Mindener Tageblatt ,
13.09.2017 :
Auf Spurensuche
Wenige Gehminuten vom Fernsehturm entfernt liegt das nie vollendete Schlageter-Denkmal / Eine Projektgruppe der Portaner Gesamtschule hat sich mit dem Bauwerk jetzt intensiv beschäftigt
Von Michael Grundmeier
Porta Westfalica (mig). Es gibt sie noch, die "bösen Bauten", die vom ehemals 1.000-jährigen Reich und der Nazi-Herrschaft künden. In der Nähe des Fernsehturms steht so ein Denkmal, an dem viele Menschen vorbeikommen. Es sollte an Albert Leo Schlageter erinnern, der als "erster nationalsozialistischer Soldat" firmierte. Das weiß heute kaum noch jemand. Eine Projektgruppe der Portaner Gesamtschule hat das lange vergessene und unvollendete Monument jetzt genauer unter die Lupe genommen.
Die Plattform ist fast vollständig zugewachsen. Das war nach 1945 und im Grunde auch schon kurz nach Baubeginn im Jahr 1933 so, als ein bizarrer Streit die Stadt in zwei Lager teilte. Die Nationalsozialisten hatten versucht, an die frühere Tradition anzuknüpfen, sagt Karl-Wilfried Pultke, Leiter der Projektgruppe. In Albert Leo Schlageter hätten die Nazis einen "deutschen Patrioten und den ersten nationalsozialistischen Soldaten" gesehen. Man habe Schlageter für die eigenen Zwecke eingespannt.
Als die Nationalsozialisten jedoch sahen, dass ein christliches Kreuz die Stätte zieren sollte, waren sie entsetzt. Sie wollten ein riesiges Runenkreuz vom Jakobsberg herabgrüßen lassen. Die Bevölkerung war gespalten, heißt es. Dabei hatten sich die Initiatoren die Sache so schön vorgestellt. Das Mal für Schlageter sollte eingebettet sein zwischen den beiden Symbolen des Kaiserreichs - dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal auf der anderen Weserseite und dem 1902 erbauten Bismarck-Turm, wo heute der Fernsehturm steht.
Was den konkreten Bau anging, gab es von Anfang an Pleiten, Pech und Pannen. Der Tag der Grundsteinlegung musste um einen Monat auf den 25. Juni 1933 verschoben werden und die Minister Goebbels und Göring konnten auch nicht kommen. Die feierliche Aufstellung und Weihe des fertigen Denkmals wurde für den 27. Mai 1934 angekündigt. Doch dann geriet das Vorhaben - zunächst ohne ersichtlichen Grund - plötzlich ins Stocken. Nur ganz langsam sickerten Hinweise auf die Ursache durch. Es entbrannte ein Streit über den "richtigen" Umgang mit christlicher Symbolik.
Die Nationalsozialisten verboten das Kreuz. Es hagelte Proteste, Vorwürfe und Verdächtigungen. Parteiausschlussverfahren wurden eingeleitet. Kreisleiter Schmidt drohte sogar mit der Totalsprengung der Anlage. Am Verbot des Kreuzes änderte das nichts. Erst als der Vater von Albert Leo Schlageter mit Hitler über das Thema ins Gespräch kam, drehte sich der Wind. Das Kreuz werde errichtet, stand in der "Mindener Zeitung" zu lesen. Passiert ist trotzdem nichts. Der Streit zwischen den beiden Lagern tobte noch Jahre weiter.
Vier Infotafeln zum Denkmal sollen am Fernsehturm aufgestellt werden
"Im Grunde hat der Gauleiter hier einen klaren Führerbefehl missachtet", sagt Pultke. Das sei wohl nur in den Anfangsjahren möglich gewesen, als die Strukturen noch nicht so festgefügt gewesen seien "und jeder irgendwie mitgemischt hat". Das Stahlkreuz steht heute übrigens auf dem Mindener Nordfriedhof. Einen Weihegottesdienst, so Pultke, hätten die Pastoren verweigert. Sie wollten das Kreuz auf dem Berg sehen und nicht auf dem Friedhof.
