15 Artikel ,
28.07.2019 :
Pressespiegel überregional
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Übersicht:
Jüdische Allgemeine Online, 28.07.2019:
Literatur / Jenseits der Floskelsprache
Jüdische Allgemeine Online, 28.07.2019:
Berlin-Dahlem / Schon wieder eine Villa
Märkische Allgemeine Online, 28.07.2019:
Polizei / Am Potsdamer Hauptbahnhof / Antisemitischer Angriff: Jüdische Gemeinde unter Schock
Potsdamer Neueste Nachrichten Online, 28.07.2019:
Polizeibericht / Antisemitischer Angriff auf 25-Jährigen am Potsdamer Hauptbahnhof
Leipziger Volkszeitung Online, 28.07.2019:
Nacht zu Sonntag / Betrunkene beleidigen Ausländer am Leipziger Hauptbahnhof und zeigen Hitlergruß
Nordkurier Online, 28.07.2019:
Polizei-Einsatz / Schon wieder illegales Banner in Neubrandenburg
Mittelbayerische Zeitung Online, 28.07.2019:
Rechtsradikalismus / Kleinere Rangeleien bei Antifa-Demo
die tageszeitung Online, 28.07.2019:
Nach rechtem Anschlag in Wächtersbach / Solidarität gegen die Angst
Frankfurter Rundschau Online, 28.07.2019:
Nach Anschlag / 200 Menschen demonstrieren gegen Rassismus
Schwarzwälder Bote Online, 28.07.2019:
Albstadt / Einsatz gegen Rechts ist gelebte Demokratie
Neues Deutschland Online, 28.07.2019:
Rechter Terror / Der Hass bewaffnet sich
Spiegel Online, 28.07.2019:
Nazi-Todeslisten / Kleinreden, verharmlosen, ignorieren - bis es zu spät ist
Süddeutsche Zeitung Online, 28.07.2019:
Justizministerin / Rechtsextreme bekämpfen
Westdeutsche Zeitung Online, 28.07.2019:
Auftritt in Düsseldorf / Wie Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen die Welt sieht
Spiegel Online, 28.07.2019:
Umwelt-Erklärung der AfD / Grünes Blatt, brauner Boden
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Jüdische Allgemeine Online, 28.07.2019:
Literatur / Jenseits der Floskelsprache
28.07.2019 - 00.25 Uhr
Zum 100. Geburtstag von Primo Levi ist es höchste Zeit, den Ausnahme‐Schriftsteller neu zu entdecken
Von Marko Martin
Es ist häufig etwas Weihevolles, das heißt Unangemessenes, in der Rede über Primo Levi, dessen Geburtstag sich am 31. Juli zum 100. Mal jährt. Doch wird man dem italienischen Schriftsteller, weltberühmt gewordenen Auschwitz‐Chronisten, Erzähler und leidenschaftlichen Chemiker wirklich gerecht, wenn dessen Selbstmord 1987 immer wieder mit der Routine‐Floskel beschrieben wird, hier sei ein weiterer Schoa‐Zeuge daran gescheitert, "das Überleben zu überleben"?
Im Laufe der Jahrzehnte haben Generationen bemühter Literaturwissenschaftler über Levis Buch "Ist das ein Mensch?" immer neue fein ziselierte Begrifflichkeiten in Umlauf gebracht, sodass das Einmalige dieses Werks beinahe verschüttgegangen ist. Dabei zeigt jener Auschwitz‐Bericht, was Primo Levi - am 3. September 1943 als Partisan verhaftet, am 22. Februar 1944 jedoch als Jude deportiert und am 27. Januar 1945 von der Roten Armee befreit - hier Präzedenzloses gelungen ist: Er hat die Erinnerung gerettet, den Hyperrealismus der Lagerbeschreibung nicht mit Empathie-Verlust erkauft und - dies vor allem - das Vertrauen in die Kommunikationskraft, ja in die Schönheit der verständlichen Sprache bis zuletzt verteidigt.
Chaos
"Es ist nicht wahr", wird er später schreiben, seit Ende 1945 wieder in seinem geliebten Turin lebend, "dass Unordnung sich nur durch Unordnung darstellen ließe; es ist nicht wahr, dass das Chaos des beschriebenen Blatt Papiers das beste Sinnbild ist für jenes endgültige Chaos, das uns erwartet: Dieser Glaube ist ein typisches Laster unseres Jahrhunderts der Unsicherheit."
Levi hatte Urvertrauen in die rettende, herkömmliche Sprache
Auch deshalb führen alle vordergründigen Gleichsetzungen mit Paul Celan in die Irre. "Da wir Lebenden nicht allein sind, sollten wir auch nicht so schreiben, als wären wir allein", heißt es 1976 in Levis Auseinandersetzung mit Celans hermetischer Lyrik. Solches Urvertrauen in die rettende, herkömmliche Sprache - nicht trotz, sondern gerade wegen der Gaskammern und Verbrennungsöfen, über welche unbedingt präziser Bericht zu erstatten war - fühlte bereits der damals erst 24 Jahre alte Häftling, der in den Buna‐Werken der IG Farben im Lagerkomplex Auschwitz‐Monowitz Zwangsarbeit als Chemielaborant hatte leisten müssen. Später würde diese frühe radikale Erfahrung, "wie sehr das praktische Denken zum Überleben beitrug, das Denken eines menschlichen, wissenschaftlichen Kopfes", dabei helfen, der Verführung der Sprachlosigkeit angesichts des erlebten Schreckens nicht zu verfallen - und sie zurückzuweisen als letzte perfide Falle, aufgestellt von den Tätern, um die Überlebenden zu paralysieren.
Wie schade, dass in jenem allzu oft dunkel dräuenden Sprechen über diesen Ausnahme‐Autor gerade das fehlt: Levis Präferenz der Klarheit, das trotz aller familiär vererbten Depressionen eroberte Glück und die Fähigkeit zu skrupulöser Erinnerung, die Mehrfachbegabung des Intellektuellen, Schriftstellers und Chemikers, der noch lange nach seiner Pensionierung im Jahr 1977 ein Hohelied auf seinen Beruf singt: "Der besiegbare Gegner war ja noch immer derselbe, das Nicht‐Ich, die dumme Materie, feindselig‐träge wie die menschliche Dummheit und wie diese stark in ihrem passiven Stumpfsinn."
Nach Lektüre seines Romans "Der Ringschlüssel" wird man keinen Monteur je wieder ignorant übersehen
Levi hielt deshalb nichts von einer Verteufelung des Technischen, wie es auf höchst verschwiemeltem Niveau der ehemalige Hitler‐Bewunderer Heidegger tat, um die nazistischen Menschheitsverbrechen in einer generellen Zivilisationskritik zu nivellieren. Gleichermaßen ging ihm der nachkriegslinke Sprech, nach welchem "Fiat‐Fabrikarbeit gleich KZ" sei, entschieden gegen den Strich. Literarisches Resultat dieser Wertschätzung handwerklicher Arbeit ist der (in Italien bis heute ebenfalls populäre) Roman "Der Ringschlüssel", nach dessen Lektüre man keinen Monteur je wieder ignorant übersehen wird. Was für eine gelungene, empathische Ausweitung der Aufmerksamkeitszone! Als das Buch 1978 erschien, meldeten sich im italienischen Fernsehen zahlreiche Arbeiter und Auslands‐Monteure, um Levis pikaresken Technikabenteuerroman zu preisen. Ja, genau so gehe es zu in ihrer Welt der Destillierapparate, Schweißgeräte und Ringschlüssel! Denn sie existierte ja doch, jene "entfernte Möglichkeit des Guten", nach der Levi in Auschwitz so verzweifelt gesucht hatte.
Schicksal
Ihren wohl vitalsten Ausdruck findet sie im 1982 erschienenen Roman "Wann, wenn nicht jetzt?", der die spannende Weltkriegsgeschichte russischer und polnischer Partisanen erzählt: mutige linke Herzenszionisten, die hinter den Linien die deutschen Truppen angreifen, sich tunlichst von den NKWD‐dominierten sowjetischen Einheiten fernhalten, Tod und Kälte trotzen und schließlich nach Kriegsende den Weg nach Italien finden, um von dort übers Mittelmeer überzusetzen ins ersehnte Eretz Israel. Protagonisten, die dem so genannten Schicksal den Mittelfinger zeigen, ein tapferes Lachen unter Tränen - unvergesslich.
Dennoch: Der Mann, der dann an einem Samstagnachmittag im April 1987 seine Turiner Wohnung verließ und sich ins Treppenhaus stürzte, war schließlich doch noch von den Depressionen überwältigt worden, die er zeitlebens zu verbergen gewusst hatte. Selbst in seinen letzten publizierten Gesprächen hatte nichts auf sie hingedeutet. Stattdessen mitunter geradezu vergnügte Erinnerungen an seine Kindheit und die säkular‐liberale Familie, deren Vorfahren bereits seit Jahrhunderten im Piemontesischen gesiedelt hatten.
