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Bielefelder Flüchtlingsrat , 22.12.2005 :

Weihnachten 2005 in Bielefeld / Offener Brief

- an den Oberbürgermeister der Stadt Bielefeld, Eberhard David,
- an den Dezernenten Dr. Albrecht Peter Pohle,
- an die Fraktionen und Gruppen des Rates der Stadt Bielefeld

Vorgestern, morgens um halb Fünf: Bielefelder Beamte stürmen zu nachtschlafender Zeit überfallartig eine Wohnung. Gesucht wurden eine Frau im Alter von 23 Jahren und ihre beiden Kinder (1 und 3 Jahre alt). Welche schweren Verbrechen werden den Gesuchten vorgeworfen?

Eine junge Frau will mit ihren zwei Kindern nicht nach Serbien abgeschoben werden. Ist das ein Verbrechen? Sie hatte Glück: In dieser Nacht übernachtete sie nicht bei ihren Eltern.

Die junge Frau kam vor 16 Jahren als Siebenjährige mit ihren Eltern nach Bielefeld, weil ihre Volksgruppe damals im Kosovo verfolgt wurde. Das Flüchtlingsschicksal der Familie hat aber in Deutschland keine Bedeutung: Ihr Leben ist - seit Frau Y. denken kann - in die Zeitabschnitte mit kurzen oder längeren "Duldungen" aufgeteilt. Immer nur drei oder sechs Monate, manchmal nur ein oder zwei Wochen Gnadenfrist durch eine neue Duldung bedeutet, dass ihre Familie immer unter der Androhung leben musste, kurzfristig abgeschoben zu werden. Mehr als fünfzehn Jahre lang. Wie hält das ein Mensch aus? Wie ist zu ertragen, dass jedes Mal der Gang zur Ausländerbehörde, um die Duldung verlängern zu lassen, damit enden kann, dass der Beantragende in Abschiebehaft genommen und die Familie in kürzester Frist abgeschoben werden könnte?

Warum darf Frau Y. mit ihrem Lebenspartner, dem Vater ihrer Kinder, nicht in Düsseldorf, wo er lebt, oder in Bielefeld zusammenleben? Aus Angst vor der zusätzlichen Kostenübernahme (Grundsicherung nach Asylbewerberleistungsgesetz) wird das Zusammenleben dieser Familie nicht genehmigt.

Warum soll Frau Y. mit ihren Kleinkindern jetzt abgeschoben und damit das Umgangsrecht des leiblichen Vaters eingeschränkt werden? Weil sie als Alleinerziehende Kosten verursacht.

Sie sollte am Anfang dieser Woche nach Serbien ausgeflogen werden. Sie spricht nicht die serbische Sprache und weiß nur, dass sie als Angehörige der Minderheit auch heute dort nicht willkommen ist: Sie wird dort keine Existenzgrundlage finden können, keine Wohnung, keinen Zugang zum Sozial- und Gesundheitssystem.

Die Bielefelder Ausländerbehörde arbeitet nach Recht und Gesetz. Aber sie könnte auch zusätzlich mit Herz und Augenmaß handeln und ihre Ermessensspielräume im Sinne ethischer und moralischer Maßstäbe nutzen.

Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen hatte sich noch vor zwei Wochen bei der Innenministerkonferenz dafür eingesetzt, dass Flüchtlingen, die wie Frau Y. seit vielen Jahren bei uns leben, ein Bleiberecht gegeben wird. Die Entscheidung wurde vertagt.

Die Bielefelder Ausländerbehörde kann die Entscheidung zur Abschiebung auch vertagen. Sie muss nicht tätig werden. Denn sie weiß, dass sie - nur wegen einer bei der Innenministerkonferenz noch nicht getroffenen Entscheidung – nicht viele Menschen ins Elend abschieben darf.

Wir fordern unseren Oberbürgermeister und die Bielefelder Kommunal-Politiker auf: Setzen Sie sich dafür ein, dass die Abschiebungen von langjährig Geduldeten unterbleiben, bis die gesetzlichen Regelungen vorliegen.

