12 Artikel ,
17.09.2019 :
Pressespiegel überregional
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Übersicht:
Blick nach Rechts, 17.09.2019:
Rechte Hetzer auf der Regierungsbank
MiGAZIN, 17.09.2019:
Landeskriminalamt / Brand in muslimischem Gebetsraum wurde vorsätzlich gelegt
Belltower.News, 17.09.2019:
Mord an Walter Lübcke / Die Rolle des Mittäters Markus H. - Wie die Mär des Einzeltäters zusammenbricht
die tageszeitung Online, 17.09.2019:
Anklage im Mordfall Lübcke / Heikle Erkenntnisse
Freie Presse Online, 17.09.2019:
Bündnis gedenkt Neonazi-Opfer
Leipziger Volkszeitung Online, 17.09.2019:
Als "Scheiß Araber" beschimpft / Rollstuhlfahrer aus Libyen in Chemnitz angegriffen
Störungsmelder, 17.09.2019:
Holocaust-Leugner inszeniert sich vor Gericht
Blick nach Rechts, 17.09.2019:
Bewährungsstrafe für antisemitischen Hetzer
Blick nach Rechts, 17.09.2019:
"Herbstfest" mit dem "III. Weg"
Stuttgarter Zeitung Online, 17.09.2019:
Landtags-AfD / AfD-Fraktion nimmt Senger nicht auf
Belltower.News, 17.09.2019:
Pressefreiheit / Höcke will im ZDF-Interview "ergebnisoffen und tabufrei" über den NS diskutieren
MiGAZIN, 17.09.2019:
"Dunkles Kapitel" / Höcke bricht ZDF-Interview ab und droht mit "massiven Konsequenzen"
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Blick nach Rechts, 17.09.2019:
Rechte Hetzer auf der Regierungsbank
Von Anton Maegerle
Die extrem rechte "Estnische Konservative Volkspartei" gehört seit April der estnischen Regierungskoalition an. Zu ihrem Repertoire gehört das Schüren von Ängsten vor ukrainischen Arbeitsmigranten und Flüchtlingen.
Am vergangenen Samstag haben hunderte Menschen auf einer Demonstration in der estnischen Hauptstadt Tallinn gegen die mitregierende extrem rechte "Estnische Konservative Volkspartei" ("Ekre"-Partei) demonstriert. Die Demonstrierenden hielten auf der Kundgebung mehrsprachige Schilder mit Aufschriften wie "Kein Rassismus, keine Islamophobie, kein Hass, keine Gewalt" hoch.
Die EU-, NATO- und migrationsfeindliche "Ekre"-Partei, "der Senkrechtstarter unter den rechten Parteien im Osten Europas" ("Junge Freiheit"), gehört seit April der Regierungskoalition der linksliberalen Zentrumspartei und der konservativen Isamaa-Partei (Vaterlandspartei) an. Bei der Parlamentswahl am 3. März wurde "Ekre" mit 17,8 Prozent drittstärkste Partei und erzielte 19 Parlamentssitze (2015: sieben Abgeordnete). Mit ihrer Hetze gegen Homosexuelle, dem Schüren von Angst vor Flüchtlingen, Attacken auf die Pressefreiheit und dem Hochhalten traditioneller Werte hatte die "Ekre"-Partei bei der Wahl insbesondere bei der ländlichen Bevölkerung gepunktet.
EU indirekt mit der Sowjetunion verglichen
Geführt wird "Ekre" von Mart Helme (Jg. 1949). Der heutige Innenminister hatte die Partei 2012 gegründet. Der rechte Politiker will aktuell die visafreie Einreise von Ukrainern in sein Land verbieten. Zuvor hatte Helme darüber lamentiert, dass ukrainische Arbeitsmigranten die Esten um ihren Job brächten und den heimischen Arbeitsmarkt mit Billiglöhnen ruinierten. In einem Glückwunschschreiben an den britischen Premierminister Boris Johnson verglich Helme jüngst die EU indirekt mit der Sowjetunion.
Sichtlich erfreut zeigte sich die deutsche Neonazi-Partei "Der III. Weg" darüber, dass Helmes eine "Nullquote" für Flüchtlinge verlangt und vor einer "islamischen Invasion" warnt. 2004 forderte Helme, damals noch bei der Vorgängerpartei "Estnische Volksunion", ein Denkmal für die Esten, die auf der Seite Nazi-Deutschlands gegen die Sowjetunion gekämpft hatten.
Mitglied der EU-Fraktion "Identität und Demokratie"
Der "Ekre"-Vize und Finanzminister Martin Helme will, "dass Estland Estnisch ist". "Rassistisch ist in Europa nur", so bekundete Helme jun., "dass eingeborene Menschen von Ausländern ersetzt werden".
Das rechte Familienunternehmen aus Estland ist mit einem Sitz im Europäischen Parlament vertreten und gehört dort unter anderem neben der AfD, der italienischen "Lega", dem französischen Rassemblement National und der FPÖ der Fraktion "Identität und Demokratie" (ID) an. Laut ID-Fraktionsvize Jörg Meuthen will die ID-Fraktion "Stachel im Fleisch der Eurokraten" sein.
Bildunterschrift: Fremdenfeinde in der estnischen Regierung (Screenshot, Webseite).
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MiGAZIN, 17.09.2019:
Landeskriminalamt / Brand in muslimischem Gebetsraum wurde vorsätzlich gelegt
Der Brand in der islamischen Gemeinde in Aschersleben in Sachsen-Anhalt wurde offenbar vorsätzlich gelegt. Die Polizei sucht nach Zeugen, der Staatsschutz ermittelt.
Am frühen Freitagmorgen hat es in dem Gebetsraum der islamischen Gemeinde in Aschersleben in Sachsen-Anhalt gebrannt. Jetzt steht fest: Der Brand wurde vorsätzlich gelegt. Zu dieser vorläufigen Feststellung kommt ein Brandursachenermittler des Landeskriminalamtes (LKA). Das teilte ein Polizeisprecher am Montag in Bernburg mit.
Auch wenn das abschließende Brandgutachten noch ausstehe, seien ein technischer Defekt oder eine Selbstentzündung ausgeschlossen worden, fügt er hinzu. Die am Brandort gesicherten Spuren würden nun ausgewertet, die Polizei suche in diesem Zusammenhang nach Zeugen.
Staatsschutz ermittelt
Bei dem Brand inmitten eines Gebäudekomplexes wurden den Angaben zufolge eine nahe gelegene Arztpraxis, der Hausflur und zwei Wohnungen durch die Rauchentwicklung in Mitleidenschaft gezogen, Personen kamen nicht zu Schaden. Der entstandene Schaden im Gebetsraum werde auf mindestens 5.000 Euro geschätzt.
Bereits am Freitag sei "auf Grund der speziellen Widmung des Brandobjektes" der Staatsschutz in die Ermittlungen einbezogen worden, erklärte der Polizeisprecher. (epd/mig)
Bildunterschrift: Brandstiftung.