Verdrängung? Im Gegenteil. Eine tapfere Renitenz bis zuletzt - und ein berührendes Understatement in diesem Miniatur‐Selbstporträt: "Ein Menschentyp, dem ich misstraue: dem Propheten, dem Verkünder, dem Seher. All das bin ich nicht. Ich bin ein normaler Mensch mit gutem Gedächtnis, der in einen Wirbel geraten und mehr aus Glück als aus eigenem Verdienst wieder herausgekommen ist und der seitdem eine gewisse Neugier für Turbulenzen hegt, für große und kleine, metaphorische und materielle."
Höchste Zeit, die Bücher Primo Levis nicht nur als Titel zum eigenen Distinktionsgewinn zu zitieren, sondern sie tatsächlich (wieder) zu lesen - und darin Unschätzbares zu erfahren über die fragile und stets bedrohte condition humaine.
Bildunterschrift: Primo Levi (1919 - 1987), wie ihn der amerikanische Pop-Art-Maler Larry Rivers sah.
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Jüdische Allgemeine Online, 28.07.2019:
Berlin-Dahlem / Schon wieder eine Villa
28.07.2019 - 09.11 Uhr
Richard Semmel musste vor den Nazis fliehen. Eine Gedenkstele soll nun an ihn erinnern - doch in dem Anwesen residiert heute Iraks Botschaft
Von Julien Reitzenstein
Hugo Heymann stellte künstliche Perlen her. In den Jahren der Hyperinflation und dann der Weltwirtschaftskrise war dieses Massenprodukt eine beliebte Alternative zu Luxusprodukten wie echten Perlen. Rudolf Löb leitete die Mendelssohn‐Bank und beriet als angesehener Finanzexperte Regierungen der Weimarer Republik. Und Richard Semmel gehörte Anfang des vergangenen Jahrhunderts zu den Wegbereitern der boomenden Textilbranche in Berlin‐Mitte. Alle drei Berliner Juden hinterließen Spuren in der deutschen Geschichte, die weit über ihr Wirken als deutsch‐jüdische Unternehmer in Berlin hinausgehen.
Doch die drei Männer verband nicht nur ihr Judentum, sondern auch ihre Nachbarschaft in Berlin‐Dahlem: Das nördliche Ende des Karrees zwischen Pücklerstraße, Messelstraße, dem Dohnenstieg und der Max‐Eyth‐Straße bestand aus drei Grundstücken, die alle eine Seite zur Straßenfront der Pücklerstraße hatten. Das größte gehörte Rudolf Löb, daneben wohnte Hugo Heymann, der Nachbar am Ende dieser Reihe war der Wäschefabrikant Richard Semmel.
Kunstsammlung
Hugo Heymann war 1926 in die Villa neben Löb gezogen. Als sich 1932 abzeichnete, dass die NSDAP an die Macht kommen würde, verkaufte er sie unter dem Druck drohender Verfolgung für einen sehr niedrigen Preis und suchte dann Käufer für seine restlichen Immobilien.
Der Käufer seiner Villa war ein SS‐naher Verleger. Dessen Erben verkauften das Haus nach dem Krieg. Seit 2004 ist es die Dienstwohnung des amtierenden Bundespräsidenten. An Hugo Heymanns Schicksal erinnert vor der Villa seit 2018 eine Gedenkstele. Sie dient nun als Vorbild für eine weitere Stele - für Heymanns Nachbarn Richard Semmel.
Richard Semmel sah vom Verkauf seiner Villa an den Gewürzfabrikanten Kühne keine Mark
1875 als Sohn eines schlesischen Getreidehändlers geboren, war Richard Semmel Eigentümer der Wäschefabrik Arthur Samulon in Berlin. 1922 kaufte er ein weiteres großflächiges Areal in Dahlem mit der heutigen Adresse Pacelliallee 19 / 21. 1926 stellte der Architekt Adolf Wollenberg eines der geschmackvollsten Wohnhäuser Berlins fertig.
Anschließend zog Semmel ein und mit ihm rund 150 Kunstwerke, unter anderem von Pissarro, Gauguin, Liebermann, Renoir, Rembrandt, Rubens und Tizian.
Kühne
Noch in den Tagen der Machtübernahme 1933 flüchtete Semmel in die Niederlande. Er verkaufte von dort aus seine Villa an Wilhelm Kühne, Eigentümer eines 1772 gegründeten Familienunternehmens, das bis heute für seine Gewürzgurken, Essige und viele andere Lebensmittel bekannt ist.
Der Kaufpreis war so niedrig, dass er für Makler und Steuern verbraucht wurde - Semmel sah keine Mark. In einem höchst seltenen Vorgang erließ ihm das Finanzamt einige hunderttausend Reichsmark Reichsfluchtsteuer - weil sein Vermögensverlust so gewaltig war.
Die Familie Kühne verkaufte die Liegenschaft nach dem Krieg für rund das Elffache des seinerzeitigen Kaufpreises weiter. Richard Semmel starb 1950 verarmt in New York. Seine Versuche, sein Vermögen zurückzuerhalten, blieben erfolglos.
Experten sagen, Iraks Botschafter könne sich nicht rechtlich dagegen wehren, wenn vor seiner Botschaft an verfolgte Juden erinnert wird
Stolpersteine
Seit 2010 ist jene Villa, die Richard Semmel 1926 in der Pacelliallee in Berlin erbaute und aus der er 1933 vertrieben wurde, die Botschaft des Irak untergebracht. Gerade, weil sich der Irak als einziger der Angreifer auf den gerade gegründeten Staat Israel im Jahr 1948 mit diesem noch völkerrechtlich im Kriegszustand befindet, liegt hier eine bemerkenswerte Situation vor.
Nachdem jüngst Stolpersteine gestiftet wurden, soll nun auch eine Gedenkstele vor der Botschaft errichtet werden. Doch hier beginnen die Probleme. Experten sagen, Botschafter Dhia Hadi Mahmoud al‐Dabbass könne sich nicht rechtlich dagegen wehren, wenn im öffentlichen Straßenraum vor seiner Botschaft an verfolgte Juden erinnert wird …
Lesen Sie den ganzen Bericht in unserer nächsten Printausgabe am Donnerstag.
Bildunterschrift: Irakische Botschaft in Berlin-Dahlem (Pacelliallee).
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Märkische Allgemeine Online, 28.07.2019:
Polizei / Am Potsdamer Hauptbahnhof / Antisemitischer Angriff: Jüdische Gemeinde unter Schock
28.07.2019 - 19.44 Uhr
Ein 25-Jähriger ist am Potsdamer Hauptbahnhof bespuckt und beleidigt worden. Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln gegen einen 19-jährigen Syrer. Die Jüdische Gemeinde Potsdam ist geschockt. Nun meldet sich auch der Oberbürgermeister zu Wort.
Potsdam. Weil er eine Kippa mit Davidstern trug, ist ein Mann (25) am Samstag vor dem Potsdamer Hauptbahnhof bespuckt und als "Drecksjude" beleidigt worden. Das bestätigt die Polizeidirektion West auf Nachfrage der MAZ. Der Potsdamer habe umgehend die Polizei alarmiert - diese ersuchte die am Bahnhof stationierte Bundespolizei um Hilfe. Deren Beamte waren als erste vor Ort - sie fassten einen 19-Jährigen, den der Geschädigte als Täter identifiziert hatte. Der Heranwachsende stammt aus Syrien, seine Personalien wurden aufgenommen.
Begleiter des Beschuldigten soll sich nicht beteiligt haben
"Einen tätlichen Angriff, eine Handgreiflichkeit hat es nicht gegeben", sagte der Sprecher der Polizeidirektion West, Daniel Keip der MAZ. Der Vorfall hat sich demnach am Samstagnachmittag gegen 16.30 Uhr auf dem Bahnhofsvorplatz an der Friedrich-Engels-Straße ereignet. Neben dem Opfer und dem mutmaßlichen Täter hätten die Bundespolizisten auch einen Zeugen befragt - der Jugendliche (17) war der Begleiter des mutmaßlichen Täters, beteiligte sich laut Daniel Keip aber nicht.
"Die Konstellation legt nahe, dass eine antisemitische Motivation anzunehmen ist. Es wurde eine Anzeige wegen Volksverhetzung aufgenommen", so Daniel Keip. Der mutmaßliche Täter ist auf freiem Fuß, die Staatsanwaltschaft werde am Montag eingeschaltet. Ob der Beschuldigte der Polizei bereits bekannt ist, womöglich wegen ähnlicher Delikte, sagte Daniel Keip mit Verweis auf dessen Alter nicht.
Student sagt, er trage die Kippa aus Familientradition
Als erstes hatte am Sonntag die Deutsche Presse-Agentur (DPA) über den Vorfall berichtet. Wie die DPA bestätigte, habe der Betroffene selbst den Kontakt zu den Journalisten gesuchte. Demnach sagte der 25-jährige Student der Agentur, er trage die Kippa täglich aus Familientradition. "Als ich am Hauptbahnhof aus der Straßenbahn ausgestiegen bin, habe ich hinter mir Schatten wahrgenommen", berichtete er. Im nächsten Moment sei er schon angespuckt, antisemitisch beleidigt und mit Gebärden bedroht worden.
