Neue Westfälische ,
14.02.2018 :
Studie der Uni Bielefeld widerlegt These vom deutschen "Schuldkult"
Befragung: Die Mehrheit der Bundesbürger hat großes Interesse an deutscher Geschichte / Auch eine moralische Verantwortung nach der NS-Zeit wird anerkannt / Eine Mitschuld am Holocaust empfinden dagegen die wenigsten
Bielefeld / Berlin (epd). Die meisten Bürger sehen Deutschland nach der NS-Zeit in einer besonderen moralischen Verantwortung, fühlen sich aber nicht mitschuldig am Holocaust. Wie eine in Berlin veröffentlichte Studie der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" und der Universität Bielefeld ergab, interessieren sich 32,5 Prozent der Bundesbürger stark und 27,7 Prozent sehr stark für die deutsche Geschichte. 88 Prozent finden, dass das Wissen über den Nationalsozialismus zur Zugehörigkeit zu Deutschland gehört. Als das wichtigste historische Ereignis nach 1900 sieht die Mehrheit allerdings mittlerweile die Wiedervereinigung (39 Prozent), gefolgt vom Zweiten Weltkrieg (37 Prozent).
Für die Studie "Trügerische Erinnerungen: Wie sich Deutschland an die Zeit des Nationalsozialismus erinnert" wurden 1.000 Menschen befragt. Es sei die erste Untersuchung dieser Art zur Erinnerungskultur in Deutschland, die eine Forschungslücke schließe, sagte der Bielefelder Konfliktforscher und Studienleiter Andreas Zick.
Im Zentrum habe die Frage gestanden, was, warum und wie sich Menschen in Deutschland an Geschichte erinnern, sagte er. Ein besonderes Augenmerk galt der Erinnerung an den Holocaust, "denn angesichts von Antisemitismus und Versuchen, Themen wie die Kriegsschuld für Propagandazwecke zu missbrauchen, steht Erinnerungskultur infrage", sagte Zick.
Der Aussage, dass Deutschland wegen der Zeit des Nationalsozialismus eine besondere "moralische Verantwortung" habe, stimmen 38 Prozent der Befragten stark zu, 30 Prozent stimmen zu. Lediglich fünf Prozent lehnen diese Aussage stark ab, neun Prozent lehnten sie ab und 18 Prozent antworteten mit "teils / teils". Mehr als die Hälfte der Befragten stimmte der Aussage zu: "Man sollte endlich wieder stolz sein dürfen, deutsch zu sein."
Knapp die Hälfte der Befragten befürchten, dass sich etwas wie der Holocaust wiederholen könnte. "Wenn jetzt aber von einem "Schuldkult", der in Deutschland betrieben werde, die Rede ist, entspricht das überhaupt nicht der Meinung der Bevölkerung", betonte Zick. "Die Befragten erinnern viel differenzierter." So habe lediglich etwa jeder zehnte Befragte der Aussage zugestimmt: "Auch wenn ich selbst nicht Schlimmes getan habe, fühle ich mich schuldig für den Holocaust."
17,6 Prozent der Befragten gaben an, unter ihren Vorfahren seien Täter des Zweiten Weltkriegs gewesen. Ungefähr ebenso viele (18 Prozent) erklärten, ihre Vorfahren hätten in dieser Zeit potenziellen Opfern geholfen, etwas mehr als die Hälfte (54,4 Prozent) haben nach eigenen Angaben unter ihren Verwandten Opfer des Zweiten Weltkrieges.
Über den Nationalsozialismus erfahren fast alle Befragten in der Schule (98,4 Prozent). Das Internet spiele als Informationsquelle bei jüngeren Menschen aber eine immer wichtigere Rolle, hieß es: 94,3 Prozent der unter 30-Jährigen setzen sich dort mit den Thema auseinander. Ein Großteil (39 Prozent) gab zudem an, Gedenkstätten oder Mahnmale aufzusuchen. Dabei hinterlässt der Studie zufolge der Besuch von Gedenkstätten den stärksten Eindruck.
Der Vorstandsvorsitzende der EVZ-Stiftung, Andreas Eberhardt, betonte, dass sich angesichts der sich wandelnden Erinnerungskultur auch neue Formen der Erinnerung nötig seien. "Wir sind auf dem Weg zur Gedenkstätte 4.0", sagte Eberhardt.
Bildunterschrift: Studienleiter: Andreas Zick von der Uni Bielefeld.
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