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Westfalen-Blatt / Bünder Zeitung , 13.02.2018 :

Politisch brisante Straßennamen

Geschichtswerkstatt arbeitet Umbenennungen aus NS-Zeit auf

Von Hilko Raske

Bünde (BZ). Straßennamen können zum Politikum werden - das hat die Diskussion um die Lettow-Vorbeck-Straße gezeigt. Hier soll ein Zusatzschild die Rolle des Reichswehrgenerals kritisch darstellen. Dass derartige Information auch bei anderen Straßennamen möglicherweise Sinn machen würden, zeigt ein Blick in ein Internetportal, an dem Stadthistoriker Jörg Militzer mitgewirkt hat.

"Die Straßenbenennungspraxis in Westfalen und Lippe während des Nationalsozialismus" nennt sich die Homepage. Sie gehört zum Projekt "Westfälische Geschichte", ein Angebot, das das LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte und die Stiftung Westfalen-Initiative ins Leben gerufen hat. Federführend bei der kritischen Aufarbeitung der Straßennamen ist dabei der Historiker Marcus Weidner. "Vor einigen Jahren ist Marcus Weidner an mich herangetreten, um einen Überblick über Bünder Straßennamen und -umbenennungen während des Nationalsozialismus zu erhalten", sagt Jörg Militzer. Viele derartige Anfragen seien bei ihm als Leiter der Bünder Geschichtswerkstatt gelandet. Es sei ein glücklicher Zufall gewesen, dass die Historie der Straßennamen zum damaligen Zeitpunkt ein Schwerpunkt der Geschichtswerkstatt war. Insoweit hatten ihre Mitglieder schon umfassende Recherchearbeit betrieben. "Alles, was wir zu NS-Bezügen von Straßennamen hatten, stellten wir Weidner zur Verfügung", so Militzer. Dabei habe man auch auf die Forschungsergebnisse von Norbert Sahrhage zurückgreifen können. 17 Neu- oder Umbenennung seien so zusammengetragen worden. Etliche sind inzwischen längst wieder Geschichte wie die Wilhelm-Gustloff-Straße (heutige Gasstraße). Aber auch so harmlos klingende Bezeichnungen wie der Frühlingsweg, den es noch heute gibt, sind durchaus politisch. Der Name wurde 1933 durch Beschluss des damaligen Bünder Bürgermeisters anlässlich "des Geburtstages des Führers, der den neuen deutschen Frühling brachte", vergeben.

Diskussionen könnte es vielleicht aber auch um Straßen geben, die nicht im Internetportal aufgelistet werden - zum Beispiel um die Carl-Diem-Straße im Stadtteil Dünne. In der Stadt Münster ist eine Straße dieses Namens vor Jahren umbenannt worden. Und auch in Osnabrück gibt es derartige Bestrebungen. Der Grund: Der Sportfunktionär Carl Diem - erster Direktor der Sporthochschule in Köln und Begründer des Deutschen Sportabzeichens - gilt aus Sicht von Historikern, obwohl kein Mitglied der NSDAP, als Mittäter und Sympathisant des NS-Regimes.

www.strassennamen-westfalen-lippe.lwl.org

Bildunterschrift: Jörg Militzer hat mit Mitgliedern der Geschichtswerkstatt die Namensgebung von Bünder Straßen zur NS-Zeit unter die Lupe genommen. Das Ergebnis ist in einem Internetportal das Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe zu sehen.

Bildunterschrift: Die Carl-Diem-Straße könnte politisch brisant werden.

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Neue Westfälische - Bünder Tageblatt, 10./11.02.2018:

Wenn Straßennamen zum Politikum werden

Hintergrund: Bünde wird wohl seine Lettow-Vorbeck-Straße auch in den kommenden Jahren behalten / Die Stadt Osnabrück geht einen anderen Weg: Eine Carl-Diem-Straße gibt es dort nicht mehr - in Dünne schon

Von Stefan Boscher

Bünde. Wie gehen Kommunen mit Entscheidungen um, die ihre politischen Entscheider vor Jahren und Jahrzehnten getroffen haben? Es gibt mehrere Möglichkeiten: Man hält an ihnen fest, man ändert sie oder man versucht sich irgendwie aus der Affäre zu ziehen, indem man sich nicht wirklich festlegt. Wie unterschiedlich zwei Städte mit der Bewältigung und Einordnung von Entscheidungen umgehen, die vor vielen Jahren getroffen wurden, zeigen Bünde und Osnabrück.

Bünde

Emotional wurde sie im vergangenen Jahr geführt, die Diskussion um die Lettow-Vorbeck-Straße. Benannt ist sie nach Paul von Lettow-Vorbeck (1870 - 1964), einem deutschen General und Kommandeur der Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika im Ersten Weltkrieg. Verehrt wurde er in den Jahrzehnten danach, heute wird seine Rolle in der Geschichte wesentlich kritischer gesehen. Ein deutsches Gericht hat ihm sogar Sklaverei und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nachgewiesen.