Jüdische Gemeinde unter Schock
In der Jüdischen Gemeinde Potsdam ist man entsetzt. "Ich stehe unter Schock", sagt deren Vorsitzender Evgeni Kutikow. "Ich habe Potsdam immer für eine ruhige Stadt gehalten." Evgeni Kutikow fordert, dass die Politik nun aktiv wird. So müssten muslimische Migranten aufgeklärt und ihnen bewusst gemacht werden, dass es in Deutschland Gesetze gibt und dass es Konsequenzen hat, wenn man gegen diese verstößt. Dennoch wolle er nicht davon abraten, die Kippa, den Davidstern und andere jüdische Symbole in der Öffentlichkeit zu tragen. "Wenn es so weit kommt, dass wir davor warnen müssen, dann ist für uns Juden der Punkt erreicht, Deutschland zu verlassen und nach Israel auszuwandern."
Oberbürgermeister: "Wir lassen uns tolerantes Klima nicht zerstören"
Auch Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) zeigte sich am Sonntag von der Nachricht zutiefst betroffen. "Den Vorfall am Hauptbahnhof nehme ich sehr ernst", teilte Schubert mit. "Potsdam ist eine Stadt der Toleranz und hat aus der Geschichte gelernt. Hass und Gewalt aus politischen und religiösen Motiven dulden wir in unser Stadt nicht."
Der Betroffene habe richtig gehandelt, als er sich an die Polizei gewandt und den Fall zur Anzeige gebracht hat, so Schubert: "Es ist gut, dass die Polizei den mutmaßlichen Täter schnell ausfindig machen konnte." Die Ermittlungen müssten zügig Klarheit über die mutmaßlich antisemitische Motivation und die daraus folgenden strafrechtlichen Konsequenzen schaffen. "Das tolerante Klima in der Stadt, die gute Integrationsarbeit und den Integrationswillen der Geflüchteten in unserer Stadt lassen wir uns nicht von Einzeltätern zerstören", betonte der Oberbürgermeister. Im Frühjahr 2018 nahmen etwa 350 Menschen an der Aktion "Potsdam trägt Kippa" teil, um ein Zeichen gegen antisemitische Übergriffe zu setzen, die sich unter anderem in Berlin ereignet hatten.
Hauptbahnhof fällt immer wieder negativ auf
Der Hauptbahnhof gerät immer wieder in die Schlagzeilen und gilt als Kriminalitätsschwerpunkt. Diebstähle, Alkohol-Exzesse, handgreifliche Streitereien, Drogen-Delikte, sexuelle Belästigungen - die Liste der Vorfälle ist lang. Zu antisemitischen Angriffen sei es in den vergangenen drei Jahren laut Polizei zwar "in der Stadt vereinzelt", am Bahnhof aber nicht gekommen.
Bildunterschrift: Ein 25-Jähriger ist laut Polizei in Potsdam bespuckt und beleidigt worden (Symbolbild).
Bildunterschrift: Der Potsdamer Hauptbahnhof gerät immer wieder in die Schlagzeilen.
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Potsdamer Neueste Nachrichten Online, 28.07.2019:
Polizeibericht / Antisemitischer Angriff auf 25-Jährigen am Potsdamer Hauptbahnhof
28.07.2019 - 13.37 Uhr
Ein 25-jähriger Student, der eine Kippa mit Davidstern trug, ist vor dem Potsdamer Hauptbahnhof bespuckt und beleidigt worden. Nun äußert sich auch Potsdams Oberbürgermeister zu dem Vorfall.
Von Sandra Calvez, Valerie Barsig, Hajo von Cölln und Klaus Peters
Potsdam. Wieder ein Vorfall am Potsdamer Hauptbahnhof: Ein 25-jähriger Potsdamer Student, der eine Kippa mit Davidstern trug, ist vor dem Potsdamer Hauptbahnhof angegriffen und beleidigt worden. Beamte der Bundespolizei hätten nach dem Vorfall als mutmaßlichen Täter einen 19-jährigen syrischen Staatsangehörigen ermittelt, sagte ein Sprecher der Polizeidirektion West am Sonntag auf PNN-Anfrage. Der 25-jährige Student sei am Samstagnachmittag um 16.30 Uhr auf dem Bahnhofsvorplatz aus der Straßenbahn gestiegen und dann unvermittelt angespuckt worden. Außerdem wurde er antisemitisch beleidigt. Zum genauen Inhalt der Beleidigung wollte der Polizeisprecher keine Angaben machen, der antisemitische Charakter der Aussagen sei aber unmissverständlich gewesen. Der junge Potsdamer rief den Notruf.
Polizei konnte Täter fassen
Als Polizisten der Polizeidirektion sowie die für den Bahnhof zuständige Bundespolizei eintrafen, hielten sich der junge Mann sowie der Tatverdächtige noch vor dem Bahnhof auf. Gegen den 19-jährigen Syrer wurde eine Anzeige wegen Volksverhetzung aufgenommen. Begleitet wurde er von einem 17-Jährigen, ebenfalls syrischer Staatsangehörigkeit. Dieser wird als Zeuge geführt. Nach der Aufnahme der Personalien konnten die jungen Männer nach Hause gehen. Die Kriminalpolizei werde die Ermittlungen aufnehmen, sagte der Polizeisprecher.
Der 25-jährige Student sagte der Deutschen Presse-Agentur, er trage die Kippa täglich aus persönlichen Gründen. "Als ich am Hauptbahnhof aus der Straßenbahn ausgestiegen bin, habe ich hinter mir Schatten wahrgenommen", berichtete er. Im nächsten Moment sei er schon angespuckt, antisemitisch beleidigt und mit Gebärden bedroht worden.
Der Oberbürgermeister äußerte sich am Sonntag zu dem Vorfall
Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) äußerte sich noch am Sonntag in einer Pressemitteilung zu dem Vorfall. Er nehme ihn sehr ernst, so Schubert. Potsdam sei eine Stadt der Toleranz und habe aus der Geschichte gelernt. "Hass und Gewalt aus politischen und religiösen Motiven dulden wir in unserer Stadt nicht." Der Student habe mit seiner Anzeige richtig gehandelt, teilte Schubert mit und lobte auch die Arbeit der Polizei. Nun müssten die Ermittlungen zügig Klarheit über die mutmaßlichen antisemitischen Motive schaffen. "Das tolerante Klima in der Stadt, die gute Integrationsarbeit und den Integrationswillen der Geflüchteten in unserer Stadt lassen wir uns nicht von Einzeltätern zerstören", betonte Schubert.
In Potsdam ist es im ersten Halbjahr 2019 zu insgesamt fünf antisemitischen Übergriffen gekommen, brandenburgweit waren es 51.
Antisemitische Übergriffe im 1. Halbjahr 2019
Vom 1. Januar bis zum 27. Mai 2019 wurden in Brandenburg insgesamt 51 politisch motivierte Straftaten ("Hass-Kriminalität, Antisemitismus") registriert.
Am Potsdamer Hauptbahnhof kommt es immer wieder zu Zwischenfällen. Deshalb gilt er laut Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) als Kriminalitätsbrennpunkt. Wie berichtet soll im Herbst das brandenburgische Innenministerium die Sicherheitslage am Potsdamer Hauptbahnhof erneut überprüfen, nachdem weitere Sicherheitsmaßnahmen im April angekündigt worden waren.
Bildunterschrift: Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD).
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Leipziger Volkszeitung Online, 28.07.2019:
Nacht zu Sonntag / Betrunkene beleidigen Ausländer am Leipziger Hauptbahnhof und zeigen Hitlergruß
28.07.2019 - 14.32 Uhr
Zwei Männer haben am Leipziger Hauptbahnhof Jugendliche mit ausländerfeindlichen Sprüchen beleidigt. Auch der Hitlergruß wurde gezeigt.
Leipzig. Am Leipziger Hauptbahn sind zwei Jugendliche am späten Samstagabend von zwei Männern mit ausländerfeindlichen Parolen beleidigt worden. Dabei hätten die mutmaßlichen Täter auch den Hitlergruß gezeigt, teilte die Leipziger Polizei am Sonntag mit. Der 30- und der 37-Jährige waren Teil einer "stark alkoholisierten Gruppe von Männern", hieß es. Sie haben sich nun unter anderem wegen des Verwendens verfassungsfeindlicher Kennzeichen zu verantworten.
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Nordkurier Online, 28.07.2019:
Polizei-Einsatz / Schon wieder illegales Banner in Neubrandenburg
28.07.2019 - 13.16 Uhr
Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage tauchte in Neubrandenburg ein Bettlaken mit einem fremdenfeindlichen Slogan auf. Diesmal hing es am Zaun eines Getränkemarktes.
Dennis Bacher
Neubrandenburg.
Ein Bettlaken mit fremdenfeindlicher Botschaft wurde am Samstagabend in Neubrandenburg entdeckt. Darüber informierte die Polizei am frühen Sonntagmorgen. Das Laken mit den aufgesprühten Worten "Völker-Mord" wurde offenbar von Unbekannten im Wohngebiet Reitbahnweg angebracht. Bereits in der Nacht zuvor fanden Beamte im Vogelviertel ein Laken mit der Aufschrift "Migration tötet" vor.
