Westfalen-Blatt / Verler Zeitung ,
12.10.2017 :
Historikerin soll Verls Geschichte aufarbeiten
Dr. Katja Kosubek (46) führt Zeitzeugen-Projekt durch
Von Julian Stolte
Verl (WB). Die Stadt Verl will ihre Historie in der Zeit des Nationalsozialismus aufarbeiten lassen. Dafür hat sie sich Hilfe geholt: Dr. Katja Kosubek. Die Historikerin aus Halle wird 15 Zeitzeugen befragen.
Neben den Verlern im Alter von 84 bis 92 Jahren und der Historikerin (46) aus dem Norden des Kreises sind noch die Stadt (Organisation, Finanzierung) und der Verler Heimatverein (Initiative) am Zeitzeugen-Projekt "Erinnerungskultur" beteiligt. Ihren Ursprung hatte die Aufarbeitung der Geschichte schon vor zwei Jahren. Die FDP-Fraktion beantragte seinerzeit, im Haushalt 2016 entsprechende Mittel vorzusehen. Unter Moderation des Rathauses und Einbeziehung aller Fraktionen entwickelte sich die Idee weiter - mit wesentlicher Ergänzung: wissenschaftliche Begleitung des Projektes.
Diese Aufgabe hat die Stadt inzwischen Dr. Katja Kosubek (siehe Kasten) übertragen. Die freiberufliche Historikerin arbeitet sich bereits in Verls Geschichte zwischen 1920 und 1950 ein. Danach entwickelt sie Gesprächsleitfäden. Noch in diesem Monat sollen die Interviews beginnen. "Persönliche Gespräche sind ein toller Zugang zu Geschichte im allgemeinen", sagt Dr. Katja Kosubek bei der Projektvorstellung am Dienstag.
"Es ist wichtig, dass das Wissen nicht verloren geht."
Michael Esken, Bürgermeister
Es stehen 15 Personen für Interviews zur Verfügung. Bei der Auswahl haben die Verantwortlichen auch den Heimatverein eingebunden. Möglicherweise haben genau deshalb alle angesprochenen Personen sofort ihre Zusage für eine Teilnahme erteilt. "Es freut uns, dass die Stadt Geld in die Hand nimmt und eine Historikerin engagiert", sagt Matthias Holzmeier, Vorstand des Heimatvereins. Wie wichtig professionelle Begleitung ist, verdeutlicht Holzmeiers Vorstandskollegin Regina Bogdanow: "Ohne Fachkompetenz und nur mit ehrenamtlicher Arbeit ist die Erstellung eines aussagekräftigen Dokuments unmöglich."
Wie dieses Dokument aussehen wird, ist bereits geklärt. Katja Kosubek wird die Interviews auf einem Tonband aufnehmen, aufbereiten und schneiden sowie einen Abschlussbericht anfertigen. Der Projektfahrplan sieht dies bis Mai 2018 vor. Die Veröffentlichung sei für den Sommer kommenden Jahres zu erwarten. Ob das in Verbindung mit einem Buch oder ähnlichem erfolgen soll, ist laut Bürgermeister Michael Esken bislang nicht besprochen. Dies hänge freilich von den Ergebnissen des Projekts ab. Es gebe aber bereits mehrere Ideen.
Zur Person
Katja Kosubek ist 1971 in Halle geboren und aufgewachsen. Sie hat elf Jahre in Hamburg gelebt und unter anderem in dieser Zeit in der Hansestadt Geschichte und Germanistik studiert. Kosubek hat dort 2015 promoviert. Ihre Dissertation ist im Juli dieses Jahres erschienen - und zwar als Buch. Der Titel des Werkes (ISBN: 978-3-8353-3057-3) lautet "Genauso konsequent sozialistisch wie national".
Was die heute als freiberufliche Historikerin tätige Kosubek laut eigenen Angaben interessiert, ist das Leben von Menschen in ihrer Zeit. Wie haben sie gelebt? Welche Erfahrungen haben sie geprägt? Welche Wünsche und Hoffnungen hatten sie? Mit ihren Fragen verfolgt Kosubek ihr Anliegen, zu verstehen. Sie möchte nicht be- oder verurteilen, sondern einfach "wertfrei zuhören, um nachvollziehen zu können, welche Gedanken zu welchen Handlungen geführt haben".
In ihrer Heimatstadt leitet Dr. Katja Kosubek das virtuelle Geschichtsmuseum "Haller Zeiträume". Auch bei diesem Projekt ist ihr die enge Zusammenarbeit mit Zeitzeugen sehr wichtig, sagt sie. In dem Museum sei erlebte Geschichte bereits in zahlreichen Tondokumenten zu hören.
Lesung als Auftakt
Zu Beginn des Zeitzeugen-Projekts "Erinnerungskultur" will sich die freiberufliche Historikerin Dr. Katja Kosubek in Verl vorstellen. Dies wird die Hallerin mit einer Lesung am Donnerstag, 19. Oktober, 19.30 Uhr, im Heimathaus tun. Der Eintritt ist frei. Der Titel: "Die alten Kämpferinnen der NSDAP".
Dr. Katja Kosubek wird aus ihrer Dissertation lesen, die als Buch ("Genauso konsequent sozialistisch wie national") erschienen ist. Sie veröffentlichte in ihrem Werk die Autobiografien von Nationalsozialistinnen der ersten Stunde. Die Berichte der Frauen stammen laut Kosubek aus einem Schreibwettbewerb aus dem Jahr 1934. Die Frage lautete: Warum bin ich vor 1933 in die NSDAP eingetreten? Es beteiligten sich mehr als 600 Parteimitglieder - darunter 36 Frauen, so genannte "alte Kämpferinnen der NSDAP". Der Wettbewerb war von einem US-Soziologen initiiert worden. "Die wissen noch nichts vom Zweiten Weltkrieg oder vom Holocaust und schreiben offen über ihre Überzeugung und ihr Engagement. Das macht die Quellen so kostbar", berichtet Kosubek, die vor knapp zehn Jahren Zugriff auf die Quellen bekam.
Bildunterschrift: Mit dem Zeitzeugen-Projekt "Erinnerungskultur" will die Stadt ihre Historie aufarbeiten lassen. Dafür hat sie Dr. Katja Kosubek aus Halle engagiert. Die Historikerin hat 2015 promoviert. Im Juli dieses Jahres ist ihre Dissertation erschienen. Zum Auftakt des Projekts will sie für eine Lesung nach Verl kommen.
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