Mindener Tageblatt ,
05.12.2005 :
(Porta Westfalica) Einblicke in die jüdische Friedhofskultur / Judenfriedhof in Hausberge erzählt Geschichten / Großeltern von Franz Boas fanden hier ihre letzte Ruhe
Porta Westfalica-Hausberge (mt). Wenn Gräber sprechen könnten - hier würden sie ganze Bücher füllen. Der Judenfriedhof in Hausberge gibt Einblick in eine vergessene Welt.
Von Claudia Hyna
Ins Bewusstsein gerückt wird der Friedhof an der Kempstraße möglicherweise, wenn das Mindener Museum den 150. Geburtstag von Franz Boas (geboren 1858 in Minden) in einer Sonderausstellung würdigt. Dies ist für 2008 geplant.
Die Großeltern dieses berühmten Mindeners, der Professor für Anthropologie in New York war und als Begründer der Kulturanthropologie gilt, haben auf dem Judenfriedhof Hausberge ihre letzte Ruhe gefunden. Die Gräber von Feibes Boas (1798 bis 1836) und Caroline Boas (1802 bis 1880) befinden sich auf dem Mindener Teil, jedoch stehen sie räumlich voneinander entfernt.
Mehr als 130 Grabstelen aus dem 18. und 19. Jahrhundert und aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zieren die Gräber in Hausberge. Seit wann es den Friedhof gibt, ist nicht genau bekannt. Etwa seit 1618 wurde den Mindener Juden dort die Bestattung ihrer Toten zugestanden, nachdem man ihnen auf Mindener Gebiet keinen Platz dafür gewährte.
Auf dem östlichen, dem Hausberger Teil, dominieren die Grabstätten Familien Michelsohn, Lipper, Windmüller, Honi, Meier und Spangenthal.
Ein dunkles Kapitel
Helmut Spangenthal war ein Schulkamerad des heutigenOrtsheimatpflegers Albert Münstermann. Er erinnert sich an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte: "Zuerst durften die Juden nicht mehr in einer Reihe mit uns in der Klasse sitzen, dann wurde ihnen der Schulbesuch verboten."
Das war im Jahr 1937; 1941 sei die gesamte Familie nach Riga abtransportiert worden und dort umgekommen. Vor 63 Jahren hat der letzte Transport jüdischer Mitbürger Ostwestfalen verlassen. Auf dem Friedhof findet sich ein Stein, der einiger verschleppter Familien gedenkt.
Gleich am Eingang beeindruckt ein tempelähnlicher Bau aus Sandstein. Diese Urnen-Grabstätte der Familie Michelsohn von 1913 ist laut Münstermann deutschlandweit, wenn nicht sogar weltweit, einmalig. "Verbrennung ist bei Juden unüblich", so Münstermann.
Nicht nur Witterung, auch die Kriege haben ihre Spuren an der Ruhestätte hinterlassen. So weist das Grab von Moses Michelsohn einen Granateneinschlag auf. Weitere Gräber fielen dem Beschuss anheim.
Die Urne von Otto Michelsohn, der 1992 in Baden-Baden starb, ist ebenfalls in Hausberge beerdigt. Sein Wunsch war es gewesen, bei seinen Verwandten in Hausberge die letzte Ruhe zu finden.
Besonders ins Auge fällt ein abgebrochener Stein - Symbol für den frühzeitigen Abbruch der Lebenssäule von Michel Michelsohn, der mit 54 Jahren starb. Nachträglich wurde dort eine Gedenkplatte angebracht mit der Aufschrift: "Es gibt kein volles Glück hienieden; nur Jenseits ist der wahre Frieden! Schlumm're sanft!"
Wesentlich mehr Schmuckelemente als auf dem östlichen findet man im westlichen, im Mindener Teil. "Hier zeigt sich der Einfluss der Mindener Bürgerlichkeit", meint Münstermann. Auffällig sind die jüdischen Symbole wie siebenarmiger Leuchter, Levitenkanne, segnende Hände. Später kamen auch nichtjüdische Zeichen hinzu: wie Schmetterlinge, verlöschende Fackeln, Sanduhren und Kränze. Viele Gräber tragen hebräische und deutsche Inschriften.
Vor 35 Jahren war der Friedhof noch einer Festung ähnlich. Dann wurde die hohe Mauer abgerissen und durch einen Zaun ersetzt, der im Hausberger Teil begrünt ist. Für die Pflege der Anlage ist die Stadt Porta Westfalica zuständig. Aus dieser Zeit stammt auch der Durchgang zum evangelischen Friedhof Hausberge.
Die Verehrung der Hinterbliebenen gilt als wesentlicher Bestandteil jüdischer Kultur. So schreibt Karl-Wilhelm Röhs in einem Aufsatz über den Wunsch "bei den Vätern begraben zu werden und die Verheißung der Wiederauferstehung als Lebens- und Glaubensinhalt".
Von alters her hätten Juden besonderen Wert auf Grabesruhe gelegt. Eine eigene Begräbnisstätte war in der Fremde genauso wichtig wie ein Betsaal oder eine Synagoge. Die gepflegte Anlage in Hausberge dürfte ihre Zustimmung finden. Immer wieder kommen Juden aus aller Welt nach Hausberge, um die Gräber ihrer Vorfahren aufzusuchen. Ein Brauch ist es, dabei einen Stein auf das Grab zu legen.
mt@mt-online.de
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