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Bielefelder Flüchtlingsrat , 13.01.2004 :

Presseerklärung / Gesetz ohne Menschlichkeit oder humanitäres Ermessen? / Einer psychisch schwer kranken Frau und ihrem Sohn droht die Abschiebung

Frau N. und ihrem erwachsenen Sohn droht die Abschiebung ungeachtet gravierender humanitärer Gründe. Die Frau leidet unter einer schweren psychischen Erkrankung und ihr Sohn erwartet mit seiner deutschen Partnerin ein Kind. Sie hätten schon längst geheiratet, wenn sie die notwendigen Papiere gehabt hätten. Jetzt drohen der Frau und dem Kind eine langjährige Trennung vom Mann und Vater.

Wie kam es zu dieser Situation?

Frau N. kam mit ihrem Sohn W. im August 2002 nach Deutschland und stellte hier einen Asylantrag, der jedoch schnell als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, da die extreme Traumatisierung von Frau N. nicht erkannt wurde. Beide hätten danach Deutschland verlassen müssen.

Aus den Gesprächen mit beiden ist zu erfahren, dass die Mutter bereits in Georgien nach gewaltsamen Übergriffen aus dem vermutlich mafiösen Umfeld psychisch erkrankte. Sie hatte permanent unerträgliche Ängste. Nachdem ihr langjähriger Lebensgefährte spurlos verschwunden und vermutlich getötet worden war, fürchtete sie sich ganz besonders um das Leben ihres Sohnes. Ihre Ängste vor weiteren Übergriffen und ihre psychischen Probleme waren so schlimm, dass ein Verlassen des Landes als einziger Ausweg erschien. Sie bat ihren Sohn, falsche Personalien anzugeben, da sie Angst hatte, andernfalls würden sie schnell gefunden und nach Georgien zurückgeschickt.

In Deutschland war Frau N. auch längere Zeit stationär in psychiatrischer Behandlung. Bei einer Botschaftsvorstellung überkam sie eine so extreme Panik, dass sie sich in einem mehrstündigen Schockzustand befand. Sie musste danach über einen Monat stationär psychiatrisch behandelt werden. Ihr Sohn besuchte sie täglich. Nach übereinstimmender Einschätzung von Fachleuten, ist die enge Beziehung zu ihrem Sohn für ihren Lebenswillen von zentraler Bedeutung. Gleichzeitig wirken jedoch gerade die Ängste, ihn zu verlieren, belastend. Aufgrund ihrer Erlebnisse ist sie davon überzeugt, sein Leben sei bei einer Rückkehr nach Georgien bedroht.

Ihr Sohn sollte am 17.11.2003 nach Georgien abgeschoben werden. Am 14.11.2003 wurde Frau N. auf ärztliche und richterliche Anordnung in die psychiatrische Landesklinik eingewiesen. Vorliegende ärztliche und psychologische Stellungnahmen stellen fest, dass Frau N. im Fall einer Trennung von ihrem Sohn und vor allem bei einer Abschiebung ihres Sohnes nach Georgien psychisch bis hin zur akuten Gefahr eines Selbstmordes zusammenbrechen würde.
Ihr Sohn entzog sich der Abschiebung. Seitdem lebt er in Angst vor seiner Festnahme und Abschiebung nach Georgien. Anders als sonst, kann er mit seiner Mutter nur noch telefonieren. Er erzählt ihr, dass sicher ein Weg gefunden werde, um seine Abschiebung zu verhindern. Denn er weiss, welche verheerende Wirkung andere Gedanken bei seiner Mutter hätten. Doch dies entspricht leider nicht der Wahrheit. Möglicherweise kann seine Mutter auf der Grundlage dieser "Lüge" aus der Klinik entlassen werden. Dann wäre eine Festnahme des Sohnes leicht, da er seine Mutter keinesfalls alleine ließe.

Im Moment sieht die Situation so aus: Es werden gravierende Verschlimmerungen der psychischen Leiden von Frau N. in Kauf genommen. Die psychischen Belastungen für die werdende Mutter sind angesichts des drohenden Verlusts des Mannes und Vaters enorm. Nach seiner Abschiebung verhindern gesetzliche Schranken seine baldige Rückkehr nach Deutschland, trotz des Anspruchs des Kindes auf seinen Vater.
Es ist nach unserer Einschätzung wahrscheinlich, dass Frau N. aufgrund ihrer Erkrankung reiseunfähig ist. Im Fall der Abschiebung ihres Sohnes ist eine gravierende Verschlechterung ihres Gesundheitszustands zu befürchten. Sollte wider Erwarten ihre Abschiebung durchgeführt werden, käme der Sohn in das Dilemma, seine schwer kranke Mutter nicht allein in Georgien allein lassen zu können. Er wird nicht in Kauf nehmen, dass sie sich ohne ihn wahrscheinlich etwas antut. Andererseits werden Frau und Kind ihm angesichts der katastrophalen sozialen und wirtschaftlichen Situation, angesichts der alltäglichen Gewalt und der schlechten medizinischen Versorgung nicht nach Georgien folgen.

Die Ausländerbehörde kann entsprechend einer Empfehlung des Petitionsausschusses des Landes NRW Ermessensspielräume nutzen.

Der Petitionsausschuss des Landes NRW hat bereits am 18.12.2003 in seiner Empfehlung der Ausländerbehörde die Ausstellung einer Duldung nach § 55 Abs. 4 Ausländergesetz für den Sohn nahegelegt.

Die Ausländerbehörde des Kreis Gütersloh könnte dem Sohn eine Duldung ausstellen und damit auch die standesamtliche Heirat ermöglichen. Als Ehemann einer Deutschen erhielte er ein Aufenthaltsrecht in Deutschland und könnte mit Ehefrau und Kind zusammenleben. Seine Mutter könnte aufgrund ihrer akuten Erkrankung eine Duldung erhalten. Mit Unterstützung des Sohnes und unter gesicherteren Lebensumständen wäre ein Heilungsprozess möglich.

Im Fall einer Abschiebung nach Georgien würde nicht nur eine junge Familie grausam auseinandergerissen. Es bestünde zudem die große Gefahr einer deutlichen Verschlechterung der psychischen Erkrankung von Frau N. bis hin zu suizidalen Handlungen und ständiger Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik.

Vor der Ausländerbehörde wird in solchen Fällen darauf hingewiesen, dass sie sich durch Selbstmorddrohungen nicht erpressen lasse. Das ist durchaus nachvollziehbar. Doch es geht hier nicht um eine Erpressung, sondern um eine schwere psychische Erkrankung, die leider nicht selten - vor allem bei besonderen Belastungen - zu solchen Kurzschlusshandlungen führt.

Die zuständige Ausländerbehörde sollte die eindeutig in ihrem Ermessen stehende humanitäre Lösung ermöglichen.


fluechtlingsrat-bi@web.de

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