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Bielefelder Tageblatt (OH) / Neue Westfälische ,
16.11.2005 :
(Oerlinghausen) Hundert Jahre jüdische Literatur / Elisabeth Degen las Texte jüdischer Autoren in der Synagoge
Oerlinghausen (step). Geschichten mit Witz und Ironie, sarkastische und satirische Texte las Elisabeth Degen. Aber es waren auch Geschichten, die den Zuhörer berührten, ihn betroffen und nachdenklich machten. Die Berliner Schauspielerin las am Samstagabend in der ehemaligen Synagoge Gedichte, Erzählungen und Romanauszüge jüdischer Autoren. Die Veranstaltung war Teil der Reihe "Kultur kompakt", einer gemeinsame Aktion des Kulturkreises des Sennestadtvereins und des Oerlinghauser Kunstverein.
Elisabeth Degen, bekannt aus Filmen wie "Aimee und Jaguar" und dem "Tatort", wählte für die Lesung neben dem "Hohelied Salomos" Texte aus dem 20. Jahrhundert. Die Erzählung "Eine Kreuzung" von Franz Kafka beginnt mit den befremdenden Worten "Ich habe ein eigentümliches Tier, halb Kätzchen, halb Lamm". In bildhaften Sprache vermittelt der Autor darin dem Leser bzw. Zuhörer seinen Blick auf den Menschen mit seinen Schwächen, Ängsten und dem Leid seines Daseins.
Angst ist ein wiederkehrendes Motiv in den Texten aus der Zeit des Nationalsozialismus, die Elisabeth Degen ebenfalls für die Lesung ausgesucht hatte. Zum Beispiel von Yzhrak Katzenelson, der im Warschauer Ghetto lebte und in einem Konzentrationslager starb. Seine im Ghetto entstandenen Gedichte vergrub er in der Erde. Sie wurden von Freunden herausgeschmuggelt und später von Wolf Biermann aus dem Jiddischen übersetzt. Eindringlich veranschaulicht Katzenelson, der beispielsweise die Räumung des Warschauer Ghettos beschrieb, die Schrecken der Naziherrschaft. Die von Degen vorgetragene Schilderung löste auch unter den Zuhörern aus Oerlinghausen und Sennestadt Betroffenheit aus.
Ausgewählt hatte die Schauspielerin auch einen Text von Daniil Charms, der Mitglied der Künstlervereinigung "Oberiu" war und während Stalins Regime im Gefängnis starb. Der Poet, der seine Gedichte dramatisch aufbaute, ließ diese in einer sarkastisch-komischen Pointe ihre Auflösung finden. Seine Mischung aus Humor und Dramatik findet sich auch in den Gedichten von Erich Mühsam, die Degen ebenfalls für die Lesung ausgewählt hatte, so unter anderem "Das Stückchen Unglück" und "Heilige Nacht".
Aus neuerer Zeit las die Schauspielerin Auszüge aus dem Roman "Blondi" von ihrem Vater, dem Schauspieler Michael Degen, und aus "Kaddish im Morgengrauen" von Michel Friedmann. Friedmanns Roman enthält viel Autobiografisches. Im Mittelpunkt steht die Bewältigung der Vergangenheit, unter der die Opfer des Holocausts, wie die Protagonisten im Roman, leiden.
Auch Michael Degen beschäftigt sich mit der Schreckensherrschaft der Nazis. Die Protagonistin seines Buches, eine Jüdin, stirbt im Konzentrationslager und wird als Blondi, der Hündin Adolf Hitlers, wiedergeboren. "Diese Art der Beschäftigung mit dem Holocaust ist sehr viel aggressiver, aber sie gefällt mir", sagte Elisabeth Degen über die die von ihrem Vater verfasste Geschichte, die im März 2004 erschienen ist. Und sie gefiel auch den 30 Besuchern der Lesung, die einen Einblick gab in die jüdische Literatur der vergangenen einhundert Jahre.
Dieter Burkamp, Mitglied des Kunstvereins, organisiert die Reihe "Kultur kompakt", die 2004 zum ersten Mal stattfand. Auch er war begeistert von der Lesung. "Nach dem phänomenalen Erfolg in diesem Jahr möchten wir die Veranstaltung im nächsten Jahr fortsetzen", so Journalist. Die Lesung mit Elisabeth Degen war die zweite von insgesamt drei Veranstaltungen in diesem Jahr. Am Sonntag, 4. Dezember, um 11.15 Uhr präsentiert "Kultur kompakt" ein Cello-Solokonzert von Stefan Heinemeyer im Bürgerzentrum Sennestadt.
cla@neue-westfaelische.de
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