Paderborner Kreiszeitung / Neue Westfälische ,
30.11.2005 :
(Paderborn) "Das erste Mal war ich mit 14 hier" / Sieben ehemalige Zwangsarbeiterinnen aus der Ukraine sind der Einladung der Stadt gefolgt
Von Wolfgang Stüken
Paderborn. "Ich würde Paderborn gern wiedersehen", lautete der Wunsch der alten Frau, als Jelena Drosdowa Bürgermeister Heinz Paus im Mai 2003 im ukrainischen Donezk die Hand reichte. Aber sie wisse nicht, ob ihre Gesundheit eine so weite Fahrt erlaube, fügte sie hinzu. Zweieinhalb Jahre später. Die ehemalige Zwangsarbeiterin Jelena Drosdowa ist zu Gast in der Stadt, in die sie vor 63 Jahren, im Kriegsjahr 1942, aus ihrer Heimat verschleppt wurde.
Jelena Drosdowa ist 83 Jahre alt. Ihr Gehör lässt sie allmählich im Stich, das Gehen bereitet Probleme. Trotz dieser Beschwernisse des Alters und der langen Reise ist sie der Einladung der Stadt Paderborn gefolgt. Sie ist die älteste der sieben ehemaligen Zwangsarbeiterinnen aus der Ukraine, die bis Sonntag Paderborn besuchen. Mit Dolmetscherin Natalja Kraftannikowa und fünf Begleitpersonen – Jelena Drosdowa hat Enkelin Jekaterina (16) dabei – sind die Frauen im Liborianum untergebracht.
Als Zwangsarbeiterinnen waren die meisten von ihnen dem Lager der Möbelfabrik Welle an der Wollmarktstraße zugewiesen, andere waren Arbeitssklavinnen in einem der Reichsbahn-Werke. Sie hätten "in dieser Stadt gelitten", erinnerte Bürgermeister Heinz Paus an die Erlebnisse der Frauen in den Paderborner Lagern und Betrieben. Für das Wiedersehen mit Paderborn wünschte er den Ukrainerinnen gestern "eine schönere Zeit". Und: "Ich hoffe, Sie werden finden, dass man sich heute in dieser schönen Stadt wohlfühlen kann."
Über ihr Schicksal werden die Frauen Paderborner Schülern berichten. Dieser Dialog der Zeitzeuginnen mit der Jugend sei sehr wichtig, betonte Paus. "Nie wieder Krieg in Europa" müsse die Botschaft der Begegnungen sein – auch des öffentlichen Gesprächsabends heute um 19.30 Uhr im Liborianum.
"Das erste Mal war ich in dieser Stadt, als ich 14 Jahre alt war", schilderte Antonina Bulawina (78). "Wir haben sehr auf das Treffen gewartet", erinnerte sie an den Paus-Besuch 2003 in Donezk und dankte für die damals ausgesprochen Einladung in die Stadt, "in der wir unsere Jugend verbracht haben". Sie hätten in Paderborn "sehr viel Schlimmes erlebt", sagte eine der Frauen, aber sie hätten auch Erinnerungen an "viele gute Menschen". Dass Paderborn den Kontakt zu den ehemaligen Zwangsarbeitern gesucht habe, "hat unsere Seele sehr stark erleichtert".
Antonina Bulawina dankte namens der Gruppe für die "herzliche Güte" dieser Einladung und "die warme Aufnahme" in Paderborn. Und machte den zur Zeit von Stadion- und anderen Bausorgen geplagten Paus ein wenig verlegen: "Wir lieben Sie." Ihr Dank galt auch Christa Mertens, die mir ihrem als Buch veröffentlichten Forschungsbericht über Zwangsarbeit in Paderborn 1939 - 1945 sehr wertvolle Arbeit geleistet habe.
Mitorganisator des Paderborn-Besuchs ist Ulrich Wibbeke, persönlicher Referent des Bürgermeisters. Angesichts der mittlerweile strengeren Auslegung von Visa-Bestimmungen war es für ihn alles andere als leicht, über das deutsche Konsulat in Kiew die Reiseerlaubnis für die Gäste zu erlangen.
Im Rathaus spielten Thomas Keikutt von der Städtischen Musikschule (Klavier), Tochter Ildiko Keikutt (Violine) und Martina Humpe (Querflöte) gestern für die Besucher aus der Ukraine die Weihnachtssinfonie eines finnischen Komponisten. Als Thomas Keikutt später noch "Süßer die Glocken" und andere alte deutsche Weihnachtslieder anstimmte, versammelten sich Gäste und Gastgeber am Flügel im Rathaussaal und summten oder sangen mit. Melodien wie "Oh Tannenbaum" sind auch in der Ukraine bekannt.
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