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Paderborner Kreiszeitung / Neue Westfälische , 30.11.2005 :

(Paderborn) Ein toller Lehrer und schlimmer Verführer? / Pionierarbeit: Buch der Französin Delphine Prade beleuchtet den Schulalltag am Reismann-Gymnasium zur Nazi-Zeit

Von Roland Maoro

Paderborn. Wie sah es aus an Paderborner Schulen zur Nazi-Zeit? Dass erstmals etwas Licht in dieses dunkle Kapitel der Vergangenheit kommt, ist ausgerechnet einer Französin zu verdanken. Die engagierte Staatsarbeit der Fremdsprachen-Assistentin Delphine Prade ist jetzt als Buch in deutscher Sprache erschienen: "Das Reismann Gymnasium im Dritten Reich – Nationalsozialistische Erziehungspolitik an einer Paderborner Oberschule".

Das Buch dokumentiert das Alltagsleben an einer deutschen Schule zur Nazi-Zeit mit der ganzen Bandbreite zwischen Anpassung und Widerstand. Zur Verbreitung und Verfestigung ihrer Ideologie waren die Schulen natürlich ein bevorzugtes Ziel nationalsozialistischer Propaganda und Drangsalierung. Delphine Prade hat Jahresberichte der damaligen Schulleiter, originale Abiturarbeiten, Zeitungsartikel und Berichte noch lebender Zeitzeugen ausgewertet. Wie es scheint, sind dem Reismann-Gymnasium tiefgreifende "Säuberungs"-Aktionen erspart geblieben. Man findet hier den dienstbeflissenen Mitläufer ebenso wie den offenen Widerstand. Klare "Täter"-Profile sind kaum erkennbar.

Ganze Bandbreite zwischen Anpassung und Widerstand

Als Beispiel stellte der Historiker Klaus Hohmann, der die Buchveröffentlichung in Paderborn betreut hat, zwei der Reismann-Direktoren gegenüber: Auf der einen Seite Kurt Julius Herzog, Schulleiter von 1923 – 1941, der sich als alter Zentrumsmann bemühte, den christlich bestimmten Geist der Schule zu bewahren – der aber auch uneingeschränkt alle Forderungen der nationalsozialistischen Propaganda in die Tat umsetzte.

Auf der anderen Seite Herzogs Nachfolger: Dr. Friedrich Bock. Bock wechselte vom Gymnasium Theodorianum zum Reismann. Er galt als "alter Kämpfer", war Mitglied der NSDAP schon vor 1933 und seit 1939 Leiter der Paderborner NSDAP-Ortsgruppe "Spiringstor". Als Schulleiter am Reismann trat er jedoch sofort als NSDAP-Ortsgruppenleiter zurück. Er stand im Ruf eines fachlich hervorragenden und begeisternden Lehrers der Naturwissenschaften, der sein Engagement auf rein fachliche Aspekte beschränkte. In der Schulleitung soll Bock nur das vorgeschriebene Mindestmaß an ideologischen Aktivitäten umgesetzt haben. In der Erinnerung ehemaliger Schüler bleibt Bocks Rolle jedoch widersprüchlich: Gerade wegen seines untadeligen fachlichen Rufes könnte er auch ein "um so schlimmerer Verführer" gewesen sein.

Das Lehrerkollegium war durchsetzt mit willfährigen Mitläufern des Systems – nur einen Lehrer zählt Delphine Prade zu den wirklich fanatischen Nationalsozialisten. Zwei Lehrer, Religionslehrer Schröder und Geschichtslehrer Vedder, opponieren eindeutig gegen die Nazi-Ideologie. Wobei Lehrer Vedder so offen Widerstand leistet (er lässt konsequent alle Propaganda aus den Büchern streichen), dass es Klaus Hohmann schon wie ein Wunder erscheint, dass Vedder diese Aktionen am Reismann offenbar schadlos überstanden hat.

Die untersuchten Abiturarbeiten der Reismann-Schüler zeigen einen "Spagat" zwischen kirchlicher Bindung, nationalsozialistischer Weltanschauung und "Führer"-Verehrung. Es ist nicht erkennbar, ob es sich nur um das verlangte ideologische Soll oder um tatsächlich geglaubte Klischees handelt. Hinweise auf antisemitische Aktionen an der Schule finden sich kaum. Es gab zu Beginn der Nazizeit allerdings auch nur sechs jüdische Schüler am Reismann-Gymnasium, die bereits 1936 ins Ausland flüchteten und so dem Nazi-Terror entkamen.

Die Leistung dieser "Pionierarbeit" von Delphine Prade könne gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, erklärte Klaus Hohmann bei der Buchvorstellung im Reismann-Gymnasium. Nur neun Monate hatte die junge Französin 1997 am Reismann als Fremdsprachen-Assistentin verbracht. Dass es Delphine Prade bei allen Sprachproblemen und der äußerst schwierigen Recherche in Archiven in dieser kurzen Zeit gelungen ist, eine derart umfangreiche Arbeit vorzulegen, ist eine große Leistung.

Die Buchveröffentlichung ihrer Staatsarbeit in Paderborn wurde vom "Verein für Geschichte der Universität" vorangetrieben und besonders von dem Historiker Friedhelm Golücke unterstützt. Erschienen in der Reihe "Paderborner Beiträge zur Geschichte", ISBN 3-89498-155-5, Preis 19,80 Euro.


lok-red.paderborn@neue-westfaelische.de

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