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www.hiergeblieben.de , 08.12.2005 :

Übersicht

Veröffentlichungen am 08.12.2005:


01.) Lippische Landes-Zeitung:
(Detmold) Von "Junimond" bis "Blinder Passagier" / Rio Reiser Songrevue in der alten Pauline

02.) Radio Herford:
(Vlotho) Collegium Humanum will rechte Gedenkstätte

03.) Neue Westfälische:
Vlothoer Verein will rechte Gedenkstätte

04.) Herforder Kreisanzeiger / Neue Westfälische:
Volthoer Rechte auf dem Weg nach Osten / Verein "Gedächtnisstätte" in Sachsen aktiv

05.) Vlothoer Zeitung / Westfalen-Blatt:
(Vlotho) Haverbeck-Wetzel winkt ab / "Collegium Humanum" jetzt in Sachsen Thema

06.) Leipziger Volkszeitung:
(Borna) "Konnten wir es denn verhindern?"

07.) Lippische Landes-Zeitung:
(Lage) Aus dem Boden wächst ein Stern / Gedenkstele beschlossene Sache

08.) Herforder Kreisanzeiger / Neue Westfälische:
(Herford) Weihnachtsfeier der Preußinnen

09.) Herforder Kreisblatt / Westfalen-Blatt:
(Herford) Weihnachtsfeier der Preußen

10.) Bielefelder Tageblatt (OH) / Neue Westfälische:
(Sennestadt) Vertriebene feiern Weihnachten

11.) Polizei Gütersloh:
Pressebericht vom 08.12.2005 (1. Nachtrag) / Rietberger Brandstiftung: 17-Jähriger im Krankenhaus verstorben

12.) Radio Gütersloh:
Harsewinkler Brandstifter ist gestorben

13.) Höxtersche Kreiszeitung / Neue Westfälische:
(Brakel) Adventsfeier der Flüchtlinge in Ökumene

14.) Herforder Kreisanzeiger / Neue Westfälische:
(Herford) Nicht alle eingeladen / Zum Bericht "Ein Netzwerk für Migranten" (NW vom 3. Dezember):

15.) Westfalen-Blatt:
(Bielefeld) Leitartikel / CIA-Affäre / Grauzonen des Rechts / Von Jürgen Liminski

16.) Westfalen-Blatt:
(Bielefeld) Kommentar / Meier sucht Streit / Duisburgs Trainer-Fall / Friedrich-Wilhelm Kröger

17.) Westfalen-Blatt:
(Bielefeld) Kommentar / Mehrwertsteuer / Lohnkosten nicht verteuern / Bernhard Hertlein

18.) Höxtersche Zeitung / Westfalen-Blatt:
43 Stolpersteine in Höxter genehmigt

19.) sz-online / Sachsen im Netz:
Streit um geplante Kriegsopfer-Gedenkstätte in Borna / Rechtsextreme Verbindungen vermutet

20.) mephisto 97.6:
Diskussion um Gedenkstätte in Borna geht weiter

21.) Die Linkspartei.PDS-Fraktion im Sächsischen Landag:
Presseinformation 422/2005 / Kein Nazi-Zentrum in Borna! / Kerstin Köditz: Staatsregierung hat nichts gegen Nazizentrum in Borna getan – Thema bei Fragestunde im Landtag




Nachrichten zu Migration / Rassismus vom 08.12.2005:


01.) Länder vor Treffen uneins / Innenminister beraten über Bleiberecht für Flüchtlinge
(tagesschau.de)

02.) Interview / "Geduldete müssen bleiben dürfen" / Die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU) über Bleiberecht und Zuwanderungsgesetz
(Frankfurter Rundschau)

03.) Flüchtlings-Bleiberecht / Innenminister beraten
(n-tv)

04.) Abschiebe-Odyssee endet für Roma nach 40 Stunden / Baden-Württemberg bringt Familie nach Kosovo / UN-Verwaltung schickt sie zurück / Pro Asyl verurteilt "rücksichtslose Behandlung"
(Frankfurter Rundschau)

05.) Chipkartenini (Berlin) hat neuen Erfolg / Reinickendorf (Berlin) steigt aus dem Chipkartensystem für Flüchtlinge aus – Spandau nun einziger verbliebener Bezirk
(Initiative gegen das Chipkartensystem)




