www.hiergeblieben.de

Neue Westfälische - Höxtersche Kreiszeitung , 01.11.2018 :

Jüdische Friedhöfe als Häuser der Ewigkeit

Zu den stillen Feiertagen: Die Jacob Pins Gesellschaft Höxter besucht die Begräbnisstätten in Ovenhausen, Vörden, Nieheim und Steinheim / Vorsitzender Fritz Ostkämpfer erläutert die Begräbniskultur und die Geschichte der Orte

Von Simone Flörke

Kreis Höxter. Ein jüdischer Friedhof wird als ein "Haus der Ewigkeit" bezeichnet: Denn dort gilt - anders als auf den christlichen Gottesäckern - die ewige Totenruhe. Heute beginnen die stillen Tage im November: von Allerheiligen (Feiertag am 1. November) und Allerseelen (kein Feiertag am 2. November; Gedenken aller Verstorbener mit Gebeten und Fürbitten) bis zu Volkstrauertag (18. November; Gedenken der Opfer von Krieg und Gewalt) und Totensonntag (25. November; Gedenktag für Verstorbene, letzter Sonntag vorm Advent).

Begräbniskultur und Geschichte der Begräbnisorte

Die Neue Westfälische Höxter begleitete deshalb die Jacob Pins Gesellschaft Höxter zu Jahrhunderte alten jüdischen Friedhöfen. Für Fritz Ostkämper und anderen Teilnehmer ging es von Ovenhausen über Vörden und Nieheim bis nach Steinheim, um über die Begräbniskultur und die Geschichte der Begräbnisorte mehr zu erfahren.

Neben der ewigen Ruhe bis zur Auferstehung gibt es noch weitere Besonderheiten zu diesen Friedhöfen, die ursprünglich nicht mit Hecken oder Zäunen begrenzt waren, wie Ostkämper erläutert: So zum Beispiel, dass männliche Friedhofsbesucher stets ihren Kopf bedecken - mit einer so genannten Kippa, einer kreisförmigen Mütze aus Stoff oder Leder. Auch durften die jüdischen Einwohner ihre Toten über Jahrhunderte nur außerhalb der Städte und Dörfer begraben, so Ostkämper. "So liegen die Friedhöfe auch heute noch oft außerhalb der Ortsgrenzen auf weniger gut zugänglichen oder nutzbaren Flächen." Beim Besuch sind stets Fußwege einzukalkulieren.

Auf vielen jüdischen Grabsteinen seien Federn abgebildet: "Diese diente oftmals als Ersatz für einen Arzt, um den Tod eines Menschen festzustellen. Dass kein Atem, kein Hauch mehr da war." Jüdische Angehörige seien zudem in Erinnerung an den Zug der Juden durch die Wüste im Alten Testament unter Steinen begraben worden - was auch dem Tierfraß geschuldet wurde. Heute, so Ostkämper, erinnerten daran noch die kleinen Steine, die Besucher auf den Grabsteinen der Juden ablegen. Dieser Grabstein werde nach einem Jahr Totenruhe gesetzt. Die ältesten Steine würden meist eine Inschrift nur in hebräischer Sprache, später je in hebräischer und in deutscher Sprache auf den beiden Seiten tragen - erst bei den jüngeren seien nur noch die Inschriften in deutscher Sprache zu finden. Auch seien die ältesten meistens von der Form her halbrund. Jüdische Gräber würden nicht bepflanzt. Sei ein jüdischer Angehöriger gestorben, würden ihm die Augen geschlossen und eine Münze oder Tonscherbe daraufgelegt, erklärt der Vorsitzende der Jacob Pins Gesellschaft.

Aufgebahrt werde er mit den Füßen Richtung Tür, mit einer brennenden Kerze am Kopfende, die auf die Seele im Raum hinweise. Nach ihrem Verlöschen werde das Fenster geöffnet, damit die Seele das Haus verlassen könne. "Stehendes Wasser wird im Haus ausgegossen, denn darin hat der Todesengel sein Schwert gewaschen." Spiegel würden verhängt, damit es nicht noch einen zweiten Toten im Hause gebe. Und der Totenwache folge meistens schon am Tag drauf die Beisetzung (verlängert, wenn dies ein Sabbat ist).