Wie aus der Mitteilung der Polizei hervorgeht, wurde das zweite Laken mittels Kabelbindern an einem Bauzaun des Getränkemarktes am Neubrandenburger Schimmelweg aufgehängt. Durch einen Zeugenhinweis nahm die Polizei Kenntnis von der illegalen Plakatierung. Das erste Bettlaken, so heißt es weiter, wurde in der Nacht zuvor in ähnlicher Vorgehensweise am Zaun eines Neubrandenburger Maschinen-Vertriebs in der Usedomer Straße angebracht.
Polizei hofft auf Zeugen
Beide Plakatierungen wurden durch die Beamten des Polizeihauptreviers Neubrandenburg entfernt und für das einzuleitende Ordnungswidrigkeitsverfahren gesichert. Mit dem Slogan "Migration tötet" hatte die rechtsextreme NPD im Vorfall der Europawahl geworben. Manche Landkreise hatten die Plakate abhängen lassen, weil sie als "volksverhetzend" eingestuft wurden.
Die Polizei sucht nun Zeugen, die sowohl am Freitag als auch am Sonnabend in den späten Abend- und Nachtstunden in den jeweiligen Umgebungen relevante Beobachtungen gemacht haben. Hinweise nimmt die Polizei entgegen unter der Rufnummer 0395 / 55825224.
Bildunterschrift: Ein Zusammenhang zwischen den beiden Bannern liegt nahe.
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Mittelbayerische Zeitung Online, 28.07.2019:
Rechtsradikalismus / Kleinere Rangeleien bei Antifa-Demo
28.07.2019 - 17.00 Uhr
250 Menschen demonstrierten in Schwandorf gegen rechte Umtriebe. Am Rande kam es zu Rangeleien mit der Polizei.
Von Johannes Hartl
Schwandorf. Die Polizei war auf alles vorbereitet. Mit zahlreichen Bussen und einer großen Mannschaftsstärke zeigte sie am Samstag am Schwandorfer Busbahnhof Präsenz, um eine Demonstration gegen rechte Umtriebe abzusichern. Gegen Mittag haben sich dort laut Polizeiangaben rund 250 Personen versammelt; sie stammten mehrheitlich aus dem linksautonomen Spektrum und waren einem Aufruf der "Sozialrevolutionären Aktion" aus Regensburg gefolgt.
Unter dem Motto "Oberpfalz entnazifizieren - Antifaschismus in die Offensive" mobilisierte diese Gruppe bereits seit Monaten in die Große Kreisstadt. Viele Schwandorfer aber sind dem Aufruf nicht gefolgt, denn die Aktion war weder mit lokalen Initiativen abgestimmt noch haben sich diese beteiligt. Im Gegenteil: Die Mehrheit der Teilnehmer war extra von außerhalb angereist, um an den Protesten teilzunehmen. Neben Personen aus Regensburg waren das auch Aktivisten aus dem nordbayerischen Raum, etwa die so genannte autonome Gruppe "Prolos", die mit einem eigenen Banner vertreten war.
Nach einer Auftaktkundgebung am Bahnhof führte sie ihr Demonstrationszug einmal durch die gesamte Innenstadt, konkret ging es von der Bahnhofsstraße über die Friedrich-Ebert-Straße zum Marktplatz und über den Adolf-Kolping-Platz schließlich wieder zurück zum Ausgangspunkt. Vor dem Habermeier-Haus, am Marktplatz und am Bahnhof fanden jeweils kleinere Kundgebungen mit Redebeiträgen statt. Inhaltlich waren diese allerdings eher allgemein ausgerichtet: Es ging vor allem um den Kampf gegen den Kapitalismus, um die tödliche rechtsextreme Gewalt sowie um den Rechtsruck, der sich derzeit in Deutschland zeige.
"Prollcrew" organisierte eigene Konzerte
Eigentlicher Adressat der Demonstration war hingegen die "Prollcrew Schwandorf" - eine konspirative Neonazi-Gruppe, die seit 2012 besteht. Deren Aktivisten inszenieren sich gerne als harmloser Freizeitclub, tatsächlich bewegen sie sich aber in der neonazistischen Musik-Szene. Allein zwischen 2016 und 2017 waren die Neonazis auf mindestens vier bedeutenden Rechtsrock-Konzerten vertreten, darunter auf zwei Events in Slowenien und der Schweiz, die im Geheimen organisiert wurden.
Zuletzt haben deren Aktivitäten sogar noch eine weitere Eskalationsstufe erreicht, als sie im Dezember 2017 in Klardorf und im April 2018 in Steinberg am See erstmals zwei Konzerte organisierten. Dabei war im Sportheim des TSV-Klardorf, wo ohne Wissen des Vereins die erste Veranstaltung stattfand, ausgerechnet Martin Böhne aufgetreten. Böhne gilt als Größe der neonazistischen Musik-Szene, er spielt und spielte in mehreren Szene-Bands - unter anderem in der Formation "Oidoxie". Laut Medienrecherche soll diese Gruppe dem Netzwerk "Combat 18" nahestehen, dem bewaffneten Arm von "Blood and Honour", einer in Deutschland seit 2000 verbotenen Vereinigung.
Polizei: Demo verlief größtenteils friedlich
Für die Demonstranten beweist das, dass die "Prollcrew" in Schwandorf ungestört agieren könne. In ihrem Aufruf werfen sie der "Stadtverwaltung, der Politik und der Polizei" vor, dass sie "keine Notwendigkeit" sehen, "dem Treiben in irgendeiner Form Einhalten zu gebieten". Auch einige lokale Fußballvereine stehen in der Kritik, weil einzelne "Prollcrew"-Aktivisten trotz bekannter Gesinnung weiter unbehelligt als Spieler aktiv seien.
Neonazis würden nicht "in einem luftleeren Raum agieren", erklärte einer der Redner, der wie alle anderen anonym blieb und lediglich im Namen einer Gruppe sprach. Ein "symbolisches Zeichen" allein reiche deshalb nicht aus; es brauche vielmehr einen aktiven und entschiedenen Widerstand, um den Neonazis ihre "Wohlfühlzone" in der Oberpfalz zu nehmen.
Aus polizeilicher Sicht blieb die Veranstaltung "größtenteils" friedlich - nicht zuletzt wegen der "deeskalierenden und kommunikativen" Einsatzstrategie, wie es heißt. Doch am Anfang und Ende der Demonstration kam es im Bereich des Bahnhofs dennoch zu kleineren Rangeleien; die Beamten setzten kurzzeitig Pfefferspray ein. Nach Angaben der Polizei habe zu Beginn eine 21-jährige Frau einen Polizisten verletzt, als sie diesem auf den Arm schlug. Darüber hinaus habe sich ein weiterer 16-jähriger Teilnehmer vermummt.
"Prollcrew" war im Stadtgebiet unterwegs
Als diese am Ende der Versammlung festgenommen werden sollten, hätten sich die Demonstranten solidarisiert. Dabei sei es zu Flaschenwürfen gekommen, auf die die Polizei wiederum mit Pfefferspray reagierte. In ihrer Bilanz war von vier vorläufigen Festnahmen, von zwei leicht verletzten Beamten sowie von mehreren Anzeigen wegen Verstöße gegen das Versammlungsgesetz und wegen Körperverletzung die Rede.
Einige der Teilnehmer haben sich dann, als die Aktion vor dem Bahnhof schon beendet war, noch vor die Polizeidienststelle begeben, um sich mit den Festgenommenen solidarisch zu erklären. Nach Abschluss der Maßnahme und Freilassung der Aktivisten habe sich auch dieser Protest aufgelöst, so die Polizei.
Bei den Schwandorfern selbst sorgte die Demonstration am Samstag derweil für Aufsehen. Einige Menschen beobachteten vom Straßenrand das Geschehen, andere sahen von den Fenstern aus zu, während sich der Marsch durch die Stadt bewegte. Auch Aktivisten der "Prollcrew" seien laut Dietmar Winterberg, dem Pressesprecher des Polizeipräsidiums Oberpfalz, im Stadtgebiet unterwegs gewesen. Zu Konfrontationen sei es aber nicht gekommen.
Außerdem wurden ein Mann und eine Frau vom Veranstaltungsort entfernt, als die Demonstration wieder am Bahnhof angekommen war. Durch den Mann, der erkennbar der rechten Szene nahestand, fühlten sich die Teilnehmer provoziert. Er trug nämlich das T-Shirt eines Neonazi-Labels, das als Aufdruck eine Waffe zeigt, eingerahmt von der Aufschrift: "Faxen Dicke Division".
Bildunterschrift: Rund 250 Menschen demonstrierten in Schwandorf.
Bildunterschrift: Auf dem Marktplatz ging es teilweise hoch her. Auch Pfefferspray kam zum Einsatz.
Bildunterschrift: Der Demonstrationszug ging vom Bahnhof in die Innenstadt und zurück.
