Schaumburger Zeitung ,
19.03.2002 :
Jugendliche fühlen sich auf den Straßen der Stadt nicht sicher
Barsinghausen (see). Auch außerhalb der NPD-Kundgebungen hinterlässt der Aufmarsch der rechten Organisation offenbar deutliche Spuren in der Stadt: "Momentan müssen wir permanent mit der Angst leben", schildert Moritz Busse die heikle Situation. Er und viele andere Jugendliche aus Barsinghausen und den Ortsteilen gehen aus Sicherheitsgründen nur noch in Gruppen auf die Straße.
Gründe dafür gibt aus der Sicht der Jugendlichen, die sich im Falkenkeller engagieren, mehr als genug. Und das nicht erst seit den beiden Kundgebungen in der Barsinghäuser Innenstadt. Schon vor Jahren sei es in Barsinghausen, Wennigsen und Gehrden sowie den umliegenden Dörfern immer wieder zu Übergriffen gekommen, betont Moritz Busse. Gemeinsam mit Andre Grahle und Mathias Schirm schilderte er im Verlauf einer Pressekonferenz vom Bündnis gegen Rechtsextremismus diverse Fälle, die auch bei Polizei aktenkundig wurden. Pöbeleien, Beschimpfungen und Rempeleien – aber auch gewaltsame Attacken mit Baseballschlägern oder anderen Gegenständen wurden in unregelmäßigen Abständen bereits seit 1997 beobachtet.
Ein Beispiel aus einer langen Liste belegt die Brutalität, die dabei teilweise zum Einsatz kommt. So wurde im Frühjahr 1999 ein linker Jugendlicher aus Langreder im Nachtbus von Empelde nach Barsinghausen von Neonazis aus dem Deisterraum angepöbelt. Als er den Bus in Langreder verließ, folgte ihm einer der Täter und prügelte mit einem Totschläger auf seinen Kopf ein. Das Opfer konnte schwer verletzt entfliehen – die Polizei kümmerte sich um den Fall. Neben rein zufälligen Angriffen auf einzelne Personen waren und sind Jugendeinrichtungen wie der Falkenkeller häufig das Ziel rechter Störenfriede. Überfälle wie bei einer Weihnachtsparty 1998, als acht stadtbekannte Rechte im Falkenkeller auftauchen, pöbeln und ihrer Zerstörungswut freien Lauf lassen, sind keine Seltenheit. "Sowohl bei der Polizei als auch beim Bürgermeister haben wir regelmäßig auf das Problem aufmerksam gemacht", erklärt Moritz Busse. In der Vergangenheit habe man diese Entwicklung jedoch mit Vehemenz ignoriert. Erst nach den beiden Kundgebungen in Barsinghausen sei von offizieller Seite eingeräumt worden, dass die Situation in der Vergangenheit falsch eingeschätzt wurde. Fakt sei jedoch auch, dass jetzt die Spitze des Eisbergs erreicht sei. Nach der ersten NPD-Veranstaltung habe die Anzahl und Qualität der Übergriffe massiv zugenommen.
Wenige Tage vor der ersten Demonstration wurde beispielsweise ein Jugendlicher beim Entfernen eines Aufklebers mit rechtsextremer Propaganda beobachtet und zusammengeschlagen. Ebenfalls im Februar flog in einem Haus in Langreder ein Pflasterstein durch die Scheibe einer politisch engagierten Familie. Der Hausbesitzer verfolgte und stellte den rechtsextremen Täter. Kurz zuvor griffen zwei maskierte Männer einen jungen CDU-Ratsherrn in Egestorf an und beschimpften ihn als Vaterlandsverräter. Erst als ein Nachbar des Opfers auftauchte, suchten die Täter das Weite. In der Nacht vor dem 9. März tauchten bei einem Konzert im Falkenkeller etwa 20 Neonazis mit den Worten "Freunde, die Party ist vorbei" auf. Mathias Schirm erinnert sich noch genau an diesen Abend: "Mit dabei hatten sie eine Eisenstange, CS-Gas und einen Totschläger. Wir verbarrikadierten uns im Kellerraum – die Täter hinterließen erheblichen Sachschaden". "Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen", erklärt Moritz Busse.
Aufgeben wollen die Jugendlichen ihren Kampf gegen Rechts dennoch nicht. "Wir fühlen uns politisch verantwortlich und bieten im Falkenkeller Perspektiven an", ergänzt Andre Grahle.
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