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Evangelischer Pressedienst , 08.02.2003 :

"Öl ins Nazifeuer" / Der Historikerbericht über Bertelsmann im Dritten Reich

Von Volker Lilienthal

Aufarbeitung der Bertelsmann-Geschichte

Seit 1998 haben wir die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit des Bertelsmann-Konzerns kritisch begleitet. Von der ersten Meldung (epd 90/98) über einen Kommentar (4/2000) und die Dokumentation des Zwischenberichts der eingesetzten Historikerkommission (8/2000) bis hin zu Meldungen über den Abschlussbericht (79/02) und einem Interview (80/02) reichte unsere Berichterstattung. Abschließend rezensiert nun Volker Lilienthal das von der Kommission vorgelegte Buch über "Bertelsmann im Dritten Reich".

Fast vier Jahre lang hat ein unabhängiges Gremium honoriger Wissenschaftler die Geschichte von Bertelsmann in der NS-Zeit untersucht. Und was ist dabei herausgekommen? Ein zweibändiger Bericht von insgesamt über 1400 Seiten (epd 79, 80/02). Eine Pressekonferenz in München mit anhängender Berichterstattung. Ein öffentliches Bedauern des heutigen Vorstandsvorsitzenden Gunter Thielen. Und das Versprechen, das Buch der Unabhängigen Historischen Kommission (UHK) jetzt lesen zu wollen.

Fragt man ein gutes Vierteljahr später nach Thielens Lektüre, bekommt man eine magere Auskunft des Konzernsprechers Bernd Bauer. Kein Zitat von Thielen. Und Reinhard Mohn? Dem geht es gesundheitlich wieder besser, aber wie der heute 81-Jährige die Enthüllungen über die braune Vergangenheit seines Familienunternehmens empfunden hat: unbekannt. PR-Chef Bauer selbst hat das Historikerwerk "schwerpunktmäßig" gelesen; die UHK habe dazu ja ermutigt.

Und was ist mit weiteren Konsequenzen? Bauer spricht vom Historischen Archiv, das nun einen neuen Platz in Gütersloh finden soll, von einer Forumsveranstaltung und der Absicht, nun auch die Nachkriegszeit untersuchen zu wollen, sowie von der - noch unbeantworteten - Frage, wie man die selbstkritischen Einsichten, die die Kommission für Bertelsmann aufgeschrieben hat, nun integriert in Ausbildung und Unternehmenskultur des weltweit tätigen Medienkonzerns.

Viel passiert ist nicht in Gütersloh

Ankündigungen, wie es sie auch schon im Oktober vergangenen Jahres gegeben hatte. Viel passiert ist seither in Gütersloh offenbar nicht. Und auch die Öffentlichkeit scheint das Interesse verloren zu haben: kaum eine nennenswerte Rezension des gewichtigen Historikerbuchs ist erschienen, und als jüngst der "Spiegel" das erste große Interview mit dem neuen Bertelsmann-Chef Thielen führte, musste er sich keinerlei Frage nach der Vergangenheit des Konzerns gefallen lassen.

Thomas Middelhoff, der als Vorstandschef schon vorher abgesetzt worden war (was aber bekanntlich andere Gründe hatte), war derjenige gewesen, der auch diesen Stein ins Rollen gebracht hatte. Mit einer volltönenden Rede im Juni 1998 in New York, wo er den Vernon A. Walters Award entgegennehmen dürfte, eine Auszeichnung, die gleichermaßen den deutsch-amerikanischen wie den deutsch-jüdischen Beziehungen gewidmet ist.

Was lag da näher, als sich vor solchem Publikum der eigenen ruhmreichen Vergangenheit zu erinnern: "Wir haben Bücher publiziert, die vom Dritten Reich als subversiv verboten wurden. Das Fortbestehen von Bertelsmann galt den Nazis als eine Bedrohung ihres Versuchs, die freie Meinungsäußerung zu kontrollieren", sagte Middelhoff auf Englisch und behauptete, diese Widerständigkeit sei für den NS-Behörden auch der Grund gewesen, den Verlag 1944 zu schließen.