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Belltower.News, 17.09.2019:
Mord an Walter Lübcke / Die Rolle des Mittäters Markus H. - Wie die Mär des Einzeltäters zusammenbricht
Der mutmaßliche Mörder Stephan Ernst und Markus H. waren gemeinsam auf der Infoveranstaltung 2015 auf der Walter Lübcke den "Schlüsselsatz" sprach. Sie filmten die Szene und veröffentlichten die Sequenz auf YouTube. Seither radikalisierten sie sich und trafen Vorbereitungen zum Handeln.
Von Stefan Lauer
In der Nacht zum 2. Juni 2019 erschoss Stephan Ernst mutmaßlich den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (†65) auf der Terrasse seines Wohnhauses in Hessen. Ernst gestand die Tat, revidierte dann jedoch sein Geständnis. Seither ermittelt die Generalbundesanwaltschaft in diesem Fall gegen drei Beschuldigte, zwei aus Hessen, einer aus Nordrhein-Westfalen. Gegen Stephan Ernst wird nach § 211 wegen Mordes ermittelt, gegen die zwei weiteren Beschuldigten, Elmar J. und Markus H., wegen der Beihilfe zum Mord. Markus H. soll den Kontakt zwischen Stephan Ernst und Elmar J. hergestellt haben, dem mutmaßlichen Verkäufer der Tatwaffe aus dem Kreis Höxter in NRW.
Nach Panorama-Recherchen verbindet Stephan Ernst und Markus H. eine gemeinsame Vergangenheit. In den 2000er Jahren waren sie beide aktiv in der Kasseler Neonazi-Szene. Beide waren 2009 Teil eine Gruppe, die eine DGB-Kundgebung in Dortmund angegriffen hat. H. wurde außerdem wegen "Sieg Heil"-Rufen und Zeigens des Hitlergrußes in einer Kneipe zu einer Geldstrafe verurteilt. Markus H. war nach Panorama-Informationen jahrelang bei der Neonazi-Gruppe "Freier Widerstand Kassel" aktiv. Unter dem Pseudonym "Stadtreiniger" verbreitete er bereits vor mehr als zehn Jahren Hass-Kommentare im Internet.
Stephan Ernst und Markus H. waren gemeinsam auf der Info-Veranstaltung 2015 und stellten ein Video ins Netz
Doch offenbar ist Markus H. stärker in den Mord involviert als bisher angenommen, wie ein Beschluss, mit dem der Bundesgerichtshof eine Haftbeschwerde des Verteidigers von H. abwies, nun nahelegt. Gemeinsam besuchten Ernst und H. 2015 die Info-Veranstaltung zur Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete. Hier erklärte Walter Lübcke: "Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen." Ernst und H. waren darüber dermaßen "fassungslos", dass die das Geschehen abfilmten und bei YouTube hochluden. H. recherchierte die Wohnadresse Lübckes und kommentierte "vielleicht könne man da mal was machen". Seither absolvierten sie gemeinsam Schießtrainings. Sie kamen zu der Überzeugung sich nun bewaffnen zu müssen.
Der Bundesgerichtshof geht davon aus, dass Markus H. seinen Kameraden Ernst in seinem Beschluss Walter Lübcke zu töten noch bestärkt hat. Aus dem BGH-Beschluss geht hervor, dass sich zwischen Ernst und H. eine enge Freundschaft entwickelte, die geprägt war von auf einer "rechtsnationalen Gesinnung" Beider. Seit Lübckes "Schlüsselsatz" radikalisierten sich die beiden immer weiter. Sie fokussierten sich in ihren Gesprächen, die sie klandestin auch über die Nachrichten App "Threema" führten, fortan auch auf den Besitz von Schusswaffen.
Aussagen der ehemaligen Lebensgefährtin von Markus H. stützt dessen angebliche Teilhabe. Diese habe das enge freundschaftliche Verhältnis von Stephan Ernst und Markus H. bestätigt. Sie berichtete den Ermittlerinnen unter anderem von deren Teilnahme an der Bürgerversammlung im hessischen Lohfelden. Nach der Veranstaltung habe H. seiner damaligen Lebensgefährtin erzählt, Stephan E. sei danach "beinahe ausgetickt". Laut BGH bezeichnet sie Markus H. als "Denker" und Stephan E. als "Macher". Markus H. soll mit ihr über die Option gesprochen haben, sich einen Sprengstoffgürtel umzuschnallen und möglichst viele "Kanaken" mit in den Tod zu nehmen.
Bei der Wohnungsdurchsuchung von Markus H. war zudem das Buch "Umvolkung: Wie die Deutschen still und leise ausgetauscht werden" des rechtsradikalen Autors Akif Pirinçci gefunden worden. Dieser geht in seinem Buch auch die Veranstaltung in Lohfelden vom 14. Oktober 2015 ein. Der Name des späteren Tatopfers Walter Lübcke wurde mit einem Textmarker gelb markiert.
Zwei Bezüge zum NSU
Markus H. ist allerdings kein unbeschriebenes Blatt: 2009 wurde er bereits als Zeuge im NSU-Mord an Halit Yozgat vernommen. Yozgat war 2006 in Kassel wohl das neunte Opfer des NSU. Der Mord in einem Internetcafé geschah in Anwesenheit eines Mitarbeiters des hessischen Verfassungsschutzes, Andreas Temme, der nur wenige Sekunden nach dem Mord an dem Toten vorbei, der hinter dem Tresen zusammengesunken war, das Internetcafé verließ.
Bildunterschrift: Der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke, Stephan E., nach einem Haftprüfungstermin.
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die tageszeitung Online, 17.09.2019:
Anklage im Mordfall Lübcke / Heikle Erkenntnisse
Der Bundesgerichtshof hält das verworfene Geständnis des Tatverdächtigen weiter für gültig - und sieht auch einen Mitbeschuldigten schwer belastet.
Von Konrad Litschko
Berlin (taz). Seit dem 15. Juni sitzt Stephan Ernst in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: Der Rechtsextremist soll zwei Wochen zuvor den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschossen haben. Inzwischen läuft alles auf eine Anklage hinaus. Denn der Bundesgerichtshof hält das verworfene Geständnis von Ernst weiter für gültig: Es gebe "kein Anlass, an dem Wahrheitsgehalt der Einlassung zu zweifeln", heißt es in einem aktuellen Beschluss.
Ernst hatte nach seiner Festnahme die Tat zunächst eingeräumt. Er habe Lübcke im Herbst 2015 auf einer Bürgerversammlung in Kassel-Lohfelden, nahe seinem Wohnort, erlebt, als es um die Unterbringung von Geflüchteten ging. Der CDU-Politiker hatte damals für die Aufnahme der Asylsuchenden geworben und zu deren Gegnern gesagt, sie könnten "jederzeit dieses Land verlassen". Dies, so Ernst zu den Ermittlern, habe ihn "richtig emotional aufgeladen". Er habe "einen Hass bekommen" und sich "da reingesteigert". Nachdem er bereits früh das Haus von Lübcke ausgekundschaftet habe, habe er ihn am 1. Juni dieses Jahres schließlich mit einem Kopfschuss getötet.
