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Westfalen-Blatt / Bielefelder Zeitung , 14.11.2018 :

14 Strafanzeigen gegen Demonstranten

Anwälte kritisieren Polizei - CDU fordert "persönliche Konsequenzen" nach Gugat-Statement

Bielefeld (HHS). 14 Teilnehmer der Demonstrationen am vergangenen Samstag haben bislang Strafanzeigen erhalten. Darunter sind zwei Männer, die mit der Partei "Die Rechte" gegen die Inhaftierung der Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck demonstriert und dabei den Hitlergruß gezeigt hatten.

Wie Polizei-Sprecher Michael Kötter mitteilt, muss sich einer der beiden Männer auch dafür verantworten, Betäubungsmittel dabei gehabt zu haben. Vier weitere Teilnehmer hätten gegen das Versammlungsgesetz verstoßen, weil sie Sturmhauben und Mundschutz, so genannte Schutzbewaffnung, getragen hätten. Weil die Polizei bei einer dieser Personen auch noch einen "Polenböller" fand, werde auch noch wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz ermittelt.

Von den insgesamt mehr als 6,000 Gegendemonstranten haben nach Polizeiangaben drei Teilnehmer Beamte beleidigt. Insgesamt vier Anzeigen wegen Körperverletzung sind gefertigt worden. Zwei betreffen die Vorfälle rund um eine Sitzblockade, bei der ein Polizist leicht verletzt worden war. Diese Teilnehmer müssen sich auch wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte verantworten.

Zur Körperverletzung obendrauf kommen für einen dieser Demonstranten auch noch Verfahren wegen Verstößen gegen Versammlungs- und Waffengesetz. Er soll einen "Polenböller" geworfen haben. Farbschmierereien ziehen eine Anzeige wegen Sachbeschädigung nach sich.

Mit weiteren Vorwürfen sieht sich auch die Polizei konfrontiert. Der Bielefelder Rechtsanwalt Sebastian Nickel kritisiert, dass während der Demonstrationen vier seiner Kollegen "massiv in ihrer Berufsausübung" behindert worden seien. Sie seien in einem "Legal Team" unterwegs gewesen, dass vor Ort die Versammlungsanmelder unterstützt, sich um festgenommene Teilnehmer kümmert oder bei unverhältnismäßigen Einsätzen interveniert. Am Samstag sei ihnen von Polizisten "größtenteils mit Ablehnung und Aggression begegnet" worden. Eine Anwältin sei "sogar körperlich attackiert" worden, als ein Beamter sie am Halstuch zog.

Polizei-Sprecherin Sonja Rehmert sicherte gestern zu, mit Sebastian Nickel Kontakt aufzunehmen: "Soweit der Verdacht strafrechtlich relevanten Verhaltens von Polizeibeamten besteht, wird unmittelbar die Staatsanwaltschaft hinzugezogen."

Vertreter von CDU und FDP lobten dagegen den Einsatz der Polizei. Simon Lange, sicherheitspolitischer Sprecher der CDU, bezeichnete es als "sinnvoll, einen Polizisten mehr vor Ort zu haben als einen zu wenig" und begründete das damit, generell im Vorfeld von Demonstrationen nicht beurteilen zu können, wie viele gewaltbereite Extremisten sich auf den Weg machen würden.

Für den FDP-Kreisvorsitzenden Jan Maik Schlifter ist die in den vergangenen Tagen geäußerte Kritik am Einsatz der Polizei "völlig überzogen". Er habe den Eindruck, "dass einige nun fast enttäuscht sind, dass es nicht zu G20-Szenen und Straßenschlachten kam".

Beide erzürnen sich darüber hinaus an einem Statement, das Bündnis gegen Rechts-Sprecher und Ratsmitglied Michael Gugat am Wochenende getwittert hatte: "Ich bin dafür, dass wir beim nächsten Mal keine Kundgebungen anmelden, aber natürlich protestieren, so dass die Polizei sich mal mit Anarchie auseinandersetzen muss." Simon Lange forderte persönliche Konsequenzen, "weil das an seiner demokratischen Grundhaltung zweifeln lässt". Jan Maik Schlifter erwartet von Oberbürgermeister Pit Clausen (SPD), dass er "seinen Koalitionspartner in die Schranke weist und sich vor die Beamten stellt".

Bildunterschrift: Während einer Sitzblockade ist ein Polizist leicht verletzt worden.