Riss in den Gewändern zeigt Riss im Herzen der Trauernden

Die Trauernden geben mit einem Riss in den Gewändern Ausdruck dafür, dass es mit dem Tod des geliebten Menschen einen Riss in ihrem Herzen gegeben habe. Nach der Beisetzung würden die Hände nicht gewaschen - sonst verliere man die Erinnerung an den geliebten Menschen. Der Trauernde übt nur die notwendigste Körperpflege, enthält sich aller Genüsse und unterlässt das Haarschneiden, Baden sowie das Rasieren. Zu den Genüssen werden nicht nur die ehelichen Pflichten gezählt, sondern auch das Studium der Heiligen Schrift. Um die Eltern wird ein ganzes Jahr getrauert - um den Bruder, die Schwester, den Sohn, die Tochter, die Ehefrau, den Ehemann 30 Tage.

Bildunterschrift: Begleiter in die jüdische Kulturgeschichte: Fritz Ostkämper, Vorsitzender der Jacob Pins Gesellschaft in Höxter.

Höxters zwei Friedhöfe

Für eine Ausgabe der Schriftenreihe des Heimat- und Verkehrsvereins (HVV) hat Fritz Ostkämper über die jüdischen Friedhöfe in Höxter geschrieben. Über den alten Friedhof am Grefenhagen (heute längs der Straße Hinter der Mauer). Dieser Ort sei den Juden seit 1818 als Begräbnisplatz zugewiesen worden. Es war so eng, dass die Toten sogar in zwei Schichten übereinander bestattet werden mussten. Der letzte dort beerdigte Höxteraner sei am 26. April 1847 Samuel Uhlmann aus Stahle gewesen. Heute erinnern eine Gedenktafel und die freie Rasenfläche an den Friedhof.

Am 4. April 1839 war es die 99-jährige Fretgen Hochfeld, die als erste Verstorbene auf dem neuen jüdischen Friedhof an der heutigen Gartenstraße - ein im selben Jahr erworbenes, 483 Quadratmeter großes Grundstück am damaligen Holzweg - beerdigt wurde. In den folgenden 100 Jahren folgten rund 100 weitere Verstorbene. In der Pogromnacht 1938 wurden laut Ostkämper die Begräbnisbücher verbrannt, weshalb die genaue Anzahl der Gräber nicht mehr exakt festzustellen gewesen sei. Nach der letzten Deportation im Juli 1942 gab es keine Juden mehr in Höxter. Nach dem Krieg fand am 13. Februar 1959 die letzte Beerdigung dort statt. (sf)

Grabstein als Erinnerung an den Bruder

Seit dem 17. Jahrhundert lebten jüdische Bürger in Ovenhausen - um 1811 lebten dort immerhin elf Familien mit 48 Personen, im Jahr 1843 waren es nach Angaben von Fritz Ostkämpfer 46. Der jüdischen Gemeinschaft stand ein eigener Betsaal zur Verfügung, der zuletzt in der alten Dorfschule untergebracht war. Der kleine Friedhof, abgelegen abseits des Dorfes an einem Hang Richtung Vörden, sei ursprünglich nicht nach außen abgegrenzt gewesen, sondern habe mitten im Wald gelegen. Vier Grabsteine habe man verstreut im Wald gefunden und später auf der heutigen Friedhofsfläche zusammengebracht. 1880 bis 1885 sei das Begräbnisfeld dann eingefriedet worden. Es gibt ihn aber schon seit Anfang des 18. Jahrhunderts, so Ostkämper. Die jüngste Grabstelle ist die eines Mitglieds der Viehhändler-Familie Dillenberg, der 14 Tage vor der Deportation am 15. März 1942 gestorben und dort beerdigt worden war, erklärt der Vorsitzende der Jacob Pins Gesellschaft. Ein überlebender Bruder habe nach dem Krieg einen Grabstein aufstellen lassen. Im Dezember 1941 und im März 1942 waren die letzten zwölf jüdischen Einwohner Ovenhausens, die Familien Dillenberg, Stamm und Uhlmann, in KZs deportiert und ermordet worden. (sf)

Bildunterschrift: Hingeschaut: Die Besucher auf dem kleinen jüdischen Friedhof in Ovenhausen an einem der Grabsteine.