Dieses Geständnis widerrief Ernst allerdings nach kurzer Zeit wieder. Warum, war bisher nicht bekannt. In dem Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) aber heißt es nun, Ernst habe sich bei der Vernehmung unter Druck gesetzt gefühlt. Auch habe er angeblich unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln gestanden. Die BGH-Richter folgen den Einwänden nicht. Die Aussage mit dem Druck habe Ernst selbst später relativiert. Und zu den Beruhigungsmitteln habe die Ärztin seiner JVA, mit Blick auf den Zeitpunkt der Verabreichung und der eingesetzten Dosis, "eine Beeinträchtigung der Vernehmungsfähigkeit ausgeschlossen".
Das ursprünglich Geständnis sei somit weiterhin glaubwürdig, resümieren die BGH-Richter. Zudem verweisen sie auf eine DNA-Spur von Ernst, die an der Kleidung von Lübcke gefunden wurde und den Tatverdacht ebenso erhärte. Der benannte Beschluss beschäftigt sich eigentlich mit der Haftbeschwerde eines Mitbeschuldigten: des Kasseler Markus H., ebenfalls ein Rechtsextremist. Er soll Ernst die Tatwaffe vermittelt haben, mit der dieser Lübcke erschoss. Und auch Markus H. wird durch die Ermittlungsergebnisse inzwischen schwer belastet.
"Geschäftsbeziehung" mit Waffen
Schon vor Jahren habe Markus H. Stephan Ernst kennengelernt, schreibt der BGH. 2013 seien sich beide wieder am Arbeitsplatz begegnet, bei einer Kasseler Bahntechnikfirma. Zwischen den Männern entwickelte sich laut Ermittlern eine "enge Freundschaft", geprägt von der "beiderseitigen rechtsnationalen Gesinnung", die "immer radikaler" wurde. Auf Initiative von Markus H. sei Ernst auch dessen Schützenverein eingetreten. Beide hätten damals wiederholt über eine Bewaffnung gesprochen, weil sie "bürgerkriegsähnliche Zustände" befürchteten - ausgelöst durch zugewanderte Migranten.
Markus H. habe Ernst schließlich eine Schrotflinte verkauft und mit ihm Schießübungen in Wäldern und auf dem Schützenvereinsgelände durchgeführt. Anfang 2015 habe H. ihn zudem an einen weiteren Beschuldigten - Elmar J. aus Nordrhein-Westfalen - vermittelt, mit dem Ernst fortan eine "Geschäftsbeziehung" mit Waffen pflegte und dort auch seine spätere Tatwaffe, einen Trommelrevolver, Kaliber 9 mm, kaufte.
Im Oktober 2015 seien Stephan Ernst und Markus H. dann gemeinsam zu der Bürgerversammlung von Walter Lübcke gegangen. Beide seien über den CDU-Politiker "in hohen Maße verärgert" gewesen, so die BGH-Richter. Markus H. habe den Auftritt auch gefilmt und die Passage mit dem "Auswandern"-Ausspruch online gestellt - sie kursierte darauf breit in rechten Kreisen. Ernst wiederum habe wenig später die Adresse Lübckes recherchiert und H. mitgeteilt: "Vielleicht könne man da mal was machen."
Beide hätten danach weiter im Schützenverein Schießübungen durchgeführt, vor allem mit Waffen des Kalibers 9 mm, so die Ermittler. Auch hätten die Männer zusammen rechte Demonstrationen besucht. Beides sind heikle Erkenntnisse: Denn die Sicherheitsbehörden hatten bisher mitgeteilt, Ernst habe sich seit 2009 nicht mehr offen politisch betätigt und sei deshalb von ihrem Radar verschwunden. Und auch der Schützenverein beteuerte bisher, Ernst sei dort nur als Bogenschütze tätig gewesen - ohne Zugang zu Schusswaffen.
Die Ermittler werfen Markus H. nun vor, Stephan Ernst durch die Schießtrainings für dessen Mordplan "Zuspruch und Sicherheit" vermittelt zu haben, ihn darin "bestärkt" zu haben. Auch wenn Ernst den Plan nicht klar ausgesprochen habe, sei es zu "Andeutungen" gekommen. Vor allem die Silvesternacht 2015 und das islamistische Lkw-Attentat in Nizza im Juli 2016 seien für Ernst weitere "Schlüsselereignisse" gewesen. Ernst und Markus H. hätten sich zudem "klandestin" über den Messenger Threema ausgetauscht, so der BGH weiter. H. habe somit den Mordanschlag auf Lübcke "billigend in Kauf genommen".
Die Ermittler sehen Markus H. zudem belastet, weil bei ihm ein Buch des rechten Skandalautors Akif Pirinçci gefunden wurde. Dort wird auch Walter Lübcke erwähnt - dessen Name mit einem Textmarker markiert gewesen sei. Zudem belastet den 43-Jährigen auch seine frühere Partnerin. Diese bezeichnete H. als "Denker" und Ernst als "Macher". Zudem habe H. einmal gesagt, sollte er irgendwann schwer erkranken, werde er sich mit einem Sprengstoffgürtel in die Luft sprengen und möglichst viele "Kanaken" mitnehmen.
Auch wegen der neuen Ermittlungsergebnisse hat der Haftbefehl gegen Markus H. weiter Bestand. Dessen Verteidiger bestreitet hingegen, dass der Kasseler in die Mordpläne gegen Lübcke eingeweiht war: Er habe vielmehr geglaubt, Ernst sei es um etwas wie das Beschmieren einer Hauswand gegangen. Bei Stephan Ernst werten die Ermittler derzeit noch aufgefundene Datenträger aus und prüfen, ob er weitere politische Kontakte hatte. Mit Anklagen wird noch in diesem Jahr gerechnet.
Bildunterschrift: Auch die Zivilgesellschaft erhebt Anklage - auf einer Demonstration in Kassel im Juli 2019.
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Freie Presse Online, 17.09.2019:
Bündnis gedenkt Neonazi-Opfer
Vor 20 Jahren wurde in Oberlungwitz der 17-jährige Patrick Thürmer totgeschlagen. Ein Trauermarsch soll in zwei Wochen an das Verbrechen erinnern.
Hohenstein-Ernstthal. Es ist viel Wasser seither den Lungwitzbach hinab geflossen. Scheinbar erinnert nichts mehr an das Verbrechen, das sich hier an der Waldenburger Straße in Oberlungwitz vor 20 Jahren ereignet hat. Hunderte Autos fahren Tag für Tag an dieser Stelle vorbei. Sie ist der Ort, an dem in der Nacht zum 2. Oktober 1999 drei Männer aus dem rechtsextremen Milieu den Malerlehrling Patrick Thürmer getötet haben.