01.) Länder vor Treffen uneins / Innenminister beraten über Bleiberecht für Flüchtlinge

In Karlsruhe beginnt heute die Konferenz der Innenminister von Bund und Ländern. Dabei wird erstmals auch der neue Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) erwartet. Im Mittelpunkt stehen unter anderem die Beratungen über ein dauerhaftes Bleiberecht für langjährig geduldete Flüchtlinge.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, sprach sich in der "Frankfurter Rundschau" vor der Konferenz für ein dauerhaftes Bleiberecht aus. "Für diese Flüchtlinge müssen Kriterien eines Bleiberechts entwickeln". Der nordrhein-westfälische Innenminister Ingo Wolf will nach einem Bericht des "Westfälischen Anzeigers" eine begrenzte Altfall-Regelung vorschlagen. Danach könnten Asylbewerber ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten, wenn sie seit Jahren in Deutschland integriert sind. Der baden-württembergische Innenminister und gleichzeitige Vorsitzende der Konferenz, Heribert Rech, äußerte Zweifel, ob es schon einen Beschluss geben wird. "Die Länderinteressen divergieren da noch zu sehr." Hessens Innenminister Volker Bouffier hatte sich bereits Anfang Dezember als erste CDU-Politiker für eine Bleiberecht ausgesprochen

Quelle: tagesschau.de (08.25 Uhr)




02.) Interview / "Geduldete müssen bleiben dürfen" / Die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU) über Bleiberecht und Zuwanderungsgesetz

Maria Böhmer (CDU) ist seit November 2005 Beauftragte der Regierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Als Erste in diesem Amt ist sie als Staatsministerin dem Kanzleramt zugeordnet. Die Pädagogik-Professorin und Vorsitzende der CDU-Frauenunion engagierte sich bisher vor allem in der Frauen- und Familienpolitik. Im FR-Interview fordert sie ein Bleiberecht für Flüchtlinge, aber auch eine stärkere Identifikation der Einwanderer mit Deutschland.

Frankfurter Rundschau: Frau Böhmer, die Innenminister wollen auf ihrer Konferenz am heutigen Donnerstag auch über ein Bleiberecht für geduldete Flüchtlinge beraten. Was gibt ihnen die neue Integrationsbeauftragte auf den Weg?

Maria Böhmer: Ich begrüße sehr, dass sich die Innenminister jetzt dieser Problematik annehmen. Wir haben selbst im Koalitionsvertrag vereinbart, das Problem der so genannten Kettenduldungen in den Blick zu nehmen. Die Innenministerkonferenz hat dazu tragfähige Vorschläge auf dem Tisch. Für Geduldete, die bereits seit Jahren bei uns leben, müssen wir einen Schritt voran kommen und Kriterien eines Bleiberechts entwickeln.

Frankfurter Rundschau: Wie sollte ein solche Bleiberechtsregelung aussehen?

Maria Böhmer: Wir müssen vor allem an die Kinder und Jugendlichen denken, die hier geboren oder aufgewachsen sind. Wir müssen aber auch Lösungen finden, für Familien, die sich hier integriert haben. Dazu gehören die Dauer des Aufenthaltes von mindestens sechs Jahren, die Beherrschung der deutschen Sprache und die Frage, wie weit es ihnen gelingt, für ihren eigenen Lebensunterhalt selbst zu sorgen. Dies sind wesentliche Kriterien, wenn es darum geht, für Geduldete eine Bleiberechtsregelung auszugestalten.

Frankfurter Rundschau: Wäre es nicht eine hohe Hürde, wenn man ein Bleiberecht von einem festen Arbeitsplatz abhängig macht?

Maria Böhmer: Nein, ich halte das für wesentlich. Erfolgreiche Integration hängt sehr eng an der Integration in den Arbeitsmarkt. Es gibt aber Situationen, in denen Geduldete aufgrund ihres Status keiner Erwerbstätigkeit nachgehen dürfen. Hier sollten wir Betroffenen über einen kurzen Zeitraum hinweg die Arbeitsaufnahme erleichtern. Wenn dann ein ernsthafter Wille erkennbar ist, dass sie dauerhaft für ihren Lebensunterhalt sorgen, wäre das ein Beitrag zur Integration, der eine Bleibemöglichkeit rechtfertigen könnte.

