Bielefelder Tageblatt (BW) / Neue Westfälische ,
17.11.2005 :
Endstation Djakovica / Seit 15 Jahren in Bielefeld geduldet / Jetzt soll Familie H. abgeschoben werden
Von Jennifer Reker
Bielefeld. Zurück in die Vergangenheit. Zurück in den Kosovo, an den Ort, aus dem Familie H. vor gut 15 Jahren flüchtete. Die unfreiwillige Reise sollte am 13. Oktober um 4.30 Uhr beginnen. Die Beamten kamen vergeblich – Familie H. war nicht zu Hause, sie hielt sich versteckt. Die Abschiebung wurde aufgeschoben. Der nächste Abflugtermin könnte heute, am 17. November sein.
"Wir gehen nicht zurück", so Tochter Miranda (18). Sie kam mit zwei Jahren nach Bielefeld, an ihre Geburtsstadt erinnert sie sich nicht. "In Djakovica haben wir nichts, wir würden in ein Lager kommen." Seit 1990 lebt Familie H. in Bielefeld. Die Söhne Elton (7) und Elver (13) kamen hier zur Welt. Elton wurde in diesem Sommer eingeschult. "Wir haben unsere Freunde und Familie hier und nicht im Kosovo", sagt Miranda, die gerade ihren Hauptschulabschluss macht.
Bis heute wurden sie hier als ausreisepflichtige Flüchtlinge "geduldet". Was in Amtsdeutsch nichts anderes heißt als: "Aussetzung der Abschiebung". Jetzt droht Familie H. die Abschiebung. In eine Stadt, die ihre Heimat war – und mit der sie heute Angst und Schrecken verbinden. "Als Ashkali, eine Gruppe der Roma, war Familie H. in ihrer Heimatstadt nicht sicher", sagt Beate Niemeyer (PDS) vom Bielefelder Flüchtlingsrat: "Das serbische Regime hat sie als Mitglieder albanischen Volksgruppe vertrieben."
Trotzdem wurde der Asylantrag, den Familie H. nach ihrer Ankunft in Bielefeld stellte, abgelehnt. Genauso wie der nach den Unruhen im Kosovo gestellte Wiederaufnahmeantrag. "In Djakovica hat sich nicht viel geändert – nur, dass die Ashkali heute von radikalen Albanern vertrieben werden." Warum Familie H. ausgerechnet jetzt abgeschoben werden soll, ist unklar. Bärbel Schulze vom Flüchtlingsrat vermutet, "dass sich die Stadt unter Druck gesetzt fühlt". Bisher seien in Bielefeld – verglichen mit anderen Städten in der Region – eher wenige Menschen abgeschoben worden. "Es ist unverantwortlich, sie zurückzuschicken."
Fritz Schatschneider von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) war mit einer Münsteraner Delegation vor Ort. Die Situation in Djakovica schätzt er nach Informationen der United Nations Interim Administration Mission In Kosovo (Unmik) als erträglich ein: "Die Rückkehr im konkreten Einzelfall halte ich dann für möglich, wenn sie auf einer freiwilligen Entscheidung beruht, die Bedingungen vor Ort geprüft sind und die individuelle Sicherheit gewährleistet ist."
Freiwillig geht Familie H. nicht zurück, in einem Auffanglager untergebracht zu werden, spricht nicht für die besten Bedingungen. Wie es mit der Sicherheit in Djakovica aussieht hält die Delegation aus Münster in einem Bericht fest: "Roma und Ashkali fühlen sich unsicher, ( ... ). Oft kommt es zu Übergriffen seitens der Albaner. Sie werden körperlich bedroht, zum Teil mit ihrem Leben, und gezwungen, in ihrem Viertel zu bleiben." Die wirtschaftliche Situation ist nicht besser: Eine achtköpfige Familie erhält 40 Euro pro Monat zum Leben, für Strom und Unterkunft. Niemeyer: "Hat im Ausländeramt niemand diesen Bericht gelesen?"
Rüdiger Schmidt, Leiter des Bürgeramtes, dem auch das Ausländeramt zugeordnet ist, möchte sich zu Familie H. nicht äußern: "Über Einzelfällen erzähle ich nichts", sagt er. In Bielefeld würde man nach Recht und Gesetz handeln. "Auf der Innenministerkonferenz wurde beschlossen, dass Bürgerkriegsflüchtlinge zurück müssen. Egal ob Ashkali, Roma oder andere. Daran können wir nichts ändern." Würde man sich für ein Bleiberecht einsetzen, müsste man dies in anderen Fällen auch tun. Ein Fass ohne Boden: "In Bielefeld gibt es 500 Bürgerkriegsflüchtlinge."
Der Flüchtlingsrat bleibt hart. Niemeyer: "Wir wollen, dass die geplanten Abschiebungen ausgesetzt werden, die Stadt nach Alternativen sucht." Sie weiß, dass vier weiteren Ashkali-Familien die Abschiebung droht: 30 Personen, darunter neun junge Erwachsene, drei Jugendliche und zehn in Bielefeld geborene Kinder.
Frau H. ist mittlerweile mit den Kindern in die Wohnung zurück gekehrt. Vater Shani lag, nachdem er sich einige Zeit versteckt hielt, mit Leistenbruch im Krankenhaus. Jetzt erholt er sich im Kreise der Familie. Sein Verschwinden am Tage des geplanten Abflugs kann für ihn Folgen haben: "Er muss damit rechnen, in Abschiebehaft genommen zu werden", sagt Niemeyer. Angeblich sollen für den heutigen Flug in den Kosovo schon alle Plätze vergeben sein. Miranda: "Hoffentlich." Einziger Lichtblick in der ausweglosen Situation: Bielefelder Gemeinden haben Kirchenasyl zugesagt.
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