Mindener Tageblatt ,
22.11.2005 :
(Minden) Stolpersteine erinnern an NS-Opfer / Bildhauer Demnig lässt acht Messingplatten für verfolgte und getötete Mindener ins Pflaster ein
Minden (mt). Acht Stolpersteine erinnern seit gestern an Opfer des Nationalsozialismus. Der Bildhauer Günter Demnig ließ die Messingplatten am Nachmittag an vier Stellen ins Mindener Pflaster ein.
Von Jürgen Langenkämper
"Nach fast zwei Jahren Vorbereitungszeit wollen wir auf diese Weise der Opfer des Nationalsozialismus gedenken", sagte Sabine Schulz von der Projektgruppe der Friedenswoche zur Begrüßung der zahlreichen Bürger. Bis zu 80 Mindener verfolgten die Arbeit Demnigs an vier Stellen in der oberen Altstadt.
"Minden ist die 119. Stadt, in der ich seit dem Jahr 2000 Stolpersteine verlege", berichtete der Kölner. Mit den Mindener Steinen sind es fast 7.000 bundesweit, Betonsteine mit einer glänzenden Messingplatte mit Namen und Lebensdaten der NS-Opfer (siehe Text unten).
Hans Langescheid und Sabine Schulz verlasen Kurzbiographien, um die Leidenswege der zumeist jüdischen Bürger Mindens während des Nationalsozialismus zu zeigen. Diese Angaben sollen Interessierte künftig auf Nachfrage auch als fotokopierte Handzettel in den gekennzeichneten Häusern oder in der Nachbarschaft erhalten können.
Die Aktion Demnigs begann vor dem Robert-Nußbaum-Haus in der Brüderstraße, wo einst das Waisenhaus stand, und führte über die Ritterstraße zum Max-Ingberg-Platz in der Simeonstraße. Besonders ergreifend war die Teilnahme der Nachfahren von Leopold Maximilian und Bella Werberg, als Günter Demnig zwei Stolpersteine vor dem Eingang zu deren ehemaligem Haus, dem Haupthaus des heutigen Mindener Museums, einließ. Der 74-jährige Hans Werberg, den seine Eltern noch rechtzeitig mit einem Kindertransport nach Großbritannien und später in die USA schicken konnten, war mit seinen Kindern Bella, Leopold, Sam und Jon - lediglich Tochter Deborah fehlte - sowie deren Lebensgefährtinnen eigens für den Moment aus New York angereist. Hans Werberg, der im September erstmals nach 66 Jahren in seine Geburtsstadt zurückgekehrt war (MT vom 8. September), bezeichnete die nunmehr dauerhafte Erinnerung an den Namen und das Leben seiner Eltern als eine späte Genugtuung.
Demnig beschränkte sich gestern auf die vier Stationen, die den Anfang eines "Pfades der Erinnerung" durch die Stadt Minden bilden. Weitere Stolpersteine sollen im Dezember 2006 auf dem Markt, am Scharn und in der Bäckerstraße verlegt werden. Auch für März 2007 haben die Mindener Organisatoren bereits einen Termin mit dem gefragten Bildhauer vereinbart. Nach Anfragen aus vielen deutschen Städten und zwei Stolpersteinen in Österreich will Demnig im nächsten Jahr auch in Kopenhagen und Odessa aktiv werden. Weitere Infos: www.stolpersteine.com
Acht steinerne Zeugen / Erinnerung an Opfer des Nationalsozialismus
Willi Otte, geboren am 22. Juli 1920 als uneheliches Kind mit einer geistigen Behinderung in Herford, lebte bis 1938 im Mindener Waisenhaus Brüderstraße 16. Er starb nach Verlegung in verschiedene "Heilanstalten" im Zuge der nationalsozialistischen Euthanasiepolitik, wie rund 200.000 psychisch kranke, geistig behinderte oder sozial auffällige Menschen, am 25. Februar 1945 durch Verhungernlassen in Egelfing-Haar.
Leopold Maximilian Werberg, geboren am 24. Oktober 1891, und seine Frau Bella geborene Philipp, geboren am 25. Juni 1898, wohnten in der Ritterstraße 27. Nach dem Novemberpogrom 1938 wurde Leopold Werberg im KZ Buchenwald misshandelt. Das jüdische Ehepaar kam am 11. Februar 1942 im Rigaer Ghetto ums Leben.
Dina Heinemann, geboren am 20. Februar 1872, wohnte im früheren Haus Ritterstraße 11. Als Jüdin und Sozialdemokratin war sie nach dem 30. Januar 1933 doppelt vom Feindbild der Nazis betroffen. Sie starb einen Monat nach ihrer Deportation am 29. August 1942 im KZ Theresienstadt.
Samuel Kirschroth, geboren am 1. April 1893, seine Frau Helene geborene Ingberg, geboren am 15. Juni 1898, und beider Kinder Herbert, geboren am 22. Dezember 1920, und Charlotte, geboren am 4. September 1923, wohnten in der Simeonstraße 8. Die jüdische Familie wurde gemeinsam mit dem ältesten Sohn Isidor, geboren am 11. Februar 1919, der später nach Großbritannien und später in die USA ausreisen konnte, im Herbst 1938 nach Polen vertrieben. Während des Zweiten Weltkriegs verliert sich ihre Spur.
mt@mt-online.de
|