Bildunterschrift: Lautstark machten die Demonstranten auf ihr Anliegen aufmerksam.
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die tageszeitung Online, 28.07.2019:
Nach rechtem Anschlag in Wächtersbach / Solidarität gegen die Angst
Nach dem Anschlag im hessischen Wächtersbach demonstrieren dort rund 250 Menschen gegen Rassismus. Nicht allen im Ort gefällt das.
Von Kevin Culina
Wächtersbach (taz). "Wir haben Angst", sagt Alganesh Micael. Sie steht an der historischen Altstadt im hessischen Wächtersbach, umgeben von rund 250 Demonstrantinnen / Demonstranten. An diesem Samstag-Mittag versammeln sie sich hier, um Solidarität mit dem Deutsch-Eritreer Bilal zu zeigen, der vergangenen Montag einen Mordanschlag durch den deutschen Rassisten Roland K. nur knapp überlebte. Immer wieder schallt es "Kein Schlussstrich" und "Kein Mensch ist illegal, Bleiberecht überall" durch den Ort.
"Der Zufall hat ihn getroffen", betont Alganesh Micael in der Rede, die sie vor den Demonstrantinnen / Demonstranten hält. Das bisherige Leben in Wächtersbach sei in Ordnung, der Betroffene und seine Familie seien zufrieden gewesen. Doch nun mache sich Angst in der schwarzen Community breit, ebenfalls Opfer rassistischen Terrors zu werden.
Während die Demonstration vor allem von linken Aktivistinnen / Aktivisten aus Frankfurt getragen wird, stehen Wächtersbacher Anwohnerinnen / Anwohner nur beobachtend oder gar kopfschüttelnd am Rand.
Eine Frau aus dem Ort läuft allerdings im hinteren Teil der Demo mit, sie möchte ebenfalls ein Zeichen setzen. Gegen den rassistischen Hass zwar - das auch - aber eben auch gegen den "Linksterrorismus", wie sie der taz sagt. Viele im Ort hätten Vorbehalte gegen die Antifa-Gruppen, die im Internet zur Demonstration aufgerufen haben, berichtet sie. Diese Abneigung ist auch in verschiedenen Nachbarschafts-Gruppen auf Facebook nachzulesen, in denen eine knappe Woche nach dem Anschlag vor allem der Medienrummel um den Ort beklagt wird.
Die rechte Szene des Täters: Das "Martinseck"
Dabei hat der Main-Kinzig-Kreis, in dem Wächtersbach liegt, fraglos ein Problem mit Rechtsradikalen. So zählt ein Antifa-Aktivist am Mikrophon zahlreiche Neonazi-Gruppen auf, die in den vergangenen Jahren hier aktiv waren. Der Landesverband der militanten Neonazi-Partei "Die Rechte" gründete sich etwa in einem Nebenort. Deren Mitgliedern konnte mittlerweile eine Nähe zum Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke nachgewiesen werden. Die Szene müsse entwaffnet und bekämpft werden, fordert der linke Aktivist in seiner Rede deshalb.
Zwar konnte bisher nicht nachgewiesen werden, dass der Wächtersbacher Schütze, in rechtsextremen Organisationen Mitglied gewesen sei, der Redner verweist aber auf das Internet als zentrale Vernetzungs- und Radikalisierungsplattform. Und dann gibt es da noch die örtliche Kneipe: "Rolands rechte Szene heißt Martinseck", so der junge Mann. In der Kneipe mit diesem Namen soll Roland K. seinen Anschlag erst angekündigt und danach begossen haben, bevor er sich das Leben nahm.
Bei der Demonstration am Samstag geben sich die Aktivistinnen / Aktivisten allerdings auch Mühe, eben nicht nur vom rassistischen Täter, sondern auch vom unschuldigen Opfer des Anschlags zu sprechen. "Gute Besserung, Bilal", ruft etwa ein schwarzer Aktivist namens Thomas unter lautem Beifall in die Menge. Im Anschluss kritisiert er die Kontinuität des Rassismus, unter dem Schwarze in Deutschland zu leiden hätten und von dem die Mehrheitsgesellschaft nicht reden wolle. Der rechte Terror sei nur das aggressivste, sichtbarste Element hiervon. Ein Zeichen der Solidarität, wie die Demonstration, sei zwar gut und wichtig, so der junge Mann. "Doch erst müssen aus Transparenten Worte und Taten werden. Hier in Wächtersbach und überall."
Bildunterschrift: Protest von Außerhalb? Die Wächtersbacher selbst sehen die Anti-Rassismus-Demo eher skeptisch
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Frankfurter Rundschau Online, 28.07.2019:
Nach Anschlag / 200 Menschen demonstrieren gegen Rassismus
28.07.2019 - 16.41 Uhr
Zu der Protestkundgebung hatte die Gruppe Antifa Kollektiv 069 (AK.069) aufgerufen. Die Veranstaltung verläuft friedlich.
Nach dem rassistisch motivierten Anschlag auf einen Eritreer in Wächtersbach haben nach Polizeiangaben rund 200 Menschen gegen rechten Terror demonstriert. Die Teilnehmer seien eher links orientiert, sagte ein Polizeisprecher. Die Demonstration am Samstag sei friedlich und ohne wesentliche Zwischenfälle verlaufen. Zu der Protestkundgebung hatte die Gruppe Antifa Kollektiv 069 (AK.069) aufgerufen. Start und Ziel des Aufzugs war der Bahnhof der Stadt im Main-Kinzig-Kreis. Der Weg führte die Demonstranten auch am Tatort in einem Wächtersbacher Industriegebiet vorbei.
Ein 55 Jahre alter Deutscher hatte am vergangenen Montag den 26 Jahre alten Eritreer mit einem Bauchschuss schwer verletzt und sich danach das Leben genommen.
Die mit 20 Beamten besetzte Sonderkommission gehe von einem "frustrierten, isolierten Einzeltäter" aus, der aus fremdenfeindlichen Motiven habe morden wollen, sagte Alexander Badle von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Freitag.
"Spiegel Online" berichtete, dass der 55-Jährige eine eindeutig rechtsextreme Botschaft hinterlassen habe. In einem Abschiedsbrief habe er sinngemäß geschrieben: Wenn er schon gehen müsse, nehme er noch jemanden mit in den Tod. Damit erweise er dem Steuerzahler einen Dienst. Die Generalstaatsanwaltschaft bestätigte nur die Existenz des Briefs, zum Inhalt gab es keine Details. Auf dem Schreiben lag dem Medienbericht zufolge ein Koppelschloss mit Hakenkreuz und dem Motto der SS: "Meine Ehre heißt Treue". (dpa)
Bildunterschrift: Teilnehmer einer Demonstration gegen rechten Terror laufen mit einem Plakat mit der Aufschrift "Gegen Rassismus und rechten Terror" durch ein Wohngebiet.
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Schwarzwälder Bote Online, 28.07.2019:
Albstadt / Einsatz gegen Rechts ist gelebte Demokratie
28.07.2019 - 17.02 Uhr
Von Julia Stapel
Wie soll man damit umgehen, wenn Rechtspopulisten und Nationalisten öffentlich eine Rückkehr zum traditionellen Frauenbild fordern? ver.di-Mitglied Andrea Schiele hat beim Vortrag im IG-Metall-Gewerkschaftshaus Ideen geliefert.
Albstadt-Lautlingen. Wie stellt man sich heute einen Nationalsozialisten vor? Als Skinhead mit Springerstiefeln? Heute zeigen nicht nur Männer in der rechten Szene ihr Gesicht, sondern es sind auch vermehrt Frauen aktiv - und sie fordern eine Abkehr vom modernen Frauenbild, wie Andrea Schiele von der Gewerkschaft "ver.di" auf Einladung der IG Metall Albstadt berichtete: "Kinder kriegen, mindestens drei - wenn nicht, hat man als Frau völlig versagt."
Als "Keimzelle des Staates" sähen rechte Parteien die Frau, betonte die Fachkraft für Rechtsextremismus-Prävention. Und das sei nicht "auf dem Mist der Männer gewachsen", sondern auch Frauen stünden dafür ein: Frauke Petry, Alice Weidel, Beatrix von Storch, Tatjana Festerling oder Martina Kempf seien Beispiele für rechtspopulistische Frauen.
Für Schiele ist das ehemalige Gründungsmitglied der Hamburger AfD, Tatjana Festerling, rassistisch, wie sie mit einem Zitat belegte: "Die tittensozialistische Leitideologie will wissen, wer sie braucht. Ist doch ganz einfach: Damit wir was zu lachen haben. Wer braucht Feminismus?" Allerdings gebe es in der AfD auch Slogans wie diese: "Ehe, Familie, Haushaltsführung und Kindererziehung sollen in den Lehrplänen und Schulbüchern aller Schulen eine positive Berücksichtigung finden." Das klinge erst mal so, "als hätte das jeder von uns sagen können", so Schiele. Aber das sei das Tückische - es gebe nämlich hauptsächlich rechte Forderungen wie die strikte Ablehnung der "Gender-Ideologie" - keine Gleichstellung von Homosexuellen.
