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7 Artikel , 18.09.2019 :

Pressespiegel überregional

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Übersicht:


Jüdische Allgemeine Online, 18.09.2019:
Antisemitismus / Bund-Länder-Kommission konstituiert sich

Jüdische Allgemeine Online, 18.09.2019:
Literatur / Kein Nelly-Sachs-Preis für Autorin Shamsie

Belltower.News, 18.09.2019:
Franco A. / Der mutmaßliche Rechtsterrorist taucht im Bundestag und im Gericht auf

Nordwest-Zeitung Online, 18.09.2019:
2.500 Niedersachsen stehen auf "Feindeslisten"

Blick nach Rechts, 18.09.2019:
"Noie Werte" vor dem Comeback?

Der Tagesspiegel Online, 18.09.2017:
WDR-Journalist Georg Restle / Streit mit der AfD "ist vergeudete Zeit"

Blick nach Rechts, 18.09.2019:
AfD wähnt sich verfolgt

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Jüdische Allgemeine Online, 18.09.2019:

Antisemitismus / Bund-Länder-Kommission konstituiert sich

18.09.2019 - 06.56 Uhr

In Berlin kommt am morgigen Mittwoch die Bund-Länder-Kommission zur Bekämpfung von Antisemitismus und zum Schutz jüdischen Lebens zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Felix Klein, der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, sagte der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Mittwoch), in der Konferenz zeige sich, "dass Bund und Länder bei diesem Thema an einem Strang ziehen".

Klein bezeichnete das Zustandekommen der Kommission, deren Einrichtung am 9. Mai 2019 von den Leitern der Staatskanzleien und Bundeskanzlerin Angela Merkel vereinbart und deren Einsetzung am 6. Juni 2019 beschlossen worden war, als "echten Erfolg" und bisherigen Höhepunkt seiner seit Mai 2018 währenden Amtszeit.

Themen

Die Länder werden in der Kommission durch ihre Antisemitismus-Beauftragten oder durch mit der Aufgabe betraute Ansprechpartner vertreten. In der konstituierenden Sitzung am Mittwoch geht es laut Klein darum, sich über die Grundlagen der gemeinsamen Arbeit in diesem Gremium abzustimmen und sich über die konkreten Themen zu verständigen.

Klein bezeichnete das Zustandekommen der Kommission als "echten Erfolg" und bisherigen Höhepunkt seiner Amtszeit

"Der Schulterschluss mit den Ländern ist deshalb so wichtig, weil etwa 80 Prozent der Handlungsfelder bei der Bekämpfung von Hass gegen Juden in ihrer Zuständigkeit liegen, etwa Bildung, Prävention und Interventionsmöglichkeiten im Schul- und Universitätsbereich sowie ein Großteil der polizeilichen Präventionsmaßnahmen sowie Angelegenheiten der Strafverfolgung und des Strafvollzugs", so der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung.

Es sei beabsichtigt, dass das Gremium zwei Mal im Jahr zusammenkommt. Den Vorsitz sollen demnach Klein und ein jeweils wechselnder Ko-Vorsitzender eines Bundeslandes führen.

FAZ-Interview

Der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Mittwochsausgabe) sagte Felix Klein, dass die Bundesrepublik 70 Jahre nach ihrer Gründung in Sachen "Erinnerungskultur" gut aufgestellt sei. Eine sich verändernde Zusammensetzung der Gesellschaft und die Tatsache, dass bald keine Zeitzeugen mehr leben, habe allerdings Auswirkungen, gab der allerdings zu bedenken. Nötig seien neue Formen der Erinnerung, die etwa auch geeignet seien, "Brücken zu schlagen zu Menschen mit Migrationshintergrund".

Dass Hass auf Israel in vielen Heimatländern der seit 2015 nach Deutschland gekommenen Migranten Staatsdoktrin sei, bezeichnet Klein als eine große Herausforderung.

Als Beispiel nannte Klein den ägyptischen Arzt Mohamed Helmy, der während des Zweiten Weltkriegs Juden in Berlin versteckte und den die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem 2013 als ersten Araber als "Gerechten unter den Völkern" auszeichnete. "Mit solchen Menschen können sich auch Muslime identifizieren", so Klein, der generell dafür plädierte, vermehrt auch diejenigen in den Blick zu nehmen, "die damals das Richtige getan haben".

Israel

Die Aufgabe, die Erinnerung zu bewahren, so machte der 51 Jahre alte Jurist deutlich, betreffe die ganze Gesellschaft. Gleiches gelte für den Kampf gegen Antisemitismus - in allen seinen Formen. Die dahinterstehende Ideologie sei stets die gleiche, "sie sucht sich nur neue Formen und neue Projektionsflächen".

So stelle Israel-Hass inzwischen "die am weitesten verbreitete Form des Antisemitismus in Deutschland und Europa" dar. Dass diese Einstellung in vielen Heimatländern der seit 2015 nach Deutschland gekommenen Migranten Staatsdoktrin sei, bezeichnete Klein als eine große Herausforderung. Zugleich warnte er davor, Migranten unter Generalverdacht zu stellen. (kna/ja)

Bildunterschrift: Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung, Felix Klein.

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Jüdische Allgemeine Online, 18.09.2019:

Literatur / Kein Nelly-Sachs-Preis für Autorin Shamsie

18.09.2019 - 15.49 Uhr

Wegen BDS-Unterstützung: Die britisch-pakistanische Schriftstellerin wird doch nicht von der Stadt Dortmund geehrt

Die britisch-pakistanische Autorin Kamila Shamsie wird doch nicht mit dem Nelly-Sachs-Preis der Stadt Dortmund ausgezeichnet. In einer Sitzung am Wochenende habe die Jury sich entschlossen, ihre Entscheidung über die Preisvergabe an die Autorin zu revidieren, teilte die Stadt am Mittwoch mit. Den Juroren sei zuvor nicht bekannt gewesen, dass sich die Autorin seit 2014 an Boykottmaßnahmen gegen die israelische Regierung beteiligt habe.

Die politische Positionierung Shamsies, sich aktiv am Kulturboykott der ebenso israelfeindlichen wie in größeren Teilen antisemitischen BDS-Kampagne gegen Israel zu beteiligen, stehe "im deutlichen Widerspruch zu den Satzungszielen der Preisvergabe und zum Geist des Nelly-Sachs-Preises", teilte die Stadt mit. Sie Satzung des Preises erfordere, auch "Leben und Wirken" in die Entscheidung mit einzubeziehen.

Die Jury hatte ihre Entscheidung ursprünglich damit begründet, dass die Romane der Autorin auf vielfache Weise Brücken schlügen.

Boykott

Mit einem kulturellen Boykott würden keine Grenzen überwunden, "sondern er trifft die gesamte Gesellschaft Israels ungeachtet ihrer tatsächlichen politischen und kulturellen Heterogenität", hieß es weiter. Das stehe im Gegensatz zum Anspruch des Nelly-Sachs-Preises, Versöhnung unter den Völkern und Kulturen zu verkünden und vorzuleben.

