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Vlothoer Zeitung / Westfalen-Blatt ,
15.11.2005 :
(Vlotho) Zerstörung wurde im Rathaus angezettelt / Erinnerungsgang - letzte Etappe an früherer Synagoge
Vlotho-Valdorf (man). Während die Nazis längst an der Macht waren, erhielt der Vlothoer Jude Louis Steinberg 1937 das Ehrenkreuz für Kriegsteilnehmer. Doch auch diese Anerkennung der nationalen Gesinnung rettete den Vlothoer nicht vor dem Holocaust.
Das ehemalige Steinbergsche Haus in der Mühlenstraße zählte zu den Stationen des Erinnerungsganges, mit dem die Mendel-Grundmann-Gesellschaft und das Bündnis gegen das Collegium Humanum an die Schicksale ehemaliger jüdischer Mitbürger erinnerten. Etwa 70 Personen zeigten Interesse - eine Resonanz, mit der Gerhart Schöll vom Aktionsbündnis sehr zufrieden war. Die meisten seien von Anfang bis Ende mitgegangen. Vor Beginn der Veranstaltung habe man zumindest auf 41 Teilnehmer gehofft. Denn 41 Schilder waren angefertigt worden, auf denen die Namen der Vlothoer Holocaust-Opfer zu lesen waren.
Sieben Stationen umfasste der Erinnerungsgang, der an der ehemaligen Papierfabrik Mosheim (heute Lohmeier-Schaltanlagen) startete. Die Familie Mosheim war auch Thema einer Lesung im Valdorfer Gemeindehaus (die Vlothoer Zeitung berichtete am Samstag ausführlich). An den Stationen in der Innenstadt wurden einzelne Biographien vorgestellt - so die von Louis Steinberg, der wie sein Vater Metzger war.
Als er 1937 das Ehrenkreuz für Kriegsteilnehmer erhielt, mochte er geglaubt haben, dass ihm die Nationalsozialisten nichts antun würden. Und der national gesinnte Mann hatte offenbar großes Vertrauen zur Obrigkeit. So suchte Steinberg am 10. November 1938 vor den Nationalsozialisten Schutz bei der Polizeiwache im Rathaus - aus Angst, dass "man ihn totschlagen würde."
Dass das Rathaus keineswegs neutral war oder neutral sein konnte, zeigte sich an einer anderen Stelle. So befand sich an dem Ort des heutigen Weser-Centers die ehemalige jüdische Synagoge, an deren Zerstörung Mitarbeiter der Verwaltung maßgeblich beteiligt waren. Dem Bericht eines Lehrlings ist zu entnehmen, dass es seine Vorgesetzten aus dem Rathaus waren: "Am Morgen des 10. November 1938 war ich zunächst im Nebenraum der Amtskasse beschäftigt. Von dort konnte man gut in den angrenzenden Garten gucken. Als ich an diesem Morgen aus dem Fenster guckte, sah ich, wie vier Männer mit Äxten und Vorschlaghämmern aus dem Rathaus kamen und durch Rüdenbergs Garten in Richtung Synagoge gingen." Später kam der Lehrling zu dem Gebäude, die Tür stand offen: "Ich trat einige Schritte hinein und sah, dass sich mehrere Personen in der Synagoge befanden, die dabei waren, die Synagoge zu zerstören, darunter die vier Personen, die ich vorher schon wahrgenommen habe."
Der Erinnerungsgang bildete den Abschluss einer Veranstaltungsfolge, bei der nicht nur die Historie, sondern auch die Gegenwart in den Blick geriet. So trafen sich am Freitagabend zahlreiche Menschen zu einer Mahnwache am Collegium Humanum. Gerhart Schöll geht von mehr als 200 Teilnehmern aus und sagt, das Bündnis halte an seinem Ziel fest: "Das Collegium Humanum gehört verboten." Zwar habe das Innenministerium mitgeteilt, dass die Grundlage für ein Verbot zur Zeit nicht ausreiche, doch bleibt Schöll bei seinem Standpunkt. Das Collegium habe in einem freiheitlichen Rechtsstaat nichts verloren.
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