Westfälisches Volksblatt / Westfalen-Blatt ,
23.11.2005 :
(Paderborn) Großeltern-Generation mit Fragen "gelöchert" / Theodorianer befragten Zeitzeugen über Kriegsjahre - Interviews als Buch erschienen
Von Manfred Stienecke
Paderborn (WV). Fünf ehemaligen Theodorianern ist es zu verdanken, dass die Kriegs- und Nachkriegsgeschichte in Paderborn um weitere erhellende Facetten ergänzt worden ist.
Vor fünf Jahren gingen die damals erst 15- bis 16-jährigen Gymnasiasten daran, noch lebende Zeitzeugen ausfindig zu machen und sie über die Zeit zwischen 1933 und 1948 in Paderborn zu befragen. Das Ergebnis ihrer umfangreichen Recherche - insgesamt wurden 22 mehrstündige Interviews geführt - haben Dominik Gehling, Volker Gehling, Jonas Hofmann, Holger Nickel und Christopher Rüther mit Hilfe des Paderborner Schoeningh-Verlags als Buch herausgegeben. Am Montag Abend wurde das 213 Seiten starke Paperback "Paderborner Zeitzeugen berichten" (16,90 Euro) im gut besuchten Rathaussaal der Öffentlichkeit vorgestellt.
Es gebe zwar zahllose Dokumente über die Kriegs- und Nachkriegszeit in den Archiven, meinte der Paderborner Stadtarchivar Rolf-Dietrich Müller bei der Präsentation des brandneuen "Geschichtsbuchs". Sie seien aber zumeist in kühler, zweckorientierter Behördersprache verfasst. "Wie sich das Leben in der Stadt tatsächlich gestaltete, darüber erfahren wir in den amtlichen Quellen wenig."
Anders in dem Sammelband der ehemaligen Theodorianer. Hier kommen 22 Paderborner Persönlichkeiten - darunter zwei anonyme Gesprächspartner - zu Wort. Auf die Fragen der frischgebackenen Studenten berichten sie aus ganz persönlicher Sicht über die Machtergreifung der Nationalsozialisten, den NS-Alltag in Paderborn, die Zeit der Judenverfolgung, den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit.
Während ihre Gesprächsbeiträge thematisch geordnet passagenweise zusammengestellt worden sind, bleiben die Interviews mit vier Verfolgten des Nazi-Regimes - Esra Aloni, Ehemann der Paderborner Schriftstellerin Jenny Rosenbaum, sowie den drei im Arbeitslager am Grünen Weg internierten Juden Kurt und Walter Steinitz und Peter Wolff - "ungeschnitten". Es sei "bemerkenswert, dass sie in der Lage und dazu bereit gewesen sind, in so großer Sachlichkeit über die Zeit zu sprechen", meinte Müller.
Sowohl der Leiter des Stadtarchivs als auch Lektor Michael Werner vom Schoeningh-Verlag betonten, dass es sich bei der Veröffentlichung um einen untypischen Grenzfall im zeithistorischen Verlagsprogramm handele. Hier gehe es nicht um wissenschaftliche Genauigkeit, sondern um persönliche Erinnerungen und die Umsetzung des Atmosphärischen.
Bürgermeister Heinz Paus lobte die "beharrliche Arbeit" der Ex-Theodorianer und Theo-Schulleiterin Dorothea Frintrop-Bechthold würdigte die Tatsache, "dass sich Lehrer und Schüler verpflichtet fühlen, sich mit der Zeit ihrer Eltern und Großeltern zu beschäftigen".
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