Westfälisches Volksblatt / Westfalen-Blatt ,
30.11.2005 :
(Paderborn) Wie hat die NS-Ideologie den Schulalltag verändert? / Verein für Geschichte druckt Buch über Reismannschule
Von Manfred Stienecke
Paderborn (WV). Das historische Interesse an der Zeit des Nationalsozialismus in Paderborn scheint ungebrochen. Jüngste Veröffentlichung ist ein Buch über "Das Reismann-Gymnasium im Dritten Reich".
"Darstellungen, die der Frage nachgehen, wie das NS-System in den Schulen verortet wurde, fehlten bislang", so Dr. Margit Naarmann als Vorsitzende des Vereins für Geschichte, in dessen Publikationsreihe "Paderborner Beiträge zur Geschichte" die Arbeit der Französin Delphine Lupi-Prade erschienen ist.
Die Autorin, die von Oktober 1997 bis Juni 1998 als Fremdsprachenkorrespondentin am Reismann-Gymnasium tätig war, untersuchte für ihre Staatsarbeit, die an der Universität von Montpellier mit "sehr gut" bewertet wurde, den Schulalltag an der Reismannschule während der Zeit des Nationalsozialismus. Sie ging auf 214 Druckseiten der Frage nach, ob und wie die NS-Ideologie Eingang in den Schulunterricht gefunden hat - mit offenem Ergebnis: "Es lässt sich nicht eindeutig sagen, ob Lehrerschaft und Schülerschaft wirklich vom Nationalsozialismus überzeugt waren oder nicht", stellt sie in ihrem Resümee fest.
Für ihre wissenschaftliche Arbeit (475 Fußnoten, 81 Seiten Anhang) hat sie Quellen im Stadtarchiv sowie im Staatsarchiv Münster gesichtet und mit ehemaligen Schülern der Reismannschule gesprochen. Vor allem der inzwischen pensionierte Pädagoge Theo Fockele stand als auskunftfreudiger Zeitzeuge zur Verfügung. Lupi-Prades besonderes Augenmerk galt dabei der Frage von "Säuberungen" im Lehrerkollegium und in der Schülerschaft, neuen "NS-Themen" im Schulunterricht sowie dem Jugendleben zwischen 1933 und 1945.
Als "mutigen, ja tollkühnen Entschluss" wertet Reismann-Pädagoge Klaus Hohmann als Korrektor der Buchausgabe das Vorhaben der Autorin, sich einer Epoche anzunehmen, "die selbst für Fachhistoriker zu den am schwierigsten zu verstehenden gehört". Zudem habe Lupi-Prade die denkbar schlechtesten Voraussetzungen vorgefunden: knappe Zeit zur Quellenerschließung, Verlust des Schularchivs 1945 und Einlesen der den Franzosen ungeläufigen Sütterlin-Schrift in den Aktenbeständen. Unverkennbar ist die trotz stilistischer Korrekturen bisweilen doch recht unbeholfen wirkende sprachliche Umsetzung des Themas.
Das Buch "Das Reismann-Gymnasium im Dritten Reich - Nationalsozialistische Erziehungspolitik an einer Paderborner Oberschule" ist im SH-Verlag (Köln) erschienen und kostet 19,80 Euro.
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