Lippische Landes-Zeitung ,
22.05.2003 :
Trauer ohne Kalender / Detmolder verlieren heute vor 20 Jahren sechs Angehörige
Detmold (bas). Genau heute vor 20 Jahren schlug das Schicksal grausam zu. Ein Starfighter stürzte am 22. Mai 1983 bei einer Flugschau in Frankfurt ab und riss sechs Familienangehörige von Gertrud und Peter Wagner in den Tod. Ihre Tochter Gesine (19) kämpfte noch 81 Tage um ihr Leben - sie starb am 11. August mit schwersten Verbrennungen. Das fast Zynische an diesem Unglück: Das Militärflugzeug tötete bei dem Unfall sechs unbeteiligte Friedens-Aktivisten.
"Gerne hätte ich es nicht. Es wäre qualvoll", sagt Peter Wagner. Was würde er tun, wenn der Pilot nach 20 Jahren plötzlich an ihrer Haustür in Detmold klingeln würde? "Es kommt drauf an: Hört er zu? Wie entschuldigt er sich? Wie redet er? Aber für mich persönlich war es nie so wichtig, mit ihm zu sprechen", betont der Pfarrer im Ruhestand.
Abgeschottet vom Militär wurde der damals 27jährige Pilot sofort ausgeflogen und hat nie versucht, Kontakt zur Familie Wagner aufzunehmen. "Ich würde auch mit ihm reden. Aber mich hat das ziemlich aufgeregt, dass er erst kürzlich ein Gespräch verweigert hat", sagt Gertrud Wagner. Gemeint ist der Versuch der Filmemacherin Ulrike Bremer, mit dem Unglückspiloten zu sprechen. Für eine Reportage über das Starfighter-Unglück machte Bremer den heutigen Stabsoffizier vor einigen Monaten in Ramstein ausfindig.
"Wir haben nie weiter nach ihm geforscht. Aber es ist sehr enttäuschend, dass er nicht gesagt hat: #einIch geh raus aus diesem Geschäft.#ein Es hat offenbar nicht zu einer einschneidenden Veränderung in seinem Leben geführt." Ein Umstand, der für Gertrud Wagner nicht zutrifft. In dem Wagen, auf den ein Teil der Unglücksmaschine stürzte, starben ihre Mutter, ihr Bruder, ihre Schwägerin und zwei Neffen.
Gesine Wagner überlebte zunächst - doch 85 Prozent ihrer Haut waren verbrannt. In den 81 Tagen bis zu ihrem Tod erlebten die Wagners Momente zwischen Verzweiflung und Hoffnung; standen ihrer Tochter bei, die mit unglaublicher Tapferkeit um ihr Leben kämpfte. Briefe an Freunde, die die Abiturientin ihren Eltern diktierte, sind später in einem Buch festgehalten worden. "Im Feuer ist mein Leben verbrannt" lautet der Titel - es ist auch eine Mahnung gegen Krieg und Wettrüsten. Noch heute - oder in Zeiten weltweiter Konflikte vielleicht gerade heute - erhält das Ehepaar Anfragen für das Buch. Doch alle Exemplare sind vergriffen.
Der Unglücks-Tag jährt sich heute zum 20. Mal. Doch für Peter Wagner ist der 22. Mai kein extremes Schreckensdatum. "Die Gefühle kommen bei mir von Zeit zu Zeit, ohne dass ich auf den Kalender sehe." Auch für seine Frau sind es eher die Augenblicke im Alltag, die schmerzen: "Wenn jemand fragt #einWie viele Kinder haben Sie?#ein, bin ich oft unsicher: Sage ich zwei oder drei? Sage ich drei, müsste ich alles erklären und das Gespräch würde sofort auf dieses Thema gelenkt." Doch im Inneren wissen es die Wagners genau: Sie haben drei Kinder - eines starb vor 20 Jahren wegen eines unsinnigen Wettrüstens in der Welt.
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