Frankfurter Rundschau: Sie sind als erste Integrationsbeauftragte direkt im Kanzleramt angesiedelt. Ist das mehr als rein symbolische Aufwertung?

Maria Böhmer: Das hat mit Sicherheit mehr als eine symbolische Bedeutung. Das macht deutlich, welches Gewicht die Bundesregierung diesem Thema beimisst und zeigt: Integration ist Querschnittsaufgabe. Das ist eine sehr zukunftsorientierte Entscheidung, denn wir müssen Integration eng mit den Themen Globalisierung und demografische Entwicklung in unserem Land zusammen binden.

Frankfurter Rundschau: Wo wollen Sie Schwerpunkte setzen?

Maria Böhmer: Alle Erfahrungen zeigen uns, dass die Bildungsfrage von entscheidender Bedeutung ist. Ich werde mich deshalb besonders dem Spracherwerb bei den ausländischen Kindern zuwenden. Einen Sprachtest rechtzeitig vor Einschulung halte ich für sehr wichtig. Es geht nicht an, dass die Sprachförderung erst in der Grundschule stattfindet.

Frankfurter Rundschau: Sollte es deshalb eine Kindergartenpflicht für Migrantenkinder geben?

Maria Böhmer: Angesichts der hohen Teilnahmezahlen am Betreuungsangebot sollten wir hier nicht zu einer Pflicht greifen. Wir sollten vielmehr Anreize setzen. Wir brauchen auch ein wesentlich früheres Eintrittsalter in die Grundschule.

Frankfurter Rundschau: Im Koalitionsvertrag kündigen Union und SPD eine Überprüfung des Zuwanderungsgesetzes an. Wo sehen Sie Korrekturbedarf?

Maria Böhmer: Das Thema Kettenduldungen und Bleiberecht gehört sicher zu den Dingen, die nachgebessert werden müssen. Und wir müssen genauer untersuchen, wie wirksam die angebotenen Sprachkurse wirklich sind. Aber wir dürfen es nicht bei Sprachkursen belassen. Diejenigen, die zu uns kommen, müssen auch die Chance haben, sich mit unseren kulturellen Werten und Lebensvorstellungen zu identifizieren. Sie müssen Ja sagen zu unserem Land. Das bedeutet nicht, dass sie ihre Wurzeln kappen sollen.

Frankfurter Rundschau: Müssen Einwanderer mehr Integrationsanstrengungen zeigen als bisher?

Maria Böhmer: Das ist ein Prozess, der von beiden Seiten aus gestaltet werden muss. Integration bedeutet, sich auf das Land einzulassen. Wer zu uns kommt, muss unsere Geschichte und unsere Wertvorstellungen kennen, die rechtlichen Regelungen akzeptieren und bereit sein, die deutsche Sprache zu lernen.

Frankfurter Rundschau: Und wenn jemand dazu nicht bereit ist?

Maria Böhmer: Wir haben im Zuwanderungsgesetz den Integrationskursen auch rechtlich einen hohen Stellenwert beigemessen. Wer zu uns kommt, ist gehalten an Integrationskursen teilzunehmen und ein Mindestmaß an Kenntnissen der gesellschaftlichen und rechtlichen Regeln zu erwerben. Das setze ich für alle voraus, die auf Dauer hier leben wollen. Wir können schon heute feststellen, dass viele, insbesondere Frauen, ganz freiwillig diese Kursangebote wahrnehmen und die zur Verfügung stehenden Plätze die Nachfrage nicht decken.

Frankfurter Rundschau: Sollten Ausländer, wie einige fordern,bei ihrer Einbürgerung ein ausdrückliches Bekenntnis zu diesem Land ablegen?

Maria Böhmer: Ich meine, wir sollten da keine verbalen Bekenntnisse einfordern. Wer die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben will, der gibt damit schon ein Bekenntnis zu unserem Land ab. Man lässt sich nicht einfach nur einbürgern, um einen deutschen Pass zu haben. Eine Einbürgerung, die durchaus mit einer Eidesleistung verbunden werden könnte, sollte dann aber auch in einem feierlichen Rahmen stattfinden. Dies würde unterstreichen, dass das ein ganz wichtiger Schritt ist, den man wohl überlegt tut.