Die mit 15.000 Euro dotierte Auszeichnung soll in diesem Jahr nicht vergeben werden. Shamsie hätte den Preis am 8. Dezember auf einem Festakt in Dortmund entgegennehmen sollen. Die Jury hatte ihre Entscheidung ursprünglich damit begründet, dass die Romane der Autorin auf vielfache Weise Brücken schlügen und dem "fragilen Charakter von Herkunft, Identität und Weltbildern" nachspürten.

Die 1973 im pakistanischen Karatschi geborene Autorin lebt wechselweise in London und Karatschi. Shamsie schreibt für die Tageszeitung "The Guardian". Für ihr literarisches Werk wurde sie mehrfach ausgezeichnet.

Den Nelly-Sachs-Preis verleiht die Stadt Dortmund alle zwei Jahre an Schriftsteller. Die Auszeichnung erinnert an die erste Preisträgerin (1961) und jüdische deutsch-schwedische Autorin Nelly Sachs (1891 bis 1970). (epd)

Bildunterschrift: Die pakistanisch-britische Autorin Kamila Shamsie.

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Belltower.News, 18.09.2019:

Franco A. / Der mutmaßliche Rechtsterrorist taucht im Bundestag und im Gericht auf

Oberleutnant Franco A. hortete einerseits gestohlene Waffen und schmiedete detaillierte rechtsextrem motivierte Anschlagspläne und baute sich andererseits eine "Zweitexistenz" als "syrischer Geflüchteter" auf. Der Generalbundesanwalt wollte ihn und Mittäter 2018 wegen Rechtsterrorismus anklagen, bis heute gab es aber nur ein Verfahren gegen Mittäter Mathias F., dass mit einer niedrigen Bewährungsstrafe endete. Franco A. ist bis heute auf freiem Fuß - und sucht die Öffentlichkeit.

Von Simone Rafael

Oberleutnant Franco A. soll Terroranschläge geplant haben, die den Anschein erwecken sollten, dass sie von Geflüchteten ausgeübt worden seien. Dafür ließ er sich beim BAMF als syrischer Flüchtling registrieren. Offenbar führte er eine Todesliste mit potentiellen Anschlagsopfern und beschaffte sich Waffen und Sprengstoff. Auf der Todesliste stand an erster Stelle Anetta Kahane, Gründerin der Amadeu Antonio Stiftung. 2016 wurde Franco A. verhaftet, aber nach sieben Monaten Untersuchungshaft wieder freigelassen.

Wie ist der aktuelle Ermittlungsstand und was wissen wir über Franco A. und sein Umfeld? Der Versuch einer Übersicht.

Strafverfahren

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat - am Oberlandesgericht abgewiesen.

Die Bundesanwaltschaft erhob Anklage wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, also nach § 89a StGB. Anfang Juni 2018 überraschte das zuständige Oberlandesgericht Frankfurt jedoch mit einer Abweisung der Klage nach § 89a. Für das Gericht bestand "kein hinreichender Tatverdacht für die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a StGB)". Franco A. habe die möglichen Tatpläne und -mittel bereits seit Ende Juli 2016 gehabt und dennoch keine terroristische Attacke verübt. Es sei "zwar überwiegend wahrscheinlich, dass der Angeschuldigte sich die beiden Pistolen und die beiden Gewehre sowie 51 Sprengkörper beschaffte und diese aufbewahrte. Es sei jedoch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass er dabei bereits den festen Entschluss hatte, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat zu begehen." Da aber konkrete Attentatspläne fehlten, sei ein Terrorverfahren nicht gerechtfertigt.

Das Oberlandesgericht veranlasste, den Prozess eine Instanz herabzustufen und A. vor dem Landgericht Darmstadt nur wegen Täuschung des BAMF und Waffendiebstahls anzuklagen. Die ursprüngliche Anklage unter § 89a diente der Staatsanwaltschaft offenbar als Türöffner, um die Hausdurchsuchungen zu rechtfertigen. Doch offenbar genügten die sichergestellten Beweise - über 1.000 Schuss Munition, Teile von Handgranaten, Waffen, Sprengstoff und Anleitungen zum Bombenbauen und eine Todesliste - nicht, um Anklage wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§89a) zu erheben.

Bisher gibt es kein Verfahren

Gegen die Abweisung der Klage nach §89 a hat die Bundesanwaltschaft Beschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) eingelegt. Nun liegt der Ball beim Bundesgerichtshof. Der muss entschieden: Wird es einen Prozess gegen Franco A. wegen Rechtsextremismus und Terror geben, oder nur wegen Munition, Waffen und Sozialbetrug? Eine Entscheidung steht seit Monaten aus. Gar nicht in Betracht zog die Staatsanwaltschaft offenbar eine Anklage nach §129a, Mitgliedschaft oder Bildung in einer terroristischen Vereinigung. Bei den rechtsextremen Terrorzellen NSU, Old School Society (OSS) und Gruppe Freital, Gruppe "Nordadler", "Revolution Chemnitz", "The Aryans", "National Socialist Knigths of the Ku Klux Klan" (NSK KKK) war dies zuletzt der Fall und führte zu Verurteilungen.

Prozess gegen Mathias F.

Ein Strafprozess gegen Mittäter Mathias F. fand am 13.09. und 16.09.2019 in Gießen statt. Er war angeklagt wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz. Es geht um Munition, Übungshandgranaten und Waffenteile, die er in seiner Studentenwohnung verwahrt hat, weil Franco A. sie ihm gab, um sie zu verstecken. Mathias F. wurde zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Die Abschreckungskraft dieses Urteils auf die rechtsterroristische interessierte Szene dürfte nicht sonderlich groß sein.

Neue Beweise gegen Franco A.?

Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) berichtet Anfang September, es gäbe nun doch schriftliche Notizen des Oberleutnants Franco A., die einen Anschlagsplan skizzierten und den Ermittlerinnen des Bundeskriminalamtes vorlägen. Sie stammten aus einer Terminmappe des Soldaten. Die Notizen legen nah, dass Franco A. mit seinem Motorrad von Offenbach nach Berlin fahren wollte, dann ins Elsass nach Frankreich und von dort zurück nach Bayern. Ein Komplize sollte ihm eine Schrotflinte per Bahn nach Berlin bringen. Nach der Tat wollte A. in die Kaserne bei Straßburg zurückkehren, um von dort mit einem Auto über Bayreuth nach Kirchdorf bei Erding zu fahren. Hier lebte er in seiner Zweitexistenz als "syrischer Flüchtling David Benjamin" in einer Asylunterkunft.