Doch das Verbrechen an dem 17-jährigen Jugendlichen aus Oelsnitz ist Teilen der Öffentlichkeit durchaus noch gegenwärtig. In zwei Wochen wird in Hohenstein-Ernstthal ein Trauermarsch für den Getöteten stattfinden. Veranstalter ist das "Bündnis Chemnitz nazifrei". Die Veranstaltung ist für den 3. Oktober geplant. Landratsamt und Ordnungsamt im Rathaus haben bestätigt, dass eine entsprechende Demonstration angemeldet worden ist. "Wir wollen mit dem Trauermarsch Patrick Thürmer und allen anderen Opfern rechter Gewalt gedenken", erklärt ein Sprecher des Bündnisses.
Weil in der Veranstaltung am 3. Oktober auf Grund der politischen Konstellation Brisanz steckt, findet bereits am heutigen Dienstag ein erstes Kooperationsgespräch zwischen Behörden, Polizei und dem Bündnis statt. "Wir werden uns angemessen vorbereiten", sagte Christian Schünemann, Sprecher der zuständigen Polizeidirektion Zwickau, am Montag gegenüber der "Freien Presse".
Patrick Thürmer hatte sich am Abend des 1. Oktober 1999 auf einem Punk-Konzert im damaligen Jugendhaus in der Conrad-Claus-Straße in Hohenstein-Ernstthal befunden, in dessen Umfeld es zu massiven Schlägereien zwischen Linken und Rechten gekommen war. In den frühen Morgenstunden des 2. Oktober auf dem Nachhauseweg wurde Patrick Thürmer von drei mutmaßlichen Neonazis aus Zwickau und Niederlungwitz niedergeschlagen. Die Männerwarfen ihn danach in den Lungwitzbach, wo er später gefunden wurde. Am Tag darauf starb Patrick Thürmer in einem Krankenhaus in Zwickau. Erst 2012 wurde der Jugendliche vom damaligen sächsischen Innenminister Ulbig als Opfer rechter Gewalt anerkannt.
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Leipziger Volkszeitung Online, 17.09.2019:
Als "Scheiß Araber" beschimpft / Rollstuhlfahrer aus Libyen in Chemnitz angegriffen
Er wurde attackiert, verletzt und nach eigenen Angaben als "Scheiß Araber" beschimpft: Ein Rollstuhlfahrer aus Libyen ist in der Nacht zum Sonntag in Chemnitz von einem mutmaßlichen Rechtsradikalen angegriffen und aus seinem Rollstuhl gestoßen worden.
Chemnitz
Ein 31-jähriger Rollstuhlfahrer aus Libyen ist in Chemnitz von einem mutmaßlichen Rechtsradikalen geschlagen und rassistisch beleidigt worden. Der 22-jährige Tatverdächtige hat den Mann nach ersten Ermittlungen in der Nacht zum Sonntag aus dem Rollstuhl gestoßen und attackiert, wie ein Polizeisprecher am Dienstag mitteilte. Der genaue Tathergang werde aber noch ermittelt. Zunächst hatte die "Bild"-Zeitung am Montag berichtet.
Der Tatverdächtige, der nahe dem Tatort gestellt wurde, ist der Polizei wegen rechtsmotivierten Straftaten und Körperverletzungsdelikten bekannt. Gegen ihn wird nun wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung ermittelt.
"Er hat mit den Füßen auf mich eingetreten"
Der Rollstuhlfahrer erlitt leichte Verletzungen und wurde ambulant in einem Krankenhaus behandelt. Eine 29-Jährige hatte die Auseinandersetzung gehört und die Polizei gerufen. Das Dezernat Staatsschutz der Chemnitzer Polizei führt die Ermittlungen in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft.
Der "Bild"-Zeitung sagte das Opfer, mehrere Männer seien auf ihn zugekommen und hätten ihn als "Scheiß-Araber" beschimpft. Kurz darauf habe einer ihm mit der Faust ins Gesicht geschlagen. "Immer wieder, bis ich aus dem Rollstuhl fiel", sagte der Libyer. "Als ich am Boden lag, hat er weiter mit den Füßen auf mich eingetreten."
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Störungsmelder, 17.09.2019:
Holocaust-Leugner inszeniert sich vor Gericht
17.09.2019 - 17.57 Uhr
Ein Rechtsextremer verneint den Massenmord an den Juden, kommt vor Gericht - und macht dort einfach weiter. Das bringt ihm eine Bewährungsstrafe - und einen Ruf als Märtyrer.
Von Dennis Pesch
Eine Menschengruppe steht im Kreis vor Saal 256 des Duisburger Landgerichts. In ihrer Mitte steht Henry Hafenmayer. Der Angeklagte trägt ein weißes Hemd in schwarzer Jeans, seine Gürtelschnalle zeigt die Reichsflagge. Es ist der siebte und letzte Prozesstag seines Berufungsprozesses wegen Holocaust-Leugnung, angesetzt waren nur zwei. Am Ende hat sich das Verfahren drei Monate lang hingezogen. Die Unterstützer, die Hafenmayer umringen, waren bei allen Terminen dabei. Überwiegend kommen sie aus dem Spektrum der so genannten Reichsbürger.
In erster Instanz war der 46-Jährige 2017 vom Amtsgericht in Oberhausen zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt worden, wegen vier Fällen von Volksverhetzung - genauer gesagt: der Leugnung des Holocaust. Im November 2015 und im Februar 2016 hatte er zwei offene Briefe an Hunderte staatliche Stellen, die rumänische Botschaft und ein Pressebüro geschickt. Die Briefe veröffentlichte er auf seiner Website mit dem Titel "Ende der Lüge". Und Hafenmayer macht weiter - selbst im Gerichtssaal. Sein Fall zeigt, wie Rechtsextreme sich mit den Mitteln der Strafprozessordnung eine Bühne verschaffen können.
Hitler-Reden auf CD
Mit seinen Briefen hatte Hafenmayer CDs verschickt, auf denen den Holocaust leugnende Videos enthalten waren, unter anderem ein Interview mit der Leugnerin Ursula Haverbeck. Dem ersten Brief hängte er zudem 13 Reden von Adolf Hitler als Audiodateien an. Weil er den Massenmord an den Juden als "Lüge" bezeichnete, eröffnete die Staatsanwaltschaft zwei Verfahren. Zwei weitere Anklagepunkte kamen nach Veröffentlichung der Briefe auf der Homepage hinzu.
Gegen das Urteil legten sowohl Hafenmayer als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Als dann im Juli dieses Jahres die Neuauflage des Prozesses begann, legte der Verurteilte richtig los. Zwei Anträge zur Einstellung des Verfahrens und drei Anträge zur Einberufung von Sachverständigen für Zeitgeschichte, Biologie und Judaistik stellte Hafenmayer. Immer verbunden mit teils über 50 Seiten langen antisemitischen Tiraden, in denen er den Holocaust infrage stellte. "Es ist der Versuch, das Berufungsverfahren als Schauprozess gegen so genannte wahre Volksgenossen zu inszenieren", sagt ein Sprecher der Initiative gegen Rechts Oberhausen, die beide Prozesse dokumentiert hat.
