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Lippische Landes-Zeitung , 18.09.2019 :

"Im Traumland fließen jetzt viele Tränen"

Flüchtlinge in Lippe: Sofiane Sidibe aus Guinea soll Deutschland verlassen, doch der 25-Jährige will seine Lebensgefährtin und die todkranke Tochter nicht zurücklassen / Jetzt prüft die Kreisausländerbehörde, ob humanitäre Duldungsgründe vorliegen

Von Erol Kamisli

Lage / Detmold. Sein Asylantrag ist endgültig abgelehnt - Sofiane Sidibe aus Guinea hat es schriftlich. Mit Schreiben vom 26. August teilt ihm die Kreisausländerbehörde Lippe dies mit. Er soll am 23. September in der Detmolder Behörde erscheinen, um seine Aufenthaltsgestattung und Arbeitserlaubnis abzugeben, und anschließend das Land verlassen.

Doch der Familienvater (25) und seine 32-jährige Lebensgefährtin aus Kamerun, deren Asylantrag noch läuft, haben derzeit ganz andere Sorgen: "Unsere sechsmonatige Tochter ist mehrfach behindert und liegt im Bielefelder Klinikum Bethel. Unser Kind kann in Guinea nicht medizinisch versorgt werden, daher wollen wir unbedingt bei unserem Kind bleiben", so die Eltern.

Die beiden hatten im Herbst 2016 ihre Heimatländer aus religiösen und humanitären Gründen verlassen, um ihr Glück in Europa und Deutschland zu suchen. "Ich wurde wegen meines christlichen Glaubens verfolgt", sagt Sidibe. Seine Lebensgefährtin Jeanne Ngo Binyam, die sich zeitgleich von Kamerun "den Weg in die Freiheit" suchte, sei als dritte Frau eines Häuptlings immer wieder geschlagen und missbraucht worden. "Mir blieb nichts anderes als die Flucht, und ich musste sogar zwei meiner Kinder in Kamerun zurücklassen, weil ich Angst um mein Leben hatte", sagt sie.

Gemeinsam stiegen sie an der libyschen Küste in ein Schlauchboot in Richtung Italien. "Wir hatten große Angst und im Endeffekt viel Glück, dass uns das Meer nicht verschluckt hat", erinnert sich Binyam, die gelernte Kosmetikerin und Frisörin ist und gern ein Deutschland arbeiten würde. Nach Tagen der Angst seien sie von einem Rettungsschiff aufgelesen worden und in ein Aufnahmelager nach Italien gekommen. Dort lernten sich die beiden kennen und lieben.

Nach weiteren Irrungen und schweren Stunden erreichten sie im November 2017 ihr "Traumland" Deutschland - hier kam auch ihre Tochter Davila, die heute 15 Monate alt ist, gesund zur Welt. Seit Mai vergangenen Jahres lebt die kleine Familie in Lage. Bei der Geburt ihrer nun knapp sechsmonatigen zweiten Tochter erlebten die Eltern einen Alptraum - die kleine Maisha ist mehrfach behindert, liegt im Koma und wird von Maschinen am Leben gehalten, sagen die Eltern. "Wir brauchen unsere ganze Kraft für die Kleine - im Traumland fließen jetzt viele Tränen", sagt Sidibe, der bis vor kurzem einen Job beim Bauhof Lage hatte. Doch seine Frau sei täglich bei dem todkranken Kind, und er müsse auf Davila aufpassen. Er fühle sich verloren, hilflos und bittet daher die LZ um Hilfe.

Eine deutsche Flüchtlingshelferin der Familie kann das Vorgehen der Kreisausländerbehörde nicht verstehen. "Die Familie kämpft um ihr Kind, doch die Behörde hat nichts besseres zu tun, als dem Vater ein Ultimatum für die Ausreise zu stellen", sagt die Barntruperin, die ihren Namen nicht nennen will. Sie wolle die Entscheidung über den Asylantrag gar nicht anzweifeln, "dafür haben wir Gesetze und Vorschriften, doch ich erwarte von den Mitarbeitern der Ausländerbehörde ein Mindestmaß an Mitgefühl und Empathie in solch krassen Ausnahmefällen". Es könne nicht sein, dass eine Behörde trotz dieses Schicksalsschlags diese kleine Familie, die unter Schock stehe, so unter Druck setze.

Auf LZ-Anfrage weist Ilka Cohrs, Leiterin der Kreisausländerbehörde, den Vorwurf der mangelnden Empathie von sich. "Wir haben erst vom zuständigen Sozialamt und der LZ von dem Fall der Familie erfahren, obwohl Sofiane Sidibe in der Informationspflicht ist", sagt Cohrs. Wenn die Behörde eher von dem Schicksalsschlag erfahren hätte, wäre das Schreiben in dieser Form nicht rausgegangen. Der 25-Jährige habe im Februar den endgültigen Ablehnungsbescheid vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erhalten und sich nicht gerührt. Zudem fehle auch die Anerkennung der Vaterschaft und eine Sorgerechtserklärung. "Es gibt Vorschriften und Gesetze, an die wir uns alle halten müssen", so Cohrs. Die Behörde sammele nun, obwohl es gar nicht ihre Aufgabe sei, Informationen, um eine humane Lösung zu finden. Sie und auch ihre Mitarbeiter seien keine Unmenschen, die ihre Augen vor dem schlimmen Schicksal der Familie verschlössen. Cohrs: "Dieser tragische Fall verdeutlicht auf traurige Weise einmal mehr, wie wichtig eine rechtzeitige Kontaktaufnahme mit uns gewesen wäre! Denn im Beratungsgespräch beleuchten wir die Situation von allen Seiten und sprechen auch über Umstände, die trotz vollziehbarer Ausreisepflicht einen weiteren Verbleib im Bundesgebiet rechtfertigen könnten."

Erleichterung bei dem 25- jährigen Familienvater: "Endlich mal eine gute Nachricht. Die Angst um meine Tochter und die Abschiebung haben mich gelähmt." Er werde zu einem Behördentermin auf jeden Fall erscheinen.

Bildunterschrift: Haben Angst, dass ihre Familie auseinander gerissen wird: Sofiane Sidibe mit seiner Lebensgefährtin Jeanne Ngo Binyam und den gemeinsamen Töchtern Davila (rechts) und der todkranken Maisha (Foto auf Tablet), die zur Zeit im Klinikum Bethel liegt.

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