. Wer seine Flaggen und Transparente vorzeitig angemeldet hat, darf diese während der Andachtszeremonie präsentieren. Offenbar wurde den in Deutschland verbotenen Organisationen "Blood and Honour" und "Combat 18" nicht erlaubt, sich mit Flaggen zum Erkennen zu geben, denn diese fehlten im Unterschied zum vergangenen Jahr. Durch Kleidung und Tätowierungen waren dennoch einzelne Anwesende als Sympathisanten dieser Terrorgruppen erkennbar.

"Wir haben auch noch heute denselben Feind wie vor 75 Jahren. Der Feind heißt nicht Müller oder Meier - Nein! Er heißt Rothschild und Goldmann und Sachs", ruft Deyda seinen neonazistischen Gesinnungsgenossen mit dem Gestus der Entschlossenheit zu. Bei den umstehenden Neofaschisten ist die Begeisterung ausgeprägt. Am Ende seiner Rede applaudiert die Zuhörerschaft und übertönt kurzzeitig den Gegenprotest, der während der ganzen Rede hörbar blieb.

Zum Abschluss der Redebeiträge wird die ungarische Nationalhymne gespielt, gefolgt von der deutschen. Anschließend werden die Gruppierungen zur Kranzniederlegung angesagt und treten nacheinander vor das Ehrenmal. Sie legen die Kränze nieder, treten ein paar Schritte zurück, ziehen ihre Kopfbedeckung, senken das Haupt und verweilen einen Moment. Damit endet der offizielle Teil der Veranstaltung. Einzelne Protagonisten zünden noch eine Kerze an und stellen sich mit ihren Fahnen hinter das Holzkreuz, um Erinnerungsfotos zu machen.

Plötzlich marschieren Wehrmachtssoldaten zügigen Schrittes am Ehrenmal vorbei. Darunter einige mit Mützen der neofaschistischen Kleinstpartei des "III. Weg", die ihre Gesichter mit Masken verhüllen; auf diesen prangt das Logo des ASOW-Bataillons. Es scheint, als seien sie nicht zur Gedenkveranstaltung zugelassen worden, möchten aber dennoch am Marsch teilnehmen. Die "Legio Hungaria", die als Veranstalter des diesjährigen "Tag der Ehre" fungiert, schloss diverse Gruppierungen aus, scheint wählerischer und vorsichtiger bei der Organisation vorgegangen zu sein als in den Vorjahren.

So nahmen auch hunderte wanderbegeisterte Budapester am Marsch nach Szomor teil. Offenbar wurde dieser in der Bevölkerung beworben. Die neofaschistische Szene versucht durch die Teilnahme einer Vielzahl gewöhnlicher Bürger den Anschein zu erwecken, dass es sich um ein zivilgesellschaftliches Sport-Event handele - eine Taktik sein, um einer Strafverfolgung zu entgehen.

Da die Polizei im Vorfeld ein Verbot der Veranstaltung erlassen hatte, welches aber von einem Gericht in Budapest unter Berufung auf das Versammlungsrecht aufgehoben wurde, legte die "Legion" Wert darauf, Eskalation und Konflikte zu vermeiden. Grund für das beantragte Verbot war neben der Präsenz von rechten Terrororganisationen auch die Verwendung des Hitler-Zitats von Matthias Deyda 2019: "Wenn unser alter Feind und Widersacher noch einmal versuchen sollte, uns anzugreifen, dann werden die Sturmfahnen hochfliegen, und dann werden sie uns kennenlernen." Durch die Angst vor einem zukünftigen Verbot der Veranstaltung war es möglich, dass sich die Journalisten im Park recht frei bewegen konnten, sofern sie am Eingang zugelassen wurden. Die Polizei überließ die Selektion der Journalisten den Veranstaltern. Zu Beginn der Gedenkfeier kam es zu einem Tumult, weil die Faschisten einen slowakischen Journalisten mit Hilfe der Polizei des Parks verweisen ließen. Offenbar nahmen sie Anstoß daran, weil dieser einen Aufnäher trug, der ihn als Sympathisant der linksautonomen Szene erscheinen lassen könnte.

Rechtsextreme Veranstaltungen und Konzerte haben in den letzten Jahren in ganz Europa Konjunktur - trotz oder gerade wegen des 75-jährigen Gedenkens an das Ende der NS-Herrschaft. Eine Veranstaltung wie der "Tag der Ehre", in dem geschichtliche Ereignisse umgedeutet werden und eine "Niederlage" glorifiziert wird, weckt Erinnerungen an ein dunkles Kapitel der europäischen Geschichte. Schon am nächsten Wochenende wird die rechtsextreme Szene in Dresden erneut auf geschichtsrevisionistische Weise die Schrecken des Krieges für ihre Propaganda instrumentalisieren.

Bildunterschrift: Neonazi-"Gedenken" beim "Tag der Ehre" in Budapest: 30.000 Wehrmachtssoldaten und Kollaborateure starben bei der Befreiung Budapests.

Bildunterschrift: Neonazi-Veranstaltung "Tag der Ehre" 2020 in Budapest.

Bildunterschrift: Neonazi-Veranstaltung "Tag der Ehre" 2020 in Budapest - Matthias Deyda spricht.

Bildunterschrift: Neonazi-Veranstaltung "Tag der Ehre" 2020 in Budapest: Vertreterinnen, Vertreter mit Mützen von "Der III. Weg".

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Blick nach Rechts, 11.02.2020:

Nationalistischer Kongress in Rom

Von Anton Maegerle

In der italienischen Hauptstadt fand Anfang des Monats eine Tagung zum Thema "Nationalkonservatismus" statt.

An dem Kongress in Rom unter dem Motto "God, Honor, Country" (Gott, Ehre, Vaterland) nahmen Rechtspopulisten und Rechtsextremisten aus mehreren europäischen Staaten, Israel und den USA teil. Auch Mandatsträger der AfD waren unter den rund 250 Besuchern.

Matteo Salvini verhindert

Getagt wurde im Grandhotel Plaza in der römischen Innenstadt. Zu den Kongress-Teilnehmern zählten unter anderem die Enkelin von Jean-Marie Le Pen Marion Maréchal vom französischen Rassemblement National, Giorgia Meloni, seit 2014 Vorsitzende der italienischen Partei "Fratelli d’Italia", Santiago Abascal, seit 2014 Chef der spanischen Partei Vox, und der ungarische Regierungschef und Fidesz-Vorsitzende Viktor Orbán. Kurzfristig an der Teilnahme verhindert war der ehemalige italienische Innenminister und Lega-Führer Matteo Salvini.

