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Neue Westfälische , 08.11.2005 :

"Mein Vater war Deutscher" / Interview: Der israelische Schriftsteller Yitzhak Laor, dessen Vater vor den Nazis aus Bielefeld flüchtete

Bielefeld. Bis 1934 lebte Josef Laufer mit seiner Familie in Bielefeld, seiner Geburtstadt. Als er nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Alter von 21 Jahren nach Israel auswanderte, wurde aus ihm Jossef Laor. Sein 1948 in Pardes Hanna geborener Sohn Yitzhak ist Dichter und Romancier. In seinen Werken verurteilt der bekennende Anti-Zionist die israelische Militärpolitik, 1972 verweigerte er den Armeedienst in den besetzten Gebieten in Palästina und kam dafür ins Gefängnis. Nicole Hille-Priebe sprach mit Laor, der heute in Bielefeld aus seinem Roman "Ecce homo" liest, über Geschichte und Gegenwart.


NW: Mit welchen Erwartungen kommen Sie nach Bielefeld?

Yitzhak Laor: Ich war schon ein oder zwei Mal in Bielefeld, deshalb habe ich keine besonderen Erwartungen. Es ist seltsam: Es wäre anders, wenn mein Vater noch leben würde.

NW: Was hat Ihnen Ihr Vater über Bielefeld erzählt?

Yitzhak Laor: Ich muss Sie vielleicht enttäuschen, denn wenn Deutsche heute über Juden sprechen wollen, interessieren sie sich meistens für deren jüdische, und nicht für die deutsche Vergangenheit. Mein Vater wurde 1913 in Bielefeld geboren, er wuchs in der Weimarer Republik auf, und er war sehr politisch. Nicht nur in der jüdischen Gemeinde, die war mehr sein privates Interesse. Mein Vater war Mitglied der SPD und in der Gewerkschaft, und wenn er etwas erzählt hat, dann darüber. Und über seinen Bruch damit.

NW: Bielefeld war damals eine sozialdemokratische Hochburg.

Yitzhak Laor: Ja, das war sein ganzer Stolz. Und ich glaube, dass es der persönliche Verrat war, der meinen Vater traumatisiert hat. Er konnte nie vergessen, dass ihn Freunde aus der SPD schon 1933 baten, nicht mehr zu den Treffen zu kommen, weil es unpassend sei – für die Partei. Ab da wollte er mit niemandem mehr etwas zu tun haben. Aber ich spreche nur ungerne darüber, weil es immer wieder um Schuld geht, und ich hasse diesen Diskurs.

NW: Warum?

Yitzhak Laor: Weil es in ihm keine Gegenwart gibt, ich nenne das den "Faustischen Pakt" zwischen Israel und Deutschland. Wir interessieren uns nur für eure Vergangenheit, und ihr interessiert euch nur für unsere Vergangenheit. Damit macht man es sich zu einfach.

NW: Ihr Vater war Zionist.

Yitzhak Laor: Ja, aber er wurde erst 1933 Zionist. Er war zwar in der jüdischen Gemeinde aktiv, aber kein Zionist. Und auch kein Intellektueller. Er war ein einfacher Mann aus Bielefeld, und sein Zionismus war eine Reaktion auf Hitler. Ein Freund aus der SPD hatte ihm einmal gesagt: "Du kannst Nationalismus nicht mit einem anderen Nationalismus bekämpfen." Für ihn war aber seine eigene Geschichte der Beweis, dass dieser Freund Unrecht hatte, denn ohne den Zionismus wäre er nicht nach Israel gegangen. Obwohl natürlich viele andere überlebt haben, die in die USA und nicht nach Israel gegangen sind, aber es brachte nichts, ihm das zu sagen. Ich wuchs also in einem zionistischen Umfeld auf, wurde aber sozialdemokratisch erzogen.

NW: Sie selbst sind seit Ihrer Jugend Anti-Zionist. Das gab zu Hause bestimmt eine Menge Ärger.

Yitzhak Laor: Wir hatten viel Streit deshalb. Ich habe den Zionismus meines Vater als Antwort auf sein Trauma nie akzeptiert. Aber ich habe verstanden, dass da eine Menge Widersprüche in ihm waren. Es war für ihn persönlich sehr schwierig, seine deutsche Vergangenheit zu verarbeiten, auch sein Besuch in Bielefeld 1985 war sehr schmerzhaft für ihn. Für jemanden, der hier geboren wurde, der Sozialdemokrat war, ein Deutscher, war die Geschichte unbegreiflich. Aber in meinem Elternhaus stand Bielefeld immer für die sozialistische Vergangenheit meines Vaters, nicht für seine jüdische.

NW: Welche Auswirkungen hat Ihr politisches und literarisches Engagement auf Ihr Leben in Israel?

Yitzhak Laor: Ich habe einen hohen Preis bezahlt. Meine Bücher und Gedichte wurden in meiner Heimat nie gefördert. Wir leben in großer existenzieller Unsicherheit, meine Frau und ich bekommen keinen festen Job. Ich habe viele Preise bekommen, andere nicht, und es hat mir immer Leid getan, wenn ich meinen Vater nicht stolz machen konnte. Jeder Sohn möchte, dass sein Vater stolz auf ihn ist. Aber er hat verstanden, dass ich die Preise nur wegen meiner politischen Ansichten nicht bekomme, und er hat nie erwartet, dass ich diese Ansichten ändere.

NW: Wie wichtig ist Deutschland heute für Israel?

Yitzhak Laor: In Israel ist nichts wichtig, dort gibt es nur Chaos. Niemand weiß, was wichtig ist. Aber Israel hat es geschafft, sich die Unterstützung Deutschlands zu sichern.

NW: Ihre Meinung unterscheidet Sie von manch anderem israelischen Intellektuellen Ihrer Generation.

Yitzhak Laor: Wir sind doch nicht die Opfer, keiner meiner Generation! Niemand darf im Namen der Opfer sprechen, das ist Manipulation. Es ist sehr einfach, die Erinnerung der Opfer zu manipulieren. Wenn ein Schriftsteller für die Opfer spricht und selbst keines ist, vergreift er sich am Recht des Opfers zu sprechen oder zu schweigen.


Yitzhak Laor: "Ecce homo" (Unionsverlag, 608 S., 24.90 Euro). Der Autor liest heute um 20 Uhr in der Reformierten Gemeinde Bielefeld (Güsenstraße 16 - 18), am 10. November im Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück.


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