Mindener Tageblatt ,
21.04.2017 :
Die Stolpersteine glänzen
Die Erinnerungen an die Opfer des Nationalsozialismus waren verfärbt und verblasst - jetzt haben Hauptschüler dafür gesorgt, dass die Namen wieder lesbar sind
Von Ulrich Westermann
Petershagen (Wes). Jungen und Mädchen der Hauptschule Petershagen und ihr inzwischen pensionierter Lehrer Richard Stellhorn haben vor sieben Jahren die Pflegepatenschaft für Stolpersteine übernommen. Bei diesen kleinen Denkmälern handelt es sich um zehn mal zehn Zentimeter große Betonsteine, die auf Initiative der Arbeitsgemeinschaft "Alte Synagoge Petershagen" in der Innenstadt niveaugleich in das Pflaster der Gehwege eingelassen worden sind.
Namen und Daten auf den Messingplatten dieser Steine erinnern an jüdische Einwohner aus Petershagen, die von den Nationalsozialisten verschleppt und ermordet wurden. Die insgesamt 36 Stolpersteine hat die AG in Zusammenarbeit mit dem Kölner Künstler Gunter Demnig verlegt. Die Aktionen fanden in den Jahren 2009, 2010, 2011 und 2012 statt. Demnig war nur 2010 auf Grund eines Todesfalls in der Familie nicht in Petershagen anwesend. Die Witterungseinflüsse hatten die Verfärbung der Messingplatten zur Folge. Nach und nach ist die Oberfläche so dunkel geworden, dass die Schriftzeichen kaum noch zu erkennen waren.
Die Pflegepatenschaft wurde nun von Jungen und Mädchen der 9. und 10. Jahrgangsstufe der Petershäger Hauptschule an der Mindener Straße fortgesetzt. Sie gehören der Arbeitsgemeinschaft "Grüne Schule" an, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Außenanlagen zu pflegen. Auch eine Aktion "Saubere Landschaft" stand bereits auf dem Stundenplan. Nun wurde das Betätigungsfeld von Cindy, Nesrin, Brunhild, Timobuddy, Maik, Björn und Fabian unter der Leitung ihrer Lehrerin Gabi Hachmeister in die Petershäger Altstadt verlegt. Neben Eimern kamen Bürsten, Putzlappen und weitere Reinigungsgeräte zum Einsatz.
Begleitet wurden die Angehörigen der Hauptschule von der 1. Vorsitzenden der AG "Alte Synagoge Petershagen", Marianne Schmitz-Neuland. Sie erinnerte an die Verbrechen, die an den jüdischen Einwohnern begonnen worden sind und betonte, dass sich diese schrecklichen Taten aus den 30er- und 40er-Jahren niemals wiederholen dürften.
Nach der Grundreinigung wurden die Messingplatten so lange mit einer Metallpolitur bearbeitet, bis sie wieder glänzten. Eine Station der Pflegeaktion war der Einmündungsbereich Mindener Straße / Alte Fährstraße. Dort sind Stolpersteine für die Familie Hertz verlegt worden.
Im Informations- und Dokumentationszentrum für jüdische Orts- und Regionalgeschichte, das von der AG "Alte Synagoge Petershagen" in der Goebenstraße getragen und betreut wird, ist in einer Dauerausstellung ein Vermächtnis zu sehen. Bei dem Exponat handelt es sich um eine Brotschneidemaschine aus dem Haushalt von Viktor und Grete Hertz. Die Familie wohnte in der Alten Fährstraße. Am 30. Juli 1942 war Grete Hertz, einen Tag vor ihrer Deportation nach Theresienstadt, mit dem Brotschneider in die benachbarte Werkstatt des Schmiedemeisters Carl Ballhaus gegangen. Von ihm wusste die Frau, dass er ihr wohlgesonnen war. Sie bat ihn, das Haushaltsgerät bis zur Rückkehr der Familie aufzubewahren. Grete Hertz hat Petershagen nicht wiedergesehen. Die Brotschneidemaschine wurde von Carl Ballhaus und seinen Nachkommen in Ehren gehalten. Auf Umwegen ist dieses Erinnerungsstück an die Familie Hertz vor einigen Jahren zurück nach Petershagen gekommen und dann im Informations- und Dokumentationszentrum ausgestellt worden.
Mathilde Goldberg wurde als Älteste deportiert und in Treblinka ermordet
Ein einzelner Stolperstein wurde 2010 für Mathilde Goldberg auf der Westseite der Mindener Straße verlegt. Auch dorthin führte die Pflegeaktion der Schüler. Über Mathilde Goldberg waren bisher wenige Einzelheiten bekannt. Wie Wolfgang Battermann von der AG "Alte Synagoge Petershagen" in Recherchen mit Unterstützung des Arbeitskreises "Jüdisches Leben in Rahden" nun herausgefunden hat, war sie die älteste Petershäger Bürgerin, die von den Nazis verschleppt worden ist. Mathilde Goldberg wurde am 19. Januar 1858 in Rahden geboren und wohnte in Petershagen in der ehemaligen Hindenburgstraße 42 (heute Mindener Straße). Das Haus ist nicht mehr da. Mathilde Goldberg war ledig. Die Familienwurzeln liegen in Rahden. Allerdings sind ihre Vorfahren eindeutig mit Petershagen in Verbindung zu bringen. Ihre Eltern waren Philipp Goldberg und Jettchen Block, geboren 1829 in Petershagen als Tochter des jüdischen Handelsmannes und Viehhändlers Daniel Block und dessen Ehefrau Hannchen Philippstal. Mathilde Goldberg wurde am 28. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Am 23. September 1942 erfolgte der Weitertransport in das Vernichtungslager Treblinka. Zu diesem Zeitpunkt war die Petershäger Bürgerin 84 Jahre alt. Was mit ihr in Treblinka genau geschehen ist, kann heute nicht mehr nachvollzogen werden. Ihr Todesdatum ist unbekannt, am 8. November 1949 wurde sie für tot erklärt.
Bildunterschrift: Jungen und Mädchen der Hauptschule Petershagen haben mit ihrer Lehrerin Gabi Hachmeister (3. v. l.) die Stolpersteine an der Mindener Straße gereinigt. An der Aktion beteiligt war die 1. Vorsitzende der AG "Alte Synagoge Petershagen", Marianne Schmitz-Neuland (l.).
Bildunterschrift: Auch der Stolperstein von Mathilde Goldberg wurde mit Reinigungsgeräten und Politur bearbeitet. Sie war mit 84 Jahren Petershagens älteste jüdische Bürgerin, die 1942 von den Nazis deportiert worden ist.
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