Organisiert wurde die Veranstaltung von der im Januar 2019 gegründeten "Edmund Burke Foundation" (USA), die sich dem Nationalkonservatismus und der Vision der Rückkehr der Staaten zur Nationalstaaterei verschrieben hat. In der Ankündigung zum Kongress war entsprechend zu lesen: "Jeder heute weiß, dass Europa am Scheideweg steht. Der Aufstieg des Nationalismus in Europa, in den Vereinigten Staaten und der gesamten demokratischen Welt wird von vielen als Bedrohung für die liberale Nachkriegsordnung gesehen. Andere aber sehen in der erneuerten Betonung des Patriotismus und der Freiheit der Nationen die Weiterführung einer der besten politischen Traditionen des letzten Jahrhunderts. Ist der neue Nationalismus also tatsächlich eine Bedrohung oder - im Gegenteil - nicht eher ein Wert?"

AfD-Parlamentarier vor Ort

Von der AfD waren die Bundestagsfraktions-Vize Beatrix von Storch, der AfD-Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, Petr Bystron, und der stellvertretende Vorsitzende der AfD-Sachsen und EU-Parlamentsabgeordnete Maximilian Krah vor Ort. "Es ist sehr wichtig, dass sich die konservativen Parteien in Europa vernetzen und austauschen und diese Konferenz bietet einen sehr gelungenen Rahmen dafür. Wir stehen alle vor ähnlichen Herausforderungen. Unsere christliche Kultur ist unser gemeinsames Wertefundament und wir teilen das Ziel, den Nationalstaat in Europa zu erhalten, weil er der Garant für Demokratie und bürgerliche Freiheit ist", gab von Storch kund.

Die Konferenz wurde gefördert durch die Bow Group (England), das Center for European Renewal (Niederlande), das Danube Institute (Ungarn), dem Herzl Institute (Israel), der International Reagan Thatcher Society (USA) und Nazione Futura (Italien). Der im Frühjahr 2017 ins Leben gerufene think tank Nazione Futura wird vom Vorsitzenden Francesco Giubilei, einem Gelegenheitsautoren der rechten Wochenzeitung "Junge Freiheit", geführt.

Zugegen bei dem Kongress waren auch der extrem rechte Weblog "Politically Incorrect" und für die Wochenzeitung "Junge Freiheit" der Publizist Karlheinz Weißmann. Der erste Kongress zum Thema "National Conservatism" fand im Juli 2019 in Washington statt.

Bildunterschrift: Tagung in Rom mit AfD-Beteiligung (Screenshot).

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MiGAZIN, 11.02.2020:

"Asoziale" / Bundestag berät über Anerkennung weiterer NS-Opfergruppen

"Asoziale" und "Berufsverbrecher", die in Konzentrationslagern inhaftiert und gequält wurden, sind bislang nicht als NS-Opfergruppen anerkannt. Das soll sich ändern. Alle Fraktionen haben entsprechende Anträge eingereicht - bis auf die AfD.

Der Bundestag berät in dieser Woche über eine mögliche Anerkennung weiterer NS-Opfergruppen. Dem Parlament liegen vier Anträge aller Fraktionen außer der AfD für eine stärkere Würdigung von Menschen vor, die von den Nazis als "Asoziale" und "Berufsverbrecher" in Konzentrationslagern inhaftiert, gequält und auch ermordet wurden.

Ein gemeinsamer Antrag von Union und SPD im Bundestag fordert, die beiden Gruppen als Verfolgte anzuerkennen und sie explizit in die Liste der Leistungsempfänger nach den Härterichtlinien im Allgemeinen Kriegsfolgengesetz aufzunehmen. Auszahlungen nach dieser Richtlinie gab es dem Antrag zufolge bislang an 288 als "Asoziale" und 46 als "Berufsverbrecher" im Nationalsozialismus inhaftierte Menschen.

Wie viele der Verfolgten aus diesen beiden Gruppen heute noch leben, ist unbekannt. Es wird von einer sehr niedrigen Zahl ausgegangen, weil sie in der Regel bereits in der NS-Zeit Erwachsene waren. Als "Asoziale" wurden von den Nazis unter anderem Obdachlose, Bettler oder Prostituierte in Konzentrationslager gebracht. Zu "Berufsverbrechern" erklärten die Nazis Menschen, die wiederholt in der Regel wegen Eigentumsdelikten verurteilt wurden. Ihre Strafe hatten sie allerdings schon verbüßt, bevor sie in einem KZ inhaftiert wurden.

Unterschiede im Detail

"Niemand wurde zu Recht in einem Konzentrationslager inhaftiert, gequält oder ermordet", heißt es in dem Antrag der Koalitionsfraktionen. Dass die beiden Gruppen neben anderen Verfolgtengruppen - Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen oder politisch Verfolgten - bislang nicht anerkannt waren, liege unter anderem an deren weiterer gesellschaftlicher Ausgrenzung nach dem Zweiten Weltkrieg und fehlender politischer Organisation der Gruppen, heißt es darin weiter.

Der Antrag fordert nun im Kern die gesellschaftliche Würdigung der Opfer, eine Aufarbeitung und stärkere Forschung zu diesen Opfergruppen. Die Anträge von FDP, Linken und Grünen verfolgen dasselbe Ziel, unterscheiden sich in einigen Details. Laut Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses wollen bei der Abstimmung am nächsten Donnerstag auch FDP und Grüne für den Koalitionsantrag votieren. Die SPD-Abgeordneten Eva Högl und Marianne Schieder wollen zuvor am Donnerstagvormittag auf dem Berliner Alexanderplatz Blumen an "Stolpersteinen" niederlegen, die an fünf Menschen erinnern, die als "Asoziale" im KZ gestorben sind. (epd/mig)

Bildunterschrift: Debatte im Bundestag (Archivfoto).

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Belltower.News, 11.02.2020:

Illegaler Waffenbesitz / Wie kommt die rechtsextreme Szene an Waffen?

Etwa 910 Rechtsextreme besitzen in Deutschland offiziell einen Waffenschein. Aber nicht mehr lang, wenn es nach Innenminister Horst Seehofer geht - er will sie entwaffnen. Allerdings dürften in der Szene zahlreiche Waffen im Umlauf sein, die nicht registriert sind. Aber wie kommen die Neonazis an die illegalen Waffen?

Von Kira Ayyadi

910 Rechtsextreme besaßen 2019 in Deutschland einen Waffenschein. Das ist ein deutlicher Anstieg zum Vorjahr, 2018 waren es noch 792. Aber wieso dürfen Neonazis einen Waffenschein haben und damit auch legal Waffen besitzen? Diese Frage treibt nun auch Innenminister Horst Seehofer (CSU) um. Im Zuge des Mordes an Walter Lübcke 2019 kündigte er eine Verschärfung des Waffenrechts an, damit Rechtsextreme nicht mehr so einfach an Schusswaffen kommen. Das ist durchaus eine löbliche Idee, doch ob sie rechtsextreme Gewalt eindämmen wird, bleibt abzuwarten. Denn Rechtsextreme besitzen nicht nur legale Waffen, sondern auch eine unbekannte Anzahl von illegalen Waffen. Auch der Kasseler Regierungspräsident wurde in der Nacht zum 2. Juni 2019 mit einer nicht registrierten Waffe ermordet.