Kultgegenstände auf dem Rathaus

Einer der großen jüdischen Friedhöfe im Kreis Höxter ist der in Nieheim mit 159 Grabsteinen - der älteste lesbare aus dem Jahr 1844. "Aber der Friedhof ist weit älter als 1800", sagt Ulrich Pieper bei der Begrüßung der Besuchergruppe. Die Grabfläche heute liegt direkt neben der 1953 errichteten Grundschule, war aber einst größer: Denn beim Bau der Schule seien Gebeine gefunden und mit Zustimmung des Landesverbandes Jüdischer Gemeinden neu bestattet worden. Das Areal selbst unterhalb der Burganlage sei ursprünglich Sumpfgelände gewesen und in preußischen Karten als "Am Judendamm" eingezeichnet. Schon nach dem 30-Jährigen Krieg seien jüdische Einwohner nach Nieheim gekommen, um1800 viele weitere. Es sei "ein ganz normales Zusammenleben gewesen", weiß der Heimatforscher und berichtet von Fahnenstiftungen für die Schützenbruderschaft oder die Mitfinanzierung von Kirchenglocken. Auch dass 1799 in der zentral gelegenen mittelalterlichen Hansestadt vom Fürstbischof in Paderborn der Bau einer Synagoge genehmigt worden sei. Kultgegenstände wie ein Thora-Vorhang (heute im Museum Wewelsburg) hätten die Nazi-Zeit auf dem Dachboden des Rathauses überstanden. (sf)

Bildunterschrift: Interessierte Zuhörer: Die Gruppe um Fritz Ostkämper (l.) mit Ulrich Pieper in Nieheim am Grabmal der Familie Michaelis.

Offene Türen zu einem wunderschönen Platz

Das Tor zum jüdischen Friedhof in Vörden ist offen. Zu dieser Jüdischen Gemeinde gehörten auch die Orte Bredenborn, Hohehaus, Papenhöfen und Kollerbeck. 33 Grabstellen gibt es hier, aus dem Jahr 1824 datiert die älteste. Auf den Steinen stehen Namen wie Frankenberg, Israelsohn oder Löwendorf. Unbeschädigt habe der Friedhof das Dritte Reich überstanden. "Ein sehr stiller Ort. Wunderschön", beschreibt Fritz Ostkämper den Platz unter alten Bäumen. Der Respekt für diesen Ort sei da, Vandalismus kein Thema. "Weil man darüber spricht", sagt Ostkämpfer und nennt dies "ein neues Bewusstsein". Selbst noch in den 1980er Jahren sei die Aufarbeitung der Geschichte, die Schaffung einer Erinnerungskultur schwierig gewesen. Heute erinnert in Vörden nahe der Sparkasse eine Gedenktafel an die ehemalige Jüdische Gemeinde, von der zehn Mitglieder immigriert sind und acht ermordet wurden. Ostkämper erinnert sich noch gern an das Jahr 2010, als der in Vörden geborene und später in die USA ausgewanderte Harry Frankenberg zurückkehrte und das Grab seiner Großeltern besuchte. Mit Frau, zwei Töchtern und Enkeln sei Frankenberg in Vörden gewesen - im Juli. "Er ist beim Schützenfest stolz um Festumzug mitgegangen." (sf)

Bildunterschrift: Steine auf den Steinen: Sie erinnern an den Brauch, jüdische Verstorbene unter Steinen zu begraben, wie beim Zug durch die Wüste.

Ort der Stille zwischen zwei lauten Straßen

Was einst weit draußen gelegener Begräbnisplatz begann, liegt mittlerweile mitten in Steinheim: Um den jüdischen Friedhof mit heute rund 160 Grabsteinen ist die Stadt herumgewachsen. "Ein Ort der Stille zwischen zwei lauten Straßen": Johannes Waldhoff, der sich seit Jahrzehnten mit der Geschichte der Juden in seiner Heimatstadt befasst, nennt das Jahr 1606, in dem jüdische Einwohner in Steinheim belegt sind. Durchgehend sei der Friedhof seitdem belegt gewesen - "aber die ältesten Gräber gibt es nicht mehr". Und das liegt an der besonderen Topographie des Friedhofsgeländes mit einem Böschungswall. Erdreich ist umgeschichtet. In der Tiefe unter dem aufgeschütteten Boden seien die ältesten Gräber verborgen. 1850 sei der Friedhof von der Stadt angekauft (daher die Jahreszahl am Eingang) und 1853 umgestaltet worden. Viele der Gräber sind heute von Efeu überwuchert - "ein jüdisches Grab wird nicht geschmückt", betont Waldhoff. Und dass es kein Grab ohne Stein gebe. Die sind in Steinheim besonders vielfältig gestaltet und beinhalten oft Aussagen über den Charakter der dort beerdigten Person. Die letzte Beisetzung hier war 1979 die von Sophie Weil aus einer alten Getreide- und Landhandel-Familie. Waldhoff hat sie gut gekannt. (sf)