Im Einklang mit tradierter Selbstzufriedenheit

Mit seiner Unwissenheit stand Middelhoff nicht allein, sondern im Einklang mit der bei Bertelsmann tradierten Selbstzufriedenheit. Man glaubte, was niemand je nachgeprüft hatte. Bis ein Außenstehender, der freie Zeitgeschichtsforscher Hersch Fischler aus Düsseldorf, ein Mann mit jüdischem Hintergrund, in die Archive stieg und über seine so ganz anderen Funde zu publizieren begann (epd 90/98).

Es ist eine Kleinlichkeit der Kommission, dass sie diesen Mann, der alles in Rollen brachte - den sie aber bei ihren Forschungen nicht dabei haben wollte, so dass andere den Lorbeer der Wahrheit ernteten -, nicht würdigt, sondern ihn nur einmal in einer Fußnote erwähnt; und ihm da noch eine nicht ganz richtige Formulierung vorwirft. Fischler bekam auch keinen Platz ihm sonst so akribischen Namensregister.

Erst versuchte die Konzern-PR 1998, das Thema unter der Decke zu halten, wie Interventionen bei 3sat zeigten. Denn: "Wir können uns nicht vorstellen, dass Bertelsmann in irgendeiner Weise zum publizistischen Handlanger des damaligen Regimes wurde" (epd 17/99). Ein Aberglaube, wie man auch in Gütersloh längst wusste. Bis schließlich Mohn und Middelhoff die Flucht nach vorne antraten und die Historikerkommission unter Vorsitz des israelisch-amerikanischen Professors Saul Friedländer einsetzten (epd 100/98).

Middelhoffs New Yorker Rede und die Blamage, die sie später bedeutete - das ist auch der Auftakt zu dem Buch "Bertelsmann im Dritten Reich" von Friedländer und seinen Kollegen Norbert Frei, Trutz Rendtorff und Reinhard Wittmann, erschienen im Oktober vergangenen Jahres. Middelhoff wird darin schon als der "damalige Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann AG" bezeichnet. Sein Name aber fehlt, wie der von Fischler, hinten im ansonsten sehr detaillierten Namensregister - während an anderer Stelle in einer Fußnote gegen etwaige Rufschädigung eigens versichert wird, Thomas Middelhoff sei nicht verwandt mit Karl Middelhoff, einem hohen Naziführer aus Gütersloh.

Starkes Bemühen um Vollständigkeit

Absicht war es wohl nicht, dass Thomas Middelhoff im Register fehlt. Es ist vielleicht das einzige Erratum in einer ansonsten sehr akribischen und ertragreichen Forschungsarbeit, zu der neben den vier Hauptautoren noch acht wissenschaftliche Mitarbeiter beigetragen haben. Die Kommission und ihre Helfer haben 57 Archive gesichtet und 37 Zeitzeugen, darunter auch Reinhard Mohn, interviewt. Diese beiden Zahlen illustrieren zusätzlich das starke Bemühen um Vollständigkeit der Quellenbeschaffung und -sichtung, welches unterstützt wurde von einem universalen Deutungsansatz. Denn die UHK, wie sie abgekürzt hieß, hat nicht nur Firmengeschichte geschrieben, sondern den C. Bertelsmann Verlag auch in sein zeitgeschichtliches Umfeld gestellt.

Ein umfangreiches Kapitel zeigt beispielsweise "Gütersloh im nationalsozialistischen Aufbruch" und skizziert damit die politische Welle, auf der der ehedem so fromme Verlag, den Carl Bertelsmann 1835 gegründet hatte, nach 1933 emporgespült wurde und wie sich der Protestantismus zur Propaganda entfremdete. Die wissenschaftliche Wertung der verschiedenen Aspekte des Verhaltens von handelnden Personen oder aber der Firma als Institution ist zusätzlich von dem Bemühen um historische Gerechtigkeit getragen - ohne deshalb einen unerlaubten moralischen Rabatt zu geben. Keine Kleinigkeit zum Schluss: Das Buch ist in einem nüchternen Ton gehalten, es ist wissenschaftlich, aber dennoch lesbar geblieben.