Obwohl der Lübcke-Mörder im Schützenclub war, hatte er keinen Waffenschein

Der mutmaßliche Mörder, Stephan E., kaufte laut aktuellem Kenntnisstand des Bundesgerichtshofs die Tatwaffe offenbar 2016 von einem Waffenhändler. Ermittelt wird derzeit, ob ein alter Kamerad von E. aus seinen aktiven Neonazi-Tagen das Geschäft mit dem Waffenhändler vermittelt hat (vgl. Hessenschau). E. selber war Mitglied eines Schützenclubs, hatte dort aber nach Angaben des Vereinsvorsitzenden keinen Zugang zu Schusswaffen. In E.s Wohnung fand die Polizei dennoch eine Schreckschusspistole und Unterlagen, wonach er eine Erlaubnis zum legalen Waffenbesitz anstrebte. Im Zuge der Ermittlungen stießen die Beamtinnen, Beamten schließlich auf ein weiteres Waffendepot. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtete, waren dort fünf Schusswaffen versteckt, darunter die Tatwaffe, die später zweifelsfrei identifiziert wurde, sowie eine Pumpgun und eine Maschinenpistole vom Typ Uzi mit Munition.

Zwar gilt das deutsche Waffengesetz als eines der weltweit schärfsten. Wer Waffen besitzen will, muss hierzulande als zuverlässig gelten. Als nicht zuverlässig zählt etwa die die Mitgliedschaft in einer verbotenen verfassungsfeindlichen Vereinigung. Aber allein vom Verfassungsschutz als rechtsextrem oder gewaltbereit eingestuft zu werden, reiche nicht, um die vom Gesetz verlangte "Zuverlässigkeit" zu versagen. Dennoch wird Rechtsextremen und Reichsbürgerinnen, Reichsbürgern regelmäßig der Besitz von Waffen verweigert. 2018 wurden deutschen Rechtsextremen etwa 570 Waffenscheine entzogen, berichtet Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Ende letzten Jahres im Bundesinnenausschuss.

Rechtsextremer Terror mit illegalen Schusswaffen

Und dennoch ist davon auszugehen, dass deutlich mehr Rechtsextreme Waffen besitzen, als es die offiziellen Zahlen darlegen. Bei Ermittlungen zu rechtsextremen Gewalttaten oder bei Razzien in der Szene findet die Polizei immer wieder zahlreiche illegal beschaffte Waffen. Genau wie der Lübcke-Mörder tötete auch der "Nationalsozialistische Untergrund (NSU)" neun migrantische Unternehmer mit einer nicht registrierten Waffe, einer Pistole des Typs Česká CZ 83 (die Polizistin Michele Kiesewetter wurde mit einer anderen Waffe getötet). Auch die Mordwaffe, mit der David Sonboly 2016 am Münchner Olympia Einkaufszentrum (OEZ) neun junge Menschen mit Migrationshintergrund tötete, war nicht registriert. Aber über welchen Weg kommen Neonazis an illegale Waffen?

Schusswaffen aus dem Ausland und die Rolle der rechtsextremen Söldner auf dem Balkan in den 1990ern

Zum einen ist anzunehmen, dass viele der illegal kursierenden Waffen aus dem Ausland kommen. Bei einigen Kalaschnikows und anderen Schusswaffen lässt sich nachvollziehen, dass sie aus dem Bürgerkrieg im früheren Jugoslawien stammen. Damals wurden die Waffenlager von Kämpfern und Rebellen leergeräumt. Der Bürgerkrieg auf dem Balkan zog viele Söldner aus anderen Ländern an, auch aus Deutschland. Schnell wurde den deutschen Behörden klar, dass sich unter diesen Kämpfern viele deutsche Neonazis befanden, berichtet der MDR. Bereits 1994 wurde unter anderem durch mehrere Verfassungsschutzämter eine Liste von deutschen Söldnern erstellt. Die gelisteten Personen hatten einen rechtsextremen Hintergrund, einige von ihnen sind bis heute tief verwurzelte rechtsextreme Aktivisten. Einer wird vom Bundeskriminalamt dem Unterstützerumfeld des NSU zugerechnet. Eine Spur des Waffenarsenals des mörderischen Netzwerks des NSU führt zum Bürgerkrieg auf dem Balkan in den 1990er Jahren. Als die rechtsextremen Kämpfer nach Deutschland zurückkehrten, schmuggelten einige von ihnen Maschinenpistolen und Handgranaten ein und boten sie in der Szene an.

Waffenkauf und Schmuggel im Ausland

Heute ist für die Waffenbeschaffung vor allem in Osteuropa beliebt, weil sie deutlich einfacher ist als in Deutschland. Besonders die Ukraine übt eine Faszination auf die militante rechtsextreme Szene aus. International treffen sich hier Neonazis auf Vernetzungs-Veranstaltungen wie Rechtsrock-Konzerten und Kampfsport-Events. Zudem wirbt das ukrainische paramilitärische Neonazi-Bataillon "Asow" auch in Deutschland um neue Kämpferinnen, Kämpfer. Und immer wieder fallen Neonazis durch Besuche in osteuropäische Nachbarstaaten auf, in denen sie Schießtrainings an großkalibrigen Waffen absolvieren.

Der internationale Terrorismus und die Bewaffnung der Cyber-Nazis

Eine relativ neue und extrem gefährliche Form rechtsextremer Gewalt ist der "Lone Wolf"-Terrorist, der große Teile seiner Zeit im Digitalen verbringt. Genau wie Offline-Neonazis hegen auch diese Cyber-Nazis eine große Faszination für Gewalt und Waffen. Anders als die klassischen Aktivistinnen, Aktivisten sind diese jungen Männer aber eher selten in rechtsextreme Offline-Strukturen eingebunden. Entsprechend haben sie eher Kontakte zu illegalen Waffenhändlern im Internet als in der Offline-Welt.