Quelle: Frankfurter Rundschau (Interview: Vera Gaserow)




03.) Flüchtlings-Bleiberecht / Innenminister beraten

Unter dem Eindruck der Forderung nach einem Bleiberecht für langjährig geduldete Flüchtlinge sind am Donnerstag in Karlsruhe die deutschen Innenminister zu ihrer zweitägigen Herbsttagung zusammengekommen. Zunächst war unklar, ob es für das seit Jahren diskutierte Problem eine endgültige Lösung gibt. Als möglicher Kompromiss gilt ein Vorschlag Hessens. Flüchtlingsorganisationen haben am Nachmittag zu einer Demonstration zum Thema Bleiberecht aufgerufen.

Der hessische Innenminister Volker Bouffier (CDU) will nach eigenen Angaben diejenigen Ausländer rechtlich besser stellen, die gut integriert, aber bislang nur geduldet sind. Dabei handele es sich um Personen, die Deutsch könnten, eine Arbeit hätten und deren Kinder hier zur Schule gingen. Sie sollen nach Bouffiers Willen zukünftig eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten.

Bei Ausländern, die bislang keine Arbeitserlaubnis hätten, soll die Aufenthaltsgenehmigung nach einer Karenzzeit erteilt werden. In dieser Zeit soll den Betroffenen eine Arbeitserlaubnis erteilt und ihnen die Chance zur Suche einer Arbeit gegeben werden. Haben sie ein Beschäftigungsverhältnis gefunden, sollen auch sie dauerhaft bleiben können. Der hessische Vorschlag wird auch vom schleswig-holsteinischen Innenminister Ralf Stegner (SPD) unterstützt.

Quelle: n-tv




04.) Abschiebe-Odyssee endet für Roma nach 40 Stunden / Baden-Württemberg bringt Familie nach Kosovo / UN-Verwaltung schickt sie zurück / Pro Asyl verurteilt "rücksichtslose Behandlung"

Menschenrechtsorganisationen haben das Land Baden-Württemberg für dessen Abschiebungspraxis kritisiert. Die Behörden schoben eine Roma-Familie nach Kosovo ab, obwohl klar gewesen sei, dass die UN-Verwaltung in Kosovo (Unmik) sie wieder zurückschickt.

Schwäbisch Gmünd. Frau Sali hat Angst. Die 36-Jährige schaut jede Nacht vor die knarzende Stahltür der Gemeinschaftsunterkunft Schwäbisch Gmünd. Sie fürchtet, es könnte wieder so sein wie in der Nacht des 14. November. Um vier Uhr morgens habe es geklopft, erzählt sie. "Polizei! Kontrolle!" Zehn Polizisten stürmen demnach den etwa 30 Quadratmeter großen Raum.

Sakip Sali, seine Frau und die sechs Kinder zwischen zehn und 20 Jahren müssen ihre Habseligkeiten zusammen packen. Frau Sali weint, die Kinder auch. Mann und Söhnen werden Handschellen angelegt. Sali schnappt sich sein Keyboard. Er ist Musiker. Auch damals in Mitrovice, Kosovo. Nur wenige hundert Meter von der Brücke, die den serbischen vom albanischen Teil trennt, lebte die Familie bis 1992. "Dort gibt es jetzt kein einziges Haus mehr", sagt Sali. "Wir können dort keine 24 Stunden überleben."

Auf dem Baden-Airport bei Karlsruhe muss sich die Familie ausziehen. Sie wird untersucht. Die Polizisten behalten die Roma-Ausweise. Per Flugzeug geht es nach Pristina, zusammen mit 150 weiteren "Abschiebefällen". Als dem Beschäftigten der Zivilverwaltung in Kosovo (Unmik) klar ist, dass Angehörige der Roma oder Ashkali darunter sind, dürfen 33 von Ihnen zurück reisen. Nach 40 Stunden ist auch Familie Sali wieder in Schwäbisch Gmünd. "Der liebe Gott wollte, dass wir wieder zurück können", sagt Isbadet. "Das ist doch meine Heimat", sagt Roberto, der die Realschule abgeschlossen hat. Er will Bürokaufmann werden, wenn sie in Deutschland bleiben dürfen.

