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junge Welt ,
05.10.2001 :
Flüchtlinge hinter Gittern / Büren: Protest am Rande der Zivilisation gegen die "Abschiebeknäste" der zivilisierten Welt
Michael Klarmann
Für die Abschaffung aller "Abschiebeknäste" demonstrierten am Tag der deutschen Einheit 1.200 Anhänger antirassistischer Gruppen im ostwestfälischen Büren (Kreis Paderborn). Gerade jetzt, so die örtlichen Initiatoren des Zuges, sei Protest notwendig, da unter der geforderten Verschärfung der Ausländergesetze seit den Terroranschlägen in den USA insbesondere Flüchtlinge zu leiden hätten. "Eine solche Politik mit den Toten von New York zu rechtfertigen zeigt", so eine Ergänzung zum ursprünglichen Demoaufruf, "dass viele der Betroffenheitsbekundungen reine Heuchelei gewesen sind". Begleitet wurde die Demonstration von einem großen Polizeiaufgebot.
Vor der durch Polizeikräfte hermetisch abgeriegelten Justizvollzugsanstalt (JVA) bekundeten am Mittag Mitglieder vieler Initiativen aus dem ganzen Bundesgebiet den Inhaftierten mit Sprechchören und Grußbotschaften in verschiedenen Sprachen ihre Solidarität. Die Bürener durften am Nachmittag das Versprechen vom Lautsprecherwagen vernehmen, man werde so lange in der Stadt demonstrieren und wiederholt die Feiertagsruhe stören, bis das nahe Abschiebegefängnis abgeschafft ist. Dem lautstarken Protestzug durch den Ort und der Kundgebung auf dem Marktplatz, wo Redner auch die Abschaffung von rassistischen Sondergesetzen forderten, begegneten die Bürger der idyllisch gelegenen Kleinstadt mit Gleichgültigkeit, erklärende Flugblätter wurden meist abgelehnt.
Die JVA in Büren ist eine der größten Abschiebehaftanstalten in Deutschland. Der Hochsicherheitstrakt wurden 1993 auf einem ehemaligen Militärgelände gebaut und liegt mitten im Wald. Abgelehnte Asylbewerber erhalten schon bei ihrer Einlieferung das Gefühl, am Rande der Zivilisation angelangt zu sein. Inhaftiert sind "Männer, die keine Straftaten begangen haben", die aus ihrer Heimat flohen "vor Krieg, Hunger und Übergriffen", so Frank Gockel. Die "ausschließlich an Profit und Verwertbarkeit orientierte Gesellschaft", so der Sprecher des Bürener Vereins Hilfe für Menschen in Abschiebehaft weiter, betrachte Asylbewerber nur noch als "menschlichen Ballast". Während der Zeit der Demonstration, so Gockel, hatte die Anstaltsleitung die Sicherheitsmaßnahmen innerhalb der JVA "massiv verschärft". Es gab für die Häftlinge weder so genannten Umschluss, den Aufenthalt auch in anderen Zellen, noch Hofgang.
Geharnischte Kritik an den "Ausreisezentren", die Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) im Entwurf für ein neues Zuwanderungsgesetz favorisiert, kam während der Demonstration von einer Rednerin vom Bündnis gegen Abschiebung aus Osnabrück. Ebenso wie in Büren habe sich im niedersächsischen Bramsche-Hesepe die Bevölkerung für Arbeitsplätze entschieden und gegen die Würde jener Menschen, die in dem dortigen "Sammellager" kaserniert sind. Sieben Kilometer vom nächsten Ort entfernt betreiben die Behörden auf dem Gelände einer ehemaligen Erstannahmestelle für Aussiedler nun hinter Stacheldrahtzäunen eine Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber. Ausreichende medizinische Betreuung und Rechtsberatung gebe es nicht. Die Behörden drängten die Lagerinsassen wiederholt dazu, schriftlich und "freiwillig ihren Asylantrag zurückzuziehen", so die Rednerin. Das als "Modellprojekt 'Ausreisezentrum'" geltende Lager müsse zum Scheitern gebracht werden.
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