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Neue Westfälische - Paderborn Kreiszeitung , 24.02.2018 :

Missionarinnen für Hitler

Geschichtsforschung: Historikerin Katja Kosubek aus Halle liest in der Wewelsburg aus ihrem Buch / Sie hat Aufsätze von Frauen aus dem Jahr 1934 ausgewertet

Von Jens Reddeker

Büren-Wewelsburg. Der Nationalsozialismus war Männersache. 92,6 Prozent der Mitglieder der NSDAP waren männlich. Historikerin Katja Kosubek interessiert sich aber besonders für die weiteren 7,4 Prozent - für die Frauen in der Partei: "Sie waren aktiv und stolz. Diese Frauen verachteten Eliten und haben für die Nazi-Bewegung in ihrem Umfeld Propaganda gemacht. Frauen waren nicht nur Opfer im Nationalsozialismus." Die 47-Jährige aus Halle im Kreis Gütersloh hat am Donnerstag im Filmraum der Wewelsburg aus ihrem Buch "Genauso konsequent sozialistisch wie national - Alte Kämpferinnen der NSDAP vor 1933" gelesen.

Ihre Erkenntnisse stammen aus einer bisher wenig beachteten Quelle. Der polnische Soziologe Theodor Abel hatte 1934 gemeinsam mit der NSDAP einen Aufsatzwettbewerb ausgeschrieben, um mehr über die Motivation der Parteigänger zu erfahren. Abel wertete die Zuschriften der Männer aus - doch erst Kosubek kümmerte sich gut 80 Jahre später um die übrig gebliebenen 36 Aufsätze von Frauen: "Die Berichte zeigen, dass Frauen mitgemacht haben bei den Aktivitäten der Partei und selber in die Öffentlichkeit gegangen sind." Zwar handelt es sich bei den Erlebnisberichten um Einzel-Beispiele, dennoch liefern sie spannende Einblicke in die Denkmuster von so manchen konservativen Frauen aus den 30er Jahren.

Eine von ihnen schreibt: "Wenn ich die Frau bekehrt habe, dann war mir auch der Mann sicher." Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, vom Postboten bis zur Nachbarin alle Menschen aus ihrer Umgebung für Adolf Hitlers Kampf zu begeistern. "Wir Frauen können nun endlich wirken und helfen", schreibt eine andere, die sich besonders von der "Macht und Disziplin" des späteren Reichspropagandaministers Joseph Goebbels angezogen fühlte.

Waren gestandene Frauen der Nach-Weimarer-Zeit von der Sehnsucht nach einer kämpferischen Partei des nationalen Sozialismus getrieben, berichtet eine 19-Jährige darüber, wie sehr sie es genoss, heimliche Aktionen wie das Plakate kleben oder Spendensammlungen auf eigene Faust in Angriff nehmen zu können. "Frauen nutzten in der Partei die Chance, sich zu emanzipieren", sagt Geschichtsforscherin Kosubek. "Es gab keine separate NSDAP-Frauenorganisation - und gerade deshalb haben sie sich selbst ihre Nischen und Aufgaben gesucht."

Frauen verstanden die NSDAP als "Partei der Tat", während sie für lange Reden, Debatten und den Kampf um Ämter wenig übrig hatten. Dennoch war es ihnen wichtig, politisch am Ball zu bleiben. Eine Frau schrieb: "Ich kaufte Zeitungen, um mich zu informieren. Niemand den ich sprach, blieb politisch von mir verschont." Diese Frauen verstanden sich als Botschafterinnen der Nazi-Ideologie. "Sie haben auf ihre Weise Kanäle und Zielgruppen erschlossen", sagt Kosubek.

Der Soziologe Abel schrieb 1938 noch einmal einen Aufsatzwettbewerb unter Nazi-Anhängern aus. Doch als er die eingereichten Texte in Berlin abholen wollte, brach Hitler den Zweiten Weltkrieg vom Zaun - und der Pole flüchtete. Der Fund dieser Dokumente wäre ein Traum für Katja Kosubek: "Sie wären ein Schatz für die Wissenschaft."

Promovierte Preisträgerin

Das Buch von Katja Kosubek ist das Resultat ihrer Dissertation, die sie 2015 eingereicht hat.

Veröffentlicht wurde das 600-Seiten-Werk im Juni 2017 durch die Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte.

Kosubek studierte und promovierte elf Jahre an der Universität Hamburg

Mittlerweile arbeitet sie als freie Historikerin.

In ihrer Heimatstadt Halle konzipiert sie den Aufbau eines virtuellen stadtgeschichtlichen Museums.

In Verl im Kreis Gütersloh leitet sie ein Zeitzeugen-Projekt, das Tondokumente aufnimmt, um Erinnerungen für die Nachwelt zu erhalten.

Am kommenden Montag erhält Kosubek einen Stern des Jahres, den Preis für herausragende Kulturmacher in OWL - verliehen von der Neuen Westfälischen, der Lippischen Landes-Zeitung und dem Haller Kreisblatt.

Bildunterschrift: Herzensangelegenheit: Historikerin Katja Kosubek wertete handschriftliche Aufsätze von NSDAP-Frauen aus.

24./25.02.2018

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