Mindener Tageblatt ,
27.03.2018 :
Verständigung statt Vorurteile
Die Jüdische Gemeinde ist bislang weitestgehend von antisemitischen Angriffen verschont geblieben / Damit das so bleibt, sind Dialog und Aufklärung unersetzlich
Von Lara Jäckel
Minden (jona). Zwei steinerne Stufen führen in die ehemalige Synagoge in Petershagen. Der Raum ist hell, wirkt einladend. Erst bei genauerem Hinsehen fallen die Spuren der Vergangenheit auf. Der Fußboden ist dunkler an den Stellen, wo früher die Sitzbänke standen. Früher, das war vor der Pogromnacht 1938, als das Innere der Synagoge fast vollständig zerstört wurde. Heute sind hier Bilder und Dokumente ausgestellt.
An einem der Schaukästen steht ein grauhaariger Mann, die Mütze hat er tief ins Gesicht gezogen. Er betrachtet ein schwarz-weißes Foto, auf dem ein junges Paar zu sehen ist. Es sind seine Eltern, zwei der drei Holocaust-Überlebenden aus der Jüdischen Gemeinde in Petershagen. Der Betrachter ist Harald Scheurenberg, aktives Mitglied und ehemaliger Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde Minden. Gemeinsam mit Wolfgang Battermann, der den Verein "Arbeitsgemeinschaft Alte Synagoge Petershagen" mitgründete und maßgeblich am Erhalt des geschichtsträchtigen Gebäudes beteiligt war, geht er durch die sanierten Räume.
"Nach dem Krieg gab es nur eine Handvoll jüdischer Menschen in Minden", sagt Scheurenberg. Die wenigen Verbliebenen bauten die zerstörte Synagoge in der Kampstraße wieder auf und hielten die Gemeinde am Leben. Anfang der neunziger Jahre bekam sie großen Zuwachs durch die Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion. "Das war ein Glücksfall", erinnert sich Scheurenberg. Heute zählt die Gemeinde fast 100 Mitglieder, es gibt regelmäßig Gottesdienste, Religionsunterricht und gemeinsame Veranstaltungen. Auch wenn es in einer so kleinen Gemeinde wie in Minden keine Trennung zwischen orthodoxen und liberalen Gläubigen gebe, sei der Zusammenhalt unter den Mitgliedern groß, sagt der ehemalige Vorsitzende.
Ortswechsel: Giora Zwilling sitzt an einem kleinen Tisch in der Ecke eines Cafés. Er trinkt schwarzen Kaffee, seine hellbraunen Augen mustern ruhig die Umgebung. Der 37-Jährige wuchs in Israel auf, zog vor vier Jahren mit seiner deutschen Frau nach Minden und übernahm 2016 den Vorsitz der Jüdischen Kultusgemeinde. Er sei ein wenig besorgt, erzählt er. Auch wenn er nie Juden-Feindlichkeit ihm gegenüber erlebt habe, gäben ihm Berichte von antisemitischen Tendenzen unter muslimischen Einwanderern zu denken. Einige Gemeindemitglieder hätten Angst, dass die Anfeindungen auch die Mindener Gemeinde erreichen.
"Es ist wichtig, Jüdische Gemeinden in Deutschland von der israelischen Politik zu differenzieren", betont Zwilling. Zu oft würde beides vermischt und Juden in Deutschland für Handlungen verantwortlich gemacht, die sie nicht zu verantworten hätten und oft nicht einmal befürworten würden. Das mache es schwierig, eine Grenze zwischen Antisemitismus und Israel-Kritik zu ziehen. Im Vergleich zu anderen Ländern schätze er die Situation in Deutschland jedoch als moderat ein: "Ich bin froh, dass es hier noch nicht salonfähig ist, offen anti-jüdisch zu sein."
"Wir wollen diese Menschen mit ihrer Identität zurückholen"
Zurück in der Alten Synagoge in Petershagen. Harald Scheurenberg ist in seinem bewegten Leben einige Male mit "blöden Sprüchen", Vorurteilen und sogar Drohungen auf Grund seiner Religion konfrontiert wurden. "Aber das war alles noch in einem Rahmen, den man für sich erdulden kann", sagt der 67-Jährige. Er kann nachvollziehen, dass sich einige Gemeindemitglieder lieber nicht als Juden zu erkennen geben, um Konflikte zu vermeiden. "Das jüdische Leben ist überhaupt nicht präsent in der Gesellschaft." Um mit Vorurteilen aufzuräumen, müsse man Begegnungen und offene Dialoge ermöglichen und über das Judentum aufklären.
Genau das hat sich Battermann zur Lebensaufgabe gemacht. Er steht in der ehemaligen jüdischen Schule in Petershagen, die direkt mit der Alten Synagoge verbunden ist. In gläsernen Vitrinen stehen Chanukkaleuchter, Kiddusch-Becher, eine Brotschneidemaschine. Jeder einzelne der Gegenstände erinnert an die im Zweiten Weltkrieg ausgelöschte Jüdische Gemeinde in Petershagen. "Wir wollen diese Menschen mit ihrer Identität zurückholen", sagt Battermann. Der 71-jährige pensionierte Lehrer ist evangelisch, doch die jüdische Geschichte beschäftigt ihn schon sein ganzes Leben. Durch Aufarbeitung, Führungen und Informationsveranstaltungen will er zur Aufklärung beitragen und Außenstehenden das Judentum näherbringen. Wenn Scheurenberg spricht, hört Battermann aufmerksam zu, ergänzt ihn immer wieder. Die beiden verbindet langjährige Zusammenarbeit und großer gegenseitiger Respekt. Ein Beispiel für gelungene Verständigung.
Lara Jäkel ist Stipendiatin der Journalistischen Nachwuchsförderung (Jona) der Konrad-Adenauer-Stiftung und freie Mitarbeiterin beim MT. Zurzeit ist das Mindener Tageblatt Gastgeber eines mehrwöchigen Jona-Fachseminars.
Bildunterschrift: Ausstattung: Der Davidstern und der neunarmige Chanukkaleuchter gehören zur neuen Synagoge in Minden.
Bildunterschrift: Kein Vergessen: Ein Glasfenster mit den Namen der Lager erinnert an die Opfer der Shoah.
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