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Lippische Landes-Zeitung , 18.11.2005 :

Angst ist ein oft wiederkehrendes Motiv / Elisabeth Degen las Texte jüdischer Autoren in der Synagoge Oerlinghausen

Oerlinghausen (step). Geschichten mit Witz und Ironie, sarkastische und satirische Texte las Elisabeth Degen. Es waren durchweg Geschichten, die die Zuhörer berührten, sie betroffen und nachdenklich machten. Die Berliner Schauspielerin trug in der ehemaligen Synagoge auf Einladung des Kunstvereins Gedichte, Erzählungen und Romanauszüge jüdischer Autoren vor.

Elisabeth Degen, bekannt aus Filmen wie "Aimée und Jaguar", hatte neben dem "Hohelied Salomos" Texte aus dem 20. Jahrhundert ausgewählt. Die Erzählung "Eine Kreuzung" von Franz Kafka beginnt mit den befremdenden Worten "Ich habe ein eigentümliches Tier, halb Kätzchen, halb Lamm." In seiner bildhaften Sprache vermittelt Kafka darin seine Betrachtung des Menschen mit seinen Schwächen, Ängsten und dem Leid seines Daseins.

Angst ist ein wiederkehrendes Motiv in den Texten aus der Zeit des Nationalsozialismus. Yzhrak Katzenelson lebte im Warschauer Ghetto und starb in einem Konzentrationslager. Seine Gedichte, die er im Ghetto schrieb, vergrub er in der Erde. Sie wurden von Freunden herausgeschmuggelt. Wolf Biermann übersetzte diese Texte später aus dem Jiddischen. Die Gedichte veranschaulichen sehr eindringlich die Schrecken der Naziherrschaft. Katzenelson beschrieb unter anderem die Räumung des Warschauer Ghettos, eine Schilderung, die Betroffenheit unter den Zuhörern auslöste.

Elisabeth Degen las weitere Texte, die vor und während des Zweiten Weltkrieges entstanden waren, so unter anderem von Daniil Charms, der Mitglied der Künstlervereinigung "Oberiu" war und während Stalins Regime im Gefängnis starb. Der Poet schrieb dramatisch aufgebaute Gedichte, die in einer sarkastisch-komischen Pointe ihre Auflösung finden. Die Mischung aus Humor und Dramatik findet sich auch in den Gedichten von Erich Mühsam, so unter anderem "Das Stückchen Unglück" und "Heilige Nacht".

Aus neuerer Zeit las die Schauspielerin Auszüge aus dem Roman "Blondi" von ihrem Vater Michael Degen und aus "Kaddish im Morgengrauen" von Michel Friedman. Friedmans Roman enthält viel Autobiografisches. Im Mittelpunkt steht die Bewältigung der Vergangenheit, unter der die Opfer des Holocaust leiden.

Auch Michael Degen beschäftigt sich mit der Schreckensherrschaft der Nazis. Die Hauptfigur seines Buches, eine Jüdin, stirbt im Konzentrationslager und wird als Blondi, die Hündin Adolf Hitlers, wiedergeboren. "Diese Art der Beschäftigung mit dem Holocaust ist sehr viel aggressiver, aber sie gefällt mir", sagte Elisabeth Degen über die Geschichte ihres Vaters, die im März 2004 erschienen ist. Und sie gefiel auch den 30 Besuchern der Lesung.


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