Schon 1933/34 hatte sich der damalige Provinzverlag auf das neue Machtgefüge in Deutschland eingestellt. Eine Werbeplakat kündete: "Für Deutsche Art und Deutsches Wesen für Glaube und Volkstum - Hier steht unsere Front". Ab 1935 produzierte Bertelsmann Groschenhefte für die männliche deutsche Jugend: Unter dem Reihentitel "Spannende Geschichten" riefen sie "zu Heldentum in allen Waffengattungen" auf.

Der Ehrgeiz, NS- "Musterbetrieb" zu werden

Es waren aufstrebende Jahre in Gütersloh, in denen der Firmeninhaber Heinrich Mohn unter anderem den Ehrgeiz entfaltete, ein NS- "Musterbetrieb" zu werden - was ihm aber verwehrt blieb. War es früher Gottesfurcht, die den Verlag im Inneren beherrschte, so wurde es Mitte der 30er Jahre zunehmend der Krieg, das aber nicht aus einer Stimmung der Furcht heraus, sondern der frohen Erwartung. Dem Krieg waren bereits 1938 75 Prozent des in Gütersloh vorhandenen Produktionsvolumens gewidmet, sei es "in Form von Erlebnisberichten, Reportagen, populärer militärhistorischer Sachliteratur oder im Gewand der Groschenhefte, die in steigenden Auflagen der Jugend den Ersten Weltkrieg nahe brachten", so die Kommission.

Bald bekam Bertelsmann auch Aufträge von der Wehrmacht, die Lesestoff für Unterhaltung und Ablenkung der Soldaten an der Front brauchte. Nach den Feststellungen der Kommission hat Bertelsmann von 1939 bis '44 mindestens 19 Millionen Exemplare, möglicherweise aber sogar bis zu 21 Mio. geliefert. Selbst der Zentralverlag der NSDAP Franz Eher Nachf. in München brachte es nur auf 14 Mio. Von hier aus begründet sich die Aussage, dass Bertelsmann Marktführer unter Kriegsgewinnlern war. Diese äußeren Fakten sind bekannt und standen im Wesentlichen schon im 2000 veröffentlichten Zwischenbericht (epd 4, 8/2000).

Hier nun, im fast 800 Seiten umfassenden Hauptbericht (plus des Schriftenverzeichnisses im zweiten Band), wird das Bild gerundet. Exakt rekonstruiert der Bericht Umsatzsprünge und jene gewaltigen Profitmargen, die Heinrich Mohn der Sonderkonjunktur des Kriegerischen verdankte. Bis 1941 hatte sich der Umsatz fast versiebenfacht: auf 8,06 Millionen Reichsmark. Der Reingewinn im dritten Kriegsjahr betrug 3,3 Millionen - was einer Umsatzrendite von 41,1 Prozent entsprach.

Affäre mit Todesfolge

Um all die Kriegsverherrlichung in solchen Mengen drucken zu können, musste Papier her, und das wurde knapp, seit Deutschland mit aller Welt im Streit lag (weswegen Importe schwierig wurden) und die landeseigene Produktion mehr und mehr der Parteipresse vorbehalten blieb. In dieser Lage ließen sich Mohn und seine Manager mit einem Papierschieber namens Matthias Lackas ein. Skandinavien lieferte noch an das Deutsche Reich, und Lackas machte es u.a. über Bestechungen von Wehrmachtsbeamten möglich, dass Bertelsmann 879 Tonnen in Finnland einkaufen konnte.

Lackas und seine Komplizen flogen auf. Staatssicherheit und Kriminalpolizei ermittelten. Inhaftiert wurden auch Bertelsmann-Verantwortliche wie Johannes Banzhaf, der zusammen mit Lackas auch sein privates Schäfchen ins Trockene zu bringen versucht hatte: Im Juli 1943 erwarben die beiden gemeinsam 38 Offiziershäuser in Ostpreußen im Gesamtwert von 1,4 Millionen Reichsmark.