Mordwaffen aus dem Internet

Auch in Deutschland mordeten junge Männer dieses Tätertypus bereits: 2016 tötete der rechtsextreme 18-jährige David Sonboly am OEZ in München neun Menschen. Fünf weitere Personen verletzte er mit Schüssen. Sonboly zielte vor allem auf junge Menschen mit Migrationshintergrund. Anschließend tötete er sich selbst. Er gehörte zu einer internationalen Gruppe von jungen, gewaltaffinen Rechtsextremen, die sich digital vernetzen. Die Tatwaffe, eine Glock 17, bekam David Sonboly über das Darknet. Im Darknet ist Surfen weitgehend anonym, weil es in der Kommunikation keine Server gibt. Das Darknet dient nicht nur als Umschlagsplatz für illegale Waffen, Drogen und Pornos, sondern beherbergt auch Chat- und Forenserver von Dissidentinnen, Dissidenten in Diktaturen. Wer über ausreichend digital Kompetenzen verfügt, kann hier alles finden, was es für Bitcoins zu kaufen gibt, auch alle Arten von Waffen und Sprengstoffen.

Waffen aus dem 3D-Drucker

Auch der antisemitische Mörder aus Halle gehört diesem neuen Tätertypus an. Am 9. Oktober 2019 scheitert Stephan Balliet beim Versuch, ein Massaker in einer vollen Synagoge anzurichten. Er tötet stattdessen eine Passantin und einen Gast eines Döner-Ladens. Anders als Sonboly kaufte Balliet seine Tatwaffen nicht über das Internet. Er bastelte sie selber zusammen, mit Hilfe eines 3D-Druckers. In einer Art Manifest veröffentlichte er die Anleitung der selbstgebauten Waffen, mit der Aufforderung, es ihm gleich zu tun.

Diebstahl bei Bundeswehr und Polizei

Eine weitere Möglichkeit, wie Rechtsextreme an Waffen kommen, ist, in dem sie registrierte Waffen als gestohlen melden oder in dem sie sie stehlen. Besonders im Zuge der umfangreichen taz-Recherche zum Hannibal-Netzwerk, wurde offenbar, dass sich mutmaßliche Rechtsextreme selbst bei der Bundeswehr und aus Polizeibeständen Waffen entwendeten. Bei Razzien in diesem Umkreis wurden Unmengen an Waffen und Munition sichergestellt. Sie sollte den rechtsextremen Aktivisten dazu dienen, nach einem "Tag X" gewaltvoll die Macht an sich zu reißen. Interessant ist hier die Frage, wie die massiven Waffenschwunde zuvor unentdeckt bleiben konnten.

Bildunterschrift: Nicht nur, aber auch Rechtsextreme, können also nicht nur auf legalem Weg an Waffen gelangen. Mit den "richtigen" Kontakten oder ein bisschen Digital-Kompetent ist dürfte es mit dem nötigen Kleingeld recht einfach sein, an illegale Schusswaffen zu gelangen.

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Welt Online, 11.02.2020:

Alternative Plattformen / Wo sich Rechtsextreme ohne Facebook im Netz radikalisieren

11.02.2020 - 15.23 Uhr

Von Annelie Naumann

Freie Mitarbeiterin Investigation und Reportage

Eine aktuelle Studie zeigt, auf welchen alternativen Plattformen und Gaming-Apps sich Rechtsextreme vernetzen. Sie tun dies bislang weitestgehend unbeobachtet. Auch wenn der Großteil der Inhalte nicht zu Gewalt aufrufe, sehen die Forscher Gefahren.

"Hi, my name is Anon, and I think the Holocaust never happened", sagt Stephan B., bevor er im vergangenen Jahr in Halle zwei Menschen erschießt. Es ist Jom Kippur, der höchste jüdische Feiertag, und Stephan B. will in die Synagoge in der Humboldtstraße eindringen und so viele Juden wie möglich töten. Weil deren Tür hält, lässt er fluchend von der Synagoge ab und tötet erst eine Passantin und dann einen Mann in einem Imbiss. Zwei weitere Personen verletzt er durch Schüsse schwer.

Eine gute halbe Stunde lang fährt Stephan B. schießend und mordend und dabei zu seinem Netz-Publikum redend durch Halle - und streamt das alles per Helmkamera live ins Netz. Sein Vorbild ist ein Australier, der im vergangenen März in Christchurch 50 Menschen ermordete und dies ebenfalls in einem Livestream übertrug. Beide Attentäter hinterließen im Netz Bekennerschreiben. Die rechtsextremistische Terrorzelle NSU hinterließ keine Bekennerschreiben. Heute ist auch dies möglich - das Herzeigen ihrer Mordtaten im Netz, live, während sie begangen werden, gehört für diese rechtsextremen Täter dazu.

Eine aktuelle Studie "Das Online-Ökosystem rechtsextremer Akteure" des Institute for Strategic Dialogue (ISD) mit Sitz in London nimmt nun diese bisher kaum beleuchteten Räume in den Blick. Das ISD hat das Verhalten deutschsprachiger Rechtsextremer auf alternativen Medien und Social-Media-Plattformen analysiert.

Denn rechtsextreme Subkulturen sind von so genannten Mainstream-Plattformen wie Facebook, Twitter oder YouTube fast verschwunden. Die großen Unternehmen werden seit 2017 durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) kontrolliert und dadurch verpflichtet, illegale Inhalte von ihren Plattformen zu löschen. Die Sperrung von Accounts rechtsextremer Gruppen hat die Verbreitung ihrer Inhalte erheblich eingeschränkt.

Rechtsextreme vernetzen sich darum auf alternativen Plattformen wie 4chan, Messenger-Diensten wie Telegram oder Gaming-Apps wie Discord. Diese Plattformen werden für Rechtsextreme immer wichtiger. Sie teilen darin ihre Inhalte, verherrlichen rechtsextreme Terroristen und verbreiten Desinformation. Wenig überraschend zeigen die nun ausgewerteten Daten, dass rechtsextreme Themen in alternativen Medien überproportional stark vertreten sind.

Für die Studie hat das Forscherteam deutsche Communitys auf zehn alternativen Plattformen untersucht, darunter Discord, 4chan, Telegram und die sozialen Netzwerke VK und Gab.

Zehntausende Nutzer in der rechtsradikalen Schattenwelt

Die Forscher fanden dort knapp 380 rechtsextreme und rechtspopulistische Kanäle und Communitys. Die Gesamtzahl der deutschsprachigen Nutzer in diesen Gruppen schätzten die Forscher auf 15.000 bis 50.000. Der meistgenutzte Kanal hatte mehr als 40.000 Follower.

Über ein Viertel der Gruppen (27 Prozent) war durch die Gegnerschaft zu Muslimen, Einwanderung und Flüchtlingen gekennzeichnet, ein Viertel (24 Prozent) sprach sich offen für den Nationalsozialismus aus. Es wurden 35 Kanäle und Gruppen ermittelt, die mit identitären und ethnonationalistischen Gruppen verbunden sind.

