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Lippische Landes-Zeitung , 15.01.2004 :

Wie aus Religion Politik wird / Vortrag über islamischen Fundamentalismus

Detmold. "Fundamentalisten arbeiten mit Versatzstücken des Korans und nutzen dabei das theologische Halbwissen der Gläubigen aus" - so beschreibt Dr. Bärbel Beinhauer-Köhler ein bestimmtes Verständnis des Islam. Was verbirgt sich jedoch hinter dem Begriff "islamischer Fundamentalismus"? Dieser Frage ging die Bielefelder Religionswissenschaftlerin in einer Veranstaltung der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) Detmold und Lemgo nach.

Fundamentalismus gibt es in fast allen Religionen. Spätestens mit den Terroranschlägen von New York und Washington ist seine islamische Ausprägung ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Von Marokko bis Indonesien gebe es ganz unterschiedliche Formen des Islam - liberalere und weniger liberale Spielarten. Auch der Begriff "Fundamentalismus" sei nicht immer klar. Vier Merkmale zur Definition hält Beinhauer-Köhler jedoch für eindeutig: eine antimoderne Tendenz, das Festhalten an traditionellen patriarchalischen Familienstrukturen, die Sichtweise von Religion und Politik als Einheit und schließlich die Legitimation von Gewalt. Insbesondere in der Einheit von Religion und Politik sieht die Wissenschaftlerin eine gefährliche Tendenz zum Totalitarismus.

Keineswegs sei Fundamentalismus im Islam nur eine Angelegenheit der sozialen Unterschichten, der Modernisierungs-Verlierer: "Spätestens seit September 2001 wissen wir, dass gewaltbereite Islamisten oft auch aus gebildeten und gut situierten Familien stammen." Traditionell verfüge der Islam seit dem Mittelalter über eine anspruchsvolle, von fundamentalistischen Denkweisen weit entfernte Koranauslegung. Diese Deutung des Koran mit Hilfe grammatischer, wort- oder kulturgeschichtlicher Kategorien sei der Bibelauslegung des Mittelalters deutlich überlegen gewesen. Ein solches Koranverständnis habe den Begriff des "Dschihad", des "Heiligen Krieges", sehr eng gefasst. Der Dschihad gehört danach nicht zu den individuellen Pflichten des Gläubigen, sondern sei eine Pflicht der islamischen Gemeinschaft in Bedrohungssituationen. Der Aufruf zum Dschihad erfolgte daher nur sehr selten durch das Oberhaupt aller Muslime, den Kalifen.

Anders die fundamentalistische Auslegung des Koran: Die heilige Schrift des Islam werde unkritisch als Zugang zu jedwedem göttlichen Wollen und Handeln benutzt, weltliches Geschehen mit Hilfe eines wörtlichen Koranverständnisses entweder religiös gerechtfertigt oder verdammt. Dies verfange besonders bei theologisch nicht gebildeten Menschen, denen so ein umfassendes Erklärungsmuster für die Welt dargeboten werde.

So könne die Dschihad-Aufforderung des Korans leicht instrumentalisiert werden: der Dschihad als Kampf zwischen Gut und Böse, Gott und Teufel. Wer für Allahs Sache kämpfe, erlange die Vergebung seiner Sünden. Der Dschihad wird zur individuellen Pflicht. Für die Religionswissenschaftlerin eine "unislamische Deutung" des Korans.
Mit dem Vortrag von Dr. Beinhauer-Köhler endete eine dreiteilige Veranstaltungsreihe der ESG zum Thema Fundamentalismus.


Detmold@lz-online.de

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