Bildunterschrift: Eingang: Der Steinheimer Friedhof fällt durch seine ungewöhnliche Topographie mitten in der Stadt zwischen zwei Straßenzügen auf.

_______________________________________________


Westfalen-Blatt / Höxtersche Zeitung, 05.09.2018:

Ausflug zu jüdischen Friedhöfen

Höxter (WB). Die Jacob Pins Gesellschaft unternimmt erneut eine Fahrt zu einigen Jahrhunderte alten jüdischen Friedhöfen in der Umgebung von Höxter. Nicht nur diese oft versteckten und fast vergessenen Friedhöfe zu besuchen ist das Ziel des diesjährigen Ausflugs. Auch die Spuren ihrer Schändung im Dritten Reich zu sehen fällt unter die Zielsetzung der Fahrt.

Anders als christliche Friedhöfe sind jüdische Friedhöfe ein "Haus der Ewigkeit", die Toten haben dort nämlich ewiges Ruherecht. Über Jahrhunderte durften die Juden ihre Toten nur außerhalb der Städte und Dörfer begraben. Deswegen liegen die Friedhöfe auch heute noch oft außerhalb der Ortsgrenzen auf weniger gut zugänglichen oder nutzbaren Flächen. Fußwege müssen bei dieser Fahrt also einkalkuliert werden.

Der Ausflug wird diesmal zunächst zu den kleineren Friedhöfen in Ovenhausen und Vörden führen. Danach werden dann die mit jeweils über 150 Grabsteinen großen Friedhöfe in Nieheim und Steinheim besucht. Los geht es am Samstag, 22. September, um 14 Uhr. Die Fahrten werden mit Privat-PKW (Fahrgemeinschaften) organisiert. Die Kosten des Ausflugs betragen acht Euro. Die Teilnehmerzahl ist auf 25 begrenzt.

Interessierte können sich bis zum Montag, 10. September, an das Forum Jacob Pins, Westerbachstraße 35 / 37, Höxter, Telefon 05271 / 6947441 oder an die E-Mail-Adresse ostkaemper@jacob-pins.de wenden.

_______________________________________________


Neue Westfälische - Höxtersche Kreiszeitung, 05.09.2018:

Fahrt zu jüdischen Friedhöfen

Höxter (nw). Die Jacob Pins Gesellschaft bietet am Samstag, 22. September, von 14 bis 18 Uhr eine Fahrt zu einigen Jahrhunderte alten jüdischen Friedhöfen in der Umgebung von Höxter an. Diese oft versteckten und fast vergessenen Friedhöfe zu besuchen und auch auf ihnen die Spuren ihrer Schändung im Dritten Reich zu sehen, ist das Ziel des Ausflugs. Anders als christliche Friedhöfe sind jüdische Friedhöfe ein "Haus der Ewigkeit", und die Toten haben dort ewiges Ruherecht. Über Jahrhunderte durften die Juden ihre Toten nur außerhalb der Städte und Dörfer begraben, und so liegen die Friedhöfe auch heute noch oft außerhalb der Ortsgrenzen auf weniger gut zugänglichen oder nutzbaren Flächen, so dass Fußwege einzukalkulieren sind. Die Fahrt wird diesmal zunächst zu den kleineren Friedhöfen in Ovenhausen und Vörden führen, bevor dann die mit jeweils mehr als 150 Grabsteinen großen Friedhöfe in Nieheim und Steinheim besucht werden sollen. Die Fahrt findet in Fahrgemeinschaften mit privaten Wagen statt. Die Teilnehmerzahl ist auf 25 begrenzt. Die Kosten betragen 8 Euro. Anmeldungen bis zum 10. September im Forum Jacob Pins, Westerbachstraße 35 / 37 in Höxter, Tel. (05271) 6947441, E-Mail: ostkaemper@jacob-pins.de.

01./02.11.2018

zurück