Der Leugner will Märtyrer sein
Hafenmayer hingegen sieht sich in einer Rolle als Aufklärer. Seine Anträge sind in Wirklichkeit Vorträge. Er nennt Juden die "Lenker der Weltgeschichte". Durch die Einberufung des Sachverständigen für Biologie will er beweisen, dass der Begriff "Parasit" eine naturwissenschaftlich korrekte Bezeichnung für Juden sei.
Dass jeder seiner Anträge abgelehnt wird, ist für ihn zweitrangig. Er will Märtyrer und Systemkritiker sein, ein Lautsprecher der Holocaust-Leugner. Wenn er umringt ist von seinen Unterstützern, zeigt das, dass er diese Rolle für sie erfüllt. Die Kammer lässt ihn die sieben Prozesstage gewähren. Die Mimik der Richterin und der Schöffen drückt zeitweise Ekel aus. Einfach stoppen konnten sie den Angeklagten dennoch nicht. "Anträge müssen vollständig verlesen werden, um im Prozess behandelt werden zu können", sagt eine Sprecherin des Landgerichts. Nahe liegt, dass die Kammer kein Risiko eingehen wollte, dass das Urteil in einer Revision kassiert wird.
Beide Prozesse gegen Hafenmayer waren auch Orte, an denen sich Neonazis vernetzen. Beim ersten Verfahren besuchten ihn die Holocaust-Leugner Gerhard Ittner und Sylvia Stolz. Beide sitzen mittlerweile in Haft, der Angeklagte zitierte sie in der Berufungsverhandlung mehrfach. Beim sechsten Prozesstag besuchten ihn Sascha Krolzig und Michael Brück, Führungskader der Partei Die Rechte. Hafenmayers Verteidiger André Pickert, Haus- und Hofanwalt von Die Rechte, nannte das in seinem Plädoyer ein "bürgerliches Umfeld".
Vernichtungsfantasien vor Gericht
Zur eigentlichen Verhandlungssache, den offenen Briefen und der Veröffentlichung im Netz, machte Hafenmayer keine Angaben. Aus einem einfachen Grund: Von welchem Ort aus er die Briefe auf der Website veröffentlicht hat, konnte das Gericht nicht ermitteln. Damit war nicht sicher, dass die Holocaust-Leugnung auf dem Boden des deutschen Strafgesetzbuchs stattgefunden hatte. Zwei der vier Verfahren wurden deshalb eingestellt. Ein Kriminalhauptkommissar erklärte dem Gericht schriftlich, dass die IP-Adressen aus Datenschutzgründen gelöscht worden seien. Das kritisiert die Initiative gegen Rechts: "Für eine Staatsschutz-Abteilung ist das eigentlich ungewöhnlich."
Die Freiheitsstrafe fällt am Schluss geringer aus als zuvor: zehn Monate auf Bewährung. "Trotz des Verhaltens in der Hauptverhandlung hoffen wir, dass der Warnschuss ankommt", erklärt die Richterin die Entscheidung, die Strafe abermals zur Bewährung auszusetzen.
Zuvor hatte der Angeklagte dem Gericht für den Fall gedroht, dass der Nationalsozialismus wieder eingeführt wird: "Es wird viele Prozesse in diesem anständigen Staat geben, weil es eine Menge aufzuarbeiten gibt", sagte er in seinem Schlusswort. Über seine Vorstellung der Zukunft ließ er keine Zweifel aufkommen: "Die Unruhe, die in den Völkern gärt, wird zur Endlösung der Judenfrage führen."
Bildunterschrift: Das Vernichtungslager Auschwitz - Sinnbild des Holocaust, den Rechtsextreme bis heute verneinen.
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Blick nach Rechts, 17.09.2019:
Bewährungsstrafe für antisemitischen Hetzer
Duisburg / Oberhausen. Das Landgericht Duisburg hat ein Urteil aus erster Instanz gegen den Holocaust-Leugner Henry Hafenmayer leicht abgemildert.
Das Amtsgericht Oberhausen hatte den heute 47-Jährigen im Juli 2017 wegen Volksverhetzung in vier Fällen zu einem Jahr Haft verurteilt, ausgesetzt zur Bewährung. Anlass war die Veröffentlichung von Offenen Briefen in den Jahren 2015 und 2016 auf der Website des Oberhauseners. Zugleich soll er jene Schreiben massenhaft an Polizeibehörden, andere Behörden, Medien, Bildungseinrichtungen, Gerichte und Botschaften beziehungsweise in mindestens einem Fall auch an einen Menschen jüdischen Glaubens verschickt haben (Blick nach Rechts berichtete am 12.07.2019). Gegen das Urteil waren Hafenmayer selbst und die Staatsanwaltschaft in Berufung gegangen. Letztgenannte hatte das auch damit begründet, dass der Oberhausener weiter einschlägige Taten begehe und daher eine Aussetzung der Haftstrafe zur Bewährung nicht sinnvoll sei.
Das Landgericht Duisburg hat am Montagnachmittag dieses Urteil aus erster Instanz auf zehn Monaten Haft reduziert, erneut ausgesetzt zur Bewährung, teilte ein Gerichtssprecher gegenüber bnr.de auf Anfrage mit. Grund dafür war auch, dass zwei der vier Anklagepunkte vor dem Amtsgericht nunmehr wegen unklarer Beweislage nicht mehr geahndet wurden. Konkret ging es dabei darum, dass die Offenen Briefe auch auf Hafenmayers Webseite publiziert worden waren, die Beweislage dazu indes lückenhaft geführt worden war. Wegen des Verschickens der Briefe, in denen er den Holocaust geleugnet und gegen Juden gehetzt hat, bestätigte das Landgericht zwei Fälle von Volksverhetzung aus erster Instanz, ändert jedoch das Strafmaß leicht ab.
Geschichtsrevisionistische Anträge vor Gericht verlesen
Zu den Bewährungsauflagen gehört es nun, dass Hafenmayer sich nicht erneut strafbar machen soll. Gleichwohl stehen für weitere von ihm verschickte Briefe sowie den im Gericht gestellten Anträgen respektive dortigen Ausführungen weitere Strafverfahren aus. Wegen der mutmaßlich strafbaren Inhalte hatte Hafenmayer diese Anträge selbst verlesen und nicht durch seinen Anwalt vortragen lassen. In den teils geschichtsrevisionistischen Ausführungen wurde der Holocaust erneut bestritten, der Nationalsozialismus zuweilen verherrlicht oder relativiert, zudem wurde weiter gegen Juden gehetzt. Besagte Skripte und Schreiben hat der Oberhausener im Prozessverlauf auf seiner Homepage publiziert, auch auf diesem Wege also mutmaßlich weitere Straftaten begangen.