Die AfD habe eine überschaubare, teilweise inaktive Präsenz auf diesen Plattformen.

Ein vom Institut trainierter Algorithmus zur Klassifizierung antisemitischer Inhalte zeigte, dass mehr als die Hälfte aller Posts über Juden in den Threads auf 4chan - 56,9 Prozent - klar antisemitische Narrative enthielt.

Beiträge zu diesen Konzepten seien in Mainstream-Medien wesentlich seltener und hauptsächlich im Zusammenhang mit bestimmten Ereignissen zu finden, analysierten die Forscher.

Auch wenn der Großteil der ausgewerteten Inhalte nicht zu Gewalt aufrufe, sehen die Forscher darin eine Gefahr: Die Einträge konzentrierten sich "überproportional häufig" auf die negativen Folgen der Migration. "Wie wir aus den Manifesten rechtsextremer Attentäter gelernt haben, können rechtsextreme Ideen wie die Verschwörungstheorie des "großen Austauschs" extremistische Gewalt und Terrorismus inspirieren, ohne aktiv zur Gewalt aufzurufen", erklärt die Extremismus-Forscherin Julia Ebner vom ISD.

Zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen fordert sie umfassende Maßnahmen, die sowohl die technischen Kapazitäten als auch die spezifischen Dynamiken der Plattformen berücksichtigten - und auf dem Schutz der Grundrechte beruhen. Es sei wichtig, zu verstehen, wie die alternativen Plattformen aufgebaut sind, wer sie betreibt und welche Dynamiken sie besitzen.

Da den Betreibern alternativer Plattformen häufig die Ressourcen fehlten, Inhalte umfassend zu moderieren, empfiehlt die Studie die Zusammenarbeit mit den traditionellen Plattformen, um von deren technischen Möglichkeiten zu profitieren. Als Beispiel nannten sie etwa eine Datenbank mit digitalen Fingerabdrücken terroristischer Inhalte, mit der ein erneutes Hochladen automatisch verhindert werden könne.

Forscher warnen vor Blackbox

Das NetzDG sei ein wichtiger erster Schritt, beschränke sich aber auf die Entfernung strafbarer Inhalte und sei daher nicht geeignet, auf die oft legalen, aber extremistischen Aktivitäten auf alternativen Plattformen zu reagieren.

"Diese Löschungen haben einen reichweitenreduzierenden Effekt. Doch für die Abwanderung vor kleineres Publikum, wo die Rechtsprechung noch nicht greift, müssen Lösungen gefunden werden", so Ebner. Sie warnt vor einem Blackbox-Effekt.

In früheren Forschungsergebnissen hatte der Thinktank Hass- und Desinformationskampagnen etwa zur bayerischen Landtagswahl im Oktober 2018 untersucht. Rechtsextreme Kanäle hatten schon damals auf alternativen Plattformen in einem erheblichen Ausmaß für die AfD mobilisiert.

Bildunterschrift: Der Attentäter von Halle: Stephan B.

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Süddeutsche Zeitung Online, 11.02.2020:

Reaktion auf Antisemitismus: SPD fordert Bannmeile um die Synagoge

20.02.2020 - 18.40 Uhr

München. Das Kreisverwaltungsreferat soll eine Bannmeile "oder andere geeignete und dauerhafte Maßnahmen" für den Sankt-Jakobs-Platz vor der Synagoge und der Israelitischen Kultusgemeinde und am Platz der Opfer des Nationalsozialismus prüfen. Das fordert die SPD-Fraktion im Stadtrat in einem Antrag. Immer wieder versuchten Pegida und andere rechtsradikale Gruppierungen, unter Ausnutzung des Versammlungsrechts diese "besonders sensiblen Orte zu entwürdigen". Zuletzt wurde bekannt, dass Pegida-Chef Heinz Meyer am Wahlsonntag, 15. März, vor der Synagoge gegen die jüdische Glaubenspraxis der Beschneidung agitieren will.

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Blick nach Rechts, 11.02.2020:

Geschichtsrevisionisten Hand in Hand

Von Horst Müller

Den 75. Jahrestag der Bombardierung Dresdens durch die Alliierten instrumentalisieren Rechte für ihre spezielle Sicht des Gedenkens. Am Samstag soll ein neonazistischer Gedenkmarsch in der sächsischen Landeshauptstadt stattfinden.

Die Bombardierung Dresdens Mitte Februar 1945 durch die Alliierten ist für die rechte Szene gerade im 75. Jahr danach ein Pflichtthema, was von Neonazis bis zu Rechtspopulisten für ein eigenes geschichtsrevisionistisches Narrativ ausgenutzt wird. Vom stilleren Gedenken bis zur Großdemonstration reicht in dieser Woche der rechte Aktionsradius. In erster Linie fokussiert sich die Instrumentalisierung des Jahrestages auf Dresden selbst.

Nur die neonazistische Splitterpartei "Der III. Weg" schert aus und hat am 15. Februar eine Demonstration in Bamberg angemeldet. Aus Gründen der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit wurde sie zwar verboten, soll nun aber durch die braune Kleinstpartei auf dem verwaltungsrechtlichen Weg eingeklagt werden.

Unseriöse Geschichtsklitterung

In der geradezu perfiden Aufrechnung der zu Tode gekommenen Opfer ist ein Schulterschluss des rechten Lagers erkennbar. Wissenschaftliche Erkenntnisse einer Historiker-Kommission sprechen von 25.000 im Bombenhagel den Tod gefundene Opfer. Selbst in der früheren DDR war von einer Opferzahl in der Größenordnung von 35.000 die Rede. Ob NPD oder der AfD-Parteichef Tino Chrupalla, beide sprechen aktuell von mindestens 100.000 Opfern und betreiben damit eine vollkommen unseriöse Geschichtsklitterung, wie sie in ihr jeweiliges ideologisches Geschichtsbild unter Einbeziehung von nationalistischem Pathos hineinpasst.

Die rechtspopulistisch ausgerichteten und Verschwörungsmythen hinterherhängenden Anhänger von Jürgen Elsässer und dessen "Compact"-Magazin trafen sich bereits am vergangenen Wochenende, um im Beisein des Co-Autoren Gert Bürgel mit einer Extraveranstaltung eine "Compact"-Sonderausgabe zu dem Thema zu promoten. Diese wurde auch von Maik Müller und seinem Umfeld beworben.