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Bielefeld stellt sich quer - Bündnis gegen Rechts, 11.11.2018:

Pressemitteilung und Stellungnahme

Pressemitteilung und Stellungnahme des "Bündnis gegen Rechts" zu den Demos und dem Polizeieinsatz bei den Demos am 10.11.2018 in Bielefeld

Das Bielefelder Bündnis gegen Rechts bedankt sich bei allen Bielefelderinnen / Bielefeldern, die den Aufrufen zu unseren Kundgebungen und Demonstrationen gefolgt sind. Rund 10.000 Menschen haben erneut ein klares und eindrucksvolles Zeichen für unsere bunte und vielfältige Stadt und gegen Antisemitismus, Holocaust-Leugnung sowie jede Form von Menschenfeindlichkeit gesetzt.

Die Demonstrationsfreiheit ist ein Grundrecht, das für alle gilt. Es steht für Demokratinnen / Demokraten nicht zur Disposition, auch wenn es, wie beim gestrigen Aufzug der Neonazis, nur schwer erträglich ist, dass Demokratie-Feinde dieses Grundrecht ebenfalls in Anspruch nehmen.

Wir üben jedoch entschiedene Kritik an Taktik und Strategie der Polizei.

Bereits im Vorfeld hat sie ein Bedrohungsszenarium aufgebaut, um die Zivilgesellschaft einzuschüchtern und sie von einer Teilnahme an unseren Aktivitäten abzuhalten. Es wurde versucht, legitimen Protest gegen Nazis zu kriminalisieren. Durch den Einsatz von Wasserwerfern, Räumpanzern, Pferdestaffeln und die 1.700, teilweise paramilitärisch ausgerüsteten, Polizeibeamten aus dem gesamten Bundesgebiet wurde die Innenstadt über mehrere Stunden in einen Ausnahmezustand versetzt.

Dieses für unsere Stadt bisher beispiellose Einsatzkonzept der Polizei hat viele Bielefelderinnen / Bielefelder sehr verstört. Wir fühlten uns bei den von uns angemeldeten Demonstrationen von der Polizei nicht beschützt, sondern eindeutig feindselig bedroht und kriminalisiert. Räumpanzer und Wasserwerfer waren präventiv auf unsere Demonstrationsteilnehmerinnen / Demonstrationsteilnehmer gerichtet. Die Arbeit von Anwältinnen / Anwälten wurden von Anfang an massiv eingeschränkt, durch Falschinformationen verhindert oder durch rüden Polizeieinsatz unterbunden.

Die im Vorfeld getroffenen Vereinbarungen, damit die Demo-Teilnehmerinnen / -Teilnehmer zu den Kundgebungsstandorten kommen konnten, wurden nicht eingehalten, indem Kontrollstellen früher als zugesagt geschlossen wurden. Auch die vereinbarten Möglichkeiten zwischen den einzelnen Orten wechseln zu können, wurden nicht eingehalten. Wir fühlen uns in unserem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit beschnitten. Mehrere tausend Menschen konnten die gewünschten Kundgebungen nicht erreichen. (1)

Das Bielefelder Bündnis gegen Rechts war sowohl in der Vergangenheit, als auch am vergangenen Samstag, ein verlässlicher Veranstalter des zivilgesellschaftlichen Protests, welches gut mit der Polizei kooperiert und stets die Gewähr für den gewaltfreien Verlauf der Veranstaltungen übernommen hat. Wir sehen uns aber nicht als "Servicepartner" der Polizei, damit diese es einfacher hat, Faschisten einen Weg durch die Stadt zu ermöglichen. Mit dem gestrigen Einsatz hat die Polizei der Zivilgesellschaft geschadet und den geübten Weg des Konsenses verlassen.

Wir werden in den nächsten Wochen eine politische und auch gegebenenfalls rechtliche Aufarbeitung des überzogenen, unverhältnismäßigen und unangemessenen Einsatzes der Polizei vorantreiben und über Konsequenzen beraten.

(1) Durch die Sperrzone waren Wechsel zwischen den Versammlungsorten nur nördlich über die Beckhausstraße und südlich über die Sparrenburg-Promenade möglich. Daraus resultieren zum Beispiel folgende unverhältnismäßige und unangemessene Entfernungen:

Bahnhof zum Kesselbrink: circa 4,7 Kilometer über Beckhausstraße, statt circa 200 Meter direkt.

Jahnplatz zum Rathaus: circa 3,0 Kilometer über die Sparrenburg-Promenade, statt circa 200 Meter direkt.


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