Der ursprünglich nur auf zwei Tage terminierte Prozess hatte sich wegen der Anträge und Ausführungen des Angeklagten verzögert (Blick nach Rechts berichtete am 27.08.2019). Alleine das Manuskript für sein sehr langes Schlusswort gestern ist fast 60 Seiten lang. Regelmäßig besuchten zudem Anhänger und Mitstreiter Hafenmayers den Prozess, darunter auch Vertreter der NPD und der neonazistischen Miniaturpartei "Die Rechte" (DR). Hafenmayer hat unterdessen mitgeteilt, man werde gegen das jetzige Urteil Revision einlegen. (mik)
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Blick nach Rechts, 17.09.2019:
"Herbstfest" mit dem "III. Weg"
Erfurt. Am Samstag soll "im Raum Erfurt" unter dem Motto "Erfurt erwache!" eine Veranstaltung der Neonazi-Partei "Der III. Weg" stattfinden.
Die braune Kleinstpartei "Der III. Weg" bewirbt für den 21. September im "Raum Erfurt" ein "Herbstfest". Die sich programmatisch am Nationalsozialismus orientierende Splitterpartei buhlt damit um Aufmerksamkeit. Bei Landtagswahl Thüringen am 27. Oktober kandidiert sie nicht.
Mit dem Angebot kostenfreier Beköstigung, einem Selbstverteidigungskurs, Kinderprogramm und Kleiderausgabe wird gelockt, um eigene Indoktrination zu betreiben. Wie bei inzwischen allen Veranstaltungen dieser Art soll mit "Der Hetzer" auch ein rechter Liedermacher auftreten, der sich nach einem Titel der Band "Landser" benannt hat. Seit 2013 auch in Thüringen aktiv, hat die Neonazi-Partei, deren Aktivisten sich als Nationalrevolutionäre bezeichnen, seit Jahresbeginn besonders in Erfurt die Aktivitäten deutlich ausgeweitet. Das hängt auch damit zusammen, dass man im Stadtteil Süd-Ost über eigene Räumlichkeiten verfügt.
Bei den thüringischen Kommunalwahlen am 26. Mai schaffte "Der III. Weg" den Einzug in zwei Ortsteilräte. Dort ist man nun mit Doreen Lukei und Enrico Biczysko vertreten. Biczysko macht keinen Hehl daraus, dass er sich in der AG "Körper & Geist" fit hält. In der AG sind bereits junge Leute integriert, die Ende Juni für Empörung sorgten, als sie an der Seite ihres Trainers Wolodja Wanjukow im Outfit der braunen Partei bei den Wettkämpfen zum deutschen Sportabzeichen an den Start gingen. (hf)
Bildunterschrift: "Der III. Weg" buhlt um Aufmerksamkeit (Screenshot).
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Stuttgarter Zeitung Online, 17.09.2019:
Landtags-AfD / AfD-Fraktion nimmt Senger nicht auf
17.09.2019 - 17.57 Uhr
Beispielloser Eklat: Die Landtags-AfD verweigert der nachgerückten AfD-Politikern Doris Senger die Aufnahme in die Fraktion. Die verliert wohl ihren Status als stärkste Oppositionskraft im Parlament.
Bad Herrenalb. Es ist ein beispielloser Eklat in der Geschichte des Landtags: Die AfD-Fraktion verweigert der nachgerückten AfD-Abgeordneten Doris Senger vorerst die Aufnahme. Bei der Klausurtagung der Fraktion in Bad Herrenalb verfehlte die 60-jährige Unternehmensberaterin aus Donaueschingen in zwei Abstimmungen zu ihrer Person die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Das bestätigte Fraktionschef Bernd Gögel am Dienstag gegenüber unserer Zeitung. Er sagte, es sei bedauerlich, dass die Fraktion nicht sachorientierter entschieden habe, und lobte ausdrücklich Sengers Gelassenheit.
An diesem Mittwoch, zum Abschluss der dreitägigen Klausur, soll es eine weitere Abstimmung geben. Fiele Senger erneut durch, wäre die AfD-Fraktion mit dann 19 statt bisher 20 Abgeordneten nicht länger stärkste Oppositionskraft im Landtag. Sie läge gleichauf mit der SPD. Gögel sagte, er rechne auch beim dritten Anlauf nicht mit einem positiven Votum für Senger. Die 60-Jährige würde zur fraktionslosen Abgeordneten.
Satzung ist nicht eindeutig
Senger zog Mitte Juli als Nachrückerin mit AfD-Zweitmandat aus dem Wahlkreis Tuttlingen-Donaueschingen in den Landtag ein. Sie ersetzte Lars-Patrick Berg, der ins Europaparlament gewechselt war, und gilt wie ihr Vorgänger als gemäßigt. Radikalere Kräfte in der tief zerstrittenen AfD-Fraktion strengten sogleich eine Debatte dazu an, ob Senger automatisch der Fraktion angehören könne, und forderten eine Abstimmung darüber.
Fraktionsvize Emil Sänze verwies in der vergangenen Woche gegenüber unserer Zeitung darauf, dass die Fraktionssatzung ein solches Votum über Neumitglieder ausdrücklich vorsehe. Sengers Position im parteiinternen Machtkampf spiele keine Rolle. Sänze wollte eine Abstimmung aber nicht selbst beantragen. Gögel räumte am Dienstag ein, dass die Satzung die Neuaufnahme von Mitgliedern nicht eindeutig regle. Die Fraktion habe daher jetzt beschlossen, offene Satzungsfragen per Rechtsgutachten klären zu lassen.
Gedeons Rückkehr abgelehnt
Bereits am Montag hatte eine weitere Personalie die AfD-Klausur aufgewühlt, als sich neun der 20 Abgeordneten dafür aussprachen, den fraktionslosen AfD-Politiker Wolfgang Gedeon wieder in die Fraktion aufzunehmen. Dass elf Abgeordnete sich dagegen aussprachen und so eine Rückkehr des umstrittenen AfD-Manns verhinderten, sei "bereits eine gute Nachricht", sagten Teilnehmer am Dienstag unserer Zeitung. Gedeon hatte die Wiederaufnahme, die ebenfalls eine Zweidrittelmehrheit erfordert hätte, selbst beantragt. Senger sagte unserer Zeitung, sie wolle sich an Spekulationen darüber, dass ihre Ablehnung als Retourkutsche für Gedeons gescheiterte Rückkehr zu werten sei, nicht beteiligen.
Gegen Gedeon (72), der in seinen Büchern antisemitische Positionen vertritt, läuft ein Parteiausschlussverfahren.
Bildunterschrift: Doris Senger von der AfD wird dem Stuttgarter Landtag künftig wohl als fraktionslose Abgeordnete angehören.
