Lippische Landes-Zeitung ,
14.01.2004 :
Zerstörte Leben beleben Erinnerung / Neue Ausstellung des Bundes der "Euthanasie"-Geschädigten und Zwangssterilisierten informiert und berührt
Detmold. Hans, Siegfried, Hedwig und Minna werden der Erinnerung Leben verleihen. Vier Menschen, deren gemeinsamer grauenhafter Nenner, Opfer der Leben zerstörenden NS-Maschinerie geworden zu sein, sie zusammenbrachte - auf vier DIN-A0-Tafeln bei der Ausstellung "Lebensunwert - zerstörte Leben". Sie sind Teil des Projektes, das im vergangenen Jahr vom Bund der "Euthanasie"-Geschädigten und Zwangssterilisierten konzipiert und erarbeitet worden ist. Jener Teil, der das Leben in die Ausstellung tragen wird, die weit mehr ist als eine zur Erinnerung mahnende Dokumentation. Die Tafeln transportieren das deutsche Verbrechen historisch und analytisch exakt, aber ebenso mit der berührenden Möglichkeit, das einzelne Leben inmitten der vernichteten Massen zu erkennen, ins Heute.
Die neuen Ausstellungstafeln, die fortan die Wanderschaft der alten Dokumentation aus dem Jahre 1989 übernehmen werden, befinden sich in diesen Tagen in den Räumen des Detmolder Staatsarchivs. Am 22. Januar werden dort Archivdirektorin Dr. Jutta Prieur-Pohl, der Paderborner Weihbischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann und "Bund"- Geschäftsführerin Margret Hamm die Ausstellung "Lebensunwert - zerstörte Leben" eröffnen. Eine Premiere ist das allerdings nicht für die mit aktuellem Know-how der Didaktik und Grafik erarbeiteten Tafeln. "Sie sind von Mitte November bis Anfang dieser Woche bereits im Osnabrücker Remarque-Haus gezeigt worden. Die Anfrage kam so früh, da konnten wir nicht absagen", erklärt Margret Hamm fast entschuldigend. Zusammen mit Marga Heß hat sie in den vergangenen 16 Monaten an einem "zeitgemäßen Nachfolger" jener Ausstellung gearbeitet, die schon vor 15 Jahren auf dem Kirchentag in Berlin gezeigt worden war und anschließend vorwiegend durch Schulen wanderte.
Die beiden Frauen haben in historischen und neuen wissenschaftlichen Dokumenten recherchiert, Interviews mit Überlebenden geführt und ihre Geschichten aufgeschrieben. Stapelweise trugen sie Informationen zusammen. So viele, dass die "Überbleibsel" immer noch ausreichen, um Aktenordner zu füllen. Zu viele für das Medium "Ausstellung", wie die Grafikerin in Frankfurt befand. Deshalb ist die Ausstellung, die neben den vier Lebensgeschichten unter anderem das NS-Rassegesetz dokumentiert, die bürokratisierten Verfahren der Zwangssterilisation und "Euthanasie"-Tötungen skizziert oder die Gasmordanstalten mit aktuellen Kontaktadressen auflistet, so etwas wie das plakative Kondensat der ganzen Arbeit.
"Es ist schon früh die Idee zu einem Buch entstanden, das die Ausstellung inhaltlich begleiten soll", erzählt also Marga Heß. Es gebe so viele Aspekte, die auf den Tafeln - mediumbedingt - keinen Platz gefunden hätten, aber trotzdem sehr wichtig seien. Deshalb wird es das Buch geben, das im Herbst dieses Jahres erscheinen soll und neben den unentgeltlichen Beiträgen wissenschaftlicher Autoren die Geschichten der Opfer ausführlicher beschreibt. Margret Hamm sagt: "So etwas existiert eigentlich noch nicht. In der Geschichte von Hans H. beispielsweise gibt es noch viele interessante Details, die in der Ausstellung nicht erwähnt werden können. Etwa ein Drittel des Buches machen solche Lebensgeschichten aus, 50 Seiten." Für das Begleitwort sei Dr. Hans-Jochen Vogel als Ehrenvorsitzender des Vereins "Gegen Vergessen - Für Demokratie" gewonnen worden, berichten die zwei Frauen nicht ohne Stolz.
Zufrieden sind die beiden auch mit der bisherigen Resonanz auf die neue Ausstellung, die "natürlich auf CD-ROM digital gespeichert worden ist". Sie sei bis April 2005 ausgebucht, bemerkt Margret Hamm. Auf die Frage, was mit der ausgedienten Vorgängerin passiere, zeigt sie auf eine hölzerne Ausstellungskiste: "Steht da unterm Tisch." Die bekomme das Archiv, das einmal den Nachlass des Vereins verwalten werde. Marga Heß verrät: "Wahrscheinlich das Detmolder Staatsarchiv."
Pause. Marga Heß weiter: "Aber so weit, um an den Nachlass zu denken, sind wir noch lange nicht."
Detmold@lz-online.de
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