Sein potenzielles Ziel war Anetta Kahane, die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin. A. hatte am 22. Juli 2016 die Tiefgarage unter dem Gebäude ausspioniert, in der die Stiftung ihren Sitz hat. Franco A. fotografierte Autos, die er für Autos von Stiftungsmitarbeitenden hielt. Als Belege für das mutmaßliche Komplott gegen Kahane und andere Zielpersonen, berichtet das RND, führt die Anklagebehörde in Karlsruhe zwei Vermerke des Bundeskriminalamtes (BKA) vom 3. Mai und 18. Dezember 2017 in ihren Akten. Darin sind die Fotos und eine Zeichnung der Umgebung der Amadeu Antonio Stiftung. Der andere, bislang unveröffentlichte Vermerk stützt sich auf einen doppelt gefalteten DIN A4-Notizzettel des Offiziers. Darauf sind acht Notizen, die zueinander in Bezug stehen. Dazu gehören Informationen zu drei Gewehren und Überlegungen zur Veröffentlichung der Tat im Internet: Es gibt einen Hinweis auf den Kauf einer tragbaren Mini-Kamera und eine Notiz zu "Xavier" - möglicherweise wollte Franco A. seine Tat filmen und mit Musik des auch in der Reichsbürger-Szene beliebten Musikers Xavier Naidoo unterlegen. Umgesetzt hat diese Idee im März 2019 der Attentäter von Christchurch. Er streamte sein Tötungen von 51 Menschen auf Facebook live, unterlegt mit Musik eines serbischen Nationalisten.

Die Notizen des Zettels, der bei Franco A. gefunden wird, stammen laut RND aber nicht nur aus der Feder von A., sondern teilweise auch von Offizier Maximilian T., der aber bislang jeden Vorwurf einer Beteiligung bestreitet (siehe unten). Das Ermittlungsverfahren gegen ihn als Komplize von Franco A. wurde im November 2018 eingestellt.

Neben detaillierten Angaben zu Kahane stehen noch die Adressen anderer prominenter Fürsprecher einer liberalen Flüchtlingspolitik im Notizbuch des Offiziers. Der damalige Justizminister Heiko Maas (SPD), auch der Name des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck. Außerdem finden sich hier Informationen zu zwei deutsch-syrischen Musikgruppen, die im Juli 2016 im Rahmen des "Würzburger Hafensommers" auftreten. Franco A. hatte sich alle Details zum Konzert notiert - und wann es im Stuttgarter Radiosender "Radio Good Morning Deutschland" übertragen wird.

Allerdings war Franco A. nicht so zuvorkommend, die Notizen als Attentatspläne zu überschreiben. Zur Tat schritt er in beiden Fällen nicht.

Parlamentarische Ermittlungen

Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages hat seinen Ständigen Bevollmächtigen mit der Untersuchung beauftragt, ob es ein rechtes Netzwerk gibt, das bis in die Bundeswehr reicht. Ein Bericht wird im Herbst erwartet. Bisher gibt es eine erste "öffentliche Bewertung", die mehr Kooperation von Nachrichtendiensten zur "Extremismus-Abwehr" anmahnt.

Franco A. provoziert durch Anwesenheit in politischen Gruppen, im Bundestag und im Gericht in Gießen

Franco A. befindet sich aktuell auf freiem Fuß, da ja noch kein Verfahren begonnen wurde. Seit A. Ende November 2017 nach sechs Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, erhält er wieder Sold vom Bund, auch wenn er nicht dort arbeitet - bis es ein rechtskräftiges Urteil gibt.

Franco A. sucht immer wieder die Öffentlichkeit.

Um die Jahreswende 2018 / 2019 suchte Franco A. Kontakt zu politischen Gruppen in Berlin, stellte sich dort als "politisch Suchender" vor und äußerte sich zu seiner Vergangenheit erst auf Nachfrage. Unter anderem nahm er Kontakt zum Berliner Gesprächskreis der "NachDenkSeiten" auf und zu einer Bezirksgruppe der Partei "Die Linke". Die Menschen, die mit ihm Kontakt hatten, beschreiben ihn als "manipulativ" und "einnehmend" (vgl. junge Welt).

Im April 2019 erscheint ein dreiteiliges Porträt über ihn in der "Neuen Züricher Zeitung" - auch wenn er zu dem nicht selbst beitragen darf, nur seine Familie und Freundinnen (siehe unter "Franco A." ausführlich).

Am 08.09.2019 besucht er den "Tag der Ein- und Ausblicke" im Bundestag, besucht die Stände mehrerer Fraktionen und führt Gespräche, bis er erkannt wird und nach einer Befragung durch die Bundestagspolizei das Gelände verlässt. Nach einem Bericht der neurechten "Jungen Freiheit" geschah dies durch seinen ehemaligen Bekannten und den jetzigen AfD-MdB-Mitarbeiter Maximilian T. Dessen Vorgesetzter Jens Nolte feierte ihn und sich daraufhin auf Facebook: "Ein Glück, dass mein Mitarbeiter freien Zugang zum Bundestag hat, ihn erkannt und sofort der Bundestagspolizei gemeldet hat." T. hatte wegen der laufenden Ermittlungen zunächst keinen Hausausweis für den Bundestag bekommen (siehe ausführlicher unter Maximilian T.).

Am 13.09.2019 besucht Franco A. den Strafprozess gegen seinen Mittäter Mathias F. in Gießen. Er sitzt in der letzten Reihe des Zuschauerbereiches, bis der Verteidiger auf ihn aufmerksam macht. Dann verlässt er den Saal (taz). Mathias F. will seit der Verhaftung keinen Kontakt mehr zu A. gehabt haben.

Wer aber sind die Männer, um die es in diesem Fall geht?

Franco A.

Franco A. war zum Zeitpunkt seiner Verhaftung zugleich Bundeswehrsoldat aus dem Jägerbataillon 291 im elsässischen Illkirch und hatte eine zweite Existenz als "syrischer Geflüchteter" namens "David Benjamin", der in einer Asylunterkunft in Kirchdorf bei Erding untergebracht war. Laut Anklage des Generalbundesanwaltes geschah dies, um rechtsextrem motivierte Attentate vorzubereiten und sie nach Durchführung seiner "geflüchteten" Zweitexistenz anzuhängen. Laut seiner Verteidigung diente dies dem Zweck, "als verkleideter Hobbyermittler im deutschen Asylwesen" zu recherchieren.

Die "Neue Züricher Zeitung" schreibt im April 2019 ein überaus ausführliches Porträt über Franco A. - nach Aussagen von Freundinnen und Familie, denn A. darf wegen des laufenden Verfahrens nicht mit dem Journalisten sprechen, sagt seine Verteidigung. Lang, breit und wenig hinterfragt wird Franco A.s Schönrede der geplanten Attentate verbreitet. Die Freundin will nichts gewusst haben, aber A. sei halt neugierig, da finde man Waffen im Gebüsch und baue eine Zweitexistenz als Geflüchteter auf. Die Mutter findet es nicht weiter ungewöhnlich, dass der Sohn einen Prepper-Keller inklusive Waffen im Haus anlegt.

Immerhin gibt es in der dreiteiligen Reportage einige interessante Details.