Dieser stattliche Immobilienbesitz sollte zwei Jahre später unrettbar verloren sein. Lackas erlebte das Kriegsende nicht mehr. Er wurde zusammen mit zwei Offizieren von Wehrwirtschaftsämtern zum Tode verurteilt. Ein dritter Beschuldigter tötete sich selbst in der Haft. Banzhaf kam zwar wieder frei, doch wurde C. Bertelsmannn nicht zuletzt wegen seiner Verstrickung in die Papierschieberaffäre von einer Liste förderungswürdiger Verlage gestrichen.

Hintergründe der Verlagsschließungfen

Im September 1943 hatte bereits das Tochterunternehmen Der Rufer, ein theologischer Verlag, seinen Betrieb einstellen müssen: Das Papier war knapp geworden, und Theologie galt den Nazis nichts. 1943/44 geriet C. Bertelsmann wegen der Lackas-Affäre unter den Verdacht des "Kriegswirtschaftsverbrechens". Es war aber letztlich nicht dieses Delikt, sondern die Anforderung "totaler Mobilmachung", die am 26. August 1944 zu der - überlieferten - "Schließungsverfügung" gegen C. Bertelsmann führte. Die kriminalpolizeilichen "Untersuchungen", wie ein Beamter imPropagandaministerium notierte, spielten allerdings im Hintergrund eine Rolle.

Jedenfalls war es der für Deutschland negative Kriegsverlauf und nicht eine irgendwie geartete Widerständigkeit, die den Nazis, ja sogar Propagandaminister Joseph Goebbels höchstpersönlich, wie in der Nachkriegszeit mehrfach behauptet, unangenehm aufgefallen wäre. Im Gegenteil: gerade weil Bertelsmann dem NS-Propagandaapparat über viele Jahre so nützlich gewesen war, durfte Heinrich Mohns Unternehmen so lange ausharren.

"In allen Sätteln geritten"

Was Bertelsmann mit seinen Büchern ideologisch transportiert hat, das lässt sich im UHK-Bericht erstmals in der Gesamtschau nachlesen. Der christliche Schriftsteller Jochen Klepper, der seiner jüdischen Ehefrau wegen in Konflikt mit dem Regime geriet, der 1937 mit Berufsverbot belegt wurde und der im Dezember 1942 - unter dem Eindruck einer unmittelbar bevorstehenden Deportation - mit seiner Familie den Freitod wählte, dieser Jochen Klepper urteilte 1940 über die damalige Programmpolitik von Bertelsmann: "Dort wird in allen Sätteln geritten."

Wie Recht er hatte. "...wenn's plötzlich über einem knatterte und ein deutsches Kampfgeschwader für Ordnung sorgte" - das war der kriegerische Sound jener Jahre, hier beispielhaft zitiert aus "Flieger am Feind", dem "Weihnachtsbuch der Hitlerjugend" 1934. Von gleicher Sorte war "Flieger über Polen" (1939), doch war hiermit ein NS-Gutachter dennoch nicht zufrieden, spürte er doch des Verlegers "Riecher für Konjunktur".

Ausgerechnet "Flieger über Polen" als ein Heft in der Reihe "Spannende Geschichten" wurde von Heinrich Mohn 1946 im Fragebogen der Allierten bei der Frage, ob er jemals "aus rassischen oder religiösen Gründen" verfolgt worden sei, sich selbst entlastend angeführt. Die Wahrheit: das Heft wurde zensiert, aber nicht, weil es ein "verborgenes Widerstandspotenzial" (UHK) besessen hätte, sondern weil der ungeduldige Verleger die Freigabe durch die militärische Vorzensur nicht abgewartet hatte. Auf diese Art der Mohnschen Geschichtsklitterung wird noch zurückzukommen sein.