Heute ist das Bauwerk als Denkmal weitgehend vergessen. Obwohl nur rund zehn Minuten zu Fuß vom Fernsehturm zu gehen sind und viele Wanderer dort unterwegs sind, wird der geschichtliche Aspekt nicht gesehen. Pultke führt das auf die fast vollständig fehlende Beschilderung zurück. Das Denkmal werde rein als Aussichtsplattform wahrgenommen, sagt er. Wer weiß, was sich hier vor weit über 70 Jahren zugetragen hat, sehe es hingegen mit anderen Augen. Der trutzige Bau, die Einschusslöcher - all das seien Spuren des selbst ernannten "Tausendjährigen Reiches". Spuren, die manch einer vielleicht lieber vergessen möchte. Früher war die Umgebung ohne jede Vegetation, heißt es. Inzwischen ist der Wald dicht bewachsen.
Was mit dem "Schlageter-Denkmal" machen? Dieser Frage sind die Schüler der Gesamtschule während ihres Projekts nachgegangen. Für Gunnar Falkenberg steht die Antwort fest: "Man sollte darüber aufklären, was das hier werden sollte und es stehen lassen. Hier können die Menschen etwas aus der Geschichte lernen. Dieses Denkmal erinnert an die Nazi-Zeit und wie schlimm sie war."
Stehen lassen - ja, aber mit geschichtlicher Einordnung. Dieser Ansicht sind Pultke und die Mitglieder der Projektgruppe. Man müsse sicher nicht jedes Denkmal aus dieser Zeit erhalten - "aber an diesem Denkmal lassen sich geschichtliche Ereignisse wie der später so genannte Kirchenkampf studieren", sagt Pultke. Schon allein deshalb sei ein Erhalt sinnvoll. Allerdings: einen anderen Umgang mit dem Denkmal würde sich Pultke schon wünschen. Bisher gebe es kaum eine geschichtliche Einordnung - das will die Projektgruppe jetzt nachholen. Bis spätestens Ende November sollen vier Tafeln am Fernsehturm angebracht werden. Unter anderem finden sich dort Erläuterungen zu Albert Leo Schlageter und dem Streit ums Kreuz.
"Ich finde es sehr wichtig, dass es einen Kontext zu dem Denkmal gibt, damit die Besucher wissen, was hier passiert ist", sagt Pultke. Und die Projektgruppe will nicht zulassen, dass diese Spuren verwischen.
Bildunterschrift: Die Projektgruppe hat sich zum Ziel gesetzt, die Bevölkerung über die Geschichte des Schlageter-Denkmals zu informieren. Bislang wird das Bauwerk eher als Aussichtsplattform gesehen.
Albert Leo Schlageter
Albert Leo Schlageter ist im Jahr 1894 im Schwarzwald geboren worden. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 hatte er sich spontan zum Fronteinsatz gemeldet und sich später verschiedenen Freikorps angeschlossen.
Als französische Truppen 1923 das Ruhrgebiet besetzten, ging er in den Untergrund und verübte Anschläge. Schließlich wurde er verhaftet und von einem französischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt.
Am 26. Mai 1923 ist der spätere NS-"Nationalheld" in der Nähe von Düsseldorf erschossen worden. Schon damals wurde Schlageter von vielen Gruppierungen als "Märtyrer" und "vaterländischer Widerstandskämpfer" gefeiert.
Im Vorfeld des zehnten Todestages Schlageters strebte dieser Heldenkult dann einem neuen Höhepunkt entgegen. Wie auch in anderen Städten wurde in Minden über den Bau eines Denkmales nachgedacht. Der Mindener Architekt Hans Korth wurde mit der Gestaltung betraut.
Korths Entwurf sah einen klotzigen Sandsteinsockel vor, auf dessen Plattform ein 15 Meter hohes Stahlkreuz stehen sollte. Zunächst fand dieser Vorschlag auch Zustimmung. Dann kam der Streit.
Heute wird das Schlageter-Denkmal als Aussichtsplattform wahrgenommen. Die Projektgruppe der Gesamtschule will den geschichtlichen Aspekt des Bauwerks wieder stärker in das Bewusstsein rücken.
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