Seine Freundin wohnt in Berlin und meint, er sei politisch nicht zuzuordnen, obwohl er seit früher Jugend zur Verehrung des Nationalsozialismus neigt und sich einen Militärputsch in Deutschland wünscht, möglichst mit ihm an der Spitze. Er spiele Rollen, meint sie. Das glaubt auch seine Mutter, die ihn für eine Art Günter Wallraff hält. Franco A. hält Migration für Genozid an Völkern. In seine Masterarbeit in der Bundeswehr-Universität 2013 versucht er, die von ihm als real angenommene jüdische Weltverschwörung zu beweisen. Dafür wird er gerügt und muss eine neue Arbeit schreiben. Weitere Konsequenzen gibt es nicht. Mit der nächsten Arbeit zu "Gerechtigkeit und Krieg" wird er Offizier.

www.belltower.news/die-masterarbeit-von-franco-a-ist-eine-rassistische-und-antisemitische-hetzschrift-44176/

Franco A. habe mit der "verdeckten Recherche" als Geflüchteter die skandalösen Zustände im Asylwesen aufdecken wollen, sagt seine Mutter. A. ließ sich als syrischer Flüchtling registrieren, ohne Arabisch zu sprechen. Das Geld, dass er als "Flüchtling" bezog, habe er nicht angerührt. Genommen hat es aber trotzdem. Die Mutter hält ihm weiter zugute, dass es ja hätte untertauchen können, es aber nicht getan hätte.

Ein angeblicher Komplize beschrieb die Motivation seines Freundes in einer Vernehmung folgendermaßen: Franco A. habe Sicherheitslücken im Asylsystem aufdecken wollen. Er habe gedacht, er bekomme einen Orden für seinen Dienst für die Heimat. Zumindest dreht er in seiner Zeit als "Geflüchteter" rund 50 Videos mit seiner Handykamera, berichtet von seinen Erfahrungen im Asylwesen. Er bezweifelt die Bedürftigkeit und die Fluchtgründe der anderen Geflüchteten (mehr dazu in der NZZ). Er wird zwar als Asylbewerber abgelehnt, erhält aber einen subsidiären Schutzstatus - auch, weil eine muslimische Dolmetscherin marokkanischer Herkunft sich nicht traute, Zweifel an der syrische Herkunft des mutmaßlichen Juden "David Benjamin" zu äußern. Während Franco A. sieben Monate in Untersuchungshaft sitzt, schreibt er einen Bericht zum deutschen Asylwesen, warnt vor Islamisten und dem Ethnozentrismus einiger Geflüchteter.

Vollends krude wird die Schilderung, wie A. "zufällig" in Wien eine Pistole in einem Gebüsch "gefunden", sie dann in seiner Manteltasche vergessen, sie erst am Flughafen wieder bemerkt haben will und sie dann dort auf dem Klo versteckte. In Wien dabei war laut NZZ-Schilderung der Offizier und langjährige Freund Maximilian T. (siehe dort), der zwar die ganze Nacht mit A. verbrachte, aber weder die Waffe gesehen noch verstanden haben will, dass A. die Waffe am Flughafen versteckte. Bilder des Verstecks, die A. in eine gemeinsame Chat-Gruppe postete, wollen die "Kameraden" nicht verstanden haben. Wenige Tage später wird A. verhaftet, als er die Waffe holen will. Bei der Polizei gibt er an, er hätte tagelang über die Waffe nachgedacht und sie genau jetzt der österreichischen Polizei übergeben wollen, wäre aber nicht auf die Idee gekommen, die Behörden einfach zu benachrichtigen.

Bei der Verhaftung hat er auf einem USB-Stick zwei Bücher bei sich, eine Anleitung zur Herstellung von Sprengstoffen mit dem Namen "Mujahideen Explosives Handbook" und "Der totale Widerstand, Kleinkriegsanleitung für Jedermann" des Schweizer Majors Hans von Dach. Außerdem sind auf dem Stick Sprachmemos. In einem spricht Franco A., so berichtet die NZZ, abschätzig von "gemischten Ehen" und bezeichnet sich selbst als Produkt eines, wie er schreibt, perversen Rassenhasses. Denn auch sein Vater sei ein Gastarbeiter. In anderen geht es um die antisemitische Idee einer jüdischen Weltherrschaft und um eine starke Ablehnung der Vermischung von Ethnien. Er spricht von einem dritten Weltkrieg und von Bestrebungen, in Deutschland einen Bürgerkrieg auszulösen. In der Tasche hat er noch ein vierseitiges Papier, das er vermutlich noch während seiner Schulzeit verfasst hat, unter anderem über das Gefühl, allein zu sein.

Was man so dabei hat, wenn man gerade eine "gefundene" Waffe an die Polizei übergeben möchte.

Nach der Verhaftung sei Franco A. kooperativ gewesen, wurde schnell in einen Bereich ohne permanente Überwachung verlegt. Eine Psychologin attestierte ihm laut NZZ paranoide Züge, aber keine Selbstmordabsichten. Am 15. August 2017 verfasst ein Psychiater aus Essen über Franco A. eine kalt geschriebene, also nur auf Material gestützte Analyse, da sich Franco A. für eine persönliche Untersuchung nicht zur Verfügung gestellt hat. Er sieht bei Franco A. ein Grundgefühl der Unzufriedenheit sowie eine leichte Kränkbarkeit, gleichzeitig auch einen Hang zu Größenideen, in denen er sich als Ritter im Kampf gegen das Böse sehe. Er sieht aber keine Hinweise für eine Persönlichkeitsstörung oder etwas, das seine Schuldfähigkeit beeinträchtigen würde.

Maximilian T.

Im Zuge der Ermittlungen um die mutmaßlichen Anschlagspläne wurden zwei weitere Personen festgenommen, darunter der Soldat Maximilian T. Er hat wie A. in der gleichen Kaserne in Frankreich nahe der deutschen Grenze gedient. Ein Liste mit Namen von Bundespolitikerinnen und die Angabe, dass er A. am Arbeitsplatz gedeckt habe, wenn der als "Geflüchteter" unterwegs war, reichten nicht aus, um die Anklagepunkte zu erhärten. Maximilian T. wurde schnell wieder freigelassen. Inzwischen wurden alle Ermittlungen gegen ihn eingestellt. Er arbeitet seit Anfang 2018 für Jens Nolte, einen Verteidigungspolitiker der AfD im Bundestag. Hier erhielt er wegen der laufenden Ermittlungen keine Sicherheitsfreigabe für einen Hausausweis. Dies änderte sich im November 2018, als die Ermittlungen fallen gelassen wurden. Inzwischen, das bestätigte Jens Nolte gegenüber dem Hessischen Rundfunk, habe Maximilian T. Zugang zu vertraulichen Unterlagen aus dem Verteidigungsausschuss. Hier werden unter anderen die rechten Strukturen in der Bundeswehr untersucht. Jens Nolte räumt im Interview außerdem ein, Maximilian T. habe zwar ein Foto der Toilette des Wiener Flughafens erhalten, in der A. die "gefundene" Waffe versteckt hatte, aber zuvor nichts von der Waffe gewusst. Zur Liste potenzieller Anschlagsziele sagte Nolte: "Das waren einfach Aufzeichnungen über die politmedialen Zusammenhänge in der Flüchtlingskrise, und man hat sich eben nur dieses eine Blatt herausgenommen. Er hat aber viele Aufzeichnungen zu politischen Geschehnissen gemacht."