"Das wohl blutrünstigste Buch"

Als "das wohl blutrünstigste Buch", das C. Bertelsmann je veröffentlichte, beurteilt die Kommission "Rebellen um Ehre" (1938), ein Buch, das man auch lesen könne als "Beitrag zur Psychopathologie der radikalen Rechten". "Manchmal", so urteilt der Kommissionsvorsitzende Saul Friedländer in dem von ihm betreuten 7. Kapitel vorsichtig, publizierte Bertelsmann auch "rabiaten Antisemitismus". In dem Kriegsgefangenen-Roman "Von Hölle zu Hölle" hieß es beispielsweise: "Höher ging der Landesverrat dieser jüdischen Parasiten gar nimmer - und dieses Pack ist nicht gleich an die nächsten Bäume gehängt worden!"

Auch mit diesem aggressiven Text verbindet sich wieder eine Nachkriegs-Absurdität: als nämlich Heinrich Mohn gegenüber der britischen Besatzungsmacht ein Interesse hatte, den Anteil der eigenen Kriegsproduktion herunterzurechnen, wurde "Von Hölle zu Hölle" seines Titels wegen kurzerhand bei den Theologica des Verlages rubriziert.

"Das sind doch keine Menschen"

Über ursprünglich germanische Bienenzüchter in den Wäldern Westsibiriens hieß es in einem anderen Heft der "Spannenden Geschichten" (deren Zielgruppe übrigens das war, was man damals "die deutsche Jugend" nannte): "Nur den Juden duldeten sie nicht in ihrer Nähe; und wenn er nicht freiwillig abzog, dann machten sie kurzen Prozess und schlugen ihn tot!"

Nicht vom Totschlagen, aber vom Totschießen ist auch in einem anderen Machwerk mit dem Titel "Zwischen Weichsel und Wolga" von 1943 die Rede: "Warum machen wir Gefangene, anstatt nicht jeden rücksichtslos abzuschießen? Das sind doch keine Menschen. Das sind doch Tiere, wilde Bestien, nein, wilder, gemeiner und grauenhafter als Bestien je sein können. Diese verdammten Hemmungen, die wir haben!"

Mit angeblichen NS-Propagandaanweisungen, die dergleichen auch in Büchern erzwungen hätten, lassen sich diese entmenschenden Darstellungen nicht rechtfertigen. Die Kommission macht das ganz klar, wenn sie schreibt: "Keine Behörde zwang Heinrich Mohn und seine Führungskräfte, antisemitische Schriften zu veröffentlichen oder die Lizenz von virulent antisemitischen Büchern zu erwerben, um sie in großen Auflagen zu drucken." Heinrich Mohn und die gesamte Verlagsleitung hätten gewusst, dass sie mit solchem Antisemitismus "Öl ins Nazifeuer" gossen.

Zur gerechten Bewertung gehört aber auch die Feststellung der Kommission, dass die prononciert antisemitischen Bücher und Hefte nur einen Bruchteil der Gesamtproduktion (mit sowohl militaristischen wie harmlosen Inhalten) ausmachte: nämlich etwa 50 von rund 1200 Titeln. Auf der anderen Seite: schon 1938, also noch vor Kriegsbeginn, waren bereits 75 Prozent der Produktionskapazitäten des Verlags dem Thema Krieg und seiner ideologisch-propagandistischen Vorbereitung gewidmet.

Als besonders "grell" hat die Kommission die Lektüre von "Kameraden vom Edelweiß" (1941) empfunden. Darin werde die Grausamkeit des "Blitzkriegs" voyeuristisch in Szene gesetzt. Die rassistische Vernichtungspolitik des NS-Regimes sei in dem schon zitierten Titel "Zwischen Weichsel und Wolga" verherrlicht worden.

Die Widersprüchlichkeit von Heinrich Mohn

Wie konnte ein gläubiger Christ wie Heinrich Mohn so etwas publizieren? Die Kommission hat es sich gefragt - und musste die Frage letztlich unbeantwortet lassen (vgl. auch das Interview mit dem Theologen Trutz Rendtorff in epd 80/02). Klar wird aus dem Bericht aber auch: Am Ende war das reine Gewinnstreben Mohns stärkstes Motiv. Das Persönlichkeitsbild, das die Kommission zu zeichnen versucht hat, ist ausgewogen: neben der klaren Distanz zu seiner NS-konformen Publikationspolitik steht die Würdigung von positiven Aspekten, die aber in der Zusammenschau eben auch den Eindruck eines widersprüchlichen Menschen hinterlassen.

