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Mindener Tageblatt , 17.09.2019 :

Die fast vergessene Rettung

Michael Göring setzt couragierten Engländern ein Denkmal

Von Rolf Graff

Minden (rgr). Frido Rosenbaum kommt ins Gespräch mit dem 19-jährigen syrischen Flüchtling Djad und muss feststellen, dass beide wenig voneinander wissen. Der Syrer wohnt in dem Hotel Dellbrück in Lippstadt, das Fridos Großvater Antonius Dellbrück gehörte und nun als Flüchtlingsunterkunft dient.

Frido hat den größten Teil seines Lebens in Australien gelebt, nachdem er sich während seiner Hippie-Zeit in Indien in eine Australierin verliebte und heiratete. Er entdeckt einen alten Schrank, der einst in dem Zimmer stand, in dem sein Vater geboren wurde und das ihm sein Großvater vor fünfzig Jahren zeigte. Auch eines der Bilder kennt er, nimmt es von der Wand und entdeckt etwas hinter der Rückwand.

Fridos Vater Sigmund war der Sohn einer im Hotel als Kaltmamsell angestellten Jüdin und wurde nach dem frühen Tod seiner Mutter von der Familie Dellbrück wie ein eigener Sohn aufgenommen. 1938 stand Sigi mit 15 Jahren allein mit einem Koffer auf dem Bahnhof.

Nach dem Schock der Pogromnacht bemühte sich eine Gruppe von Engländern bei Premierminister Chamberlain darum, 5.000 jüdischen Kindern die Ausreise nach England zu ermöglichen, um sie in Familien unterzubringen. Chamberlain unterstützte dies und Nazi-Deutschland ließ es zu, dass es am Ende 10.000 Kinder wurden. Sigmund war dabei und das rettete ihm das Leben.

Nach dem Krieg kehrt er zurück nach Lippstadt. Er heiratet Rile Dellbrück, die Tochter seines Ziehvaters, mit der er im Krieges in Kontakt blieb und hatte mit ihr den Sohn Friedemann (Frido). Sigmund wurde Lehrer an seiner alten Schule und traf dort auf den Lehrer, der ihn damals drangsalierte und dies nun wieder tat.

Der Autor Michael Göring, in Lippstadt aufgewachsen, hat in seinem Roman "Hotel Dellbrück" die in Deutschland unbekannte Kinderrettung-Geschichte nacherzählt, um an ein Stück Zivilcourage zu erinnern. Er schlägt dazu den Bogen über die Sinnsuche der 68er-Generation bis zur aktuellen Flüchtlings-Krise.

Er las im Alten Amtsgericht Petershagen auf Einladung der Arbeitsgemeinschaft Alte Synagoge und der Fraenger-Gesellschaft aus der lebendig und packend erzählten Geschichte. Am Vortag hatte es eine Lesung im Begegnungszentrum "Mer Ketne" in Minden gegeben. Nach der Lesung sprach er über seine Motivation, über die NS-Zeit zu schreiben. Da er immer wieder auf seinen Nachnamen angesprochen wurde, setzte er sich früh mit dem Nationalsozialismus auseinander und forschte nach Verwandtschaft mit Hermann Göring, die aber nicht besteht.

Während er sich in seinen Büchern an geschichtliche Fakten hält, sind die Personen frei erfunden. Kein jüdisches Kind aus Lippstadt war unter den von den Engländer geretteten Kindern. Interessiert vernahm er von Wolfgang Battermann, dass mit dem damals 7-jährigen Hans Werberg und dem 17-jährigen Herbert Lindemeyer auch Kinder aus Minden nach England ausreisen konnten.

Bildunterschrift: Schnell fesselte Autor Michael Göring die Zuhörer.


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Mindener Tageblatt, 14./15.09.2019:

Lesung aus "Hotel Dellbrück"

Petershagen (Wes). Die Veranstaltungsreihe der Arbeitsgemeinschaft Alte Synagoge Petershagen wird am Sonntag, 15. September, im Alten Amtsgericht fortgesetzt. Auf dem Programm steht die Romanlesung "Hotel Dellbrück". Beginn ist um 15 Uhr und nicht wie auf Plakaten angekündigt um 16 Uhr. Zu Gast ist Autor Prof. Dr. Michael Göring aus Hamburg. In seinem Roman geht es um Sigmund Rosenbaum, der 1938 als jüdischer Waisenjunge mit einem Kindertransport aus Deutschland nach England geflohen ist. Seinem Vortrag schließt sich eine Aussprache mit den Besuchern an. Der Eintritt ist frei. Spenden sind willkommen.

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