"Ausschließlich schwarze Fahnen gestattet"

Der führende NPD-Funktionär aus dem Landesvorstand ist maßgeblicher Organisator eines Neonazi-Gedenk-Aufzugs durch Dresden, der für den 15. Februar terminiert ist. 2010 kamen annähernd 6.500 Teilnehmer zum braunen Gedenkritual, darunter Björn Höcke - also drei Jahre vor dessen Karriere innerhalb der AfD. Da Gegendemonstranten mit zahlreichen Blockaden einen Abmarsch erfolgreich verhinderten, schmolzen in den Folgejahren die Teilnahmezahlen deutlich. Im Vorjahr wurden bei zahlenmäßig weniger Gegenprotest dann aber schon wieder knapp 1.500 Aktivisten gezählt, die Mike Müller mobilisieren konnte. Und es wird spekuliert, dass es diesen Samstag durchaus mehr werden könnten.

Müller verfügt über den NPD-Jugendverband Junge Nationalisten (JN) über eine internationale Vernetzung. Sichtbar wurde das zuletzt 2018 beim 3. JN-"Europakongress" in Riesa. Im Übrigen laufen bereits wieder die Vorbereitungen für eine vierte Kongress-Auflage am 15. / 16. Mai. Auch der explizite Hinweis für die Teilnehmer des nun anstehenden Aufmarschs am Samstag, dass ausländische Delegationen mit Nationalflaggen anreisen mögen, deutet auf eine breitere Mobilisierung hin. Unter Auflistung strenger Verhaltensregeln heißt es zudem: "Gestattet sind ausschließlich schwarze Fahnen." Zum Benimm- und Verhaltensknigge zählen auch ein Rauch- und Alkoholverbot. Und für den Teilnahmekodex gilt auch: "Der Presse werden keine Fragen beantwortet."

Ein genauer Treffpunkt und eine Demonstrationsroute sind hingegen noch nicht publiziert worden. Unterdessen können Interessierte einen eigens zum Event herausgegebenen Anstecker käuflich erwerben. Als Forderung wird die Schaffung eines speziellen Gedenkmahnmals in der Stadt aufgestellt.

Kranzniederlegung der AfD am 13. Februar

Die AfD will ihre Sicht des Gedenkens am 13. Februar zur Schau stellen. Neben einem für sechs Stunden angemeldeten Infostand soll es spätabends an dem Donnerstag noch eine Kranzniederlegung und Kundgebung geben. Bereits am Dienstag soll sich der Hobby- und Laienforscher Gert Bürgel auf einer AfD-Veranstaltung der provokativen Diskussion über von ihm angezweifelte Opferzahlen stellen.

Bildunterschrift: Geschichtsklitterndes rechtsextremes Gedenkritual am Samstag in Dresden (Screenshot).

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Blick nach Rechts, 11.02.2020:

AfD: Umschreibung der Geschichte

Von Rainer Roeser

Gedächtnispolitik solle "den Daseinswillen der Deutschen als Volk und Nation brechen", klagt ihr kulturpolitischer Sprecher. Und ein "Flügel"-Politiker erklärt den "Schuldkult" für "endgültig beendet". In Dresden, wo in dieser Woche an den Jahrestag der Bombardierung erinnert wird, zweifelt AfD-Bundessprecher Chrupalla die von Historikern ermittelte Zahl der Opfer an.

Tino Chrupalla wird nicht dabei sein, wenn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Donnerstagnachmittag spricht. Zur offiziellen Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der Bombardierung Dresdens gehe er nicht, ließ der zum AfD-Sprecher aufgestiegene sächsische Bundestagsabgeordnete den "Spiegel" wissen. Er rechne damit, so zitierte ihn das Nachrichtenmagazin, dass Steinmeier das Gedenken politisch gegen die AfD instrumentalisieren werde. Und es folgt ein Satz, der deutlich macht, wie ausgeprägt die Neigung zur Selbstüberschätzung in seiner Partei ist: "Ich hätte auch gern Rederecht, um unsere Sicht der Dinge darstellen zu können."

Ewig missverstanden

Mit ihrer Sicht der Dinge - insbesondere der geschichtspolitischen Dinge - macht die AfD des Öfteren Schlagzeilen. Insbesondere, wenn es um den Nationalsozialismus geht. "Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in unserer über 1.000-jährigen Geschichte", wusste einst etwa Ex-Parteichef Alexander Gauland zu berichten und bestand auf dem Recht, "stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen". Massive Kritik war die Folge - und die nachgeschobene, AfD-typische Klage, man sei doch nur missverstanden worden.

So wie sich auch Björn Höcke missverstanden fühlte, nachdem er Anfang 2017, vier Wochen vor dem Jahrestag der Bombardierung, seine geschichtspolitischen Betrachtungen bei einer Veranstaltung der "Jungen Alternative" in Dresden ausgebreitet hatte. Ein paar Wochen später gab er sich bei einem Landesparteitag im heimischen Thüringen reuig - zumindest etwas. Er sei, sagte er, "in eine falsche Tonlage gefallen" und habe "Interpretationsspielräume zugelassen". Aber: Verstöße gegen Statuten oder Programm der AfD mochte er nicht erkennen. "Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat", hatte Höcke in Dresden erklärt, eine "dämliche Bewältigungspolitik" beklagt und gefordert: "Wir brauchen nichts anderes als eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad!"

Kriegsgegner zum "Kriegsverbrecher" machen

Seine Fans im Saal waren begeistert. Ein paar Minuten vorher konnten sie bereits den Bundestagsabgeordneten Jens Maier feiern, Statthalter von Höckes "Flügel" in Sachsen. Für "endgültig beendet" hatte er den "Schuldkult" erklärt. Vermutlich ist es kein Zufall, dass Reden wie die von Höcke und Maier gerade in Dresden gehalten werden. So wie die Bombenangriffe auf die sächsische Landeshauptstadt zentral sind für krude Geschichtserzählungen von Neonazis, so wichtig sind sie auch für die Geschichtspolitik von AfD-Politikern, die auf der einen Seite den Stolz auf "soldatische" deutsche Leistungen wiederbeleben und auf der anderen Seite die Kriegsgegner von einst zum "Kriegsverbrecher" machen wollen.

"Die Bombardierung Dresdens war ein Kriegsverbrechen", sagt Höcke an jenem Tag in Dresden. "Sie ist vergleichbar mit den Atombomben-Abwürfen über Hiroshima und Nagasaki." Mit der Bombardierung Dresdens und anderer deutscher Städte habe man nichts gewollt, "als uns unsere kollektive Identität rauben". Höcke: "Man wollte uns mit Stumpf und Stiel vernichten, man wollte unsere Wurzeln roden. Und zusammen mit der dann nach 1945 begonnenen systematischen Umerziehung hat man das auch fast geschafft."