Solche Wahlforderungen könne jeder schreiben, kommentierte Schiele. "Vieles ist nicht verboten - Holocaust leugnen ist eine Straftat", andere rechte Aussagen seien es nicht. "Rechtspopulismus verallgemeinert und popularisiert", erklärte Schiele. Die Verhaltensmuster der Rechten seien meist rassistisch, aber: "Das ist irgendwo jeder von uns, denn wir stecken die Welt oft in Schubladen."
"Jeder hat mit Vorurteilen zu kämpfen - es kommt darauf an, wie man sie sortiert."
Schiele betonte, dass jeder mit Vorurteilen kämpfe, doch es komme darauf an, wie man sie sortiere: "Es wird erst problematisch, wenn man wertend wird: "Die sind so"." Für Rechtspopulisten gebe es zwei Dimensionen: "Die da oben und "wir" hier unten - das Volk", meint Schiele. "Sie denken, dass nur sie arbeiteten, ehrlich und vernünftig seien und insbesondere nur sie anständig lebten. Ganz gewiss haben sie noch nie etwas angestellt."
Für Rechtspopulisten seien Medien oft nur "Lügenpresse": "Man darf ja noch seine Meinung sagen", heiße es dann oft. Widerspruch wollten die Rechten freilich nicht hören, so Schiele.
Was kann jeder Einzelne tun? "Wir können das Denken der Menschen nicht ändern, wir können nur felsenfest von unserer Meinung überzeugt sein", erklärt Schiele. Man solle auch nicht versuchen, anderen eine Meinung aufzuzwingen. Viel besser sei es, einen anderen Weg, eine andere Sicht aufzuzeigen. "Es bringt nichts, sein letztes Hemd zu geben, um jemandem sein Denken näher zu bringen - das kostet Kraft." Manche wollen laut Schiele eine andere Meinung ohnehin nicht akzeptieren und einfach nur Recht haben.
Äußere sich jemand rechtspopulistisch, sei es am besten, erst einmal nachzufragen, woher, denn diese Information hätte: "Immer nach der Quelle fragen", sagte Schiele. Meistens stimmten Aussagen über gewisse Statistiken nicht - dann könne man leicht eine andere Quelle dagegenhalten. "Wir können es probieren, müssen aber akzeptieren, wenn jemand bei seiner Meinung bleibt - sonst sind wir ja wie sie."
Insbesondere die Gewerkschaft ver.di habe eine wichtige Verantwortung zu übernehmen: sich für Menschenrechte und Demokratie einzusetzen. "Abgrenzung ist immer auch ein Angriff auf die Demokratie - denn Demokratie heißt, alle haben die selben Rechte, alle sind dabei. Einsatz gegen Rechtsextremisten und -Extremistinnen, gegen Rechtspopulisten und -Populistinnen ist Einsatz für Demokratie" - davon ist Andrea Schiele fest überzeugt.
Bildunterschrift: Andrea Schiele.
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Neues Deutschland Online, 28.07.2019:
Rechter Terror / Der Hass bewaffnet sich
28.07.2019 - 12.59 Uhr
Nach rechten Mordanschlägen ist die Diskussion über das Waffenrecht neu entbrannt
Von Sebastian Bär
Der Neonazi Stephan E. ermordete Anfang Juni in Kassel mutmaßlich den CDU-Politiker Walter Lübcke mit einem Kopfschuss. Davor war er jahrelang in einem Schützenverein aktiv, soll dort aber nur Zugriff auf einen Bogen gehabt haben. Nur wenige Wochen später schoss der als Rassist bekannte Roland K. im hessischen Wächtersbach auf einen Eritreer. Er hatte die Tat vorher in einer Kneipe angekündigt. Zu Hause soll er legal sechs Waffen besessen haben. Beide erschütternde Vorfälle haben in Deutschland zumindest in Teilen der Gesellschaft Debatten ausgelöst. Über den Umgang mit der AfD, mit rechter Hetze - und nun auch über die Verfügbarkeit von Waffen.
Mehrere Politiker erhoben jüngst die Forderung nach einer Verschärfung des Waffenrechts. Der kommissarische SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel sprach sich dafür aus, die Kontrollen in Deutschland "besser und engmaschiger" durchzuführen. "Es geht dabei explizit nicht darum, Sportschützen oder Jäger zu traktieren, aber ich fordere, die Waffen von objektiv unzuverlässigen Personen wie Reichsbürgern und Rechtsextremen konsequent einzuziehen", zitierten Medien den hessischen SPD-Partei- und Fraktionschef.
Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linkspartei im Bundestag, plädierte ebenfalls für eine konsequentere Umsetzung der bestehenden Gesetze. "Die Ordnungsämter müssen in die Lage versetzt werden, die bereits bestehenden Regelungen besser durchzusetzen beziehungsweise ihre Einhaltung besser zu überprüfen", sagte die Abgeordnete gegenüber Medien. Es gebe immer wieder polizeibekannte Neonazis, bei denen man irgendwann herausfinde, dass sie einen Waffenschein haben, so die Politikerin. "Und das muss definitiv ausgeschlossen werden."
Irene Mihalic von den Grünen beklagte eine zögerliche Haltung der Großen Koalition: "Leider hat die Bundesregierung diesbezüglich bisher nichts Substanzielles vorgelegt", sagte die Abgeordnete. Es müsse dafür gesorgt werden, dass relevante Erkenntnisse von Sicherheitsbehörden vor der Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis berücksichtigt werden. "Auch die Eignung und Zuverlässigkeit von Waffenbesitzern muss fortlaufend überprüft werden."
Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) machte sich ebenfalls für eine Verschärfung des Waffenrechts stark. Es müsse verhindert werden, dass "Extremisten, gleich welcher Couleur, legal Waffen besitzen", erklärte Beuth in Wiesbaden. "Wer nicht mit beiden Füßen auf unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht, darf keine Waffe in die Hände bekommen."
Beuth kündigte an, sein Ministerium werde alle Waffenbehörden in Hessen noch einmal sensibilisieren, die bestehenden Möglichkeiten zum Waffenentzug voll auszuschöpfen. Hessen arbeite weiter daran, bundesweit schärfere Regelungen für den Besitzer einer Waffe durchzusetzen. Beuth wolle erreichen, dass Personen bereits als unzuverlässig für den Besitz einer Waffe eingestuft werden, wenn sie bei einer Verfassungsschutzbehörde des Bundes oder der Länder gespeichert sind. Im Bundesrat gebe es für den Vorstoß aus Hessen aber derzeit keine Mehrheit, erklärte der Minister. Hessen hatte 2016 und 2018 Initiativen zu einer Verschärfung des Waffenrechts eingebracht. 2018 wurde die hessische Initiative in der Länderkammer abgelehnt.
Laut dem Bundesinnenministerium gibt es derzeit rund eine Million Menschen in Deutschland, die eine waffenrechtliche Erlaubnis sowie mindestens eine Waffe besitzen. Mit einem Kleinen Waffenschein kann man Schreckschuss- und Reizstoffpistolen tragen, mit einem Großen Waffenschein auch scharfe Waffen. Waffenbesitzkarten erlauben etwa Sammlern Waffen zu besitzen, aber nicht in der Öffentlichkeit zu führen. Insgesamt sollen laut dem Nationalen Waffenregister in Deutschland 5,83 Millionen legale und laut Medienberichten etwa 20 Millionen illegale Waffen kursieren. Nach Recherchen des Deutschlandfunks gibt es in Bayern die meisten Waffen und in Berlin, Hamburg und Bremen die wenigsten.
Vor allem die extreme rechte Szene gilt als waffenaffin. Ende 2018 hatten laut Verfassungsschutz alleine 910 Reichsbürger waffenrechtliche Erlaubnisse.
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Spiegel Online, 28.07.2019:
Nazi-Todeslisten / Kleinreden, verharmlosen, ignorieren - bis es zu spät ist
28.07.2019 - 12.29 Uhr
Manche Feindeslisten gewaltbereiter Nazis mögen dilettantisch wirken, schrieb unser Kolumnist Sascha Lobo. Hier im Podcast fragt er, ob sie deshalb nur Panikmache sind - oder doch echter Terror.
Sascha Lobo: der Debatten-Podcast #103 - Feindeslisten von Rechtsextremen: Das Problem der deutschen Politik heißt Nazi-Ignoranz
Wer auf einer Todesliste gewaltbereiter Nazis steht, erfährt davon nur, wenn er im richtigen Bundesland wohnt - oder durch Zufall, schrieb Sascha Lobo in seiner jüngsten Kolumne "Das Problem der deutschen Politik heißt Nazi-Ignoranz".
Insbesondere die konservative Politik nehme "die neuen Formen des Rechtsterrorismus nicht ausreichend ernst". Statt von terroristischen Strukturen werde von Einzeltätern geredet, mutmaßliche Rechtsterroristen würden als "Prepper" romantisiert, und eine mögliche Verstrickung von Polizisten und Soldaten "verharmlost oder ignoriert", ebenso wie explizite Terrorpläne und eben die Todeslisten.