SPD und Grüne wollten eine Änderung des Straßennamens in der Bünder Innenstadt durchsetzen, CDU, FDP und UWG traten dafür ein, alles so zu lassen, wie es ist. Und so kommt es nun auch: Die rund 600 Meter lange Straße wird weiterhin den Namen Lettow-Vorbeck tragen, allerdings soll an den Straßenschildern auf den Namensgeber hingewiesen werden.

Osnabrück

Die niedersächsische Stadt macht kurzen Prozess mit historisch belasteten Namen und benennt jetzt auf einen Schlag gleich drei Straßen im Stadtgebiet um, die die Namen von Männern tragen, die zwischen 1933 und 1945 offensiv hinter Hitlers Ideologie standen: die Giesbert-Bergerhoff-Straße, den Heinrich-Röper-Weg und die Carl-Diem-Straße. Vor allem letztere ist interessant, da es auch in Bünde im Stadtteil Dünne eine Carl-Diem-Straße gibt. Im Vorfeld der Ratsentscheidung gab es eine lebhafte Debatte in der Stadt, unter anderem waren Vereine und Institutionen in das Verfahren eingebunden, es wurden Bürgerforen veranstaltet. Und auch die Anwohner wurden angehört und konnten eigene Vorschläge für neue Namen ihrer Straße machen. Der Weg zur Umbenennung der Carl-Diem-Straße war gleichwohl lang: Bereits 2002 stand das Thema auf der Tagesordnung der politischen Entscheider. Damals waren insbesondere die Anwohner gegen eine Umbenennung. Auch ein neuer Vorstoß im Jahr 2012 führte nicht zum Erfolg.

Die Kosten, die Anwohnern durch die Umbenennung der Straßen entstehen, will übrigens die Stadt Osnabrück tragen. Dort geht man von rund 3.100 Euro aus, die für alle drei Straßen anfallen. Anwohner müssen unter anderem neue Ausweise und Fahrzeugscheine bekommen, Schilder werden geändert.

Carl Diem

Wer war Carl Diem? Er gilt als Gründer des organisierten Sports in Deutschland, er organisierte die Olympischen Spiele 1936 in Berlin und führte das Sportabzeichen in Deutschland ein. Carl Diem diente aber auch den Nationalsozialisten an prominenter Stelle, er fiel mit antisemitischen Äußerungen auf und er war ab 1943 über den Holocaust informiert. Und, so schreibt die Neue Osnabrücker Zeitung: "Bei einer Rede auf dem Olympiagelände in Berlin forderte er die Hitlerjugend im März 1945 zum "finalen Opfergang für den Führer" auf." In den folgenden Tagen kamen in Berlin bis zum Kriegsende hunderte Jugendliche bei dem Versuch um, sowjetische Panzerverbände aufzuhalten.

Neue Diskussion

Die Entscheidung des Bünder Verkehrsausschusses, die Lettow-Vorbeck-Straße nicht umzubenennen, fiel im vergangenen Jahr äußerst knapp aus. Noch ist unklar, ob die Parteien oder auch Bürgerinitiativen einen neuen Vorstoß wagen wollen. In diesem Zuge könnte auch die Carl-Diem-Straße in Dünne noch einmal betrachtet werden.

Bildunterschrift: In Dünne: Die Straße zum Sportplatz ist nach Carl Diem benannt, dem Organisator der Olympischen Spiele 1936 in Berlin.

Kommentar / Aussitzen ist der falsche Weg

Stefan Boscher

Bünde hat eine ganze Reihe von Straßen und Wegen, deren Namensgebungen zumindest nicht glücklich gewählt sind.

Mit dem heutigen historischen Wissen um die beiden Personen würde vermutlich niemand im Stadtrat auf die Idee kommen, eine Straße nach Paul von Lettow-Vorbeck oder Carl Diem zu benennen. Warum ist es dann so schwierig für manche Ratsmitglieder, eine jahrzehntealte Entscheidung zu widerrufen und dafür zu sorgen, dass in Bünde nur an ehrenhafte Personen erinnert wird?

Es mag ernstere Probleme geben, aber das Auseinandersetzen mit der eigenen Vergangenheit ist alles andere als unwichtig. Es ist an der Zeit, das Bünde aufarbeitet, wie viele Straßennamen im Stadtgebiet eine vorbelastete Vergangenheit haben, denn da gibt es noch wesentlich mehr als diese beiden. Die eigene politische Verantwortung nur auszusitzen, ist der falsche Weg.

stefan.boscher@ihr-kommentar.de


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