Mathias F.

Ein Mittäter ist der Student Mathias F. Bei einer Hausdurchsuchung fanden Ermittlerinnen etwa 1.000 Schuss unterschiedlicher Munition, die A. der Bundeswehr gestohlen und anschließend bei seinem Kameraden F. versteckt haben soll. F. kennt Franco A. aus Jugendzeiten in Offenbach, sie ruderten zusammen im Verein. Sie bleiben in Kontakt, als A. Hessen verlässt und nach Illkirch in Frankreich zieht, schreiben sich regelmäßig rassistische und NS-verherrlichende Nachrichten. Im Prozess gibt F. an, dies sei nur "Provokation" gewesen. Franco A. zeigt Mathias F. zu verschiedenen Gelegenheiten Waffen, die er besitzt, erzählt ihm sogar frühzeitig von der Scheinidentität als syrischer Geflüchteter. Als Franco A. 2017 das erste Mal verhaftet wird, gibt er F. zwei Bücher zur Aufbewahrung. Eines davon ist Hitlers "Mein Kampf" (vgl. taz). Im April 2017 übergibt Franco A. seinem Kumpel zwei Holzkisten, darin die Munition, Sprengkörper und Waffenteile, unter anderem 167 Patronen für das Gewehr 36 - die fallen unter das Kriegswaffenkontrollgesetz. Die Kisten standen zuvor in A.s "Prepper"-Keller im Wohnhaus seiner Mutter. Mathias F. stellt die Holzkisten in sein Zimmer im Studentenwohnheim. Er habe sich nicht erkundigt, worum es sich handle, berichtet die NZZ.

WhatsApp-Gruppe

Maximilian T. und Franco A. sollen sich darüber hinaus mit mindestens drei weiteren Männern aus Offenbach, Bayreuth und Wien in einer gemeinsamen WhatsApp-Gruppe ausgetauscht haben. In die Gruppe postet Franco A. auch ein Foto von dem Versteck einer Waffe, die er in Wien "gefunden" haben will und die er dann am Flughafen Wien in einem Behindertenklo deponierte. Als A. die Waffe wenige Tage später holen will, wird er verhaftet. Gegen den österreichischen Reservisten aus Wien wird aktuell ermittelt. Laut Maximilian T.s Arbeitgeber, AfD-MdB Jens Nolte, sei T. "wie viele andere Kameraden auch hinzugefügt (worden) von einem anderen ohne das eigene Zutun". T. sei, wie fast alle anderen, wieder ausgetreten (vgl. Hessenschau).

Das Prepper-Netzwerk um "Hannibal" - dazu gehört: "Nordkreuz"

Schließlich wird Franco A. Teil eines bundesweiten Prepper-Netzwerkes, in dem sich unter anderem Soldaten, Polizisten und Behördenmitarbeiter auf einen Tag X vorbereiten, ein Katastrophenszenario. Er nimmt an Treffen der süddeutschen Gruppe des Netzwerks teil, des Netzwerks, lernt den Gründer kennen, ein Elitesoldat, der sich "Hannibal" nennt.

Auch Maximilian T. soll nach Recherchen der Welt kurzzeitig Mitglied des Netzwerks gewesen sein, in der Ost-Gruppe.

Im norddeutschen Teil der Gruppe kursieren derweil Feindeslisten und Tötungsszenarien. Am 21. Juni 2019 heben Beamte des Landeskriminalamtes Mecklenburg-Vorpommern in Banzkow ein Munitionsdepot beim Polizisten und ehemaligen Bundeswehr-Präzisionsschützen Marko G. aus: 1.400 Schuss illegale schwere Munition, eine Maschinenpistole vom Typ Uzi, einen Schalldämpfer, dazu mehr als 30.000 Schuss Munition. Marko G. und drei weitere mutmaßliche Komplizen sitzen seit der Razzia in Untersuchungshaft. Die Herkunft der Patronen und Pistole wird noch geprüft. Allerdings soll die Gruppe um G. spätestens seit 2012 illegal Munition aus Beständen des LKA und der Bundeswehr abgezweigt und vergraben haben. Zwei Jahre vor dem Waffenfund steht Marko G. in Chat-Kontakt mit Franco A. - in der "Nordkreuz"-Gruppe. Hier soll sich eine Untergruppe gebildet haben, um rechtsterroristische Anschläge vorzubereiten: "Vier gewinnt". Kopf ist Marko G., zwei weitere Mitglieder: Ein Anwalt und ein Kriminalpolizist, die "Feindeslisten" führen und gegen die seit zwei Jahre ermittelt wird. Beide bestreiten die Vorwürfe, ebenso Marko G.. Er habe nur Vorräte angelegt. Es sei ein Spiel, eine Art Hobby. Zum "Hobby" gehört die Recherche für den Kauf von 200 Leichensäcken und Ätzkalk, mit dem Leichen unkenntlich gemacht werden können. (vgl. RND).

Polizeiliche Ermittler suchen eine Struktur hinter dem rechten Netzwerk. Viele Mitglieder der "Kreuze" sind ehemalige Fallschirmjäger. Die meisten wurden im oberbayerischen Altenstadt in Fallschirmsprung ausgebildet. Altenstadt ist seit der Zeit der Wehrmacht der zentrale deutsche Ausbildungspunkt - und gilt als zentraler Ort der rechten Szene. Mitte der Neunzigerjahre feiern Fallschirmjägersoldaten "Führers Geburtstag" mit Reichskriegsflagge, Hitler-Bildern und dem Absingen des nationalsozialistischen Horst Wessel-Liedes. Auf dem Dachboden der Kaserne findet man ein Waffenlager. Ehemalige erinnern sich an Sonnwendfeiern. Der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) lässt 1997 Kommandeur Fritz Zwicknagl absetzen. Der arbeitet heute für die AfD im Fachausschuss Verteidigung. Mehrere Jahre Ausbilder in Altenstadt war der AfD-Brandenburg-Vorsitzende Andreas Kalbitz.

Franco A. wird im April 2017 während einer Einzelkämpferausbildung im bayerischen Hammelburg festgenommen - dem Ausbildungszentrum der Bundeswehr, zu dem auch Altenstadt gehört.

Mehr Details in der Recherche des Redaktionsnetzwerkes Deutschland.

Bildunterschrift: In Altenstadt lernen viele Bundeswehrsoldaten Fallschirmspringen. Rechtsextreme Vorfälle gab es mehrfach (Archivbild aus Altenstadt, 2008).