"Positive Aspekte" meint: Mohns Mitgliedschaft in der Bekennenden Kirche, seine in Gütersloh vielfach praktizierte Distanz zu den regimetreuen Deutschen Christen. Bedeutender ist aber der Schutz, den der Firmenpatriarch einzelnen rassisch Verfolgten, darunter zwei "Halbjüdinnen" in seinem Betrieb, angedeihen ließ. Ein Bertelsmann-Verwaltungsangestellter hatte eine jüdische Ehefrau. Als diese 1944 inhaftiert worden war, konnte der Firmenchef durch persönliche Intervention bei der Gestapo deren Freilassung erreichen. Das Kind des Ehepaars aber, Anna P., wurde in das KZ Theresienstadt deportiert. Sie überlebte glücklicherweise. Mit Chauffeur ließ Heinrich Mohn das Mädchen nach der Befreiung aus einem Übergangslager abholen.

Die Zwangsarbeiterfrage

Entlastet wurde Bertelsmann durch den Historikerbericht auch im heiklen Punkt der Zwangsarbeiter. Nach den Feststellungen der Kommission gab es Zwangsarbeiter bei Bertelsmann nicht (jedenfalls nicht im engeren Sinne von jüdischen Zwangsarbeitern oder z.B. russischen Kriegsgefangenen). Was es gab in Gütersloh, waren einige zivile "Fremdarbeiter", die aus dem besetzten Holland nach Westfalen gekommen waren.

Allerdings: je mehr die Kriegsbuchproduktion florierte, je höher die Auflagen wuchsen, desto weniger konnte die Nachfrage der Wehrmacht mittels heimischer Druckereien befriedigt werden. Heinrich Mohn lagerte aus, beschäftigte Lohndrucker: z.B. im deutsch besetzten Baltikum. Die Kommission hat auch diesen Aspekt akribisch auszuleuchten versucht und kommt zu der Feststellung: "Die Buchproduktion von C. Bertelsmann im Baltikum war nachweislich mit der Beschäftigung jüdischer Zwangsarbeiter verbunden." Es fand sich allerdings kein Beleg, dass die Verlagsleitung in Gütersloh davon wusste und es billigend in Kauf nahm.

Obwohl die Schuldfrage hier also offen bleiben muss, waren die ersten Pressereaktionen nach der Veröffentlichung des UHK-Berichts im Oktober vergangenen Jahres von falscher Eindeutigkeit. dpa sendete die Schlagzeile: "Experten: Bertelsmann beschäftigte indirekt Zwangsarbeiter". Das Wörtchen "indirekt" wog schwer. Für "Focus" unterlag es in einer Interviewfrage (an den Harvard-Historiker Charles S. Maier) keinem Zweifel, "dass der Verlag während der NS-Zeit Zwangsarbeiter beschäftigte". Was so eben nicht stimmt.

Nachkriegszeit: "Kontinuität im Mentalen"

In der NS-Zeit hatte Heinrich Mohn, der Widersprüchliche, Heinrich Heine, den Juden, nicht mehr in den Gedichtanthologien seines Hauses sehen wollen. Nach Kriegsende aber, als Briten und Amerikaner das Sagen hatten, musste Heine wieder sein. Dass sich für Mohn innerlich aber wenig geändert hatte, zeigt sein Versuch, unmittelbar nach Kriegsende die schwerstens belasteten NS-Autoren Will Vesper und Hans Grimm gleich wieder an den Verlag zu binden. Die Kommission deutet das treffend als "Kontinuität im Mentalen, die jeden Sinn für die Dimensionen der soeben durchlebten politischen und moralischen Katastrophe vermissen ließ".

Im Juni 1945 durfte sich Heinrich Mohn bereits über den ersten Druckauftrag der Alliierten freuen: Schulbücher aus der Weimarer Republik sollten schnellstens nachgedruckt werden, um der braunen Indoktrination auch im Bildungswesen ein Ende zu setzen.