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Belltower.News, 17.09.2019:
Pressefreiheit / Höcke will im ZDF-Interview "ergebnisoffen und tabufrei" über den NS diskutieren
Björn Höcke ist der Spitzenkandidat der Thüringer AfD und offenbar können seine Parteifreunde Zitate von ihm nicht von denen Hitlers unterscheiden. Soviel erfahren die Zuschauerinnen noch im aktuellen Interview des ZDF mit Höcke. Danach ist ziemlich schnell Schluss, sein Sprecher - übrigens ein ehemaliger Journalist der Welt, damals für die Berichterstattung über die AfD zuständig, - bricht das Interview ab. Der ZDF-Journalist habe Höcke "zu sehr emotionalisiert". Höcke droht schließlich dem Interviewer, bevor die Kamera abgeschaltet wird und lässt tief blicken, was sein Verhältnis zur Pressefreiheit anbelangt.
Von Stefan Lauer
Björn Höcke schafft es schon seit Jahren immer wieder um seine Verstrickungen ins rechtsextreme Milieu herum zu lavieren. 2010 nahm er an einem Neonazi-Aufmarsch in Dresden teil. Bilder beweisen, dass Höcke vor Ort war. Die AfD bestätigte die Teilnahme und spricht von einer "friedlichen Gedenkveranstaltung". Konsequenzen: keine.
Oder "Landolf Ladig". Unter diesem Namen erschienen drei Texte in den NPD-Zeitschriften "Volk in Bewegung & Der Reichsbote" und der "Eichsfeld-Stimme" - herausgegeben werden beide von Thorsten Heise, einem mehrfach vorbestraften, militanten Neonazi und NPD-Politiker, der rein zufällig nur wenige Kilometer entfernt von Höcke wohnt. In den Texten wurde das NS-Regime verherrlicht und die NPD gelobt. Der Publizist und Soziologe Andreas Kemper analysierte "Ladigs" Beiträge und Reden und Texte von Höcke und kam zum Ergebnis, dass es sich bei beiden um dieselbe Person handeln müsse.
Zum gleichen Ergebnis kommt der Verfassungsschutz in seinem Gutachten: "Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" habe Höcke unter dem Pseudonym "Landolf Ladig" veröffentlicht. Und selbst die AfD kommt zu diesem Schluss: Björn Höcke "hat unter dem Namen "Landolf Ladig" in den NPD-Veröffentlichungen "Volk in Bewegung" und "Eichsfeld-Stimme" Artikel verfasst", heißt es in einem von der ehemaligen Parteichefin Frauke Petry in Auftrag gegeben Gutachten von 2017. Schon 2015 forderte der Bundesvorstand der Partei eine eidesstattliche Versicherung von Höcke ein, die bestätigen sollte, dass Höcke und "Ladig" nicht die gleiche Person seien. Die gibt es bis heute nicht. Konsequenzen für Höcke? Keine.
Endlich "ergebnissoffen und tabufrei" mit NS-Vokabular diskutieren
Um Höckes Sprache ging es auch im aktuellen ZDF-Interview. Das Video dazu ist hier zu sehen, eine transkribierte Version des Interviews hier. Offenbar schaffen es nicht einmal Höckes Parteifreunde zwischen Äußerungen von ihm und Passagen aus "Mein Kampf" zu unterscheiden. Das belegt zumindest ein Video, dass der ZDF-Journalist David Gebhard dem Politiker am Anfang des Gesprächs zeigt. Höckes Problem damit? "Das sagt vor allen Dingen, dass die meisten mein Buch gar nicht gelesen haben, wie sie ja selbst deutlich artikuliert haben. Und das ist eigentlich schade ( … )."
Als Höcke dann lieber über seine Sprache, "die manchmal vielleicht etwas zu sehr ins Poetische geht" sprechen will, als über seine inhaltlichen Überschneidungen zu Adolf Hitler, hakt der Journalist nach und hinterfragt andere Äußerungen Höckes aus den letzten Jahren: "Keimzelle des Volkes", "entartet", "Volksverderber" oder "Lebensraum". Alles Begriffe aus dem NS-Jargon. Der ehemalige Lehrer will davon nichts wissen, behauptet es gäbe keine "allgemein gültige Definition dessen ( … ), was NS-Diktion, was NS-Sprache ist" - das ist falsch, mehr dazu findet sich zum Beispiel bei der Bundeszentrale für politische Bildung oder gleich in Viktor Klemperers "LTI - Lingua Terti Imperii" - und erklärt lieber, dass "entartet" schließlich ein gängiger Begriff in der Molekularbiologie sei. Das eigentliche Problem für Höcke: "Dieses Land leidet unter der Herrschaft der politischen Korrektheit."
Ohne auf die Vorwürfe einzugehen, entlarvt der Thüringer Spitzenkandidat sich trotzdem selbst: "Es geht darum, dass wir eine realistische Lageanalyse machen und dass wir mit einer ergebnisoffenen und tabufreien Diskussion endlich mal die Frage klären, wie wir in Deutschland gemeinsam in Zukunft leben wollen. ( … ) Da sind wir nicht gut beraten, wenn wir von vornherein gewisse Begriffe und gewisse Meinungen ausschließen." Das sind tatsächlich erschreckende Sätze: Eine "ergebnisoffene und tabufreie Diskussion", ohne "gewisse Begriffe und gewisse Meinungen" auszuschließen. Aus dem Gesprächsverlauf ist klar, was hiermit gemeint ist: es geht um die Sprache und damit auch um die Ideologie des Nationalsozialismus und des Faschismus.
So viele Emotionen!
Vielleicht sind es diese Sätze, die Günther Lachmann - ehemaliger Journalist der "Welt" und mittlerweile Pressesprecher Höckes - dazu bringen, das Interview kurz danach zu unterbrechen: "Sie haben jetzt Herrn Höcke mit Fragen konfrontiert, die ihn stark emotionalisiert haben und diese Emotionen möchte … glaube ich, sollte man so nicht im Fernsehen bringen."
Lachmann will das Interview von vorne anfangen. Der "stark emotionalisierte" Höcke, der im Übrigen gerade angesetzt hatte, die nächste Frage zu beantworten, als Lachmann unterbrach, fühlt sich jetzt spontan schlecht behandelt. Die eingespielten Videos ganz zu Anfang - in denen seine Parteifreunde ihn nicht von Hitler unterscheiden konnten - findet er jetzt "nicht wirklich redlich", das Interview sei "vollkommen absurd".
Und plötzlich steht die erste Drohung durch Höcke im Raum: "Wollen Sie jetzt wirklich so ein Ding noch raus hauen? Ich meine, Sie sind doch als öffentlich-rechtlicher Sender auch stark in der Kritik. Sie spüren doch, wie grad in diesem Land auch was erodiert. Und wenn Sie jetzt dieses Spiel weiterspielen … ".