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Nordwest-Zeitung Online, 18.09.2019:

2.500 Niedersachsen stehen auf "Feindeslisten"

Feindeslisten, Anfeindungen und Hass-Kommentare: Die Bedrohung von Rechts gegenüber Mandatsträgern steigt. Die Landesregierung will das nicht länger hinnehmen. Innenminister Boris Pistorius stellte erschreckende Zahlen vor.

Oldenburg. "Wir wollen mit aller Härte des Gesetzes gegen rechte Hetze und Gewalt vorgehen." Mit markigen Worten eröffnete Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) am Dienstag in Oldenburg die erste von sechs Regionalkonferenzen im Land.

Dabei handelt es sich um eine neue Informationskampagne der Landesregierung, die die Sicherheit von Menschen in den Fokus nimmt, "die Mandate übernehmen, in Ehrenämtern in der Kommunalpolitik unterwegs sind oder sich für Flüchtlinge engagieren", erläuterte der SPD-Politiker. Schließlich würden diese "unsere Demokratie am Leben erhalten".

Bis zu 3.000 Menschen wolle man in diesem Herbst erreichen, bis zu 500 davon im Nordwesten, erklärte der Oldenburger Polizeipräsident Johann Kühme. In einem vertraulichen Rahmen wolle man ihnen zuhören aber auch Verhaltenshinweise geben und Ansprechpartner bei der Polizei vorstellen.

Zu den rund 70 Gästen der ersten Regionalkonferenz - weitere sind unter anderem in Hannover, Göttingen oder auch Lüneburg geplant - gehörten EU-, Bundes- oder auch Landtagspolitiker, Landräte und Vertreter aus der Justiz. Auch Oldenburgs Oberbürgermeister Jürgen Krogmann kam in den Alten Landtag. Persönlich habe dieser zwar bisher "keine Erfahrungen mit Gewaltandrohungen gemacht" und werde in der Stadt meist "freundlich gegrüßt", allerdings seien die Kolleginnen im Außendienst oder beim Rettungsdienst zunehmend Angriffen ausgesetzt.

Manchmal enden diese auch tödlich. Als Beispiel dafür nennt Krogmann den Mord an Rüdiger Butte: Der Landrat des Kreises Hameln-Pyrmont wurde 2013 in seinem Büro von einem verärgerten Bürger erschossen. Zuletzt rückte der Mord an den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke Bedrohungsszenarien durch Rechtsextreme in den Fokus der Öffentlichkeit und sorgte für Verunsicherung bei Personen, die in öffentlichen Ämtern tätig sind oder sich öffentlich engagieren. "Es wird Zeit, dass wir etwas dagegen unternehmen", sagte Boris Pistorius. An dem Konzept habe man laut Pistorius schon vor dem Fall Lübcke gearbeitet. Nach eigener Aussage hat der Innenminister bereits Todesdrohungen erhalten.

Im Fokus der Sicherheitsbehörden stehen auch so genannte "Feindeslisten". Mehr als 20.000 Namen finden sich bundesweit am Online-Pranger Rechtsextremer, darunter gut 2.500 Menschen aus Niedersachsen. Die Betroffenen sollen informiert werden und eine objektive Einschätzung der Behörden erhalten, wie konkret die Bedrohung im Einzelfall tatsächlich ist.

Für Rettungskräfte gibt es nach Aussage des Innenministers übrigens eigene Aktionen und Veranstaltungsformate. Zudem seien erst vor kurzem die Strafen für Straftaten gegen die Helfer verschärft worden.

Pistorius nimmt auch die Gesellschaft in die Pflicht: "Es wird höchste Zeit, dass wir uns nicht immer nur empören", sondern man sich auch schützend vor die Menschen stellt. In diesem Zusammenhang verteidigte er Herbert Grönemeyer. Der Musiker hatte vor kurzem mit einer Rede den Zorn der AfD auf sich gezogen: "Ich wünschte mir es gäbe mehr von der Sorte Herbert Grönemeyer, die so deutlich Position beziehen, wie er das getan hat. Davor ziehe ich den Hut."

Bildunterschrift: Polizeipräsident Johann Kühme (links) und Innenminister Boris Pistorius im Alten Landtag.

Bildunterschrift: 70 Gäste kamen zur Regionalkonferenz in den Alten Landtag.

Bildunterschrift: Oldenburgs Oberbürgermeister Jürgen Krogmann (Mitte) lauschte den Vorträgen.

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Blick nach Rechts, 18.09.2019:

"Noie Werte" vor dem Comeback?

Von Ariane Becker

Nach rund einer Dekade soll die Rechtsrock-Band "Noie Werte" aus Süddeutschland am kommenden Sonntag wieder bei einem Konzert aufspielen.

Die Ende 2010 aufgelöste Rechtsrock-Band "Noie Werte" (NW) um den Sänger Steffen H. gibt am 22. September wieder ein Konzert. Im Rahmen der Reihe "This is White Noise" sollen "Noie Werte" zusammen mit drei weiteren Bands an einem geheim gehaltenen Ort auftreten. Die Band NW wurde 1987 im Raum Stuttgart gegründet. Im darauffolgenden Jahr stieg der heutige Stuttgarter Rechtsanwalt Steffen H. als Sänger bei der braunen Combo ein und führte diese bis zur Selbstauflösung Ende 2010 an. Die Band zeichnete sich durch eine gewisse Nähe zum im Jahr 2000 verbotenen neonazistischen Neonazi-Netzwerk "Blood and Honour" aus.

"Gesta Bellica" und "Neubeginn" dabei

In den vergangenen Jahren fand die Konzert-Reihe mit dem bezeichnenden Namen "This is White Noise" regelmäßig in einem Gasthof im südlich von Torgau gelegenen Örtchen Staupitz statt. In der aktuellen, klandestin gehaltenen Vorankündigung wird der Veranstaltungsort allerdings nicht genannt. Karten, so der Ankündigungs-Flyer für die geschlossene Veranstaltung, gibt es "bei den üblichen Verdächtigen".

Weiter angekündigt sind für das Konzert am Sonntag sind die Gruppen "Warlord" (Großbritannien), die sächsische Band "Neubeginn" und aus der norditalienischen Region Venetien "Gesta Bellica". Das nordsächsische Staupitz ist seit vielen Jahren eine überregionale Hochburg zahlreicher rechtsextremer Konzerte mit verschiedenen Stilrichtungen.

Bei der "Compact"-Konferenz als Referent

Neben Steffen H. hatte der NSU-Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtages auch die beiden ehemaligen NW-Gitarristen Oliver Hilburger (49) und Andreas Graupner (45) als Zeugen geladen. Grund hierfür war unter anderem die Verwendung der beiden Musiktitel "Kraft für Deutschland" und "Am Puls der Zeit" von "Noie Werte" bei einer frühen Version des NSU-Bekennervideos.