Im Protokoll der Abschiebung wird ein krimineller Hintergrund angedeutet. Kriminell war Sali aber "nie". 1993 saß der Asylbewerber in Mannheim in Abschiebehaft. Er hatte sich nicht als Roma zu erkennen gegeben, sondern flüchtete nach Bremen, wo die Familie bis August 2004 lebte. Nach der Aufdeckung seiner Roma-Identität wurde er nach Baden-Württemberg zurückgeschickt. "Ich habe nur versucht, meine Kinder und meine Frau zu retten", beteuert er.

Seit Juli 2005 dürfen ethnische Minderheiten aus Kosovo bei erheblichen Vorstrafen "rückgeführt" werden. Im Falle der Familie Sali nach 13 Jahren in Deutschland. Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg und Pro Asyl verurteilen den "rücksichtslosen Umgang". Sie plädieren für ein Bleiberecht für lange in Deutschland lebende Familien. Weil den Salis die Roma-Pässe abgenommen wurden, hält Andreas Benk von der "Bürgerinitiative gegen Fremdenfeindlichkeit" die Aktion vom 14. November nicht für einen bedauernswerten Einzelfall, sondern für eine bewusste Verschleierung der Identität und einen "Fall für die Gerichte". Die oppositionellen Grünen unterstellen der Landesregierung, Mehrkosten und psychische Spätfolgen für die Abgeschobenen in Kauf zu nehmen, um gute Abschiebungsziffern vorweisen zu können.

Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU) sieht in der Unmik den Verursacher solcher Härten. "Wir sind davon ausgegangen, dass sie aufgenommen werden." Das zuständige Regierungspräsidium habe die "Modalitäten eingehalten", doch die Unmik ändere ständig die Ablehnungsgründe. Auch im Auswärtigen Amt kursiert ein interner Bericht, die UN-Behörde "widersetze sich ( … ) zunehmend unter Missachtung der getroffenen Vereinbarung". Die Innenministerkonferenz wird sich mit dem Thema am heutigen Donnerstag befassen.

Quelle: Frankfurter Rundschau (Gabriele Renz)




05.) Chipkartenini (Berlin) hat neuen Erfolg / Reinickendorf (Berlin) steigt aus dem Chipkartensystem für Flüchtlinge aus – Spandau nun einziger verbliebener Bezirk

Am 22. November verkündete der Sozialstadtrat von Reinickendorf, Balzer (CDU), im Sozialausschuss, dass die Sozialverwaltung des Bezirkes am 15. November den Vertrag mit der Firma SODEXHO, die das Chipkartensystem für Flüchtlinge betreibt, gekündigt hat. Das bedeutet, dass ab dem 15. Februar auch in Reinickendorf Bargeld an alle Flüchtlinge ausgezahlt wird.

Reinickendorf ist Nachzügler in einer Entwicklung, die im Juli 2003 begann, als die Sozialverwaltung des Landes Berlin ihren Vertrag mit SODEXHO kündigte. In der Folge stiegen auch die Bezirke Mitte, Tempelhof/Schöneberg und Neukölln aus ihren jeweiligen Umsetzungen des Sachleistungsprinzips aus und zahlten Bargeld aus. Nur Reinickendorf und Spandau hielten am Chipkartensystem fest. Wenn Reinickendorf nun aussteigt, haben wir also die Situation, dass es nur in Spandau eine Sonderregelung für Flüchtlinge gibt.

Die jetzige Entscheidung der Sozialverwaltung ist insofern überraschend, als es in der Reinickendorfer BVV mehrfach Anträge gab, das Chipkartensystem abzuschaffen, die immer von der CDU und der FDP niedergestimmt wurden. Namentlich Herr Balzer sah die Flüchtlingspolitik wohl bisher als Möglichkeit, sich als "harter Hund" innerhalb der CDU zu profilieren und gab sich persönlich davon überzeugt, das Chipkartensystem auch dann fortführen zu müssen, wenn alle anderen schon ausgestiegen seien. Nun hat Herr Balzer einen Teil der Argumentation der GegnerInnen des Systems übernommen: In der Sozialausschusssitzung gab er als Begründung für die jetzige Entscheidung an, dass es nur wenige Akzeptanzstellen für die Chipkarten gibt, so dass die EmpfängerInnen der Chipkarten für ihre Einkäufe zu langen Wegen gezwungen sind, was zusätzliche Fahrtkosten mit sich bringe.

