Vlothoer Anzeiger ,
22.11.2005 :
Vlothoer Schicksal fesselt auch in Petershagen / Lebens- und Leidensweg der jüdischen Familie Loeb im Alten Amtsgericht unter die Lupe genommen
Vlotho/Petershagen (Wes). Minutenlang herrschte im Saal des Alten Amtsgerichts eine bedrückende Stille. Zuvor hatten Manfred Kluge, Helmut Urbschat und weitere Mitglieder der Vlothoer Mendel-Grundmann-Gesellschaft Texte zur deutsch-jüdischen Geschichte vorgetragen.
Von Ulrich Westermann
Im Mittelpunkt der Lesung stand das Schicksal der jüdischen Familie Loeb aus Vlotho: eine typische Lebensgeschichte von jüdischen Bürgern, denen ihre Verbundenheit zum Vaterland zum Verhängnis wurde.
Von der Kaufmannsfamilie Loeb überlebte nur Sohn Hans Stephan, der im Jahr 1938 nach Amerika ausgewandert ist. Die Eltern und weitere Familienangehörige wurden im Dezember 1941 in das Konzentrationslager Riga deportiert. Von ihnen kam niemand zurück. "Ich habe bis heute nicht begriffen, dass so etwas möglich war", so ein älterer Besucher im Alten Amtsgericht. Eingeladen hatte die Arbeitsgemeinschaft Alte Synagoge Petershagen, die gute Kontakte zur Mendel-Grundmann-Gesellschaft pflegt.
Manfred Kluge berichtete aus der Historie der Briefe selbst, die auszugsweise erstmals im Vlothoer Anzeiger veröffentlicht worden waren: "Im Frühjahr 2001 erhielten wir einen wahren Schatz. Es war ein Schuhkarton voller Briefe und Karten, die Gustav und Helene Loeb ihrem Sohn Hans von 1938 bis November 1941 geschrieben haben", machte Kluge deutlich.
Zur Sammlung dieser 150 Dokumente, die die Witwe von Hans (später Stephen H.) Loeb zur historischen Auswertung zur Verfügung gestellt hatte, gehörten auch Schriftstücke des Auswanderers, dessen Schwester Marianne und weiterer Angehöriger. Der Gesamtumfang umfasst 550 Seiten. Sie vermitteln einen Eindruck über die Sorgen, aber auch über die Hoffnung der in Deutschland gebliebenen Familie Loeb.
Ab Dezember 1939 wurden alle Briefe, die über den Atlantik gingen, kontrolliert. Die Familie Loeb hat in Vlotho bis zum 10. November 1938 ein Textilgeschäft mit 15 Angestellten geführt. Firmengründer Gustav Loeb musste 1914 für "Kaiser und Vaterland" in den Ersten Weltkrieg ziehen.
Am 10. November 1938 tauchten plötzlich SA-Leute auf und richteten im Geschäft und auch in den Privaträumen großen Schaden an. "Vati ist verreist", schreibt Mutter Helene Loeb am 13. November 1938 an ihren Sohn. In Wirklichkeit war er in das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar gebracht worden. Auf Grund der Geschäftssituation schaffte sie es, ihren Mann wieder freizubekommen.
Schließlich stellte sie in einem weiteren Brief am 5. Dezember 1938 fest: "Es bleibt uns keine andere Wahl als die Auswanderung". Auch nach Kriegsbeginn am 1. September 1939 entwickelte sich eine lebhafte Korrespondenz, in der es um den Hausverkauf und eine mögliche Auswanderung ging.
1941 war eine Auswanderung nicht mehr möglich, da alle amerikanischen Konsulate in Deutschland geschlossen wurden. Eines der letzten Lebenszeichen der Familie Loeb ist eine Karte an den Sohn am 21. November 1941. Der Vater schreibt: "Die Zeiten sind schwer".
Wenige Wochen später wurde von den nationalsozialistischen Machthabern die Deportation von Hannover nach Riga angeordnet.
Kluge berichtete von der Versöhnungsarbeit durch Stephen Hans Loeb. Er hat im November 1988 an der Jüdischen Woche in Vlotho teilgenommen und wurde 1991 zum Ehrenbürger der Stadt ernannt.
Loeb ist 1998 in Kalifornien gestorben.
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