Bald nach Kriegsende setzten Mohn und die Seinen die Legende von "schwerster Unterdrückung" durch das NS-Regime in die Welt. Mohns Vertriebschef Fritz Wixforth ließ die britische Militärverwaltung wissen: "Als einer der größten deutschen Buchverlage habe ich es dennoch vermieden, irgendwelche nationalsozialistische Literatur zu verlegen, und wurde deshalb vom Reichspropagandaministerium besonders kritisch überwacht."

Diese "gezielte Selbststilisierung" (UHK) gleicht übrigens frappant dem Verhalten des Evangelischen Pressedienstes, der 1946/47 ebenfalls mit der Behauptung eines - inzwischen widerlegten - NS-Verbotes die Wiederzulassung als Pressedienst erreichte (epd 48/02). Interessanterweise agierten die jeweils Verantwortlichen - Heinrich Mohn dort, Focko Lüpsen hier - damals in unmittelbarer Nachbarschaft: in Gütersloh bzw. Bethel bei Bielefeld. Über kirchliche Persönlichkeiten wie den westfälischen Präses Karl Koch gab es Querverbindungen, und möglicherweise waren auch einige ihrer Ansprechpartner in der britischen Militärverwaltung identisch.

Die Schließung von C. Bertelsmann 1944 sei "aus politischen Gründen" erfolgt, so hieß es damals immer wieder - kein Wort von Papierschiebereien und polizeilichen Ermittlungen. Einer der wenigen Zensurfälle, die Bertelsmann überhaupt zu erdulden hatte, kam jetzt zupass: Der Roman "Narvik" (1940) sei "nach langen Kämpfen" verboten worden, weil Goebbels, Himmler und die SS die darin enthaltenen "christlichen Tendenzen" als "untragbar" empfunden hätten.

Tatsächlich war der Fall des Seekriegsromans, der bei der NSDAP wegen einer missliebigen Pastorenfigur unangenehm aufgefallen war, sogar Hitler vorgetragen worden. Der "Führer" verfügte ein Verbot - obwohl, wie die Kommission zeigt, "Narvik" ansonsten durchaus auf NS-Linie lag. Bis 1941 erschienen zehn Auflagen mit insgesamt 615.000 Exemplaren.

"Niemals Nationalsozialistisches verlegt"

Mohn und Konsorten konnten bei ihrem Versuch, die eigene Vergangenheit zu verschleiern, in der unmittelbaren Nachkriegszeit ganz auf die Unkenntnis der Besatzer sowie auf das allgemeine "administrative Durcheinander" in der britischen Zone setzen. Mohn verschwieg seine jahrelangen Spenden an die Allgemeine SS, wo er "Förderndes Mitglied" gewesen war, und behauptete kühn: "Nationalsozialistisches Schrifttum habe ich niemals verlegt."

Aber es gab auch Schwierigkeiten auf dem Weg, die Zulassung als Buchverlag unter neuen, demokratischen Bedingungen zu erreichen. Drei Verlagsmanager waren NSDAP-Mitglied gewesen. Ebenso Mohns Schwester Ursula, die auf Verlangen der Briten vorübergehend aus dem Kreis der Verlags-Kommanditisten ausscheiden musste, 1948 aber unbeanstandet in diese auskömmliche Funktion zurückkehren durfte.

Am 27. März 1946 erhielt Heinrich Mohn die heiß ersehnte Lizenz der "Nachrichtenkontrolle" der Militärregierung für Deutschland. Im Juni desselben Jahres funktionierte dann auch wieder das Telefon. Normalisierung war angesagt, doch waren die Briten argwöhnisch geworden, nachdem Mohn auch im Lizenzantrag für eine Zeitschrift namens "Deutsche Hefte" im Herbst 1946 erneut behauptet hatte: "Da meine beiden Verlage C. Bertelsmann und ,Der Rufer' Evangelischer Verlag, Gütersloh in starkem Maße evangelisch-kirchliche Literatur brachten, waren sie der NS-Regierung missliebig."

