Lippische Landes-Zeitung ,
10.01.2004 :
Ein Gast aus Brasilien / Nachkomme der jüdischen Familie Sondermann will Horn besuchen
Von Ulrich Pfaff
Horn-Bad Meinberg. Der Name Sondermann ist manchem Hornschen noch immer ein Begriff - auch wenn von der einst großen jüdischen Familie heute Greifbares kaum noch existiert. Dennoch beschäftigt sie die evangelische Kirchengemeinde seit ein paar Monaten intensiv: Kurt Sondermann, ein in Brasilien lebender Nachfahre, will im März nach Horn kommen - die Kirchengemeinde macht es möglich.
Ein paar Gräber auf dem jüdischen Friedhof in der Paderborner Straße, ein altes und völlig verblasstes Foto von den Fußballern des TuS Horn von 1912, auf dem Max und Albert Sondermann zu sehen sind, mehr ist heute nicht mehr von den Sondermanns zu finden. Das Haus an der Ecke Domensoot/Heerstraße wurde vor Jahrzehnten abgerissen. Aber da waren die Reste der Familie, die seit 1685 in Horn ansässig war, längst in alle Winde zerstreut, sofern sie dem nationalsozialistischen Völkermord hatten entkommen können. Der Schlachter Moses Aaron Sondermann, geboren 1852, hatte mit seiner Frau Jenni neun Kinder: Philipp, Max, Hugo, Albert, Julius, Henny, Elfriede und Erich - der Erstgeborene Siegfried war der Vater von Kurt Sondermann. Erich starb als Säugling, Julius fiel 1917, wie es damals so schönfärberisch hieß für Kaiser und Vaterland. Max und Albert waren in ihrer Jugend begeistertes Fußballer und als solche stadtbekannt.
Als die Nazis 1933 an die Macht kamen, war Alberts Tochter Hanna bereits nach Palästina ausgewandert - er selbst, seine Frau und sein Sohn starben in Auschwitz. Auch Hugo und Elfriede starben, nachdem sie abgeholt worden waren, wo und wie ist nicht bekannt. Siegfried entkam dem Nazi-Terror nach Brasilien, Philipp schaffte es, nach Kolumbien auszureisen, was Moses Aaron - mittlerweile 87 Jahre alt - und seiner Tochter Henny im Januar 1940 ebenfalls erlaubt wurde. Am besten ist Max Sondermanns trauriges Schicksal dokumentiert: Er wurde während der Reichspogromnacht 1938, als die Nazis das Haus der recht armen Familie verwüsteten, schwer verprügelt, ins Stadtgefängnis geworfen und kam erst Wochen später wieder nach Hause - so krank, dass er an Silvester 1938 starb. Seine Beerdigung war die vorletzte auf dem jüdischen Friedhof von Horn.
Vor etwa fünf Jahren meldete sich Kurt Sondermann aus Brasilien in einem Brief an den Bürgermeister und fragte nach alten Fotos vom Hause seiner Großeltern, wo er als Kind und Jugendlicher häufig die Ferien verbracht hatte - Siegfried und seine Frau Hilda waren nach Ravensburg gezogen, lange bevor sie Deutschland verließen. So kam indirekt der Kontakt zur Kirchengemeinde zustande: "Während des Wappenstreits habe ich gesagt, es sei sinnvoller, sich um jene zu kümmern, die damals weggegangen sind", erinnert sich Pfarrer Maik Fleck, und er habe schließlich im vergangenen Jahr an Kurt Sondermann geschrieben und einen Besuch vorgeschlagen. "Er klingt am Telefon ziemlich jung und fit", sagt Fleck - allerdings wisse er aus Erfahrung, dass ein Besuch in der alten Heimat für Menschen wie den 90-jährigen Kurt Sondermann "etwas sehr Anstrengendes und mitunter auch Gefährdendes" sein kann, weshalb er auf eine Begleitung bestanden habe. Da Sondermann sich die Reise nach Horn nicht leisten könne, habe die Kirchengemeinde 2500 Euro für die Flüge vorgestreckt und den beiden Besuchern im Gemeindehaus eine Wohnmöglichkeit für den einwöchigen Aufenthalt eingerichtet, die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit beteilige sich ebenfalls. Der Betrag ist auch für die Kirchengemeinde ein schöner Batzen Geld - er soll mithilfe von Spenden wieder hereingebracht werden.
Wenn Kurt Sondermann nebst Begleitung in der zweiten Märzwoche nach Horn kommt, dann wird er nicht nur die Orte seiner Jugend und die Gräber seiner Verwanden besuchen, sondern sich auch mit den Menschen treffen, die seine Reise ermöglicht haben.
10./11.01.2004
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