Herforder Kreisanzeiger / Neue Westfälische ,
29.11.2005 :
(Herford) Die Sache mit dem Hitler-Gruß / Ilse Spanuth sammelte Schul-Erinnerungen über die NS-Zeit / Buch erschienen
Von Tina Gallach
Herford. "In der Sexta, ganz am Anfang, hatten wir eine jüdische Mitschülerin, Helga F. Ich sehe sie noch vor mir, zart und dunkel, still und ängstlich, und sie saß in der letzten Bank", erinnert sich eine ehemalige Schülerin des Königin-Mathilde-Gymnasiums an das Jahr 1937. "Eines Tages kam unser Klassenlehrer rein und sagte: 'Helga F. hat uns verlassen, sie hat sich in dieser Klasse nicht wohlgefühlt'."
Ilse Spanuth, Jahrgang 1926, wechselte im Sommer 1937 von der Volksschule in Herford auf die Königin-Mathilde-Schule. 1944 wurde sie zum Reichsarbeitsdienst abkommandiert und verließ die Schule mit einem Reifevermerk – dem so genannten Notabitur. 1946 folgte nach einem Förderlehrgang die offizielle Reifeprüfung. Ihre Erinnerungen an die Schulzeit im nationalsozialistischen Deutschland hat sie später für ihre Doktorarbeit zusammengetragen.
Die Schulzeit war geprägt vom Krieg. Ilse Spanuth und ihre Mitschülerinnen wuchsen in einer Zeit auf, in der Parteizugehörigkeit förderlich war und der Unterrichtsstoff von den Nationalsozialisten vorgegeben wurde. Eine Mitschülerin erinnert sich: "Die Bücher waren sehr NS-haltig, braun eingefärbt." Eine andere: "Wie unser Lesebuch hieß, weiß ich nicht mehr, aber es war voller Kriegshelden, Opfertaten und Schicksalsballaden." Ebenso beeindruckend war für die Mädchen "die Sache mit dem Hitler-Gruß". Viele Lehrer drückten sich mit oft merkwürdigen Ritualen um diesen Gruß, betraten die Klasse beispielsweise "mit lautem Geschimpfe über den Lärm, in dem jedes Wort unterginge".
50 Jahre später – Ilse Spanuth ist Lehrerin im Ruhestand und studiert an der Universität Göttingen Volkskunde, Völkerkunde und Deutsche Philologie – kam ihr während der Feier zum Goldenen Abitur 1996 die Idee, aus den Schulerlebnissen während der NS-Zeit ihre Doktorarbeit zu schreiben.
Sie entwickelte einen Fragenkatalog und interviewte 26 ehemalige Mitschülerinnen über prägende Einflüsse aus Familie, Schule, Kirche und dem Bund deutscher Mädel. Sie forschte im Kommunalarchiv und suchte im Keller ihrer ehemaligen Schule nach Akten. Ein Jahr lang trug sie Ergebnisse zusammen, analysierte und schrieb Manuskripte – bis sie kurz vor Beendigung ihrer Dissertation starb. Ihre Familie, Mitglieder des Doktorrandenkolloquiums und des Herforder Kommunalarchivs fassten die gesammelten Unterlagen zu einem Buch zusammen.
Ilse Spanuth, Prägungen, Verlag für Regionalgeschichte, 24 Euro.
lok-red.herford@neue-westfaelische.de
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