Was genau meint Höcke hier wohl mit "Spiel"? Ist es doch gerade er, der permanent mit Tabubrüchen "spielt", indem er beispielsweise Begriffe aus dem Nationalsozialismus verwendet. Wenn er darauf festgenagelt wird, wie in diesem Interview geschehen, kommt zuerst die Opferrolle zum Einsatz. Der Kandidat wird angeblich mit unlauteren Mitteln "emotionalisiert". Wenn das nicht zieht, droht Höcke. Denn was genau soll eigentlich passieren, wenn der Journalist das angebliche "Spiel" - damit ist offenbar das Nachfragen zu Begriffen aus dem NS gemeint - weitermacht? Der Kandidat wünscht sich offenbar eine willigere Presse.
Pressefreiheit? Da kann man auch mal die Augen verdrehen.
Noch deutlicher wird das etwas später, wenn Höcke klarmacht, wie das Interview hätte ablaufen können: "Wir hätten doch eigentlich mit schönen Sachfragen zur Landespolitik einsteigen können und Sie hätten die Fragen dann am Ende, wenn wir am Laufen waren nochmal vielleicht stellen dürfen." Wie freundlich. Wenn der Journalist genehme Fragen stellt, dann "darf" er am Ende auch noch auf etwas kontroverses eingehen. Aber nur "vielleicht".
Im Video gibt es dazu eine sehr kurze interessante Szene. Nachdem Lachmann zum wiederholten Mal fordert, das Interview neu zu beginnen, antwortet der Journalist David Gebhard und sagt offenbar zu Lachmann: "Da kommen wir jetzt auch in den sensiblen Bereich der Pressefreiheit rein, in dem Moment, wo ich die Fragen so oft stellen soll, bis Sie mit den Antworten zufrieden sind." Höcke ist die ganze Zeit im Bild. Sofort nachdem das Wort "Pressefreiheit" fällt, verdreht Höcke die Augen und lächelt in sich hinein, um danach den Kopf zu schütteln.
Das Gespräch endet mit einer weiteren Drohung. Höcke: "Wir beenden das Interview, nur, dann ist klar … Wir wissen nicht, was kommt … Dann ist klar, dass es mit mir kein Interview mehr für Sie geben wird."
Auf die Nachfrage des Journalisten, was denn genau kommen könnte, wird es immerhin noch einmal unterhaltsam. Denn Björn Höcke hat großes mit sich vor: "Vielleicht werde ich auch mal eine interessante persönliche, politische Person in diesem Lande. Könnte doch sein." Könnte doch sein.
Bildunterschrift: Björn Höcke, "emotionalisiert".
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MiGAZIN, 17.09.2019:
"Dunkles Kapitel" / Höcke bricht ZDF-Interview ab und droht mit "massiven Konsequenzen"
Ein Interview mit dem AfD-Politiker Höcke für die ZDF-Sendung "Berlin direkt" hat zu einem Eklat geführt: Höcke brach das Gespräch ab und drohte dem Journalisten. ZDF-Chefredakteur Frey spricht von einem "vorbildlichen Interview".
Der AfD-Politiker Björn Höcke hat ein kritisches Interview mit dem ZDF abgebrochen. Das Interview über die Sprache des thüringischen AfD-Landesvorsitzenden hatte der ZDF-Journalist David Gebhard am vergangenen Mittwoch in Erfurt für die "Berlin direkt"-Sendung am Sonntag geführt. Der Sender veröffentlichte im Internet sowohl die Interviewaufzeichnung als auch eine Mitschrift. In der Sendung am Sonntagabend wurden Ausschnitte gezeigt.
Nachdem Höcke in dem Interview mehrfach mit eigenen Äußerungen konfrontiert und kritisch dazu befragt worden war, meldete sich aus dem Hintergrund der AfD-Sprecher Günther Lachmann zu Wort und verlangte, mit der Aufzeichnung neu zu beginnen. Der Interviewer habe Höcke mit Fragen konfrontiert, "die ihn stark emotionalisiert haben". Das sollte so nicht im Fernsehen gezeigt werden, sagte Lachmann.
Als das ZDF-Team dieses Ansinnen ablehnte, kam es zu einer minutenlangen verbalen Auseinandersetzung, an deren Ende Höcke das Interview abbrach. "Passen Sie auf. Wir beenden das Interview, nur, dann ist klar. Wir wissen nicht, was kommt. Dann ist klar, dass es mit mir kein Interview mehr für Sie geben wird", sagte Höcke. Als Gebhard fragte, ob das eine Drohung sei, erwiderte Höcke zunächst, das sei "nur eine Aussage, weil ich auch nur ein Mensch bin". Auf eine weitere Nachfrage erklärte er: "Vielleicht werde ich auch mal eine interessante persönliche, politische Person in diesem Lande. Könnte doch sein."
ZDF-Chefredakteur: "Vorbildliches Interview"
Im Verlauf der Auseinandersetzung über einen Abbruch oder einen Neubeginn des Interviews drohte Höcke mit "massiven Konsequenzen", ohne konkret zu werden. Auf Gebhards Aussage, dass das Interview beendet werden könne, sagte der AfD-Politiker: "Passen Sie auf, dann haben wir ein manifestes Problem, und dann wird das entsprechende Konsequenzen haben. Ich kann Ihnen sagen, dass das massive Konsequenzen hat." Auf Nachfrage des ZDF-Journalisten sagte Höcke, dass "man das Gefühl hat, als Politiker - ich rede jetzt mal als AfD-Politiker - dass der Journalist nicht mehr neutral ist, sondern, dass er irgendwie einen politischen Auftrag exekutiert".
ZDF-Chefredakteur Peter Frey sprach am Montag im "ZDF-Mittagsmagazin" von einem "vorbildlichen Interview". Er forderte die AfD auf, sich dazu zu positionieren, dass Höcke einem Journalisten mit "massiven Konsequenzen" droht. Die Frage sei, ob sich die Partei davon distanziere, sagte Frey. Der Terminvorschlag für das Interview habe aus Höckes Büro gestammt. Anlass des Interviews sei gewesen, dass "Berlin direkt" sich Höcke porträthaft widmen wollte hinsichtlich seiner bundespolitische Bedeutung für die AfD und seiner Sprache. Die Redaktion habe sich entschieden, das Interview ungekürzt online zu stellen, um größtmögliche Transparenz herzustellen.
Journalisten-Verband: "Dunkles Kapitel"
Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall, erklärte, Höcke habe "ein weiteres dunkles Kapitel des gestörten Umgangs der AfD mit der Pressefreiheit im Allgemeinen und kritischen Journalistinnen und Journalisten im Besonderen aufgeschlagen". Es sei völlig richtig gewesen, dass sich Gebhard nicht darauf eingelassen habe, das Interview in Höckes Sinn weichzuspülen. Höcke habe "die Schwelle von der Demokratie zu faschistischen Fantasien überschritten".
AfD-Sprecher Günther Lachmann war bis 2016 Politikredakteur der Tageszeitung "Die Welt". Diese hatte sich von Lachmann getrennt, weil er sich bereits damals der AfD als Berater angeboten haben soll. (epd/mig)
Bildunterschrift: Björn Höcke (AfD) im ZDF-Interview.
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