Diese Listen sollen die Gegner der Nazis einschüchtern, und einige seien eher dilettantisch geführt. Aber wenn man sie als "dezentrale Datensammlung für den Tag X" ansieht, könnten sie trotzdem gefährlich sein, glaubt Lobo.
Im Debatten-Podcast reagiert er auf Leserzuschriften und beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit die Listen eher Panikmache oder echter Terror sind.
Bildunterschrift: "Menschenrechte statt rechte Menschen" - Demonstration in Kassel.
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Süddeutsche Zeitung Online, 28.07.2019:
Justizministerin / Rechtsextreme bekämpfen
28.07.2019 - 18.40 Uhr
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) und andere hochrangige Politiker setzen sich für eine stärkere Bekämpfung des Rechtsextremismus ein. "Wir müssen den Verfolgungsdruck auf Rechtsextremisten massiv erhöhen", sagte Lambrecht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vor dem Hintergrund des Mordes an dem CDU-Politiker Walter Lübcke und des Mordversuchs an einem Eritreer in Wächtersbach. Polizei und Staatsanwaltschaften müssten alles tun, um Hass-Kriminalität im Internet effektiv zu verfolgen. Auch andere Politiker forderten ein konsequenteres Vorgehen. Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) erklärte in Spiegel Online, Polizei und Verfassungsschutzämter müssten "endlich zeigen, dass sie aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben und den Terror von rechts auch als solchen wahrnehmen". Der Präventionsarbeit sollte eine bedeutend größere Rolle zukommen. Der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) forderte von der Justiz, konsequenter gegen sprachliche Verrohung insbesondere im Internet vorzugehen. Es gebe nicht nur schlimmste Beleidigungen, sondern auch unmissverständliche Bedrohungen von Politikern und Journalisten. "Aber Gerichte schlagen Anzeigen fast immer nieder mit der Begründung, es handele sich um eine virtuelle Bedrohung", sagte Lammert der Rheinischen Post. Klagen der Gerichte über Personalmangel ließ er nicht gelten: Dies dürfe "kein ernsthafter Einwand sein, die deutsche Rechtsordnung nicht ernst zu nehmen". Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck sagte Spiegel Online, die Sicherheitsbehörden müssten rechtsextreme Netzwerke im Internet besser im Blick haben. Das Internationale Auschwitz Komitee äußerte seine "brennende Sorge" über "die neue Dimension und Dynamik rechtsextremer Gewalt in Deutschland".
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Westdeutsche Zeitung Online, 28.07.2019:
Auftritt in Düsseldorf / Wie Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen die Welt sieht
28.07.2019 - 21.24 Uhr
Für die einen ist er der "Sarrazin der CDU", für die anderen schlicht ein Fakten-Nenner: Der ehemalige Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen hat die Frauen-Union in Düsseldorf besucht. Eine Beobachtung.
Von Fatima Krumm
Durchdringend wirkt sein Blick durch die kleinen Brillengläser. Und fokussiert. So fokussiert und auch thematisch eng, wie Hans-Georg Maaßen über die innere Sicherheit in Deutschland berichtet. Die Frauen-Union in der CDU hat den ehemaligen Präsidenten des Verfassungsschutzes nach Düsseldorf-Garath eingeladen, 200 Zuhörer sind gekommen. Kritik an der Einladung gab es zu Genüge. "Aber wir haben immer noch die Meinungsfreiheit", beugt Sylvia Pantel, stellvertretende Landesvorsitzende der Frauen-Union und Mitglied des Bundestages, vor. Maaßen habe sich nichts zu Schulden kommen lassen. Deshalb darf er unter Polizeischutz vor vollem Saal sprechen.
Im November 2018 war Maaßen von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nach wochenlangem politischen Getöse in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden. Eigentlich war eine Beförderung zum Staatssekretär ausgehandelt. Nachdem Maaßen aber eine Abschiedsrede hielt, in der er Teile der Regierungspartei SPD als linksextrem bezeichnete, blieb der Weg nach oben versperrt. Maaßen war raus.
Jetzt ist er wieder als Anwalt tätig. Und reist als Redner von Veranstaltung zu Veranstaltung. Oder gibt Interviews. Jede Menge. Auch der "Neuen Zürcher Zeitung". Jenem Blatt, das er jüngst als "neues Westfernsehen" titulierte. Die Zeitung, die als Schweizer Leitmedium mit ihren Essays über deutsche Moral und Gesinnungsethik von Maaßen besonders oft auf Twitter zitiert wird, wehrte sich öffentlich dagegen. Vielleicht hat es ihr aber auch gefallen.
Maaßen: Vielen geht es um Ideologie, nicht um Argumente
Sachlich und bemüht seriös trägt er Daten, Fakten und Meinungen in der Garather Freizeitstätte vor. Selbst ein Zwischenrufer, der das Gesagte als "Fake News" tituliert, bringt Maaßen nicht aus der Fassung. Die sachliche Ebene, so betont Maaßen immer wieder, sei die wichtigste. Deshalb stellt er sich auch noch so harsch gestellten Fragen. Maaßen kritisiert, dass es vielen Menschen nicht um Argumente gehe, sondern um Ideologie.
Auf Twitter ist er weniger sachlich. Als er die Seenotrettung mit einem Shuttle-Service verglich, forderten selbst Parteikollegen seinen Parteiausschluss. Für die einen ist Maaßen ein Nazi, für andere ein Verschwörungstheoretiker. Und für wieder andere einer, der endlich mal sagt, was Sache ist. Dabei sind es stets die Themen Asyl, Integration und Kriminalität, die seine Arbeit bestimmen. Seine Dissertation verfasste er über die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht. Ein Thema, das ihn eigentlich als qualifizierten Kenner ausweisen könnte. Für seine Kritiker ist es nur der Beweis für schon immer da gewesenes rechtes Gedankengut.
Seit 1991 war Maaßen im Bundesinnenministerium beschäftigt. Als er zehn Jahre später als Referatsleiter für Ausländerrecht unter Innenminister Otto Schily (SPD) zu dem Schluss kam, dass der in Guantanamo inhaftierte Murat Kurnaz keine Aufenthaltsgenehmigung mehr für Deutschland habe, da er keine neue beantragt hatte, geriet Maaßen öffentlich in die Kritik. Später sagte Schily, es sei Maaßens Job gewesen, die rechtliche Lage abzuklären. Maaßen tritt ein für Recht und Gesetz. Das kommt nicht überall gut an.
"Wir haben es mit zweierlei Rechtsstaaten zu tun. Einmal mit einem gnadenlos vollziehenden Rechtsstaat und einmal mit einem, der beide Augen verschließt, selbst die Hühneraugen", sagte Maaßen am Freitagabend in Garath. Ersteren gebe es, wenn es um Parkverstöße und beringte Laufenten gehe, den anderen bei illegalen Einreisen und nicht vollzogene Abschiebungen. Bei 240.000 ausreisepflichtigen Ausländern würden beide Augen zugedrückt, das sei die Erosion des Rechtsstaates, die Aggressionen schaffe. Das Publikum johlt und klatscht. Er äußere sich nicht, um Nachzutreten, sondern weil er sich ernsthaft Sorgen um die Sicherheit Deutschlands mache.
Maaßen geht es um nicht integrationswillige Migranten, er hat die "Destabilisierung Deutschlands" im Blick. Während er in Garath über zwei Stunden Rede und Antwort steht, wird gerade wieder das Düsseldorfer Rheinbad geräumt. So etwas bestärkt Maaßen. Und jene, die ihm Recht geben. Recht gehöre durchgesetzt, unschöne Bilder müsse man aushalten, sagt er. "Wo wären wir heute, wenn Helmut Schmidt damals gesagt hätte: Die Bilder vom toten Hanns Martin Schleyer im Kofferraum halte ich nicht aus, wir lassen alle RAF-Gefangenen frei?" Wieder ist das Publikum angetan.
2012 wurde der gebürtige Mönchengladbacher zum Präsidenten des Verfassungsschutzes ernannt. 2018 wurde spekuliert, dass er die AfD beraten hätte. "Mich wundert, dass die Medien nicht gefragt haben, was in den anderen 240 Gesprächen mit Politikern besprochen wurde", sagt Maaßen hier in Garath. Er fühlt sich falsch dargestellt. "2015 hatten wir eine Willkommenspresse" sagt Maaßen.
Auf Twitter teilte er wie zum vermeintlichen Beweis eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung dazu. Er ist auch heute davon überzeugt, dass es keine Hetzjagden auf der Demonstration nach einem Mord in Chemnitz gegeben habe, seinerzeit waren ihm diese Worte zum Verhängnis geworden, Maaßens Abstieg im Amt begann. Er findet: zu unrecht. "Sowohl der sächsische Ministerpräsident, die Staatsanwaltschaft, der Chef des sächsischen Verfassungsschutzes und der Chefredakteur der Lokalzeitung haben bestätigt, dass es sie nicht gegeben hat."
