Mindener Tageblatt ,
22.11.2005 :
(Minden) Von Pfarrern und den Nazis / Vortrag zur Haltung von Victor Pleß und anderen zum NS-Regime
Zunächst widmete Dr. Müller sich dem Martini-Pfarrer Victor Pleß, der im Februar 1935 im Alter von 40 Jahren verstorben ist. Müller skizzierte den Werdegang von Pleß und machte dabei besonders auf seine militaristische und nationalistische Prägung durch das Elternhaus aufmerksam. Daneben entwickelte sich bei Pleß ein starker Einsatz für die Präsenz von Kirche in der Öffentlichkeit, dem er auch als Schriftleiter des Mindener Sonntagsblattes nachkam.
In seiner Zeit als Hilfsprediger in Ahlen suchte Pleß den Kontakt zur Arbeiterschaft, machte dort allerdings auch negative Erfahrungen mit Kommunisten und Freidenkern, was sein weiteres Verhalten stark prägten. Während seiner Tätigkeit in Minden hatte er mehrmals Auseinandersetzungen mit den genannten Gruppen, die besonders durch die Zeitung "Weserwarte" angestoßen wurden. Pleß setzte sich dabei vehement gegen sozialdemokratisch, vermeintlich materialistische-antichristliche Beamte im Kreisjugendamt ein und kämpfte für den Paragraphen 218, also für die Beibehaltung des Verbots der Abtreibung. Von der Gegenseite wurde er dafür als "erzreaktionär" beschimpft.
Mehrere Monate schwelte ein Konflikt in der Öffentlichkeit, den Pleß mit dem religiösen Sozialisten Emil Heinrich Schwartze ausfocht. Dieser war aus der Landeskirche ausgetreten und "Pfarrer" einer Kirche von Gleichgesinnten geworden. Pleß warf Schwartze daraufhin Amtsanmaßung vor.
In seinem Buch über die Geschichte des Reserve-Feldartillerie-Regiments 33, in dem er im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte, und auch in seinen Predigten, brachte Pleß seine nationalistische und militaristische Grundhaltung zum Ausdruck. Er begrüßte die "nationale Wende" im Januar 1933 euphorisch. Dabei erwartete er ähnlich wie die gesamte Mindener Pfarrerschaft allerdings mit dem "Wiederauferstehen" des danieder liegenden Deutschen Reichs auch ein Wiederaufleben der Religion. Insbesondere in seinen Predigten ermahnte er dazu, die Religion als wichtige Stütze des Vaterlandes nicht zu vernachlässigen.
Als den Mindener Pfarrern bereits mit der Kirchenwahl im Juli 1933 deutlich wurde, dass vom Nationalsozialismus keineswegs ein Aufblühen einer selbständigen kirchlichen Tätigkeit zu erwarten sei, reagierten sie bald. Sie stürzten sich mit Eifer in den Kampf gegen nationalsozialistische Versuche, die Kirche gleichzuschalten. Auch den Predigten von Pleß sind deutliche Spitzen gegen die gleichgeschalteten "Deutschen Christen" und die "Deutsche Glaubensbewegung" zu entnehmen. Durch eine Analyse der Protokolle der Mindener Kreis- und Bekenntnissynoden bis 1939 legte Müller dar, dass es zu einer zunehmenden Entfremdung zwischen der Mindener Pfarrerschaft und dem Staat kam. Dabei haben die Pfarrer allerdings ausschließlich für die Freiheit der Kirche gekämpft - der Einsatz für staatlich verfolgte Minderheiten lässt sich bei ihnen während der NS-Zeit allenfalls sporadisch beobachten.
Abschließend stellte Müller die Frage, ob von einer dauernden Affinität der Mindener Pfarrer zum Nationalsozialismus gesprochen werden könnte. Müller machte deutlich, dass eine solche selbst bei den bisher bekannten sechs eingetragenen NSDAP-Mitgliedern in der Pfarrerschaft nicht durchgehend festzuhalten sei. Die Pfarrer hätten ihre Loyalität gegenüber dem NS-Staat vielmehr dann aufgekündigt, wenn sich dieser in kirchliche Belange einmischte. Dies geschah besonders dann, wenn er deren Fundament "Schrift und Bekenntnis" oder ihre Freiheit in Frage stellte. In solchen Fällen ist zumindest von einer ausgeprägten Resistenz, wenn nicht sogar "Widerständigkeit" der Mindener Pfarrer gegenüber dem NS-Staat zu sprechen.
mt@mt-online.de
|