Was Herr Balzer sagt, ist nicht falsch: Seit 2003 ist die Zahl der Läden in Berlin, die die SODEXHO-Karte akzeptieren, von über 80 auf heute nicht mal 20 gesunken. In großen Teilen Berlins, so im kompletten Südosten, gibt es solche Läden gar nicht mehr. Das ist jedoch nur ein Teil der Probleme, die dieses diskriminierende System für die betroffenen Flüchtlinge mit sich bringt. Und ein klein wenig skeptisch bleiben wir auch, was das plötzliche Interesse Balzers am Budget der Flüchtlinge/ MigrantInnen betrifft: Es ist wohl eher zu vermuten, dass der finanzielle Mehraufwand, den sich die Bezirke (und bundesweit die Kommunen) diese rassistische Diskriminierung kosten lassen, nun auch endlich für Reinickendorf nicht mehr lohnenswert war. Die gesunkenen Zahlen derer, die mit diesem System schikaniert werden können, stehen vermutlich einfach nicht mehr im Verhältnis zu den Mehrkosten - und Herr Balzer ist einer von denen, die stolz sind auf jeden Cent, den sie im Sozialbereich sparen können.

Dass es uns in diesem Fall freut, ändert nichts an der Tatsache, dass es bei dem System prinzipiell darum geht, Menschen aufgrund ihrer Herkunft schlechter zu behandeln als andere, also um rassistische Sondergesetze. Auch wenn in anderen Kommunen bundesweit auch noch mehr Schweinereien gibt, wie z.B. außer Chipkarten und Gutscheinen auch noch Fresspakete oder Zwangs- Vollverpflegung, so sind die Chipkarten dennoch ein zusätzliches Problem für Menschen, die eh schon mit staatlichem und alltäglichem Rassismus zu kämpfen haben.

Mit den Chipkarten können in den wenigen Läden nur bestimmte Waren, nämlich "Nahrungsmittel, Körperpflegeartikel und Haushaltsgegenstände" erworben werden. Alkoholika und Zigaretten dürfen nicht gekauft werden, auch keine Druckerzeugnisse; vor allem aber können sämtliche Dienstleitungen, angefangen von BVG- Fahrscheinen über Porto- und Telefonkosten bis hin zu den für Flüchtlinge im Asylverfahren natürlich unerlässlichen AnwältInnen nicht bezahlt werden. Das Chipkartensystem beinhaltet noch viele weitere kleine und große Schikanen, so kann man z.B. mit den Karten nicht sparen: Sie werden einmal im Monat im zuständigen Sozialamt aufgeladen; ist zu diesem Zeitpunkt noch Guthaben auf der Karte, so verfällt dies.

Erfolg für die GegnerInnen des Chipkartensystems

Von vielen Seiten hat es in den vergangenen Jahren Druck auf die Bezirke Reinickendorf und Spandau gegeben, diese rassistische Diskriminierung zu beenden. Ohne diesen Druck wäre es zweifelsohne nicht zu dieser Entscheidung Balzers gekommen. Wir begrüßen diese Entscheidung und bewerten sie als Erfolg für uns.

Als Initiative gegen das Chipkartensystem engagieren wir uns seit bald sechs Jahren gegen diese rassistische Sonderregelung. Unter anderem organisieren wir PatInnenschaften, d.h., UnterstützerInnen gehen mit Flüchtlingen einkaufen. Bezahlen mit ihren Chipkarten und geben ihnen den entsprechenden Betrag in bar wieder. Doch nicht nur wir vermitteln solche PatInnenschaften; es ist in den letzten Jahren ein nicht überschaubares Netz der Solidarität entstanden. Deswegen kann davon ausgegangen werden, dass nahezu alle vom Chipkartensystem betroffenen Flüchtlinge eine Möglichkeit haben, ihre Karte gegen Bargeld zu tauschen. Das müssen sie auch, denn es ist faktisch nicht möglich, ohne Bargeld in Berlin zu überleben. Das alles ist den zuständigen PolitikerInnen natürlich auch bekannt – das weitere Festhalten an diesem System im Bezirk Spandau muss als Mischung aus trotzigem Rechthabenwollen und blankem Rassismus bewertet werden.

Und Spandau?