Opferzahlen angezweifelt

Im vorigen Jahr twitterte Tino Chrupalla am 13. Februar das Foto eines Kranzes, den seine Bundestagsfraktion in Dresden hatte niederlegen lassen. "Den zivilen Opfern des Alliierten Bombenterrors In stillem Gedenken" stand auf der Schleife. Chrupalla rechtfertigte im Nachhinein die Verwendung des Terror-Begriffs, der von Joseph Goebbels bis zu den Neonazis unserer Tage gebräuchlich war und ist. Bombardements gegen die Zivilbevölkerung seien "grundsätzlich Terrorakte".

In diesem Jahr zieht er die von einer hochkarätig besetzten Historiker-Kommission 2010 ermittelte Zahl der Opfer in Zweifel. Ein paar Tage vor den Dresdner Gedenkveranstaltungen sagte Chrupalla dem "Spiegel": Er wundere sich, dass die Opferzahlen in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder nach unten korrigiert worden seien. Die wissenschaftlich ermittelte Zahl von 25.000 Toten halte er für falsch: "Ich gehe von etwa 100.000 Opfern aus." Das Rote Kreuz habe 1948 von 275.000 Toten geschrieben. Der "Spiegel" zitiert Chrupalla: "Meine Oma, mein Vater und andere Zeitzeugen haben mir von vollen Straßen vor dem Angriff und Leichenbergen nach der Bombennacht berichtet." Niemand von ihnen glaube an die neuere Zahl von 25.000 Opfern. Deswegen habe er auch seine Zweifel.

"Negatives Selbstbild hierzulande wie psychisches Gift"

Unerträglich finde er es, dass jetzt wieder versucht werde, das Totengedenken für die politischen Zwecke der Gegenwart zu missbrauchen, sagt hingegen Rolf-Dieter Müller, ehemals wissenschaftlicher Direktor des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam, der vor zehn Jahren die Historiker-Kommission leitete.

Der Nationalsozialismus als "Vogelschiss", englische Soldaten als Terroristen: Tatsächlich arbeitet die AfD an einer Umschreibung der Geschichte. Gedächtnispolitik, wie sie heute betrieben werde, sei "darauf ausgelegt, den Daseinswillen der Deutschen als Volk und Nation zu brechen", klagt Marc Jongen, kulturpolitischer Sprecher ihrer Bundestagsfraktion, und bedauert: "Sie ist damit schon erschreckend weit vorangeschritten." Ohne eine positive Referenz auf die eigene Geschichte in der kollektiven Erinnerung könne aber kein Volk auf die Dauer Bestand haben. Jongen: "Ein ausschließlich negatives Selbstbild, wie es hierzulande schon seit Jahrzehnten kultiviert wird, ist wie ein psychisches Gift, das schleichend zum Tod des Patienten führt."

AfD-Gedenken mit "ideologiefreier Debatte"

Die Jugend werde "systematisch zu Schuld und Scham über ihr Deutschsein erzogen", glaubt Jongen. Sie lerne, "mit Deutschland Negatives, ja Böses zu assoziieren" und "sich an einen Gedanken zu gewöhnen: Deutschland hat eigentlich kein historisches Lebensrecht. Es ist gut, wenn Deutschland verschwindet. Besser ist es, andere nehmen hier unseren Platz ein."

Es überrascht nicht, dass die AfD am Donnerstag in Dresden ihr ganz eigenes Gedenken plant. Ein Infostand auf dem Altmarkt ist tagsüber vorgesehen, abends dann dort eine Gedenkveranstaltung mit Kranzniederlegung. "Ideologiefrei" und "tatsächlich würdig" soll es zugehen. Es sei an der Zeit, "dass im Umgang mit diesem Thema eine neue Qualität entwickelt wird und eine ideologiefreie Debatte entlang bekannter oder unentdeckter Tatsachen möglich ist", erklärt Dresdens AfD. Dass die relevanten Tatsachen längst bekannt sind, stört sie nicht - im Gegenteil: Fakten sind eher hinderlich.

Bildunterschrift: Flügel-Vormann Höcke: "Erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" (Foto: (Archiv).

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Welt Online, 11.02.2020:

Höcke nimmt Einladung zu Pegida-Demonstration an

Erfurt / Dresden (dpa). Der Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke wird nach Angaben seiner Partei am kommenden Montag an einer Demonstration des islam- und ausländerfeindlichen Pegida-Bündnisses in Dresden teilnehmen. Höcke habe eine entsprechende Einladung angenommen, teilte der Sprecher des Thüringer AfD-Landesverbands Torben Braga am Dienstag mit. Ob der Gründer des rechtsnationalen "Flügels" der AfD in Dresden eine Rede halten wird, ließ Braga offen.

Am kommenden Montag will das Bündnis Pegida zum 200. Mal demonstrieren. Die selbst ernannten "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" hatten sich im Herbst 2014 gegründet. Die Bewegung machte fast jeden Montag gegen Flüchtlinge Stimmung und radikalisierte sich zunehmend. Mitte Januar 2015 erreichte sie mit rund 25.000 Teilnehmern in Dresden ihren Höhepunkt, verlor aber zuletzt deutlich an Zuspruch und fand nicht mehr wöchentlich statt. Der mehrfach vorbestrafte Pegida-Anführer Lutz Bachmann wurde unter anderem wegen Volksverhetzung verurteilt.

Bildunterschrift: Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der AfD, spricht im Plenarsaal des Thüringer Landtages.

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Jüdische Allgemeine Online, 11.02.2020:

Thüringen / "Definitiv ein Dammbruch"

11.02.2020 - 08.41 Uhr

Zentralratspräsident Schuster zur Ministerpräsidenten-Wahl: "Diese Einfallstore müssen wir wieder schließen"

Die Wahl eines Ministerpräsidenten mit und dank Stimmen der AfD war für Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, "definitiv ein Dammbruch".

Er hätte die Möglichkeit, dass ein Abgeordneter der FDP oder der CDU eine so zustande gekommene Wahl annehme, bis vor einer Woche mit "niemals" beantwortet, sagte Schuster am Montag in Frankfurt / Main bei einer Veranstaltung des Wirtschaftsclubs Rhein-Main.

"Von den Rändern her fangen Rechtspopulisten an, unsere demokratischen Werte zu untergraben", warnte der Zentralratspräsident.

Einfallstore

Das sei in der vergangenen Woche in Thüringen erlebbar geworden. "Diese Einfallstore müssen wir wieder schließen", forderte Schuster, der in Frankfurt zu Antisemitismus in Vergangenheit und Gegenwart gesprochen hatte. Dabei warnte er insbesondere vor antisemitischer Hetze in Sozialen Medien, die "in beängstigender Häufigkeit" zu sehen sei.

"Wie entsetzlich die Folgen des Hasses im Netz sind, hat im vergangenen Jahr der Anschlag (auf die Synagoge) in Halle gezeigt", mahnte Schuster. (dpa)

Bildunterschrift: Zentralratspräsident Josef Schuster.