Wir bitten die Bielefelder Abgeordneten im Landtag und Bundestag: Unterstützen Sie die Forderung nach einem Bleiberecht für langfristig geduldete Flüchtlinge, die von pro asyl, den Wohlfahrtsverbänden, den Kirchen und Flüchtlingsorganisationen erhoben wird.

Wir fordern, dass nächtliche Überfälle im Zusammenhang mit beabsichtigten Abschiebungen in Zukunft unterbleiben. Ein solches Vorgehen der Behörden hat es in Bielefeld bisher nicht gegeben.

Wir bitten um Menschlichkeit. Nicht nur zu Weihnachten.

Arbeitskreis "Blumen für Stukenbrock", Bielefelder Flüchtlingsrat, Bielefelder Montagsaktion, "Aprilwetter", "Abseits", Evang. Sozialpfarramt, Forum linker Gewerkschafter, Ökumenisches Netzwerk Bielefeld zum Schutz von Flüchtlingen, Sozialforum Bielefeld, Welthaus Bielefeld

Dieser Offene Brief wird unterstützt von:

Bündnis 90/Die Grünen, Kreisverband Bielefeld
Ratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
IBZ-Friedenshaus
Ratsgruppe PDS
Vorstand der Linkspartei.PDS KV Bielefeld

Benjamin Armbruster, Martin Arnold, Jürgen Bäumer, Claudia Backs, Anne Behmenburg, Horst Börner, Ruth Bültmann, Regine Burg, Dr. Michaela Christians, Dr. Thomas Christians, Maria Canovai, Dr. Angelika Claussen, Christiane Daub, Nico Delpy, Jürgen Diekmann, Jutta Diekmann, Albrecht Diestelhorst, Fritz Diestelhorst, Texa Diestelhorst, Hans Frieder Dietz, Georg Dürksen-Melichar, Maria Edert, Christiane Faist, Klaus Fussy, Hilde Gansel, Christine Godejohann, Stefan Godejohann, Stefan Gohlke, Hans Grosse, Cosima Habel, Bruno Hartmann, Elfriede Haug, Dr. Otto Hesse, Gabriele Hüffmeier, Waltraud Irmer, Hannelore Irrgang, Christian Janssen, Heike, Kassebaum, Christine Kämper, Erika Kämper, Hanna Kämper, Karl Kämper, Maria Kämper, Matthias Kämper, Nele Kämper, Tobias Kämper, Regina Kettelsen, Leila Klessmann, Dr. Detlef Klotz, Dr. Silke Klotz, Dr. Oliver Koch, Dr. Ute Kowallik, Gisa Kreddig, Monika Kruse, Prof. Dr. Werner Kummer, Uschi Lohmeyer, Helga, Lorentzen, Jorge Lozano, Sabine Melichar, Britta Menke-Steffen, Dr. Leonore Natale, Beate Niemeyer, Margret Pfäfflin, Beate Pickel, Marite Pleininger-Hoffmann, Prof. Silvia Pöld, Britta Pörksen, Dr. Niels Pörksen, Andreas Prybylski, Sabine Prybylski, Sibylle Prins, Klaus Rees, Elisabeth Reinhardt, Peter Ridder-Wilkens, Prof. Roland Rössler, Christine Rottwell, Gerda Schaible, Renate Schernus, Jörg Schmelzer, Barbara Schmidt, Friedrich Schophaus, Dr. Dr. Bärbel Schulze, Hans-Ulrich Schulze, Dr. Inge Schulze, Manfred Schöler, Christoph Steffen, Beate Stollberg-Wolschendorf, Prof. Dr. Gunnar Stollberg, Erica Tang, Marianne Traurow, Ulrike Vomann, Martina Wäcken, Ulrich Wehmann, Gertrud Welscher, Gesine Wenning, Heiner Wild, Bernward Wolf, Esther Wolf, Marie Wortberg-Börner.


fluechtlingsrat-bi@web.de

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