Der von 1991 bis 2008 bei "Noie Werte" aktive Musiker Hilburger macht seit Ende der Nullerjahre mit seiner rechten Pseudo-Gewerkschaft "Zentrum Automobil" von sich Reden. Er kooperiert dabei mit der AfD und dem rechtspopulistischen "Compact"-Magazin. So ist er am 16. November für eine "Compact"-Konferenz unter der Überschrift "Öko-Diktatur" in Magdeburg als Referent angekündigt. Es gilt abzuwarten, in welcher Besetzung "Noie Werte" jetzt bei dem Konzert am Sonntag auftreten werden.

Bildunterschrift: Die 2010 aufgelöste Combo "Noie Werte" ist am Sonntag für ein Konzert angekündigt (Symbol).

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Der Tagesspiegel Online, 18.09.2017:

WDR-Journalist Georg Restle / Streit mit der AfD "ist vergeudete Zeit"

18.09.2019 - 16.10 Uhr

WDR-Journalist Georg Restle bekennt sich in einem "Zeit"-Beitrag zu seinem Engagement gegen Rechts. Zugleich rückt er jedoch davon ab.

Von Joachim Huber

Es liest sich wie eine Erneuerung des Engagements und zugleich wie eine Abkehr von diesem. Der WDR-Journalist Georg Restle hat trotz einer Morddrohung aus dem rechten Milieu gegen ihn seine Kritik an der AfD bekräftigt und dazu aufgerufen, der Partei "keine große Bühne" zu bieten. Wer das tue, unterstütze "keinen demokratischen Diskurs, sondern beteiligt sich an den Angriffen auf unsere Grundwerte, die gewaltbereite Extremisten am Ende zur Tat schreiten lassen", schreibt Restle in einem Beitrag für die am Donnerstag erscheinende "Zeit".

AfD setzt auf "Selbstverharmlosung"

Im Juli hatte Restle in einem "Tagesthemen"-Kommentar die AfD als "parlamentarischen Arm" der rechtsextremistischen Szene bezeichnet und gefordert, ihr "keinen Raum, keine Bühne und erst recht keine Stimme" zu geben. Daraufhin erreichte ihn eine Morddrohung.

In einem Tagesspiegel-Interview hatte er dazu gesagt, "das darf uns doch nicht davon abhalten, das Offensichtliche klar zu benennen und das Verborgene schonungslos aufzudecken. Wie, bitte schön, soll man denn über Rechtsextremisten berichten? Mit Verständnis für ihre Positionen?" Nun legt er in der "Zeit" nach und warnt vor der Strategie der AfD, die durch "Selbstverharmlosung" auf "Geländegewinne im publizistischen Milieu" abziele.

Die Partei sei voll "mit gut gerüsteten Kriegern im demokratischen Tarngewand, die diese offene und verletzbare Gesellschaft als Schlachtfeld für ihre völkisch-nationalistischen Exzesse missbrauchen wollen", schreibt Restle. Der Streit mit der AfD lohne deshalb nicht, "er ist vergeudete Zeit".

Bildunterschrift: Georg Restle ist Redaktionsleiter und Moderator des WDR-Magazins "Monitor".

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Blick nach Rechts, 18.09.2019:

AfD wähnt sich verfolgt

Von Rainer Roeser

Björn Höckes Thüringer AfD-Landesverband legte sein Wahlprogramm vor - und keilt gegen Regierung, Medien, Verfassungsschutz, Wissenschaftler und Zivilgesellschaft aus.

Es gibt Menschen, die sehen dem 27. Oktober mit Schrecken entgegen. Politiker von CDU und SPD gehören dazu - aber auch manche in der AfD. Am letzten Sonntag im Oktober wählt Thüringen einen neuen Landtag. Die aktuellste Umfrage sieht die Union nur noch bei 22, die Sozialdemokraten bei lediglich sieben Prozent. Die CDU hätte damit seit der vorigen Wahl 2014 rund elf Prozent verloren, die SPD etwas mehr als fünf Prozent. Währenddessen wird die AfD momentan mit einem Viertel der Stimmen als zweitstärkste Kraft hinter der Linken notiert. Vor fünf Jahren war sie erst auf 10,6 Prozent gekommen.

"Vom Osten lernen"

Eigentlich könnte man sich bei der AfD über ein solches Ergebnis freuen. Doch die, die sich "gemäßigt" nennen, hätten damit ihre Schwierigkeiten. Denn sie ahnen, dass mit jedem Prozentpunkt, den Thüringens Landes- und Fraktionschef Björn Höcke zusätzlich holt, der Druck auf die "Moderateren" zunehmen wird. Lauter als ohnehin schon werden die Rechtsausleger in den westdeutschen Landesverbänden den Slogan "Vom Osten lernen, heißt siegen lernen!" anstimmen.

Und umgekehrt schrumpfen die Hoffnungen, man könne sich als "bürgerliche" Kraft darstellen und so eher früher als später in eine Koalition schlüpfen. Die Chance schwindet, wenn die AfD in Thüringen mit einem Spitzenkandidaten punktet, von dem nicht einmal enge Parteifreunde sagen können, ob Zitate aus seinem Buch "Nie zweimal in denselben Fluss" nun tatsächlich von ihm oder nicht doch eher aus "Mein Kampf" stammen.

Hitler- oder Höcke-Zitate?

Genau diese Frage stellte ein Journalist des ZDF mehreren AfD-Politikern. Jens Maier, der Ansprechpartner des "Flügels" in Sachsen, mochte sich nicht festlegen: "Wenn, eher aus "Mein Kampf", würde ich sagen, aber nicht von Herrn Höcke." Parteivize Kay Gottschalk, bekannt für seine herzliche Abneigung zum "Flügel", bedauerte, er müsse passen: "Ich habe weder das eine noch das andere Buch gelesen." Und bei der Nachfrage, ob es nicht schon viel aussagt, wenn er die Frage nicht beantworten könne, weil sich womöglich Höcke- und Hitler-Zitate sprachlich so ähnlich seien, druckste Gottschalk herum: "Ich weiß jetzt wirklich nicht, aus welchem Buch Sie es haben." Sein Bundestagskollege Karsten Hilse vermied eine Festlegung - seine Begründung: Er habe nicht alle Höcke-Reden gesehen und auch "Mein Kampf" nicht gelesen. Hilse: "Deswegen weiß ich‘s nicht."

Auch weitere Abgeordnete mochten sich nicht entscheiden. Und es blieb bei den Zuschauern des ZDF-Magazins "Berlin direkt" der für eine Partei, die sich als "bürgerlich" geriert, verheerende Eindruck, dass nicht einmal ihre Funktionäre Unterschiede zwischen Höcke- und Hitler-Zitaten bemerken können - zumindest nicht spontan.