Seit er nicht mehr im Amt ist, sind seine Worte noch schärfer. Eine Sprecherin der Union der Mitte, Karin Prien, fragte ihn kürzlich, ob sich Maaßen denn angesichts all dessen überhaupt noch wohl fühle in der CDU. "Die Probleme werden nicht kleiner, wenn man sie nicht thematisiert", sagt er dazu. Es habe in der CDU nach wie vor keine echte Diskussion über die Migrationspolitik stattgefunden, obwohl sie einen Grundkonsens in der Gesellschaft und der EU beschädigt habe. "Ziel des Ausländerrechtes ist es auch, dass keine Kriminellen nach Deutschland kommen", sagt er. Bei rund 70 Prozent der Asylsuchenden sei deren Identität aber unklar. Nach wie vor kämen rund 500 Menschen pro Tag ins Land, gibt er an und blickt fokussiert durch seine kleine Brille: "Ich sehe nicht, dass wir unsere Lektion gelernt haben. Es ist schlimm. Wir müssen uns dem stellen."
Bildunterschrift: Hans-Georg Maaßen, früherer Verfassungsschutzpräsident, hält seine Rede auf Einladung der Frauen-Union in Garath. Maaßen wurde von der CDU-Politikerin Sylvia Pantel als Redner nach Düsseldorf eingeladen.
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Spiegel Online, 28.07.2019:
Umwelt-Erklärung der AfD / Grünes Blatt, brauner Boden
28.07.2019 - 16.09 Uhr
Mit ihrer "Dresdner Erklärung" zur Umweltpolitik versucht die AfD sich ein Öko-Image zuzulegen - allerdings ein streng nationales. Das weckt Erinnerungen an die Ursprünge rechter Naturschutzideologien.
Von Susanne Götze
Wer derzeit über Umwelt und Klima redet, bekommt viel Aufmerksamkeit. Öko-Themen haben Konjunktur, und wer dazu nichts zu sagen hat, droht Stimmen zu verlieren. In wenigen Wochen stehen wichtige Landtagswahlen in Ostdeutschland an. Das dachten sich vermutlich auch die AfD-Umweltpolitiker, als sie vor zwei Wochen in einer Klausur tagten.
Herausgekommen ist die "Dresdner Erklärung", mit der sich die Partei in Sachen Umwelt und Klima neu positionieren und sich einen grünen Anstrich geben will. "Wir produzieren ehrlichen Umweltschutz, im Gegensatz zu den Grünen", erklärte Karsten Hilse, klimapolitischer Sprecher der AfD-Bundestagfraktion, bei der Vorstellung des Papiers. "Ehrlicher Umweltschutz" sei "Heimatschutz", so der Öko-Slogan der Partei.
Zum Schirmherren für das Heimatschutzprogramm hat die Partei ausgerechnet den Humanisten und Naturforscher Alexander von Humboldt gekürt. Der kann sich, da vor 160 Jahren gestorben, gegen die Vereinnahmung natürlich nicht mehr wehren. Und auch die menschengemachte Klima-Krise gab es zu Humboldts Zeiten bekanntlich noch nicht.
"Fridays for Future" und CO2-Steuer: Die AfD sieht dunkle Mächte am Werk
Die bestreitet die Partei nach wie vor, Öko-Image hin oder her. Gleich am Anfang stellt das AfD-Papier klar, dass Klimaschutz "teuer, nutz- und wirkungslos" sei, weil der Einfluss von CO2 auf die Temperatur nicht "nachzuweisen" sei. Der Klimaschutzplan führe in eine Ökodiktatur, und die Menschen würden durch eine CO2-Steuer weiter "ausgeplündert".
Die AfD-Dystopie: Durch Abkommen wie dem Weltklimavertrag würde Deutschland ins Elend getrieben und zu einem Dritte Welt-Land gemacht. AfD-Politiker Hilse sieht deshalb auch hinter "Fridays for Future" und der "CO2-Steuer-Kampagne" dunkle Mächte am Werk, die Deutschland schaden wollten.
Schon länger hat die Partei den Anti-Klimaschutz als ergiebiges Wahlkampfthema entdeckt und holt sich Unterstützung prominenter Klima-Leugner. Im Mai lud die Bundestagsfraktion zum ersten "alternativen Klimasymposium" in den Bundestag ein, um "der wissenschaftlichen Wahrheit und dem gesunden Alltagsverstand ein Forum zu bieten", wie es auf der Seite des die Partei unterstützenden Klimaleugner-Vereins EIKE hieß. Seit die AfD im Bundestag sitzt, lädt ihr Klimasprecher Hilse regelmäßig selbst ernannte Experten zu Anhörungen. Klimaschutz ist für die AfD nicht nur "Abzocke", sondern sie stört sich an der Zusammenarbeit mit anderen Staaten, wie sie im Weltklimaabkommen vorgesehen ist.
Umweltschutz im Wahlprogramm an letzter Stelle
Die restlichen neun Punkte der "Dresdner Erklärung" stehen ebenfalls unter nationalistischen Vorzeichen. Windkraft und Fotovoltaik sollten praktisch abgeschafft werden, weil diese den deutschen Kulturlandschaften und "heimischen Wäldern" schadeten. Atomkraft will man fördern, damit Deutschland "nicht den Anschluss verliere". Die Landwirtschaft wünscht sich die Partei "umweltverträglich sowie werterhaltend".
Allerdings ohne ökologische Anbaumethoden, denn eine wachsende Weltbevölkerung brauche schließlich "gute und neue Technologien", damit alle versorgt werden könnten, meint Karsten Hilse. So geht es durch den Themenwald bis zum Lieblingsthema der AfD: dem Wolf. Ein besonderer Schutz sei nicht notwendig, heißt es da. Zudem steht das ganze Umweltpapier unter dem Vorbehalt der Wirtschaftlichkeit: "Eine Gemeinschaft muss sich Umweltschutz leisten können."
Wie wichtig Umweltschutz der Partei im Verhältnis zu anderen Fragen ist, zeigt das AfD-Bundestagwahlprogramm: Hier steht das Thema an allerletzter Stelle. Das Wort selbst taucht nur einmal in der Kapitelüberschrift auf, das Wort Naturschutz im ganzen Programm immerhin zweimal. Ähnlich anderen konservativen oder rechten Bewegungen, beispielsweise in den USA, verteidigt die AfD ein ökonomisches Umweltverständnis, in dem die Natur im Dienste des Menschen steht.
"Die "Dresdner Erklärung" ist zutiefst populistisch, nationalistisch und trägt Züge rechter Naturschutzideologien", sagt Umwelthistoriker Nils Franke, der als Gastdozent an der Universität Leipzig lehrt. Das Papier stehe keineswegs für ein ökologisches Umdenken der AfD.
Die AfD zielt auf den konservativen Teil der Umweltbewegung
Ihn erinnere das Umweltprogramm an das Reichsnaturschutzgesetz der Nationalsozialisten von 1935, so Franke weiter. "Die Partei macht viele Versprechungen im Bereich Naturschutz, dahinter steht aber ein Wirtschaftssystem, das auf einen ungeheuren Raubbau an den Ressourcen setzt."
Die Partei ziele klar auf den konservativen Teil der Ökobewegung - teils bereits mit Erfolg. Denn im Gegensatz zu der in den Sechzigerjahren gewachsenen, eher linken Umweltbewegung vertrat die um 1880 entstandene Naturschutzbewegung nationalkonservative Werte und kollaborierte später teilweise mit den Nationalsozialisten.
Bis heute gäbe es die Trennung zwischen den eher reaktionären, bodenständigen Naturschützern und einer Grünen-nahen, Energiewende-freundlichen Umweltbewegung, glaubt Historiker Franke. "Die Rhetorik der AfD erinnert an die frühe Tradition des 19. Jahrhunderts, wenn sie das Landschaftsbild gegen die Windkraft ausspielt." So wolle die Partei systematisch die Windkraftgegner bei den Naturschützern ansprechen und auf ihre Seite ziehen.
Auch Anklänge an die NS-Blut- und Boden-Ideologie seien aus der "Dresdner Erklärung" herauszulesen, so Historiker Franke. "So erklärt die AfD, Bauernland gehöre nicht in die Hände des internationalen Finanzkapitals - des jüdischen, könnte man hinzufügen -, sondern in "Bauernhand"."
Zusammengefasst: Mit der "Dresdner Erklärung" hat die AfD-Bundestagsfraktion ein Grundsatzpapier zur Umweltpolitik vorgestellt. Kernbestandteil sind der Schutz "deutscher Kulturlandschaften" etwa vor Fotovoltaik- und Windkraftanlagen sowie eine neue Förderung für Atomkraftwerke. Klimaschutzmaßnahmen beurteilt das Papier entgegen fast aller Expertenmeinungen als "teuer, nutz- und wirkungslos". Ein Umwelthistoriker bezeichnet die "Dresdner Erklärung" als zutiefst populistisch und nationalistisch. Sie trage "Züge rechter Naturschutzideologien".
Bildunterschrift: Graffiti in Meissen (Sachsen): "Die "Dresdner Erklärung" ist zutiefst populistisch, nationalistisch und trägt Züge rechter Naturschutzideologien."
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