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MiGAZIN, 11.02.2020:

Nebenan / Sie ist wieder da!

In Thüringen haben Union und FDP klargemacht, dass es längst größere Überschneidungen zwischen den "Konservativen", den "Liberalen" und den Faschisten gibt. So hat es in Deutschland schon einmal angefangen.

Von Sven Bensmann

Die AfD, das hat die letzte Woche gezeigt, ist eine ganz normale bürgerliche Partei. Nicht, dass ich das irgendwie guthieße, ganz im Gegenteil: Das Prädikat "bürgerlich" ist nur einfach nichts wert, denn als Sammelbegriff für Menschen, die gern einen Zaun um ihren Grund ziehen - das ist dieser Tage offensichtlicher als je zuvor in der Ära der Bundesrepublik. Die Ministerpräsidenten-Wahl Kemmerichs in Thüringen hat schließlich gezeigt, dass die AfD nicht mehr als neuer Lebensraum für die Rechtsradikalen von CDU und FDP ist, natürlich vor allem im Osten.

Man muss jedenfalls nicht erst auf den Naumann-Kreis altgedienter Nazis in der FDP zurückgreifen, schon vor nicht allzu langer Zeit war ein Vertreter dieser völkischen Denkrichtung in der Spitze der FDP. Und auch wie Lindner seine Partei seit der Bundestagswahl neu auf Klima-Leugner und Fleisch-Extremisten ausgerichtet hat, war dies nicht weniger als ein Anbiedern an die Klientel der AfD. Die Wortmeldungen der FDP und der AfD zum Thema Fridays for Future lassen sich jedenfalls auch mit der Lupe kaum unterscheiden.

Jetzt ist sie also wieder da: Als der blaugelbe Zug der Opportunisten vor zwei Jahren ganz abrupt stoppte und sein Häuptling den völlig verdutzten Journalisten erklärte, "es sei besser, gar nicht zu regieren, als falsch zu regieren", rieben sich Wähler deutschlandweit die Augen: Das war nicht mehr die Umfaller-Partei, die sie gewählt hatten. Jetzt ist die FDP jedenfalls wieder umgefallen, hat jede Abgrenzung zu Faschisten ihrem unbedingten Willen zur Macht untergeordnet und ebenjene Macht ergriffen.

Um die CDU steht es dabei natürlich auch nicht besser. Dass Vertreter einflussreicher Interessenverbände spontan ins Höschen ejakulierten, als sie hörten, dass eine breite Koalition aus CDU, FDP und AfD einen gemeinsamen Ministerpräsidenten gewählt hatten, zeigt, dass die Faschisten, oder zumindest deren Sympathisanten, auch in der Union weiterhin zahlreich sind. Dass sich die Union so stets als Partei des Rechtsstaats geriert, und immer noch insinuert, damit das Recht und etwa nicht die Rechten zu meinen, ist inzwischen allerdings mehr als unglaubwürdig. Law and Order - das war einmal. Jetzt heißt es wohl eher: Law und / oder.

Die gespielte Empörung im Konrad-Adenauer-Haus ist dabei besonders unglaubwürdig. Längst ist bekannt, dass die Parteien in Thüringen in ständigem Austausch mit Berlin standen. Und die Wahl Kemmerichs in gemeinsamer Sache mit den Faschisten ist genau das, was die extreme Rechte seit mehreren Jahren als Strategie betreibt: Ein kalkulierter Tabubruch, den man im Anschluss weitgehend ohne Konsequenzen zurücknehmen kann.

Wie stark die Gegenreaktion sein würde, war jedoch falsch kalkuliert worden - nach all den Tabubrüchen vom "Vogelschiss" bis zu "letzte Patrone" an der Grenze war das aber auch kaum noch zu erwarten. Der Schlingerkurs der Union zwischen demokratischen Bürgern und Faschisten-Kuschlern, der noch heute kein so richtiges Ende genommen hat, zeigt, dass der AfD-Flügel innerhalb der Union offensichtlich nicht mehr einfach übergangen werden kann, auch nicht von der Parteichefin.

Die Behauptungen, diese Öffnung zur AfD in Thüringen sei ein "Dammbruch" ist daher eine Untertreibung und eine Übertreibung zugleich. Union und FDP haben klargemacht, dass es längst größere Überschneidungen zwischen den "Konservativen", den "Liberalen" und den Faschisten gibt. So hat es in Deutschland schon einmal angefangen: Vorläufer von CDU und FDP haben sich seinerseits bereits der NSDAP als Steigbügelhalter und Legitimationshilfe angedient. Wir stehen vor einer neuen Ära, in die die Faschisten in der AfD ebenso gestärkt hineingehen, wie die Faschisten in CDU / CSU und FDP, trotz der heftigen Gegenreaktion: Der Damm ist höchstens notdürftig geflickt und schon beim nächsten Mal wird der Aufschrei deutlich geringer ausfallen, weil es ja schon einmal da war.

Man kann natürlich weiterhin Hoffnung in die Parteispitzen in Berlin haben, sich glaubwürdig davon zu distanzieren und demokratische Grundwerte für ihre Parteien erfolgreich einzufordern. Dass der blaugelbe Zug der Opportunisten unter Lindner auf demokratischen Grund stehen bleibt, darin habe ich allerdings wenig Vertrauen. Und wohin die CDU nach dem Rückzug von AKK entwickeln wird, ist angesichts einer Presselandschaft, die stets bemüht ist, Friedrich Merz in Amt und Würden zu schreiben, auch nicht unbedingt eine offene Frage. Dass die Koalition trotzdem weiter nicht infrage steht, beweist auch, wie weit es mit der Partei gediegen ist, die sich einmal als einzig verbliebene Partei im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz gestellt hatte.

Dass der mit dieser Partei weiter koalieren will, obwohl er schon seit dem Start dieser Koalition nach einem glaubwürdigen Ausweg sucht, beweist auch, wie weit es mit der Partei gediegen ist, die sich einmal als einzig verbliebene Partei im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz gestellt hatte. Dabei war die Ausgangssituation in den letzten zwei Jahren wohl nie besser für die SPD: Umfragen sagen, dass das Vertrauen in CDU und FDP unter Thüringen stark gelitten hat. Zu glauben, nur die AfD würde davon profitieren, ist ignorant. Das Abo der CDU auf den Kanzlerposten ist derzeit aufgekündigt - wartet die SPD zu lange, wird es rechtzeitig zur neuen Wahl wieder erneuert. Die SPD sollte jetzt ihr Heil in einer Kanzlerin Baerbock suchen - notfalls sogar in einem Kanzler Habeck.

Bildunterschrift: MiGAZIN-Kolumnist Sven Bensmann, privat, Zeichnung MiG.

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