www.hiergeblieben.de

Westfalen-Blatt / Haller Zeitung , 14.09.2017 :

Was Hitler attraktiv für Frauen machte

Riesen-Andrang bei der Lesung aus Katja Kosubeks Buch über "Alte Kämpferinnen" der NSDAP

Von Klaudia Genuit-Thiessen

Halle (WB). Mit solch einem Andrang bei den "Alten Kämpferinnen" hat keiner gerechnet: 150 Interessierte wollten am Dienstag die Lesung von Historikerin Dr. Katja Kosubek (46) im Haller Bürgerzentrum anhören. Doch weil im Vorfeld nur 25 Karten verkauft worden waren und einige Tische aufgestellt waren, kamen 50 Leute nicht mehr herein.

Susanne Debour vom Kulturbüro der Stadt verwies auf die Möglichkeiten, Karten vorher zu ordern. So kurzfristig sei es kaum möglich umzudisponieren, sagte sie. Gleichwohl hoffte sie, dass es eine Chance gibt für eine Wiederholung der Veranstaltung in Halle. Zudem wird Katja Kosubek das Buch - "Genauso sozialistisch wie national!" - Alte Kämpferinnen der NSDAP vor 1933 - kommende Woche in Bielefeld vorstellen: am Donnerstag, 21. September, um 19 Uhr im Historischen Museum im Ravensberger Park 2.

Noch immer treibt die alte Frage nach den Ursachen nachfolgende Generationen um

Wer in Halle einen Sitzplatz in der Remise ergattert hatte - notfalls auf einem der Tische -, den nahmen die Autorin und drei Mitstreiterinnen mit auf eine Reise in das Jahr 1934. Denn damals hatte der US-Soziologe Theodore Abel zu einem Aufsatzwettbewerb aufgerufen. Erhalten blieb deshalb "ein historischer Schatz", den die Haller Historikerin für ihre Doktorarbeit gehoben hat: 36 autobiographische Essays aus der Frühzeit des Nationalsozialismus.

(Fast) jede Familie hat ein Stück eigene NS-Vergangenheit. Katja Kosubek: "Noch immer treibt die alte Frage nachfolgende Generationen um." Auch eine Vielzahl von Publikationen über den Aufstieg des Nationalsozialismus habe das Phänomen noch nicht greifen und die Frage nach seinen Ursachen nur bruchstückhaft beantworten können, sagte sie. Erst in jüngster Vergangenheit wage die deutsche Geschichtswissenschaft die Erkenntnis, "dass die Nationalsozialisten den Menschen offenbar etwas zu bieten hatten. Etwas, das sie in anderen Parteien nicht fanden ... "

Ihre Quellenedition, herausgegeben von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, geht deshalb der Frage nach, was Hitlers Nazis attraktiv machte und wer und wie den Aufstieg unterstützte. Der Erste Weltkrieg und "die Schmach" von Versailles ließen eine verlorene, tragische Generation zurück. Auch in Halle berichtete die Zeitung über zerlumpte Heimkehrer - und Schaulustige, die sich weinend abwendeten. Der jungen Demokratie trauten die Deutschen nicht über den Weg.

Aufstehen morgens um 4 Uhr, Kinder versorgen und sich engagieren für Volk und Vaterland

In Kürze: Der nationale Absturz und persönliche Schicksalsschläge bildeten einen fruchtbaren Boden für die Idee eines nationalen Sozialismus. Die "Alten Kämpferinnen", Anfang der 20er Jahre interessierten sie sich nicht für Frauenpolitik. Sie wollten Arbeitsplätze für ihre Männer, um wieder nur Hausfrau sein zu können. Und sie nahmen dabei den Antisemitismus der NSDAP einfach hin.

Da war beispielsweise die junge Mutter Helene Radtke, der Monique Bever eine Stimme gab. Vor der Vertreibung aus dem Elsass wurde sie von Franzosen gefilzt, fand sich "in dem politischen Gewoge" im Mutterland aber bald zurecht und ging ihren "nationalen Weg, den ich von meinen Eltern anerzogen bekommen hatte, weiter". Sie stand morgens um 4 Uhr auf, um vorzukochen und ihre drei Kinder zu versorgen, engagierte sich für Volk und Vaterland und fand nach einigem Suchen ihren Platz bei den Nazis. "Mit Stolz trug ich die kleine Hakenkreuz-Nadel", berichtet sie.

Auch Katja Kosubeks Nichte Ana Brickenkamp sowie Andrea Janböke-Plogmann schlüpften in die Rollen weiterer "Alter Kämpferinnen": darunter die Schülerin Erna Stoyke, die Adelige Hertha von Reuss und die Zeitungshändlerin Hedwig Eggert. Sie nähten Hakenkreuzflaggen, verarzteten SA-Leute, die bei Schlägereien verwundet worden waren, oder machten Propaganda - auch wenn die Milch überkochte.

Frauen trugen schon früh bei zum spektakulären Aufstieg der Nationalsozialisten. Einige Gründe dafür wurden vielen Zuhörern in der Remise klar.

Bildunterschrift: Drei Frauen, drei Stimmen aus dem Jahr 1934: Die Berichte der "Alten Kämpferinnen" lesen (von links) Ana Brickenkamp, Monique Bever und Andrea Janböke-Plogmann.

Bildunterschrift: Die NSDAP besaß auch für Frauen Anziehungskraft. Dr. Katja Kosubek hat Berichte von 1934 untersucht.


zurück