Gütersloher Zeitung / Neue Westfälische ,
22.11.2005 :
Musik heilt alte Wunden / Junge Sinfoniker geben in Moskau mit russischen Nachwuchsmusikern Konzert vor Kriegsveteranen
Von Burkhard Hoeltzenbein
Moskau. Was mag in diesem Moment, da das deutsch-russische Orchester der Jungen Sinfoniker aus Bielefeld und der Frederik-Chopin-Schule in Moskau gemeinsam die ersten Takte zu Beethovens Ouvertüre "Egmont" anstimmt, in dem rüstigen Pensionär in der ersten Reihe vor der Bühne vorgehen?
Die beeindruckenden Orden und Abzeichen auf der akkurat gebügelten Paradeuniform weisen ihn als Veteranen der Roten Armee des Zweiten Weltkrieges aus. Dieser martialische Auftritt, der so recht nicht in die friedliche Atmosphäre des Konzertsaals der Moskauer Stadtadministration, passen mag, ist von hoher Symbolkraft.
Bei diesem Konzert, das das Forum Russische Kultur, die Stadt Moskau, die Stiftung "Neue Namen" und die Frédéric-Chopin-Schule gemeinsam in die Tat umsetzten, erlebt der alte Soldat gemeinsam mit den Deutschen einen historischen Moment. Jenen Deutschen, gegen deren Großeltern er als 16-Jähriger bei der Abwehrschlacht um Moskau und dann bis zum Ende des Krieges, den Hitler als Vernichtungsfeldzug gegen die slawischen Völker verkündet hatte, kämpfte.
60 Jahre nach dem Hissen der roten Fahne auf dem Reichstag und dem Zusammenbruch des Nazireiches symbolisiert wohl nichts besser das Aufeinander- zu-Gehen der Deutschen und Russen als das harmonische Zusammenwirken der Musiker auf der Bühne. Nicht nur der 81-jährige Aleksej Wassiliewitch, der sich seiner Tränen nicht schämt, die er nun in sein Taschentuch weint, spürt diesen bewegenden Moment, zu dessen Verwirklichung es eine lange Anlaufzeit brauchte und der seinen Ursprung in Gütersloh hatte.
"Wir wollten ein Zeichen setzen", erklärt Franz Kiesl, Vorsitzender des Forums Russische Kultur, worin die Motivation zu dieser bemerkenswerten Geste lag. Eine Idee, die in Moskau zunächst durchaus auch auf Skepsis stieß, die Wunden des Krieges waren noch nicht verheilt. Diese Skepsis zu überwinden, dazu hat auch "Neue Namen" beigetragen. Kontakte zu der Moskauer Stiftung und ihrer Präsidentin Iwetta Nikolajewna Woronowa bestehen bereits seit 1998 und haben sich für beide Seiten zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit entwickelt. Auch die Jungen Sinfoniker, deren Dirigent Steffen Leißner bei dem fünftägigen Aufenthalt mit täglichen Proben und den beiden Konzerten als Höhepunkt wahre Pionierarbeit leistete, haben mit den talentierten jungen Russen, die mit Musikschulgymnasium und der weltweit einmaligen Förderung durch die "Neuen Namen" eine intensive Ausbildung genießen, bereits gemeinsam in Deutschland musiziert. Die 22 Musiker aus Bielefeld, dem Kreis Gütersloh, Detmold und Paderborn erweisen sich gerade im zweiten Konzert in der beeindruckenden Philharmonie im Zusammenspiel mit den Frédéric-Chopin-Musikschülern als ebenbürtige musikalische Partner. Auch Dirigent Wladimir Ryshaew, der sich mit Leißner die Arbeit teilt, schwärmt von den orchestralen Fähigkeiten der Deutschen, die einen guten Eindruck hinterlassen. Vor diesem Hintergrund kommen die blutjungen Solisten der Chopin-Schule wie Cellist Aleksandr Ramm, Geiger Artur Adamjan oder die Pianisten Karina Magakjan und Aleksej Kudrjatchow erst zur Geltung.
Für Elena Kuhnen (16) aus Steinhagen, die schon vor drei Jahren über das Forum Russische Kultur die Sommerschule der "Neuen Namen" erlebte, und Laura Grunewald (17) aus Werther, löst sich nach den letzten Takten die Anspannung. Riesiger Beifall im Saal. Hinter der Bühne fallen sich die Musiker beider Nationen in die Arme, feiern ihren Triumph mit einem Glas Champagner. Auch für den Kriegsveteranen Aleksej Wassiliewitch geht ein denkwürdiger Tag zu Ende. "Damals haben wir uns bekämpft. Heute spielen Deutsche und Russen Werke von Beethoven und Tschaikowsky und beweisen, welche Kultur in beiden Ländern steckt."
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