"Politische Umerziehung" durch Landesregierungsprogramme

Derweil fühlen sich Höckes Anhänger einmal mehr wohl in der Opferrolle. Diesmal verfolgt von den öffentlich-rechtlichen Medien. Von solchen Verfolgern gibt es in Thüringen offenbar besonders viele, glaubt man dem Programm zur Landtagswahl, das die AfD jüngst veröffentlichte. Selbstredend gehören die "Öffentlich-Rechtlichen" dazu, deren Finanzierung durch "Zwangsbeiträge" abzuschaffen sei. Die derzeitigen Sendeanstalten könne man zusammenlegen und verkleinern, fordert die AfD. Auf "ausgewogene Information und Berichterstattung, kulturelle und wissenschaftliche Bildung sowie auf regionale und heimatbezogene Beiträge" hätten sich die Sender zu konzentrieren.

Verfolgt fühlt sich die Thüringen-AfD aber auch durch die Landesregierung. Sie habe Programme gestartet, die "auf eine politische Umerziehung und Indoktrinierung der Bürger unseres Landes abzielen", klagt sie und sieht bereits eine "DDR 2.0" heraufziehen.

Verfassungsschutzchef soll es ans Leder gehen

Besonders angetan hat es der Thüringer AfD das "Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit". Es diene, klagt Höckes Partei, "vorrangig dem Kampf gegen die bürgerliche Mitte der Gesellschaft". Sein Budget werde "überwiegend dazu genutzt, um antibürgerliche Gesinnungen salonfähig zu machen und Institutionen, die nicht selten im linksextremen Spektrum verortet sind, mit Steuermitteln zu versorgen". Man werde solche Programme "unverzüglich beenden und die in den Haushalt eingestellten Mittel einem neuen Landesprogramm mit dem Titel "Meine Heimat - mein Thüringen" zukommen lassen".

"Reorganisiert" gehört nach Ansicht der AfD Thüringens Verfassungsschutz, der "mehr und mehr zur Bekämpfung der AfD eingesetzt" werde. Insbesondere Amtschef Stephan Kramer soll es ans Leder gehen, der "nicht nur Unterstellungen und Bewertungen linksextremer Autoren", sondern "auch wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen" verbreite. "Politisch missliebigen Positionen" werde ""Rassismus"" angedichtet. "Ungeachtet aller Unterschiede" erinnere das Vorgehen von Innenminister und Verfassungsschutzchef "viele Menschen in Thüringen an die Praxis des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in der DDR".

"Bewegungspartei auf der Straße"

Als "linksextrem" deklariert die AfD in ihrem Wahlprogramm die Amadeu Antonio Stiftung und das Jenaer Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft, das "de facto die Rolle eines "Nebengeheimdienstes" der derzeitigen Regierungskoalition" spiele und dessen Förderung beendet werden müsse. Probleme hat die AfD schließlich mit Kultur und Kunst im Freistaat. Sie würden "immer mehr zu regierungstreuen Veranstaltungen, die am Ende unter der Flagge der Kunstfreiheit sogar hemmungslos politische Propaganda betreiben".

Demgegenüber geriert sich Thüringens AfD selbst "allen anderslautenden Behauptungen zum Trotz" als "demokratische, bürgerliche Kraft", auf dem Boden des Grundgesetzes und der Landesverfassung stehend, wie die beiden Landeschefs Höcke und Stefan Möller im Vorwort des Wahlprogramms betonen. Die AfD in Thüringen habe sich dabei "ein einzigartiges Profil" erarbeitet. Einerseits sei sie "nach wie vor eine Bewegungspartei, die auf der Straße zu finden ist, wo schon immer die großen politischen Korrekturbewegungen angestoßen wurden". Andererseits beziehe die AfD "auch bei der parlamentarischen Arbeit in allen großen gesellschaftlichen Fragen deutlich wahrnehmbare Alternativpositionen gegenüber dem Konsens der Altparteien" - und das "ohne Unterwerfung unter die Regeln der politischen Korrektheit".

Gegen Klimaschutz

Zu diesen "Alternativpositionen" zählt erwartungsgemäß die Ablehnung einer "klimapolitischen Panikmache". Faktisch laufe die derzeitige Klimaschutzpolitik lediglich auf eine "Deindustrialisierung westlicher Industrienationen" hinaus, meint die AfD. Die "völlig wirkungslosen "Klimaschutzmaßnahmen"" seien "ideologisch motivierte Kostenbelastungen". Folgerichtig lehnt die AfD die "so genannte Energiewende" ab, ebenso "den weiteren Ausbau der Windenergie in Thüringen", die "zwangsweise Verpflichtung von Eigentümern und Energieverbrauchern zur Erhöhung der Energieeffizienz von Gebäuden und Verbrauchseinrichtungen" und die "quasi planwirtschaftlich erzwungene umfassende Durchsetzung der Elektromobilität".

Durch das gesamte Wahlprogramm - egal ob es sich um Sicherheit, Gesundheit, Demografie, Soziales, Schule oder Wohnen geht - zieht sich die Ablehnung alles Multikulturellen. "Den Irrweg einer multikulturellen Gesellschaft, den die Altparteien künftigen Generationen aufzwingen wollen, werden wir mit aller Konsequenz und ohne Rücksicht auf die Regeln der so genannten politischen Korrektheit rechtsstaatlich beenden", heißt es im Programm. Die AfD wolle "unser Thüringen als liebenswerte Heimat erhalten, statt unter Anleitung hypermoralischer Besserwisser multireligiöse und multiethnische Schmelztiegel wie in Westdeutschland zu schaffen".

Bundeswehr an die Grenze

Die Einwanderungspolitik der Altparteien habe in den letzten vier Jahren Dimensionen angenommen, "die selbst im Rückblick auf viele hundert Jahre unserer Geschichte beispiellos verheerend erscheinen", schreiben die Autoren, um fortzufahren: "Die Auswirkungen sind für Thüringen besonders gravierend, weil die in Teilen linksextreme Landesregierung hier günstige Rahmenbedingungen vorfindet, um über eine Veränderung des Staatsvolks ihrer ideologischen Wahnvorstellung einer multikulturellen Gesellschaft näher zu kommen." Aber auch ein Großteil der Thüringer wolle "nicht derart viele Menschen aus kulturfremden Regionen dauerhaft integrieren". "Unmittelbar nach Übernahme der Regierungsverantwortung" werde die AfD "eine massive Abschiebungsinitiative starten", heißt es im Programm. "Zwingend" sei zudem "eine vollständige Sicherung der deutschen Außengrenzen auch durch Einsatz der Bundeswehr".

Andere AfD-Standardthemen dürfen nicht fehlen: gegen den Islam, der nicht zu Thüringen und Deutschland gehöre, für die "klassische Familie", gegen eine "Früh- und Hypersexualisierung", für die Abschaffung der Gender-Forschung an Thüringer Hochschulen, gegen die "behördliche Gängelung" von Waffensammlern et cetera.

Wählen die Thüringer so, wie es die Umfragen heute nahelegen, würde die Partei mehr als 20 Abgeordnete ins Erfurter Parlament schicken können.

Bildunterschrift: Björn Höckes Anhänger in Thüringen fühlen sich einmal mehr wohl in der Opferrolle.

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