Am 19. Oktober veranstalteten der Migrations- und Integrationsbeirat Spandau und die Initiative gegen das Chipkartensystem (wie berichtet) gemeinsam eine Diskussionsveranstaltung zum Thema "Chipkarten für Flüchtlinge in Spandau", an der u.a. VertreterInnen aller Fraktionen und Gruppen der Spandauer BVV teilnahmen. In der Diskussion sprachen sich die VertreterInnen von SPD, PDS und AL/Grünen für die sofortige Bargeldauszahlung aus, nur die Vertreter von CDU und FDP, die in der BVV die Mehrheit stellen, bestanden auf dem Chipkartensystem. Jetzt, nur wenige Wochen später, sieht auch die Reinickendorfer CDU ein, dass dieses System nicht mehr aufrechtzuerhalten ist.

Auch wenn die Gründe, die Herr Balzer nennt, natürlich nur ein kleiner Teil der tatsächlich gegen das Chipkartensystem sprechenden Punkte ist, so sind sie ja richtig und werden für die verbliebenen, von Spandau verwalteten Flüchtlinge noch gravierender werden: Es ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass nun weitere Läden aus diesem System aussteigen werden, so dass es kaum noch möglich sein wird, mit diesen Karten einzukaufen. In Spandau selbst z.B. akzeptiert schon jetzt nur noch ein Supermarkt, der Minimal in der Goltzstraße, die SODEXHO-Karten.

Nachdem die PatInnenschaften, die bisher an Flüchtlinge, die vom Bezirksamt Reinickendorf verwaltet wurden, jetzt ja auslaufen werden, sind wir uns sicher, dass es uns möglich sein wird, jedeN ChipkartenempfängerIn vom Bezirksamt Spandau mit einer PatInnenschaft zu versorgen. Deswegen wäre alles andere als eine baldige Abschaffung des Chipkartensystems auch in Spandau eine absolut nicht nachvollziehbare Entscheidung.

Wir hoffen sehr, dass die Spandauer LokalpolitikerInnen möglichst bald zur Vernunft kommen, dem Beispiel ihrer Reinickendorfer KollegInnen folgen und den Vertrag mit SODEXHO ebenfalls kündigen. Bis dahin werden wir, die Initiative gegen das Chipkartensystem, aber gemeinsam mit unseren UnterstützerInnen und den Betroffenen eine gezielte Kampagne in Spandau fahren.

Dazu brauchen wir aber natürlich eure Hilfe und Unterstützung: Solange es die Chipkarten noch gibt, brauchen wir dringend Leute, die sich solidarisch zeigen und mit denen Betroffenen einkaufen gehen. Es wird 1 : 1 umgetauscht, ihr macht eure regulären Einkäufe auf Karte und die Flüchtlinge bekommen das Bargeld. Einfacher geht es eigentlich kaum konkret was gegen rassistische Diskriminierung zu tun, den Einkaufen tun jawohl die meisten regelmäßig.

Also: kommt vorbei, holt euch die Karten und unterstützt die Flüchtlinge praktisch und/oder noch besser:

Kommt am 10. Dezember um 13 Uhr zum öffentlichen antirassistischen Einkauf im Minimal in der Goltzstraße 15 in Spandau. Hier werden wir zum einen gegen das Chipkartensystem protestieren, zum anderen werden wir offen zeigen, wie weitgehend es heute schon obsolet ist, indem wir den Flüchtlingen das Bargeld geben, was zu einem halbwegs autonomen Leben nötig ist.

Dabei ist eine breite Beteiligung wichtig, auch wenn Ihr nicht einkaufen wollt/ könnt, ist Masse-Bilden gerade in Spandau sinnvoll, damit möglichst viele Menschen mitbekommen, das und warum wir da sind.

Initiative gegen das Chipkartensystem
Haus der Demokratie und Menschenrechte
Greifswalder Str. 4
10405 Berlin
Tel.: 030/41935839 (Do. 19 - 20 Uhr)
Fax: 030/41936868
Mobil: 0160/3410547
www.chipkartenini.squat.net/

Bürozeiten: Do. 19-20 Uhr und ab Februar 2006: Dienstag 19 - 20 Uhr

Quelle: Initiative gegen das Chipkartensystem


info@hiergeblieben.de

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