Als ein Abgesandter des Verlags Mitte März 1947 bei der Militärregierung in Düsseldorf vorstellig wurde, hielt man ihm entgegen: "Aber Ihre früheren Veröffentlichungen hätten Sie mir einmal mitbringen sollen!" Gefordert wurde jetzt eine Liste über den "Anteil der Kriegsliteratur am Gesamtprogramm". Den Engländern war inzwischen auch die Fälschung eines Fragebogens aufgefallen, in dem Heinrich Mohn seine Eigenschaft als Förderndes Mitglied der SS verschwiegen hatte.

Reinhard Mohn betritt die Bühne

Die Kommission beschreibt in diesem Teil des Buches detailliert, wie nun der Sohn, wie Reinhard Mohn die Bertelsmann-Bühne betritt. Er, damals 25 Jahre alt und gerade aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt, war in der HJ gewesen und hatte als Offiziersanwärter die Beurteilung "besitzt Führereigenschaften" bekommen. Politisch galt er dennoch als unbelastet, weil er unter die Jugendamnestie fiel, die die Alliierten erlassen hatten.

Reinhard Mohn machte sich nun nützlich, half seinem Vater bei dessen Schwierigkeiten mit der Besatzungsmacht und antichambrierte bei den Briten so perfekt, dass es ihm sogar gelang, belastende Aktenstücke aus dem Verkehr zu ziehen. Sie wurden gegen neue, weniger belastende ausgetauscht.

Reinhard Mohn hatte "die historische Problematik" erkannt und wusste mit ihr umzugehen. Auf Drängen der Briten gab sein Vater Heinrich die Unternehmensleitung im April 1947 an ihn ab. Schon nach einigen Monaten fand sich ein Weg, die Erfahrung des Vaters dennoch nutzen zu können: Juniorchef Reinhard stellte seinem Vater im September eine Vollmacht aus, ihn "in allen Geschäften" zu vertreten.

Jetzt konnte es wirklich an den Wiederaufbau gehen, konnten neue Vertriebsideen wie der "Lesering" umsatzsteigernd und gewinnbringend in die Tat umgesetzt werden. Bertelsmann war unter den Nazis groß und reich geworden, jetzt aber, in den Wirtschaftswunderjahren, sollte es erst richtig losgehen - bis hin zur heutigen Größe eines Weltkonzerns. Von den Opfern am Wegesrand redete über 50 Jahre lang, bis 1998, niemand mehr. Zur deutschen Normalität, zur Verdrängung gehörte es, dass das Dritte Reich, wie Zeitzeugen gegenüber der UHK bekundet haben, im Betriebsleben der Nachkriegszeit nie ein Thema war.

"The full story" - noch unbekannt?

Kurz vor Weihnachten 2002 hat sich das "Wall Street Journal" zu Wort gemeldet und in einem umfangreichen Artikel noch mal die ganze Affäre nacherzählt sowie der Kommission vorgeworfen, der Öffentlichkeit nicht "the full story" berichtet zu haben. Das WSJ präsentierte eigene Quellen aus dem Hauptstaatsarchiv Düsseldorf und behauptete, Reinhard Mohn trage größere Verantwortung für die Geschichtsfälschung, als die Kommission zugeben wolle.

Daran ist so viel wahr, als dass die Kommission mit Reinhard Mohn als Lebendem erkennbar vorsichtiger umgegangen ist als mit seinem Vater. Das hat seinen sachlichen Grund aber auch darin, dass Heinrich Mohn tatsächlich die treibende Kraft hinter der "allzu großen" NS-Anpassung von Bertelsmann war. Was das WSJ dem heutigen Mehrheitseigner der Bertelsmann AG vorwirft, ist nichts wesentlich Neues. Im Kern steht es so auch im UHK-Bericht.

Der ein großes Geschichtsbuch bleibt: nicht nur über einen westfälischen Provinzverlag. "Bertelsmann im Dritten Reich" ist eine universale kulturgeschichtliche Sozialstudie über deutsche Versuchungen, über Familiensinn und den deutschen Nationalcharakter, über Protestantismus und Propaganda, über Ideologie und Irrtum.


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