Schaumburger Zeitung ,
03.09.2003 :
Schwestern übersprühen Nazi-Parole / Verfahren wegen Sachbeschädigung gegen Zahlung von jeweils 100 Euro eingestellt
Barsinghausen/Wennigsen (nn). Zwei Schwestern aus Barsinghausen wurden am Ostersonntag dabei erwischt, wie sie mit Farbspray einen Spruch auf der Stützmauer an der Ecke Egestorfer Straße/Hinterkampstraße übermalten. Gegen eine Zahlung von je 100 Euro stellte Amtsrichter Dr. Karl Schnelle gestern das Verfahren wegen Sachbeschädigung ein.
"Was wir heute besitzen, ist gänzlich unbedeutend; entscheidend ist, dass Deutschland siegt" – dieser Spruch prangte in roter Farbe bereits seit November 2002 auf der Mauer direkt an der viel befahrenen WittkopKreuzung. "Wir haben die faschistische Parole an der Egestorfer Straße übersprüht, und leid tut es uns nicht", erklärten Julia (29) und Anne-Katharina E. (27) gestern gleich zu Beginn des Prozesses in Saal 6 des Amtsgerichtes Wennigsen.
Neonazis fassen nach Ansicht der Schwestern in Barsinghausen immer mehr Fuß, NPD-Aufkleber an den Straßenlaternen seien keine Seltenheit. Viele Menschen hätten sich daran offenbar schon gewöhnt, der Spruch an der Mauer sei jedenfalls über Monate hinweg nicht entfernt worden.
"Sind faschistische Parolen schon so normal geworden, dass sie niemanden mehr stören", fragten die beiden jungen Frauen im Gerichtssaal und wollen Zivilcourage nicht nur als bloße Lippenbekenntnisse verstehen: "Dazu gehört eben auch, manchmal etwas zu tun, was nicht im Rahmen des Gesetzes ist."
Wellenlinien und Blümchenmuster sprühten Julia und AnneKatharina auf die Mauer, um die Parole unleserlich zu machen. Dabei wurden die Schwestern erwischt, gestern standen sie wegen Sachbeschädigung vor dem Amtsgericht.
"Ich kann nicht verstehen, warum das Übersprühen eine Sachbeschädigung darstellen soll, wenn zuvor schon über mehrere Monate die Parole unbeanstandet auf der Mauer stand", gab Rechtsanwältin Karin Sehr aus Hannover zu bedenken.
Richter Schnelle schloss einen Freispruch für die zwei jungen Frauen aus, wollte die beiden Barsinghäuserinnen aber auch nicht verurteilen. Sein Vorschlag, das Verfahren gegen eine Zahlung von jeweils 100 Euro an die Bundesarbeitsgemeinschaft "Hilfe für Behinderte" einzustellen, fiel sowohl bei der Verteidigung als auch bei der Anklagevertretung auf fruchtbaren Boden.
So zeigten sich Karin Sehr und ihre Mandantinnen zufrieden mit dem Prozessausgang zufrieden: "Sehr schön", kommentierte die Anwältin. Julia und Anne-Katharina E. wünschen sich, das "Bündnis gegen Rechts" in Barsinghausen wieder aufleben zu lassen: "Wir müssen uns frühzeitig gegen Neonazis zur Wehr setzen und nicht erst dann, wenn die Sache richtig kocht", machten die Schwestern deutlich.
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